SPOX: Herr Gervin, die Leute nennen Sie auch heute noch "Mr. Finger-Roll", weil Sie früher mit Ihrem Signature Move selbst von hinter der Freiwurflinie trafen. Nervt Sie das?
George Gervin: Ganz im Gegenteil, es ist eine Ehre. In der Geschichte des Basketballs gab es so viele Spieler, aber wenn jemand "Finger-Roll" sagt, dann denkst du nur an einen: George Gervin. Ich weiß das zu schätzen und bin stolz auf den Einfluss, den ich auf das Spiel gehabt habe.
SPOX: Als Marketing-Botschafter arbeiten Sie noch immer für San Antonio, das Team mit dem Sie Ihre großen Erfolge feiern konnten. Was bedeuten Ihnen die fünf Championships der letzten Jahre? Schließlich blieb es Ihnen als Spieler nie vergönnt, die Larry O'Brien Trophy zu gewinnen...
Gervin: Egal ob Spieler oder nicht, ich bin immer noch ein Teil der Spurs-Familie. Daher ist jede Championship auch für mich etwas Besonderes. Wir hatten damals mehrfach die Chance, in die Finals einzuziehen, aber wir haben es nicht geschafft. So ist die NBA nun mal: Es gibt 29 andere Teams, die auch bis zum Umfallen kämpfen, um sich einen Ring an den Finger stecken zu dürfen.
SPOX: Warum hat es bei Ihnen nicht zum ganz großen Wurf gereicht?
Gervin: Platt gesagt: Es war immer ein Team besser als wir. Unsere Gegner waren Spieler wie Kareem Abdul-Jabbar, Magic Johnson, Wes Unseld und Elvin Hayes. Das waren schon gute Jungs (lacht). Dennoch ist es natürlich eine große Enttäuschung für mich, keinen Titel geholt zu haben. Das war immer das Ziel. Aber ich fühle mich trotzdem als Champion. Ich wurde unter die fünfzig besten Spieler der NBA-Historie gewählt, das können nur wenige von sich sagen, auch wenn sie vielleicht einen Ring haben.
SPOX: Wer war Ihr größter Rivale auf dem Spielfeld?
Gervin: Ehrlich gesagt hatte ich nicht wirklich einen persönlichen Konkurrenten. Die meisten Jungs hatten sowieso Angst vor mir (lacht). Aber gegen die Indiana Pacers war ich besonders motiviert. Das kam daher, dass mein Gegenspieler Dudley Bradley vor einem Spiel in den Zeitungen ankündigt hatte, dass er mich unter 30 Punkten halten würde. Und als Bonus versprach er allen Fans ein kostenloses Essen bei McDonald's. Die Halle war natürlich komplett überfüllt und ich hatte von der Wette gehört. Das Ende vom Lied war, dass ich 55 Punkte erzielte. Und ich verließ die Arena mit den Worten: "Heute gibt es kein Essen für Euch." (lacht).
SPOX: Als einer der besten Shooter der Geschichte haben Sie in Ihrer gesamten Karriere nur 451 Dreier genommen, 122 davon getroffen. Warum haben Sie den Wurf von Downtown verschmäht?
Gervin: Weil es der schlechteste Wurf im Basketball ist! Wenn man sich die Dreierschützen anschaut, die in ihrer Karriere die meisten Würfe getroffen haben, dann sieht man Zahlen von 38, 39, vielleicht 40 Prozent. Bei Zweiern habe ich in meiner Karriere mehr als 50 Prozent verwandelt. Und wenn man einen Korb erzielen will, dann sollte man doch einen Wurf nehmen, den man hochprozentig trifft. Der Dreier war einfach nicht mein Wurf, das ist etwas für Spezialisten - und die können oft nichts anderes.
SPOX: Sie wurden 1974 von den Virginia Squires in der ABA an die Spurs verkauft, im gleichen Jahr aber von den Phoenix Suns in die NBA gedraftet. Hatten Sie überhaupt die Möglichkeit, zu entscheiden, wo Sie spielen wollten?
Gervin: Ja, grundsätzlich schon. Aber ich war noch zu jung, um in der NBA zu spielen - die Regelungen waren damals anders als heute, ich hätte also warten müssen. In der ABA gab es eine solche Beschränkung nicht, daher bin ich nach San Antonio gegangen und also nie für die Suns aufgelaufen. Eigentlich wollte ich immer bei den Pistons spielen, da ich in Detroit geboren und aufgewachsen bin. Aber als ich dann in San Antonio war, wollte ich nirgendwo anders mehr hin.
SPOX: Der Deal zwischen den Squires und den Spurs wurde angefochten und ging durch einige rechtliche Instanzen, bevor er von der Liga zugelassen wurde und sie endlich wechseln durften. Wie schwer war diese Zeit für Sie?
Gervin: Ich war damals gerade 19 Jahre alt und verstand überhaupt nicht, was da vor sich ging und zu welchem Team ich nun rechtlich gehörte. Darum haben sich mein Agent und meine Anwälte gekümmert, ich wollte einfach nur Basketball spielen. Stattdessen musste ich einen Monat lang in San Antonio im Hotelzimmer sitzen und warten, bis das Gericht eine Entscheidung getroffen hatte. Dabei wurde ich beinahe verrückt! Meinen Start bei den Spurs hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt.
George Gervin: Eis in den Adern
SPOX: Man hört immer wieder, dass Sie der Grund waren, weshalb die San Antonio Spurs bei der Auflösung der ABA in die NBA aufgenommen wurden. Ist da etwas Wahres dran?
Gervin: Als bester Spieler war ich - wie das Front Office - ein Teil des Franchise-Fundaments. Und es ist wie bei einem Haus: Wenn man ein solides Fundament hat, dann kann man darauf aufbauen und es kann ein mächtiges Gebilde entstehen. So ein bisschen war das damals auch. Und durch die gute Basis hatten wir eine gute Chance auf einen Platz in der NBA. Von daher war ich sicherlich ein wichtiger Faktor.
SPOX: Ihren ersten Scoring-Titel gewannen Sie in einem Herzschlagfinale am letzten Spieltag der Saison 1977/1978. Sie standen unter dem Druck, 59 Punkte erzielen zu müssen, um gegen Denvers David Thompson zu gewinnen, verwarfen aber Ihre ersten sechs Würfe. Was ging da in Ihnen vor?
Gervin: Der Vorteil war, dass ich wusste, wie viele Punkte ich brauchte, um Scoring-Champ zu werden. Das ganze Jahr lag ich vorn und David hatte am Nachmittag 73 Punkte erzielt. Meine Teamkollegen und Coach Doug Moe wollten mir helfen, den Titel zu gewinnen. Am Anfang war ich einfach nervös und nahm schlechte Würfe. Dann nahm Doug eine Auszeit und die Jungs haben mir noch einmal versichert, dass ich mir die Zeit nehmen soll, die ich brauche und dass wir das gemeinsam hinbekommen. Das war wichtig für mich. Am Ende habe ich so 63 Punkte erzielt und gewann den Titel. Im zweiten Viertel allein machte ich übrigens 33 Punkte - ein Rekord, der bis heute nicht gebrochen wurde.
SPOX: Aber obwohl Sie viermal Scoring-Champion wurden und zwölfmal beim All-Star-Game dabei waren, erreichten Sie nie solch einen Superstar-Status wie Magic Johnson oder Michael Jordan. Was glauben Sie, woran das lag?
Gervin: An den Medien. Wenn man die Fans von damals fragt, sind die mit Sicherheit anderer Meinung, aber so etwas bestimmen immer die Medien. Und das war damals alles noch nicht so groß wie heute. Internet und Soziale Netzwerke, das kam erst viel später, aber auch das Sportfernsehen musste sich noch entwickeln. ESPN zum Beispiel war gerade erst gegründet worden. Und als Jordan spielte, da erlebten die Medien einen wahnsinnigen Boom, weshalb er auch international unheimlich viele Fans hatte. Das war der einzige Unterschied, denn Michael und Magic waren keine bessereren Spieler als ich.
SPOX: Nach elf Jahren bei den Spurs und einer Saison bei den Chicago Bulls verließen Sie die NBA und gingen nach Italien, später weiter nach Spanien. Warum haben Sie der NBA den Rücken gekehrt?
Gervin: Ich war müde, ich hatte einfach genug. Zu dem Zeitpunkt war ich bereits mehr als ein Jahrzehnt in der Liga und ich begann, meine Leidenschaft für das Spiel zu verlieren. Ich wusste, dass ich nicht ewig weitermachen kann, vor allem, weil ich extrem von meiner Passion und dem Spirit angetrieben wurde. Und als ich gemerkt habe, dass dieser Antrieb schwächer wurde, bin ich nach Italien gegangen, um mich langsam vom Basketball zu entwöhnen. Außerdem wollte ich meiner Familie noch einen anderen Teil der Welt zeigen. Und rückblickend würde ich sagen, dass ich alles richtig gemacht habe.
SPOX: Wie schätzen Sie die Spurs diese Saison ein? Was ist drin?
Gervin: Ich erwarte nichts anderes als den Titel. Ich denke, dass das Team immer noch so stark ist wie vergangene Saison. Mit Gregg Popovich haben wir einen großartigen Coach und es gab kaum Veränderungen im Kader. Ich glaube, dass uns der Repeat gelingen wird. Es gibt einige gute Teams dieses Jahr, es wird interessant. Aber man muss besser als gut sein, wenn man Champion werden will.
SPOX: Lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft werfen: Mit Gregg Popovich und Tim Duncan stehen zwei große Persönlichkeiten kurz vor dem Ruhestand, die in San Antonio zusammen eine Ära geprägt haben. Aber wie geht es danach weiter?
Gervin: Es wird auf jeden Fall Interessant, das ist sicher. Es ist klar, dass sich etwas verändern wird, wenn sie nicht mehr dabei sind. Man kann nicht ewig spielen und man kann auch nicht ewig coachen. Die beiden haben zusammen fünf Meisterschaften gewonnen und gehören zu den besten der Besten. Aber früher oder später muss man einfach loslassen. Und was dann wird: Wir werden sehen.