Wenn wir ein paar Monate zurückspulen, dann sind die Indiana Pacers das mit Abstand beste Team in der Liga (zumindest in Sachen Bilanz) und auf dem Weg in Richtung Heimvorteil. Roy Hibbert ist für viele der beste Verteidiger der Liga, und Paul George unter den Top drei auf den meisten MVP-Zetteln. Mindestens.
Wenn wir nur einen Monat zurückspulen, dann sind die Pacers zwar immer noch mit dem Homecourt ausgestattet. Aber Roy Hibbert wird auf Litfaßsäulen und Milchkartons gesucht, und Paul George landet im MVP-Voting auf Rang neun. Hinter Al Jefferson. Der wohl zweitbeste two-way Player, also einer, der sowohl offensiv als auch defensiv ein Spiel entscheiden kann.
Zwei größtenteils mehr schlechte als rechte Serien in den Playoffs später sieht zwar alles etwas besser aus, aber Hibbert legt immer noch hin und wieder Donuts auf (0 Punkte, 0 Rebounds), und PG ist auch eher guter Durchschnitt. Und deshalb ist man 1-3 gegen Miami hinten.
Wer hat den Schalter umgelegt?
Aber an diesem Mittwochabend in Indianapolis ist Paul George plötzlich wieder obenauf. 37 Punkte. 21 (so viele wie noch nie in einem Viertel überhaupt) im entscheidenden Schlussabschnitt. Fünfmal von Downtown. Ein Offensivfeuerwerk. Und defensiv eine Pest (6 Steals), mit Breakaway-Dunks noch und nöcher.
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Sind es die Teamkollegen, wie etwa David West? "West hat immer wieder gesagt: Heb' dir keine Munition für später auf", erklärt der MVP des Abends. "Ich wusste, dass ich nicht nachlassen darf, weil sie auf der anderen Seite auch gepunktet haben." Coach Frank Vogel gibt ihm im wahrsten Sinne des Wortes "grünes Licht".
Ist es der Gegner? Nicht, wenn es nach George geht. "Ich war einfach im Rhythmus, egal wer mich verteidigt hat. Ich glaube, ich stand wirklich jedem Heat-Spieler gegenüber. Ich war einfach in the zone." Das müssen auch die Kontrahenten anerkennen. "Er hat einfach alles getroffen", so Chris Bosh. "Es war gute Defense, aber einfach noch bessere Offense."
Schiri-Schelte macht sich bezahlt
Oder sind es die Referees? Nach Spiel 4 hatte sich George lautstark über vermeintlich einseitige Entscheidungen und eine Heat-Übermacht an der Freiwurflinie beklagt. Diese Worte bezahlte er mit 25.000 Dollar Strafe, aber vielleicht waren sie gut angelegt. Miami geht nur achtmal an die Linie, die Pacers fast dreimal so oft (22).
Für einen Kantersieg reicht Georges Leistung, gekoppelt mit der Freiwurf-Überlegenheit und einem Double-Double von Hibbert, nicht. Chris Bosh hat Sekunden vor Schluss von der Dreierlinie sogar noch den Sieg vor Augen. Aber er verfehlt und die Pacers sind noch am Leben. Nach nicht einmal 20 Punkten von George im Schnitt endlich die Explosion. Besser spät als nie.
Pfiffe gegen LeBron James
Und LeBron James? Der vor George eigentlich klar beste two-way Player der Liga erlebte einen rabenschwarzen Abend. So wirkungslos war der viermalige MVP zuletzt wohl in der Finalserie 2011, als er den Basketball gegen die Dallas Mavericks oft fast schon übereifrig weitergab.
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Der Unterschied: Diesmal konnte er nicht auf dem Court bleiben. Fünf Fouls hatte man ihm in seiner Karriere noch nie innerhalb der ersten drei Viertel angehängt. Das sechste holte er zwar nicht, aber dennoch standen am Ende weniger als 25 Minuten im Boxscore. Und das gegen James, gegen die Heat - für viele Fans die absoluten Lieblinge in Sachen Pfiffe.
Ob diese Reputation gerecht oder ungerecht ist, das mag jeder für sich selbst entscheiden. James entschied sich - sicherlich bewusst - gegen einen ähnlichen Weg wie George nach Spiel 4. "Das Spiel wird von den Referees geleitet. Sie entscheiden aufgrund dessen was sie sehen. Danach spielen wir, und mit den Ergebnissen müssen wir leben."
Foul oder nicht Foul - das ist die Frage
Im Inneren sah es beim Forward sicherlich anders aus. Aber er trug es mit Fassung, so wie auch wenige Minuten zuvor auf dem Court: Beim ersten Pfiff gegen ihn - ein Touch Foul gegen George - hob er verständnislos die Hände. Kurze Zeit später leichter Körperkontakt bei einem Layup von George Hill und der nächste Pfiff. Da schmunzelte er schon, als er sich in Richtung Bank begab. Vielleicht wusste er bereits, dass es nicht sein Abend werden würde.
Die beiden genannten Fouls gehörten zur "kann man geben, muss man aber nicht"-Kategorie. Auch über das dritte im zweiten Viertel könnte man diskutieren: James geht beim Drive gegen George etwas mit dem Ellbogen heraus, wobei der eindeutig noch in der Bewegung ist.
Aber das kann eben passieren. Manchmal gehen die 50/50-Calls unerfreulich aus. James wäre deshalb mit Schiri-Schelte schlecht beraten. Vor allem deshalb, weil er danach schlicht und ergreifend nicht clever genug spielte und die Fouls Nummer 4 und 5 eindeutig seine Fehler waren: Direkt zu Beginn der zweiten Hälfte griff er Hibbert bei dessen Korbleger übermotiviert an den Arm. Ein paar Minuten später ließ er sich den Ball von Lance Stephenson klauen und schob auf der Jagd nach dem Leder seinen Körper dazwischen. Auch hier war der Pfiff mehr als verdient.
Hoffnung für Spoelstra
Die schwache Leistung der NBA-Gallionsfigur nur mit seinen Foulproblemen zu erklären, wird ihr ohnehin nicht gerecht. Paul George war in diesem Tag einfach besser und bildete zusammen mit Stephenson ein formidables Defensiv-Gespann. Der "Chosen One", gut verteidigt und ohne Rhythmus, mutierte da zum "Ordinary One."
Angesichts dieser Probleme seines Stars und einer MVP-Performance von PG mutet ein 90:93 gar nicht so schlimm an für Erik Spoelstra und seine Mannen. Die Dreierquote von Rashard Lewis (6/9) und dem Team an sich (15/31) wird schwer zu wiederholen, das stimmt. Aber mit Heimvorteil und einem ausgeruhten James sind die Finals in Reichweite.
Lanceseits von Gut und Böse
Zumal James von "Born Ready" erneut eine kleine Motivationsspritze bekam. Nachdem der polarisierende Guard vor dem Spiel seine Verbalattacken gegen den Heat-Star noch öffentlich bereut hatte ("wir sollten uns nur auf Basketball konzentrieren"), konnte er auf dem Parkett wieder nicht an sich halten, pustete in LeBrons Ohr und mogelte sich dreist in ein Huddle der Heat.
"Ich kann auch ganz schön auf die Nerven gehen", kommentierte Shane Battier die Aktion hilflos. "Aber selbst für mich gibt es Grenzen. Was soll man da machen? Wir können ihn ja nicht rauswerfen. Ich weiß nicht, ob es dagegen Regeln gibt." Und selbst George schickt neben einer Menge Lob noch eine kleine Warnung an seinen Teamkollegen. "Er muss immer darauf achten, dass er es im Griff hat."
Auch die Referees werden in Spiel 6 sicherlich ganz besonders darauf achten. Wenn dann noch ein bisschen "home cooking" (O-Ton George) für die Heat dazukommt, dürfen die auf ihren Finalgegner warten. Wenn nicht, wartet Spiel 7 daheim auf die Pacers. Ein Sieg im Entscheidungsspiel? Besser spät als nie.