George Hill wollte der Euphorie nicht so recht trauen. "Es gibt nichts zu feiern", sagte der Point Guard. Dabei war er im Locker Room von den Teamkollegen zum X-Faktor auserkoren worden: Mit dem ersten Treffer des Spiels, einem Dreier, hatte er den Pacers eine Führung beschert, die sie über das komplette Spiel nicht mehr abgeben sollten.
Der Treffer war eine Infusion an Selbstvertrauen, die die Pacers scheinbar in jedem Spiel aufs Neue brauchen. Auch für Hill, der in der Folge mit 15 Punkten (inklusive 3/7 3FG) eins seiner besseren Spiele in dieser Postseason machte.
Dennoch wusste Hill den überzeugenden Sieg in Spiel 1 richtig einzuordnen: "Das war nur ein Spiel. Es war gut, aber es bedeutet überhaupt nichts, wenn wir am Dienstag ein Ei legen."
Auf und Ab gegen Washington
Die Angst vor besagtem "Ei" kommt dabei nicht von ungefähr. Zu chaotisch waren die letzten Monate, zu viele Aufs und Abs gab es für die Pacers sowohl auf, als auch neben dem Court. Wohl noch nie ist ein One-Seed so oft abgeschrieben worden wie Indiana in dieser Saison.
Alleine während der Conference Semifinals gegen die Washington Wizards war es mehrmals so weit: Spiel 1 verloren die Pacers, Roy Hibbert wurde mit seinem "Double Donut" (0 Punkte, 0 Rebounds) zur Punchline. Die nächsten drei Partien wurden gewonnen, auch weil Hibbert nach einen Angeltrip mit Paul George auf einmal seine Koordination wiederfand.
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Die Pacers schienen sich also gefangen zu haben. Schienen. In Spiel 5 legte das Team eine kollektive Stinkbombe aufs Parkett, die im Lexikon fortan unter "Ei" zu finden sein dürfte: Marcin Gortat und Trevor Ariza alleine holten mehr Rebounds als alle Pacers zusammen, Hibbert bewegte sich wieder, in den Worten von "ESPN"-Experte Jalen Rose, "wie [der mittlerweile 80-jährige] Bill Russell heutzutage."
Spiel 6 brachte zwar die richtige Antwort und den Sieg der Serie, Hills Misstrauen ist aber trotzdem verständlich. Seit Monaten haben die Pacers nur selten zwei gute Spiele in Folge abgeliefert und je nach Tagesform entweder wie ein Titelkandidat oder ein überfordertes D-League-Team, in dem jeder für sich selbst spielt, ausgesehen. Und doch befinden sie sich jetzt irgendwie in der Situation, die sie vor der Saison anvisiert hatten.
Fokus auf Miami
Es ist knapp ein Jahr her, dass die Pacers den Heat in Spiel 7 der Eastern Conference Finals gegenüber standen. Es war nicht so knapp wie bei den San Antonio Spurs eine Serie später, aber auch sie hatten den späteren Meister nahe am Abgrund. Doch Spiel 7 in Miami ging verloren.
Nach zwei Playoff-Exits in Folge gegen die Heat hat sich bei den Pacers ein Fokus auf LeBron und Co. etabliert, der fortan alles andere überstrahlte und die Saison zu einem einzigen langen Vorspiel machte. Man wollte sich unbedingt den Heimvorteil für die Playoffs sichern, um Spiel 7 das nächste Mal vor eigenem Publikum austragen zu können.
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Die Ausgangslage dafür hat Indiana erreicht, auch wenn der Weg viel holpriger war, als er hätte sein müssen. In der Regular Season hat das Heimteam jedes der vier Spiele beider Teams gewonnen, die Pacers konnten Miami auch während ihrer Krise einmal bezwingen.
Fast perfektes Spiel eins
Indiana ist in erster Linie dafür gebaut, Miami zu schlagen. Gegen die Heat muss sich Frank Vogel im Gegensatz zu den vorherigen Serien auch keine Sorgen um die Motivation seiner Spieler machen - jeder weiß, dass nur dann eine Siegchance besteht, wenn alle an einem Strang ziehen, den Ball teilen, ihre Größenvorteile am Korb nutzen und defensiv keine Auszeiten nehmen.
In Spiel eins ging dieser Plan komplett auf. Alle Starter sowie CJ Watson punkteten zweistellig, Indiana gewann das Rebound-Duell und ging völlig überraschend sogar viel häufiger an die Freiwurflinie als Miami (37:15). Zudem überzeugte die Defense gegen die Dreier, nur sechs von 23 trafen die Heat vom Perimeter.
Auf einmal spielte Indiana wieder wie das Team, das in den ersten Saisonmonaten durch die Liga gepflügt war, mit dem Zusatz, dass gestern auch die Offense richtig gut funktionierte. "Dieses Matchup macht einfach Spaß", erklärte George, "wir haben das ganze Jahr darauf gewartet."
Abhängig vom Start
Als Favorit wird die Pacers in dieser Serie trotzdem vorerst niemand bezeichnen. Dafür wirkt das Team noch zu fragil, da auch das Selbstvertrauen immer wieder kommt und geht. Der genannte Dreier von Hill gestern war wichtiger, als man vielleicht annehmen sollte; wenn die ersten Würfe daneben gingen, bekamen die Pacers in den Playoffs immer wieder Probleme.
Auf einen schlechten Start hat dann jeder sein eigenes Reaktionsmuster. Hill selbst etwa verweigert oft auch offene Schüsse, George versucht zu viel alleine, Hibbert lässt sich von schwachen Leistungen "nicht nur mental, sondern auch physisch herunterziehen", wie David West sagt.
Miami: Zu klein, zu langsam, zu statisch
Lance Stephenson, der ohnehin oft zwischen Genie und Wahnsinn wandelt, verliert wiederum teilweise komplett die Kontrolle über Spiel und Emotionen, was ihn gleichermaßen anfällig für Turnover und Technicals macht. "Wenn wir uns Videos unserer Spiele anschauen, sehe ich, dass ich manchmal zu emotional reagierte", sagte "Born Ready" gestern und gelobte, seinen Fokus zu wahren.
Team Jekyll und Team Hyde
Stephenson steht damit symbolisch für sein Team. Wenn es nicht läuft, verlieren die Pacers viel zu oft den Ball, zeigen kollektiv eine miese Körpersprache, streiten sich lautstark auf dem Court und wirken nicht wie ein Team, das gerne zusammenspielt. Selbst Team-Präsident Larry Bird sackt dann auf der Tribüne zusammen, weil er den ganzen Ablauf mittlerweile zur Genüge kennt.
Gelingen dagegen die ersten Aktionen, wird Indiana zu einer hart verteidigenden, physischen Maschinerie, die gerade den Heat große Probleme bereitet.
Genau das macht den Ausgang der Serie und die Zukunft der Pacers im Allgemeinen so schwer vorherzusehen. Ein Kollaps mit anschließendem Neuaufbau? Möglich. Eine weitere knappe Niederlage mit der Ankündigung, es nächstes Jahr besser zu machen? Kann schon sein. Eine Reality-TV-Show über die vergangenen Monate aus Teamperspektive - warum nicht?
Bei diesen Pacers scheint alles möglich zu sein, nichts kann zu diesem Zeitpunkt noch überraschen. Auch nicht der Einzug in die Finals.