Einst waren die Milwaukee Bucks Heimat für zwei der besten Spieler aller Zeiten. Sie halten einen Rekord für die Ewigkeit. Mittlerweile interessiert sich jedoch kaum mehr jemand für die Franchise aus Wisconsin. Das könnte sich bald ändern. Jabari Parker, Jason Kidd und die neuen Besitzer sollen die Bucks zurück zu altem Glanz führen.
Erfolg basiert unter normalen Umständen auf Zeit. Auf einem wohl durchdachten Plan. Auf Geduld. Außer natürlich, das Schicksal erlaubt einen kleinen Schleichweg. Im Falle der Milwaukee Bucks war selbiger allerdings gar nicht so klein. Stolze 2 Meter und 18 Zentimeter groß, um ganz genau zu sein. Die 1968 in die Liga aufgenommenen Bucks hatten soeben ihre erste NBA-Saison absolviert und - ganz die Expansion Franchise - deutlich häufiger verloren als gewonnen, da gab das Schicksal erstmals den Entwicklungshelfer.
Milwaukee hatte alles auf Zahl gesetzt - und damit alles gewonnen. Den Telefonhörer am Ohr sank Suns-GM Jerry Colangelo in sich zusammen, als er die Nachricht erhielt. Die Münze zeigte Zahl und bescherte den Bucks, nicht Phoenix, den ersten Pick im 1969er Draft. Einem Draft, in dem die Frage nach dem größten Talent ähnlich deutlich zu beantworten war wie jene, ob Michael Jordan denn nun im Stande sei, den Korb zu treffen.
Plötzlich jemand - dank Kareem
Immerhin stand ein gewisser Lew Alcindor zur Wahl. Center der UCLA und heute, 45 Jahre später, besser bekannt als Kareem Abdul-Jabbar, bester Scorer der NBA-Geschichte. Die Bucks konnten also nicht viel falsch machen, wählten Alcindor und waren plötzlich jemand. Binnen eines Jahres wurden aus 27 Siegen 56. Einzig den 1980er Celtics gelang dank eines gewissen Larry Bird ein noch größerer Sprung (29 auf 61 Siege).
Doch damit nicht genug. Vor der darauffolgenden Saison präsentierten die Bucks einen neuen Point Guard. Oscar Robertson, "The Big O", gesellte sich zu "Big Lew" und schon war eines der beeindruckendsten Duos seiner Zeit geboren. Ein Duo, das binnen drei Jahren aus Milwaukee, dem Neuen, Milwaukee, den Champion machte. So schnell war und ist es noch keiner Expansion Franchise gelungen, einen Sammeltermin beim Juwelier zu vereinbaren.
Milwaukee war plötzlich wirklich jemand. Und blieb es auch in den 80ern. Dort waren die Bucks das erste Team, das die stolzen Celtics in einer Best-of-Seven-Serie sweepte, gegen das Michael Jordan eine Playoff-Serie spielte - und verlor. Dazu gaben sie den Gastgeber für das letzte Spiel des großen Julius Erving.
Plötzlich niemand mehr
27 Jahre sind seither vergangen. Und plötzlich sind die Bucks niemand mehr. Vergangene Saison waren sie sogar noch schlechter als in ihrer ersten NBA-Spielzeit überhaupt. Unglaubliche 15 Siege gelangen in 82 Spielen, was wiederum locker für einen ligaweiten 30. Platz genügte. Milwaukee gilt mittlerweile als rotes Tuch. Als wahrscheinlich unwahrscheinlichstes Ziel eines jeden namhaften Free Agents.
Selbst das Schicksal weigerte sich diesmal, den Bucks den allerletzten Schub zu geben. Wie sonst wäre zu erklären, dass sich die Lottery anstatt für das mit Abstand schwächste Team der abgelaufenen Saison für die Cleveland Cavaliers entschied, denen lediglich 5 Siege zum Playoff-Einzug gefehlt hatten.
Andererseits, Milwaukees Stadtgrenzen komplett verlassen hat Fortuna auch nicht. Schließlich bot der diesjährige Draft nicht dieses eine, alles überstrahlende Talent. Er war tief. So tief, dass die Bucks mit ihrem zweiten Pick immerhin noch Jabari Parker abgriffen, der auch gut und gerne an Position eins hätte gezogen werden können - und noch dazu ohnehin Milwaukees erste Wahl war.
"Als die Ansage kam, dass Cleveland Andrew Wiggins ausgewählt hat, habe ich mich im Raum umsehen. Ich habe mir die Gesichter angesehen und konnte sehen, dass die meisten versuchten, die Fassung zu bewahren", erzählt der mittlerweile entlassene Larry Drew dem "Milwaukee-Wisconsin Sentinel Journal". "Als wir dann an der Reihe waren, veränderten sich die Gesichter, weil wir wussten, dass wir genau denjenigen bekommen hatten, den wir auch wollten."
Hoffnungsträger Jabari Parker
Sollten dennoch Zweifel an Milwaukees Zufriedenheit mit seinem Rookie bestehen, räumten die Bucks diese in den vergangenen Tagen gekonnt aus der Welt. Eine Autogrammstunde hier, ein ausführliches Antrittsinterview dort. Dazu ein First-Pitch bei den Milwaukee Brewers. Jabari Parker wird als neues Gesicht der Bucks, als indirekter Nachfolger des großen Kareem in Szene gesetzt.
Und der ehemalige Dukie scheint der Rolle bestens gewachsen zu sein. Immer lächelnd, immer freundlich, immer bescheiden geht er den ihm auferlegten Aufgaben nach. "Ich bin stolz, die Stadt Milwaukee zu repräsentieren", sagte Parker unmittelbar, nachdem Commissioner Adam Silver seinen Namen aufgerufen hatte.
Kindheitserinnerungen an Milwaukee
Und man nimmt es ihm ab. Immerhin wuchs der Forward im lediglich 90 Minuten entfernten Chicago auf und verbindet mit Milwaukee die eine oder andere Kindheitserinnerung. Mehrere Basketballcamps besuchte Parker in Wisconsin, bereits mit 12 bestieg er den Zug und reiste gen Milwaukee. Allein, wohlgemerkt.
Gerüchten zufolge wollte Parker unbedingt zu den Bucks, die Bucks wollten unbedingt Parker. Eine Win-Win-Situation! Denn dank Parker könnten sich die Bucks tatsächlich auf den Weg machen, wieder jemand zu werden. Junges, aufregendes Team statt rotes Tuch.
Der Forward bringt alles mit, um den Job des Go-to-Guys, der ersten Scoring-Option direkt zu übernehmen. Nicht umsonst heißt es, kein anderer angehender Rookie sei derart "NBA-ready" wie Jabari Parker. Parker ist der offensiv vielleicht vielseitigste Prospect des Drafts und wird der drittschwächsten Offense der vergangenen Saison trotz seiner erst 19 Jahre deshalb direkt weiterhelfen. Sein angenehmes Wesen macht ihn zudem zum perfekten Gesicht einer aufstrebenden Franchise.
Talentierter Kern
Und Parker ist ja nicht allein. Mit Giannis Antetokounmpo, John Henson und Larry Sanders hat GM John Hammond einen aufregenden, jungen Kern in Milwaukee versammelt. Einzig hinter Sanders steht angesichts einer Kombination aus latenter Faszination für Eskapaden und eines dicken Vertrags, der ab kommender Saison in Kraft tritt (4 Jahre, 44 Millionen Dollar), ein Fragezeichen. Sogar ein Trade soll diskutiert worden sein.
Andererseits erinnert man sich in Milwaukee noch bestens an Sanders' Qualitäten. An diverse Blocks und Rebounds. An den Defensiv-Anker, der den eigenen Korb äußerst effektiv zu schützen vermag. Auch deshalb wird Sanders wohl eine weitere Chance erhalten, sich endlich zusammen zu reißen und der Spieler zu sein, der den Bucks 44 Millionen Dollar wert war.
Was wird aus Mayo und Ilyasova?
Eine Chance, die O.J. Mayo und Ersan Ilyasova verwehrt werden könnte. Schließlich sprechen derzeit insgesamt 31,8 Millionen Gründe dafür, schnellstmöglich einen Trade-Partner für die beiden zu finden. Zumal Mayo und Ilyasova vergangene Saison einerseits deutlich unter ihren Möglichkeiten spielten und andererseits das beste Basketballalter hinter sich haben werden, wenn Parker, Antetokounmpo und Henson soweit sind, die Bucks zu regelmäßigen Siegen zu führen.
Denn Potential ist in Milwaukee zwar zweifelsfrei vorhanden, sogar so viel Potential wie seit Jahren nicht mehr, es vollends auszuschöpfen wird jedoch noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Zumal das Roster derzeit ein wandelndes Missverhältnis zwischen groß und klein darstellt. Mit Mayo, Brandon Knight und Nate Wolters stehen derzeit lediglich drei Guards unter Vertrag, weshalb GM Chris Hammond Antetokounmpo, Khris Middleton und Rookie Damien Inglis, von denen jeder mindestens 2,03 Meter misst, bereits in Aussicht stellte, in Zukunft häufiger als Two-Guard auflaufen zu müssen.
So überrascht es auch kam, dass vergangene Saison kein Team den Dreier schwächer verteidigte als die Bucks und dass lediglich die Utah Jazz eine schwächere Defensive Efficiency aufweisen (109,1 gegenüber 108,9).
Irritationen wegen Kidd-Wechsel
Einen einfachen Job hat sich Jason Kidd also nicht ausgesucht. Zumal der Wechsel des Trainers von Brooklyn nach Milwaukee auch deutlich anständiger hätte vollzogen werden können. Die neuen Besitzer Marc Lasry und Wesley Edens verhandelten mit Kidd, allerdings ohne den aktuellen Coach Larry Drew zu informieren, dass er wohl demnächst seinen Job los sein würde. Dass Kidd sich auf eine Stelle bewarb, die eigentlich gar nicht frei war, und damit zur Entlassung eines Kollegen beitrug, wirft ebenfalls kein gutes Licht auf den Champion von 2011. Der Coach's Code.
Mittlerweile ist allerdings Einsicht eingekehrt. Lasry hat sich bei Drew für die Begleitumstände entschuldigt, wenngleich die Entscheidung an sich durchaus nachvollziehbar war. Immerhin gilt Drew nicht gerade als Entwicklungskünstler junger Spieler. Mit Kidd hält zudem ein wenig Glamour und Charisma Einzug in Milwaukee. Kein unwesentlicher Fakt für eine Franchise, die endlich wieder die Attraktivität alter Tage ausstrahlen möchte.
Bald wieder jemand?
Mit Kidd, mit den neuen Besitzern, mit Parker herrscht endlich wieder Aufbruchsstimmung am Westufer des Lake Michigan. Endlich soll an die große Tradition eines Kareem, Oscar Robertson oder Ray Allen angeknüpft werden. Diesmal müssen und werden die Bucks allerdings mehr Geduld aufbringen als zu ihrer Gründungszeit nötig war.
"Mark (Lasry, Anm. d. Red.) und Wes (Edens, Anm. d. Red.) haben ganz klar gesagt: 'Lasst uns versuchen, das Team durch den Draft aufzubauen und nicht zu ungeduldig zu werden'", erzählt John Hammond. "Ich glaube nicht, dass es richtig für uns wäre, darüber nachzudenken, einen Spieler zu verpflichten, der uns hilft, 3 bis 5 Spiele mehr zu gewinnen. Darum geht es nicht. Es geht darum, dieses Team organisch aufzubauen, mit Geduld." Es sieht aus, als gingen die Bucks diesmal den klassischen Weg Richtung Erfolg. Geht der Plan auf, sind sie bald tatsächlich wieder jemand.