Die vergangenen Tage glichen einer Achterbahnfahrt für die Miami Heat.
Zuerst kam die Euphorie. Heat-Boss Pat Riley hatte mit der Verpflichtung von Goran Dragic den wohl größten Coup am Tag der Trade-Deadline gelandet. Waren die Heat zuletzt immer wieder für die mangelnde Qualität auf der Point-Guard-Position kritisiert worden, so stellte Miami mit Dwyane Wade und Dragic nun plötzlich einen der besten Backcourts der Liga. Und das, ohne dafür allzu große Opfer bringen zu müssen.
Anstatt wie bisher um den Einzug in die Playoffs zu bangen, fing man in Miami an, sich insgeheim auf einen Postseason-Run vorzubereiten. Dragic sei das letzte Teil zum Heat-Puzzle, hieß es. Die perfekte Ergänzung. Er könne mit Hassan Whiteside das Pick'n'Roll zelebrieren, Chris Bosh mit Vorlagen bedienen und zudem die große Last von Wades Schultern nehmen, das Spiel quasi im Alleingang aufziehen zu müssen.
"Er ist der beste Point Guard, mit dem ich in meiner gesamten NBA-Karriere zusammengespielt habe", lobte Wade kurz nach Bekanntwerden des Deals: "Er macht uns in allen Belangen besser. Wir können es kaum erwarten, endlich loszulegen."
Hiobsbotschaft um Bosh
Doch noch bevor Dragic das Heat-Trikot zum ersten Mal überstreifen konnte, nahm deren Saison eine weitere dramatische Wende.
Wenige Stunden vor dem Heimspiel gegen die New Orleans Pelicans gab das Team bekannt, was viele bereits befürchtet hatten: Bosh würde mit Blutgerinnseln in der Lunge für den Rest der Saison ausfallen. Die Stimmung in der Halle war anschließend nur schwer in Worte zu fassen. Sie pendelte irgendwo zwischen Vorfreude auf das Dragic-Debüt, Erleichterung darüber, dass Bosh sich erholen würde, und einer großen Portion Verunsicherung darüber, wie es mit dem Team weitergehen würde.
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Eine gute Frage. "Ich habe in meinen elf Jahren in der NBA schon viel mitgemacht", sagte Udonis Haslem, "aber so etwas habe ich noch nie erlebt. Immer wenn wir denken, wir könnten den Kopf aus der Schlinge ziehen und die Wende schaffen, passiert etwas." Und auch Coach Erik Spoelstra musste einräumen: "Das, was wir in den letzten Tagen emotional durchgemacht haben, ist schon eine Menge. Das verändert alles."
Veränderung, damit kennt man sich in Miami aus. 26 unterschiedliche Startformationen schickte Spoelstra bisher auf den Platz, keine von ihnen hielt für länger als sechs Spiele. "Man könnte meinen, wir hätten uns mittlerweile daran gewöhnt", scherzt Wade. Und auch Spoelstra meint: "Neue Spieler zu integrieren ist schon fast so etwas wie ein Hobby für uns geworden. Und ich glaube, wir sind mittlerweile ganz gut darin."
Noch mehr Druck für Dragic
Nimmt man den Galgenhumor beiseite, so ist es dennoch offensichtlich, was bei den Heat ganz oben auf der Prioritäten-Liste steht: Ohne Bosh ist es noch wichtiger, Dragic schleunigst ins Teamgefüge zu integrieren. "Wir müssen alles daran setzen, dass sich Goran so schnell wie möglich bei uns wohlfühlt", sagt Spoelstra.
Wie wichtig das ist, zeigte die Niederlage gegen die Pelicans. Obwohl New Orleans früh auf Anthony Davis und Ryan Anderson verzichten musste, kamen die Heat unter die Räder. Dragic lief dem Spiel besonders in der ersten Halbzeit oft hinterher (insgesamt 4/11 FG, 1 Assist, 1 Turnover in 33 Minuten) und gab anschließend zu, dass er "oftmals keine Ahnung hatte", wo genau er hinlaufen und was genau er machen sollte.
Tempo statt Setplay
Um das zu ändern, wurden kurzerhand freiwillige Trainingssitzungen einberufen. Am Sonntagmorgen nach der Pelicans-Niederlage versammelten sich fast alle Spieler auf dem Übungsplatz, um zusammen mit Dragic einige Spielzüge durchzugehen.
So viel Aufwand für einen neuen Spieler? Absolut. Denn die Ankunft von Dragic und der gleichzeitige Ausfall von Bosh bedeuten für Miami eine dramatische Veränderung in der kompletten Herangehensweise. War das Spiel der Heat bisher wegen der konstanten Umstellungen absichtlich langsam gehalten (Miami hat in der Liga die wenigsten Ballbesitze pro Spiel) und darauf ausgelegt, dass Bosh die Aktionen aus dem Stand heraus einleitet, bevorzugt Dragic ein schnelleres Spiel aus dem Dribbling. In Phoenix war er immer dann am besten, wenn er das Spiel pushen und schnell machen konnte.
"Ich habe dem Trainer bereits gesagt, dass ich unser Spiel gerne schneller machen würde", so Dragic. Und bereits im zweiten Spiel für Miami ließ er den Worten Taten folgen. Gegen die Philadelphia 76ers spielte der Point Guard mehr mit seinem gewohnten, höheren Tempo und kam am Ende auf 23 Punkte und 9 Assists.
"Wann immer ich den Ball hatte, habe ich das Spiel schnell gemacht. Ich weiß, dass das für meine neuen Teamkollegen nicht immer einfach war, aber in solchen Situationen müssen sie mir dann einfach folgen", sagte der 28-Jährige nach dem Spiel.
Kommunikation ist die Lösung
Besonders für Wade stellte das eine Herausforderung dar. Der 33-Jährige sagte zwar, dass eine solche Neuausrichtung "in Ordnung" sei, musste aber auch zugeben, dass die Umstellung nach dem Trial-and-Error-Prinzip verlaufen wird. "Wir müssen erst noch sehen, wie wir auf dem Platz harmonieren", so Wade. "Ich muss mich erstmal wieder daran gewöhnen, dass ich einen Spieler neben mir habe, der mit dem Ball in der Hand so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Zuletzt war das immer ich."
Die Lösung des Problems: Kommunikation. "Wir werden in den nächsten Tagen viel miteinander reden", erklärt Wade. "Man lernt, mit guten Spielern klarzukommen - und genau das werden wir machen, damit alles klappt." Denn auch Wade weiß, dass die Heat Dragic' Fähigkeit, zum Korb zu ziehen, gut gebrauchen können.
Es fehlt an Größe
Ebenfalls gut gebrauchen könnte Miami nach dem Bosh-Ausfall zudem Größe. Mit Justin Hamilton (2,13 Meter) und Danny Granger (2,06 Meter) haben zwei der größeren Spieler das Team verlassen, Bosh kann ohnehin keiner ersetzen. Josh McRoberts fällt bis zum Saisonende aus, und auch der in die Starting Five gerutschte Haslem ist keine Dauerlösung. Whiteside ist zwar eine Präsenz in der Zone und spielt eine herausragende Saison, er wird aber nicht wie Bosh an guten Tagen reihenweise Midrange-Jumper versenken.
Es soll also noch ein neuer Spieler kommen - was dank Roster-Flexibilität auch kein Problem ist. Aktuell stehen auch mit dem kurzzeitig verpflichteten Henry Walker (10-Day Contract) nämlich lediglich 14 Spieler unter Vertrag. Walker machte gegen die 76ers eine ansehnliche Partie (11 Punkte und ein sensationeller Dunk), ob er eine langfristige Lösung ist, muss sich allerdings noch zeigen.
Zusätzlich soll in näherer Zukunft noch ein weiterer Forward zum Team stoßen. Unter anderem wurden Thomas Robinson und Andray Blatche intern diskutiert, auch wenn Robinson nun bei den 76ers gelandet ist. Selbst ein Engagement von Michael Beasley, der vom Team kürzlich Erlaubnis erhalten hat, in der American Airlines Arena zu trainieren, steht zur Debatte.
"Werden den Kopf nicht hängen lassen"
Sind die Heat damit auf Playoff-Kurs? Vielleicht. Der Trend zeigt jedenfalls leicht nach oben, obwohl die jüngsten Erfolge gegen zwei der schlechtesten Teams der Liga - New York und Philadelphia - kamen und zudem keine Selbstläufer waren. Zwar stellte man gegen Philadelphia einen neuen Punkte-Rekord für die laufende Saison auf, tat sich aber dennoch in der ersten Halbzeit extrem schwer. Der erste richtige Prüfstein kommt am Samstag, wenn Miami zuhause gegen die Atlanta Hawks spielt.
Egal wie das Spiel ausgeht: "Wir haben den Kopf bisher nicht hängen lassen - und wir werden damit jetzt ganz bestimmt nicht anfangen. Wir werden uns durchschlagen", versichert Haslem. Jedenfalls bis zum nächsten großen Problem. Denn was zum Beispiel passieren würde, wenn sich Wade erneut verletzen würde, daran mag hier aktuell niemand denken.