Vor dem Bus warten hunderte Schulkinder. Manche in ihrer Schuluniform, manche in grauen "NBA-Cares"-Shirts, aber alle ausgestattet mit Smartphones, Stift und Papier. Alle in der Hoffnung, ein Foto und am besten auch noch ein Autogramm dieses einen Mannes zu bekommen: Erik Spoelstra.
Der 43-Jährige befindet sich auf einem seiner alljährlichen Trips auf die Philippinen im Rahmen des NBA-Fit-Programms. Doch für Coach Spo ist dies keine lästige PR-Arbeit, die ihn einfach nur seines wohlverdienten Sommerurlaubs beraubt. Für ihn ist es eine Reise in ein Land, in dem er fast schon als Volksheld verehrt wird, das nur so vor Basketballverrückten wimmelt - ein Land, in dem seine Wurzeln liegen.
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Als Sohn einer Philippinin fühlt Spoelstra eine Tiefe Verbundenheit mit dem Inselstaat und unterstützt das Archipel im Pazifischen Ozean, wo es nur geht. Und das, obwohl er in den USA geboren und dort auch aufgewachsen ist. Genauer gesagt: In Oregon. Dort verbrachte er einen Großteil seiner Jugend, besuchte die High School in Beaverton und später das College in Portland.
Karriere auf den Philippinen?
Dort fungierte Spoelstra von 1988-92 als Starting Point Guard der Portland Pilots und belegt immer noch den dritten Platz in der All-Time-Assists-Rangliste der Universität. Für Erik und seinen Vater Jon, der unter anderem als General Manager für die Portland Trail Blazers arbeitete, war dennoch relativ früh klar, dass es nicht für eine Karriere in der NBA reichen würde.
"Als Kind in der High School ist es immer dein Traum, in der NBA zu spielen. Später stellt man sich dann eher die Frage: 'OK, wo kann ich sonst noch spielen?'", so Spoelstra. Wie wäre es mit den Philippinen?
Über Verwandte und Jim Kelly, einen ehemaligen Berater für Teams der Philippine Basketball Association, kam schließlich der Kontakt zu verschiedenen Mannschaften zustande. Das Interesse war da. Die Möglichkeit, in das Heimatland seiner Mutter, das er zuvor letztmals im Alter von drei Jahren besucht hatte, zurückzukehren, schien greifbar nah zu sein.
Herten oder Miami?
"Als ich das erste Mal mit Jim gesprochen hatte, meinte er, dass es wirklich möglich sei, dass er mich in die Liga bringen könne", erzählte Coach Spo gegenüber "Grantland". "Ich habe mich richtig darauf gefreut." Doch das Engagement kam nicht zustande, Spoelstra hätte wohl ein Jahr in einer unterklassigen philippinischen Liga spielen müssen, ehe der Schritt in die PBA möglich gewesen wäre. Spoelstra entschied sich also gegen die Philippinen - und landete in Deutschland.
Bei den Hertener Löwen spielte er zwei Jahre lang in der zweiten Liga und betreute gleichzeitig das Nachwuchs-Team. Schließlich stoppte eine Rückenverletzung die aktive Karriere des damals 25-Jährigen und er stand auf einmal vor der wichtigsten Entscheidung seines Lebens.
Nachdem die Löwen einen Zwei-Jahres-Vertrag auf den Tisch gelegt hatten, kam ein Angebot aus Miami, die dortigen Verantwortlichen beim Draft zu unterstützen. "Es gab keine Garantie, dass ich auch nach dem Sommer bleiben könnte, von daher war es die schwierigste Entscheidung, die ich in meinem Leben treffen musste. Immerhin hatte ich ein Angebot über zwei Jahre in Deutschland bekommen, ich lebte den Traum da drüben."
Einen anderen, noch größeren Traum stellte aber schon immer die NBA dar. Insofern fiel die Entscheidung zu Gunsten der Heat aus - und war, wie sich später herausstellen sollte, auch vollkommen richtig.
Ab nach ganz oben
Nach dem Draft blieb Spoelstra nämlich tatsächlich bei den Heat. Als neuer Video-Coordinator. Im Keller der American Airlines Arena stellte er Videos von gegnerischen Offensiven zusammen, analysierte die eigene Pick-and-Roll-Defense und arbeitete Tag und Nacht in seinem "Dungeon", wie Spoelstra den Abstellraum nannte, der zum Video-Raum umfunktioniert wurde.
Nach einigen Jahren wurde der 43-Jährige zum Advanced Scout befördert, später zum Director of Scouting und landete schließlich als Assistant Coach unter Pat Riley auf der Heat-Bank, eher er im Jahr 2008 zum Head Coach und Nachfolger von Pat Riley ernannt wurde.
"Manchmal denke ich, als ehemaliger Video-Coordinator und Advanced Scout bist du besser auf den Posten des Head Coaches vorbereitet, als wenn du nur Assistant Coach warst" erklärte die Coaching-Legende. "Du bist dazu gezwungen, neben den taktischen Dingen, auf so viele weitere Sachen zu achten. Spoelstra hat ein unglaubliches Reservoir an Basketball-Wissen entwickelt."
Durchwachsener Start in die Big-Three-Ära
Das allein reicht aber nicht unbedingt, um als Head Coach auf der großen NBA-Bühne zu bestehen. Der Job ist vielschichtiger als man manchmal denken möchte. Neben der taktischen Ausrichtung eines Teams sowie der Pressearbeit, geht es vor allem darum, mit millionenschweren Superstars klar zu kommen und von ihnen respektiert zu werden.
Als LeBron James und Chris Bosh im Sommer nach South Beach wechselten und mit Dwyane Wade damit das neue Supertrio der NBA bildeten, stiegen die Erwartungen in Florida sofort ins unermessliche. Aber kann ein so junger Spund wie Spoelstra - damals gerade einmal 39 - die Heat wirklich zu nicht ein, nicht zwei, nicht drei Meisterschaften, sondern in eine ganze Dynastie führen?
Nach einem mehr als durchwachsenen Start in die Saison 2010/11 stand Miami nach 17 Spielen nicht etwa bei einer Bilanz von 17-0, sondern konnte nur neun Spiele gewinnen - bei acht Niederlagen. Mehrere Berichte über die Unzufriedenheit der Spieler machten die Runde, angeheizt von LeBron James, der bei einem Spiel gegen die Dallas Mavericks in einer Auszeit in seinen Head Coach hineinlief.
Riley hält an Coach Spo fest
Ob Absicht oder nicht: Für die Medien war es ein gefundenes Fressen und die Kritik fokussierte sich zu allererst auf Erik Spoelstra. Die Unterstützung vom wichtigsten Mann in der Heat-Organisation ließ dennoch zu keinem Zeitpunkt nach.
"Als die Dinge ein bisschen schwieriger wurden, sagte ich ihm, dass er den Kontakt mit den Spielern nicht verlieren darf", so Riley. "Deine besten Spieler sind deine größten Verbündeten und deren größter Verbündeter ist der Head Coach."
Entgegen vieler Gerüchte, Vermutungen und Hoffnungen einiger Heat-Fans hielt Riley also an Spoelstra fest, anstatt selbst wieder auf die Bank zurückzukehren. Was danach geschah, ist bekannt. Das Rematch mit den San Antonio Spurs ist bereits die vierte Finals-Teilnahme der Heat in Folge. Zwei Mal konnte sich Miami den Titel schon sichern, der Three-Peat ist in Reichweite.
Einer der besten Coaches der NBA
Ganz abgesehen von den Teamerfolgen hat sich Spoelstra mittlerweile auch in der Riege der besten Head Coaches der NBA etabliert. Auch wenn die meisten nur über James, Wade und Bosh sprechen, der 43-Jährige hat mit seiner taktischen Ausrichtung einen riesen Anteil am Erfolg Miamis.
Besonders "ESPN"-Analyst Jeff van Gundy weiß das zu schätzen: "Er ist der erste, der kritisiert wird und der letzte, der ein Lob bekommt. Aber ich garantiere euch, die Leute, die gegen ihn coachen müssen, haben erkannt, was für ein hervorragender Head Coach er ist."
"Er richtet niemals die Aufmerksamkeit auf sich, aber man darf nicht übersehen, was er alles geleistet hat. Am Ende wird er definitiv ein Hall-of-Fame-Coach sein", so van Gundy weiter über den 43-Jährigen. Und auch Dwyane Wade ist sich Spoelstras Wichtigkeit für das Team bewusst: "Er ist der neue Pat Riley, richtig? Er ist der nächste, gutaussehende, junge Coach mit dem gleichen Stil und einer guten Truppe."
Zwar hatte auch Wade so seine Unstimmigkeiten mit Spoelstra, die in einer Auseinandersetzung während einer Auszeit bei den Eastern Conference Finals 2012 mündete, doch der 32-Jährige weiß genauso gut, dass er seinem Head Coach einiges zu verdanken hat. Als er neu in die Liga kam, war es Spoelstra, der den jungen Rookie an seine Hand nahm und besonders bei der Entwicklung eines zumindest respektablen Jump-Shots eine immens große Rolle spielte.
Immer auf dem Boden geblieben
Und es war Coach Spo, der aus den Heat eine der besten Verteidigungen der NBA geformt hat, der aus einem Superstar-Trio und ein paar Reservisten ein echtes Team und Meisterschaftsanwärter für die kommenden Jahre geformt hat - was deutlich schwieriger ist als es sich anhört.
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Bei aller Aufmerksamkeit, trotz des kometenhaften Aufstiegs vom Video-Coordinator zum Head Coach in der NBA ist Erik Spoelstra immer auf dem Boden geblieben. Der 43-Jährigte hat nie vergessen, wo er herkommt und zeigt dies unter anderem mit seiner nicht enden wollenden Unterstützung für das Heimatland seine Mutter.
Auch wenn vielleicht ein Großteil der USA den Spurs die Daumen drücken sollte, die Unterstützung der Philippinen haben die Heat sicher.