Der Blick ging ins Leere. LeBron James hatte eingesehen, dass der große Traum geplatzt war. Der dritte Titel war utopisch geworden. Und das bereits sechs Minuten vor Ende von Spiel 5. Die Spurs führten mal wieder mit 18 Punkten, als Coach Erik Spoelstra seinen Superstar auf die Bank beorderte. Resignation. Diesmal half einfach nichts. Kein verrücktes Comeback. Kein Ray Allen.
Diesmal waren die Spurs einfach zu gut, das klar bessere Team. Getrieben von der bitteren Enttäuschung der vergangenen Saison reihten die Texaner in den Spielen 3 bis 5 Demonstration an Demonstration. Ihre vier Siege fuhren sie mit durchschnittlich 18 Punkten Vorsprung ein. Dazu legte San Antonio Werte auf, wie sie die NBA seit Einführung der Dreierlinie noch in keiner Finalserie bewundern durfte (118,5 Punkte pro 100 Possessions, 60,4 Prozent eFG%).
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hat die Liga auch sehr lange kein Team gesehen - wenn denn überhaupt -, das den Teambasketball in solcher Perfektion zelebriert, wie es die Spurs in den vergangenen rund acht Monaten taten. Manu Ginobili brachte es während der Übergabe der Larry O'Brien Trophy bestens auf den Punkt: "Das Ballmovement war unglaublich", sagte der Argentinier. "Wir waren von niemandem abhängig."
Pleite gegen Spurs? Keine Schande!
Und tatsächlich trieben die Spurs die Schönheit dieses Sports derart gekonnt auf die Spitze, dass das, was Miami versuchte, zum Scheitern verurteilt war. San Antonios Offense lieferte Basketball in Perfektion und fand auf jede Strategie der Heat eine Antwort. Und genau das ist der Punkt. Es ist schlicht und ergreifend keine Schande gegen diese Spurs zu verlieren. Absolut keine!
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Und genau deshalb sind auch keine Häme in Richtung der Miami Heat und LeBron James angebracht. Klar ist die unsägliche "Decision" bis heute nicht vergessen. Klar kommt James' vollmundige "Not one, not two, not three"-Ankündigung bei jeder Niederlage zurück wie ein perfekt geworfener Boomerang. LeBron polarisiert eben. Die Heat polarisieren.
Dass James während der Finals wahnwitzige Quoten (57,1 Prozent FG, 51,9 Prozent 3FG) auflegte - geschenkt. Dass er sich in Spiel 5 zu Beginn beeindruckend gegen die Niederlage stemmte, im ersten Viertel allein 17 Punkte auflegte - Nebensache. Was zählt, sind die Krämpfe aus Spiel 1 und - nicht ganz zu Unrecht - die mangelnde Dominanz in den entscheidenden Phasen der Spiele eins, drei, vier und fünf.
Der Sieg des Teams
Diesmal konnte James einfach nicht übernehmen. So sehr er es auch versucht haben mag. Die Heat verließen sich auf ihren Superstar, San Antonio auf sein Team, garniert mit Superstar-Sequenzen der Herren Duncan, Parker, Ginobili und Leonard. Während der Supporting-Cast der Spurs bestens funktionierte, Boris Diaw seinen inneren Magic Johnson auslebte, Patty Mills plötzlich von draußen die Lichter ausschoss, suchte ein beängstigend großer Teil der Heat nach Erleuchtung.
Dwyane Wade konnte zu keiner Zeit an seine guten Playoff-Leistungen anknüpfen, brachte am Ende kaum mehr Entlastung. Chris Bosh wandelte konstant inkonstant zwischen Dominanz und Unsichtbarkeit. Mario Chalmers hatte offensichtlich völlig vergessen, wie man als Playmaker aufzutreten hat. Die Liste ließe sich beliebig fortführen. Selbst Ray Allen, der personifizierte Swish, erlebte ausgerechnet in Spiel 5 seinen ganz persönlichen Shooting-Albtraum (1/8 FG).
Angesichts solcher Probleme war Miamis Mission Three-peat schnell zum Scheitern verurteilt. Eine Mission, die die Heat eigentlich in eine Liga mit den Lakers und Bulls, denen das Kunststück der zweifachen Titelverteidigung letztmals gelungen war, bringen sollte. Ziel verfehlt. In aller Deutlichkeit.
Negative Finals-Bilanz
Was 2010 als Beginn einer Ära gefeiert wurde, könnte im Sommer ein jähes Ende finden. Trotz vier Finals-Teilnahmen in vier Jahren. Statt eines Ring-Quartetts muss man sich am South Beach mit einem Double zufrieden geben. Wie es in Miami nun weitergeht, weiß niemand. Den erhofften, uneingeschränkten Erfolg brachten die Big Three jedenfalls nicht.
James hat, seine Zeit in Cleveland mit eingerechnet, mittlerweile gar eine negative Finals-Bilanz (2-3). Natürlich weckt das Schadenfreude. Immerhin hat der Typ angekündigt, nicht zwei, nicht drei... Ihr wisst Bescheid. Die Vergleiche mit Michael Jordan sollten nun endlich aufhören, war nach der Pleite zu vernehmen. Und das zu Recht. Jedoch nicht, weil LeBron so deutlich schlechter ist als MJ. Vielmehr sind derartige Vergleiche von Grund auf Fehl am Platz, so gern sie im Sport auch herangezogen werden mögen.
Jede Generation hatte ihre prägende Figur, ihr Gesicht, ihre Ausnahmeerscheinung. Magic und Bird in 80ern. Jordan in den 90ern. Heute haben wir LeBron James. Spieler, die sogar aus der Elite herausstechen, deren Spiel dieses gewisse Etwas hat, das sonst niemand besitzt. Natürlich interessiert es da einen jeden, wer denn nun der absolut Beste ist, wer dieses entscheidende Stück genialer ist als all die anderen Genies.
Jordan-Vergleich unsinnig
Sogar James selbst sagt, er wolle als "bester Spieler aller Zeiten in die Geschichte eingehen". Keine allzu kluge Aussage übrigens. Speziell mit Blick auf die vergangenen eineinhalb Wochen. Immerhin endete ein jeder Finals-Auftritt des Michael Jordan und seiner Chicago Bulls mit einem Termin beim Juwelier. LeBron ließ gleich drei Titelchancen verstreichen. Andererseits gewann weder MJ allein noch verlor LeBron allein. Basketball ist prädestiniert, von Einzelnen dominiert zu werden, ist und bleibt jedoch ein Teamsport. An dieser Stelle ein freundlicher Gruß nach San Antonio.
Das Gesamtgebilde muss stimmen, ehe das Individuum übernehmen kann. Entsprechend schwierig sind Quervergleiche, gerade über verschiedene Generationen. Zu viel "hätte". Zu viel "wenn". Zu viel "aber". Ob LeBron James nun besser, schlechter oder auf einer Stufe mit Michael Jordan ist, ist im Grunde völlig egal, noch dazu sehr subjektiv behaftet.
Was zählt, sind die Ausnahmefähigkeiten, mit denen beide, ganz objektiv betrachtet, herausragenden Basketball aufs Parkett zaubern. Ausnahmefähigkeiten, die es nur selten zu bestaunen gibt. Nicht umsonst nannte Gregg Popovich, das Mastermind des modernen Basketballs, James auch nach dem Sieg in Spiel fünf noch den "besten Spieler des Planeten".
Spurs gewinnen, nicht Heat verlieren
Diesmal traf dieser beste Spieler jedoch auf das derzeit beste Team des Planeten, das noch dazu gestärkt aus der Niederlage aus dem vergangenen Jahr hervorgegangen war und den Frust kanalisierte, um ganz sicher zu gehen, dass diesmal kein verrückter Dreier über das eigene Schicksal entscheidet. Sicherlich machte auch das einen Teil des gravierenden Unterschieds zwischen Spurs und Heat aus. Niederlagen pushen, Siege machen satt. Rachegelüste sind stärker als der Wunsch, Geschichte zu schreiben.
Was James und die Spurs jedoch gemeinsam haben: Beide zelebrieren diesen wunderbaren Sport auf allerhöchstem Niveau, sorgen mit unglaublichen Aktionen für offene Münder. Vielleicht sollten wir einfach weniger auf irgendwelche Vergleiche geben, weniger das Drumherum ins Zentrum rücken. Dort zählt schließlich nichts als das Spiel, das San Antonio während der Finals 2014 einfach ein Stück besser beherrschte als LeBron James und die Heat. Die Spurs haben gewonnen, nicht Miami verloren. Häme ist da völlig fehl am Platz!