Als Kevin Durant direkt nach der Niederlage gegen San Antonio von einer erfolgreichen Saison sprach, wird der eine oder andere seine Tonbandaufnahme wohl erneut abgespielt haben. Erfolgreich? Waren die Thunder nicht gerade in den Western-Conference Finals gescheitert, anstatt ab Donnerstag gegen Miami um den ersten Titel zu spielen? Muss der Anspruch eines MVPs nicht sein, auf der ganz großen Bühne zu stehen, endlich den ersehnten Ring zu holen?
Sicherlich. Unrecht hat Durant deshalb allerdings lange nicht. Denn bei aller angebrachten Kritik, schlecht war OKCs Saison definitiv nicht. Immerhin wird keine Gelegenheit ausgelassen, um auch dem letzten ins Gedächtnis zu rufen, wie stark der Westen doch ist, wie tief besetzt, wie ausgeglichen.
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Erfolg trotz Misserfolg
So hatten die Thunder auf dem Weg in die Conference Finals nacheinander die Grizzlies und Clippers auszuschalten. Sechs Teams werden glücklich gewesen sein, Memphis und seiner unangenehmen Defense aus dem Weg gegangen zu sein. Die Clippers hatten wiederum nicht wenige als Finals- oder sogar Titelkandidaten auf der Rechnung.
Zur Krönung warteten die Spurs. Jene Spurs, denen vergangenes Jahr lediglich sechs mickrige Sekunden zur Meisterschaft fehlten, die die Regular Season mit der besten Bilanz beschlossen, die, dem Coach of the Year sei Dank, das vielleicht beste Offensiv-System der gesamten Liga ihr Eigen nennen. San Antonio in sechs Spielen zu unterliegen, ist wahrlich keine Schande und sollte sicherlich nicht über Wohl oder Übel eine Franchise richten.
Durant: Müssen "analysieren"
Allerdings, so fuhr Durant fort, müsse man natürlich auch "analysieren". Eine Aussage, mit der der MVP wohl weit weniger Verwunderung hinterließ. Denn, zweites Conference Final in drei Jahren hin, mitunter starke Leistungen her, perfekt läuft es nicht in Oklahoma City. Dass das Roster der Thunder mit zum Besten gehört, was die NBA zu bieten hat, ist klar. Dass zum Titel dennoch ein Stück fehlt allerdings ebenfalls.
Nun ist es am Front Office um GM Sam Presti, die richtigen Schlüsse aus einer erfolgreichen, aber keinesfalls perfekten Saison zu ziehen, um Kevin Durant, Russell Westbrook und Serge Ibaka endlich mit Rollenspielern zu umgeben, die die Stärken des Trios ergänzen und gleichzeitig endlich die nötige Unterstützung liefern, die speziell in den Playoffs zu häufig abging.
Der eine oder andere mag das nun als zweiten vor dem ersten Schritt verschreien. Schließlich sei der Coach am Ende doch das größte Problem. Scott Brooks' in der Tat nicht gerade üppiges Playbook treibt gerade Durant und Westbrook immer wieder in die Isolation. So ist OKCs Offense zu sehr auf seine beiden Superstars zugeschnitten, zu sehr von ihnen abhängig und damit zu leicht auszurechnen.
KD und Westbrook unterstützen Brooks
Brooks ist abseits der Chesapeake Energy Arena deshalb auch nicht gerade wohlgelitten. Er verlasse sich zu sehr auf Durant, heißt es. Ein neuer Coach, und einige Probleme wären beseitigt, meinen einige. Ob ein Trainerwechsel am Ende wirklich des Rätsels Lösung ist, sei einmal dahingestellt. Zumal es als halbwegs sicher gilt, dass Brooks auch kommende Saison in Oklahoma City auf der Bank sitzen wird.
"Er ist unser Mann. Ich stehe zu ihm", bezieht Durant deutlich Stellung. "Es ist leicht für jeden da draußen, ihn zu kritisieren, aber wenn du in der Arena bist, dann zählen nur die Jungs, die für dich bluten, schwitzen, Tränen vergießen und schlaflose Nächte haben. Jeder außerhalb von diesem Kreis zählt nicht." Brooks pflegt offensichtlich ein äußerst gutes Verhältnis zu seinen Spielern. "Wann immer etwas schieflief, hat er mit den Rücken gestärkt", dankte Westbrook nach Spiel 6 gegen die Spurs seinem Coach. Seine beiden Superstars weiß Brooks also schon mal hinter sich. Keine allzu schlechten Voraussetzungen.
Zumal der Coach während der Playoffs - zumindest in Teilen - eben jene Anpassungsfähigkeit bewies, die ihm in der Vergangenheit häufig abgesprochen wurde. Gegen die Clippers beorderte er Caron Butler in die erste Fünf, gegen San Antonio Reggie Jackson. Keine absoluten Geniestreiche - und dennoch durchaus effektiv.
Jackson fehlt als Energizer
Allerdings entblößte gerade Jacksons Beförderung zum Starter die vielleicht größte Schwäche der Thunder. Man mag wehmütig zwei Jahre zurückdenken, als sich OKC den Luxus erlauben konnte, einen James Harden von der Bank zu bringen. Vergangene Saison stand immerhin Kevin Martin bereit. Diesmal? In Spiel 6 hörten die Reservisten auf die Namen Derek Fisher, Steven Adams, Nick Collison und Jeremy Lamb. Das Ergebnis? 5 magere Pünktchen.
Ein Jackson als Energizer von der Bank hätte da durchaus gut getan. Der Guard selbst hat allerdings Gefallen an seiner neuen Rollen gefunden. "Natürlich bin ich gern Starter, da will ich gar nicht lügen", sagt er. 21 Punkte in Spiel 6 oder 15 in Spiel 3 unmittelbar nach seiner Beförderung dienen als durchaus gelungene Bewerbung. Das Problem: Neben Jacksons Energizer-Qualitäten geht den Thunder so gleichzeitig ein Stück defensive Balance verloren.
Steht der Guard in der ersten Fünf, bilden zwei gelernte Point-, im besten Fall Combo Guards den Backcourt der Thunder. In der Konsequenz muss sich Kevin Durant in der Defense dem besten gegnerischen Flügel annehmen, was KD wiederum, eigentlich für die Offense benötigte Energie verschwenden lässt.
Jackson kommende Saison wieder von der Bank zu bringen und Thabo Sefolosha, sofern der angehende Free Agent gehalten wird, zurück in die Starting Five zu beordern, könnte auf Sicht also mehr Vorteile bringen als das Kurzzeitexperiment, das bei den Spurs zwischenzeitlich böse Erinnerungen an 2012 weckte. Damals scheiterten die Texaner in den Conference Finals nach 2:0-Führung noch an OKC.
Backup-Point-Guard gesucht
Zumal, wenn es Sam Presti gelingt, einen effektiven Backup-Point-Guard zu verpflichten. Sollte Derek Fisher seine Karriere tatsächlich beenden und die Knicks oder Lakers übernehmen, stünde mit Westbrook nämlich lediglich ein reiner Einser im Roster der Thunder, der noch dazu gern selbst abschließt. Ließe sich ein echter Floor General von Oklahoma City überzeugen, Jackson könnte das Scoring der zweiten Fünf übernehmen, häufiger abseits des Balles spielen. OKCs Bank würde sicherlich einiges an Effektivität gewinnen.
Nun ringen jedoch nicht nur die Reservisten der Thunder häufig verzweifelt um effektives Spiel, auch die Starter könnten ihr Dasein deutlich einfacher gestalten. "Wir haben uns zu sehr auf den Jumper verlassen", kritisierte Coach Brooks beispielsweise nach dem Aus gegen San Antonio. "Es schien, als könnten wir gar keinen guten Würfe unter dem Korb bekommen."
Lowpost-Allergie
Und der Schein trog nicht. Nicht in Spiel 6 gegen die Spurs, nicht während der gesamten Playoffs. OKC lebt von Drive, Athletik und Jumper. Einem Triumvirat, das nur zu anfällig ist für Schwächephasen. Kaum einmal erspielen sich die Thunder einfache Punkte aus dem Lowpost heraus. Nur 5,7 Prozent ihrer Angriffe schließen sie am unteren Zonenrand ab. Kein West-Playoff-Team sucht seltener das Duell im Lowpost.
Selbst ein Serge Ibaka verlässt sich lieber auf das Pick-and-Pop inklusive Jumper aus der Mitteldistanz. So ist Durant, der nicht gerade im Verdacht steht, Gegner mit Vorliebe zu überpowern, OKCs effektivster Postscorer (1,97 Punkte pro Possession). Steven Adams (0,87 Punkte pro Postpossession) bringt wohl noch am meisten Potential mit, allerdings ist das Spiel des Neuseeländers noch sehr roh. Wie schnell und steil seine Entwicklung vonstatten geht, ist nicht abzusehen.
Was passiert mit Pleiß?
Ähnlich gelagert ist die Situation bei Tibor Pleiß, an dem OKC weiter die Draftrechte hält. Trotz seiner starken Saison in Spanien und der Euroleague ist jedoch noch nicht klar, ob die Thunder den Center endlich in die USA holen. Zumal Pleiß nicht als ausgewiesener Lowpost-Scorer gilt.
Die Dreierproblematik könnte er ohnehin nicht lindern. Allerdings stünde dem viertschlechtesten Playoff-Team aus der Distanz - sogar die Chicago Bulls trafen in Runde eins sicherer von Downtown - der eine oder andere Floor Spacer durchaus gut zu Gesicht. Mit Jeremy Lamb besitzt man auch dort Potential. Nur verkam der Shooter nach gutem Saisonstart während der Postseason zusehends zur Randerscheinung, durfte nur noch in Ausnahmefällen aufs Parkett.
Wollen sich Sam Presti und Scott Brooks nicht auf die Entwicklung ihrer vorhandenen Spieler verlassen, muss nach externen Lösungen gesucht werden. Eine Möglichkeit bietet der Draft. OKC pickt an 29. Stelle. Die absolute Elite wird dann nicht mehr verfügbar sein, der Jahrgang 2014 gilt jedoch nicht umsonst als tiefster seit langem. Unter, wenn auch nicht allzu wahrscheinlichen, Umständen wäre sogar noch ein Shabazz Napier, ein Playmaker zu haben.
Wenig finanzieller Spielraum
So oder so werden die Thunder ihre Baustellen jedoch nicht gänzlich mit Rookies schließen können - und wollen. Großen Handelsspielraum bietet jedoch auch der Free-Agent-Markt nicht. Durant, Westbrook und Ibaka kassieren allein 47 Millionen Dollar, nach derzeitigem Stand zahlt OKC seinen Spielern kommende Saison insgesamt knapp 68 Millionen Dollar. Der Salary Cap dürfte um 5 Millionen Dollar ansteigen, stünde dann bei 63,2 Millionen, die Luxury-Tax-Grenze bei 77 Millionen.
Viele Möglichkeiten für das Front Office gibt es nicht. Zumal man eventuell die Verträge von Thabo Sefolosha und Caron Butler, vielleicht sogar von Derek Fisher verlängern möchte. Bliebe die Möglichkeit, Kendrick Perkins per Amnesty Clause zu entlassen und die gut 9 Millionen Dollar des Centers aus den Büchern zu tilgen. Nur gilt Perk als Herz der Mannschaft und wie schlecht sich die Dinge entwickeln können, wenn der Locker-Room-Guy erst mal weg ist, mussten nach Danny Grangers Abgang zuletzt erst die Indiana Pacers feststellen.
Also ist mal wieder Sam Prestis Geschick gefragt. Das Roster der Thunder hat Schwächen. Schwächen, die ausgebügelt werden wollen. Schwächen, die allerdings auch nicht so gravierend sind, dass OKCs GM vor einer unlösbaren Aufgabe steht. Bewältigt er diese, steigert sich das bereits vorhandene Team, spricht Kevin Durant in einem Jahr vielleicht erneut von einer erfolgreichen Saison. Mit dem Unterschied, dass er dann nicht mehr in teils ungläubige Gesichter blickt.