Es ist ein Spielzug, den die Golden State Warriors in dieser Saison immer wieder nutzen. Stephen Curry wechselt an der Dreierlinie die Seiten und bekommt ungefähr auf der Mitte ein Dribble-Hand-Off von Andrew Bogut. Der MVP-Kandidat fängt den Ball in der Bewegung und steigt sofort hoch, ohne zu dribbeln.
Normalerweise ist dieses Play bares Geld für die Dubs - Boguts Präsenz erschwert es dem Verteidiger, den Wurf zu stören, zumal Curry ohnehin kaum Zeit braucht, um seinen Wurf loszuwerden. Diesmal jedoch hat Jeff Teague den Braten gerochen.
Schon bevor das Hand-Off kommt, beginnt Teague zu sprinten. Als Curry den Ball loslässt, ist Teague da - und blockt den Wurf. Kyle Korver sammelt den Ball ein und spielt ihn direkt weiter auf Teague, der durchgestartet ist und die Sequenz mit einem Dunk im Break abschließt.
Fokus auf die kleinen Dinge
Es ist nur eine kurze Szene aus dem faszinierenden Spiel der beiden besten Teams der Liga am Freitag, aber gleichzeitig eine, die sinnbildlich für Teagues Entwicklung in dieser Saison steht. In seinem sechsten NBA-Jahr legt er nicht nur etliche Career Highs auf, er wirkt auch reifer denn je.
Sein Spielverständnis ist enorm gewachsen. "Das Spiel ist für ihn definitiv langsamer geworden", erklärt Sekou Smith von "NBA.com", "die Hawks wären ohne ihn als Point Guard mit Sicherheit nicht das beste Team im Osten."
Das drückt sich nicht unbedingt immer in Statistiken aus. 17,3 Punkte und 7,5 Assists pro Spiel sind sehr gute Werte, sie schreien indes jedoch nicht gerade "Superstar!", vor allem auf der in der Liga herausragend besetzten Eins. Bei Teague sind es aber - sowohl offensiv als auch defensiv - die kleinen Dinge, die ihn für Atlanta so wertvoll machen. Wie eben bei der Aktion gegen Golden State.
Team braucht, Teague liefert
"Er macht so viele Dinge, die von den Leuten gar nicht wahrgenommen werden", bestätigt Coach Mike Budenholzer. "Es lässt sich statistisch nicht festhalten, wie hart er spielt und wie er jede Herausforderung annimmt."
Der Coach vertraut seinem Floor General mittlerweile komplett und sagt nur noch selten Spielzüge an. Er weiß, dass das gesamte Team den Ansatz des immerwährenden Ball Movements verinnerlicht hat und dass Teague realisiert, wann er attackieren muss.
Was die Hawks auch brauchen, Teague liefert es. Abgesehen von den Splash Brothers und seinem Backcourt-Partner Korver hat kein Starting Guard der Liga ein höheres Net Rating als er - und das nicht von ungefähr. Die Nummer 0 ist der unangefochtene Chef beim derzeit erfolgreichsten Team der Liga.
Ganz nebenher ist er auch noch ein williger Mentor für Dennis Schröder: "Er ist ein guter Typ, ein Rolemodel für mich, der mir auch neben dem Platz sehr viel hilft und mir viel beibringt", lobt der Deutsche seinen "Vorgesetzten" gegenüber SPOX.
Keine Liebe von den Fans
Zahlt sich all das in Wertschätzung aus? Nicht wirklich. Zumindest nicht bei den Fans. Als die Starter fürs All-Star Game 2015 gewählt wurden, knackte Teague nicht einmal die Top 10 unter den Guards im Osten.
Mit einem Wert von 22,29 weist Teague derzeit das zweitbeste Player Efficiency Rating unter Guards im Osten hinter Dwyane Wade auf - trotzdem landeten so illustre Namen wie Giannis Antetokounmpo, Bradley Beal oder sogar Lou Williams bei den gesammelten Stimmen weit vor ihm.
Es war an den Coaches, diese Ungerechtigkeit wettzumachen - und ebenso wie die Teamkollegen Al Horford und Paul Millsap wurde Teague zurecht als Reservist ins Team geholt. Die Trainer sind es schließlich, die regelmäßig gegen die perfekt geölte Angriffsmaschinerie der Hawks planen müssen.
"Ich habe keine Ahnung, was ein Superstar ist. Aber eins muss ich sagen: Niemand in dieser Liga kann Teague vor sich halten. Niemand", erkennt etwa Celtics-Coach Brad Stevens an. Es sind Teagues herausragender erster Schritt und seine gute Übersicht, die in der Regel die Grundlage für Atlantas Angriffe bilden.
Methodisch statt wild
Dass ihn viele Leute trotzdem gerne weiter übersehen, hat mehrere Gründe. Zum einen spielt er bei den Hawks, einer Mannschaft, die seit dem Abschied von Dominique Wilkins (lang ist's her) nicht unbedingt als hip gilt und die keine allzu große Fan-Base hat. Selbst in dieser Saison kriegen die Hawks ihre Halle längst nicht immer voll.
Zum anderen ist er nicht gerade "flashy", weder spielerisch noch als Person. Er hat keinen coolen Spitznamen, ist kein Sprücheklopfer und das genaue Gegenteil einer Rampensau. Er hat nicht einmal eine blonde Strähne oder einen (für Amerikaner) lustigen Namen wie sein Backup Schröder.
Er ist keine Highlight-Maschine wie John Wall oder Russell Westbrook, läuft nicht heiß wie Curry und hat auch nicht die wilde Bulldoggen-Spielweise eines Kyle Lowry. Er spielt ruhiger, methodischer, effizienter als die meisten seiner Konkurrenten.
Scoring-Explosionen sind bei ihm selten, er hat in dieser Saison noch kein einziges 30-Punkte-Spiel gemacht. Natürlich hat das auch mit dem System zu tun - die Hawks leben wie das große Vorbild aus San Antonio von ihrer Vielseitigkeit, nicht von den Punkten einzelner Spieler. Teague ist der Kopf einer Schlange, die sich unaufhaltsam durch die Verteidigungen der Liga windet.
Parallelen zu Parker
Der Name "Spurs East" haftet den Hawks schon seit der letzten Saison an. Mittlerweile ist aber klar, dass die Parallelen weit über den Stil und die Philosophie von Budenholzer, der 19 Jahre lang in San Antonio arbeitete, hinausgehen. Sie beziehen sich auch auf das Personal, selbst wenn Coach Bud nichts davon wissen will.
"Er will einfach, dass wir uns nicht verstellen", sagt Teague, "er redet eigentlich mehr über Gregg Popovich als über einzelne Spieler, mit denen er dort gearbeitet hat." Trotzdem wird der Point Guard mehr und mehr mit Tony Parker verglichen, der bei den Spurs seit Jahren in ähnlicher Weise unter dem Radar fliegt.
Sowohl Sixers-Coach Brett Brown als auch Raptors-Coach Dwane Casey beispielsweise stimmten zuletzt Loblieder auf Teague an, in denen sie den Vergleich mit Parker zogen. Der hohe Basketball-IQ, die enorme Geschwindigkeit, der starke Midrange-Jumper - all das sind Parallelen, die tatsächlich existieren.
Die Statistiken von Parkers wohl bester Saison (2012/13) ähneln denen von Teague aus dieser Saison (auf 36 Minuten gerechnet) fast schon unheimlich: 22,2 Punkte, 3,3 Rebounds, 8,3 Assists, 0,588 True Shooting, 23 PER, 0,206 Win Shares für Parker, 19,8 Punkte, 3 Rebounds, 8,6 Assists, 0,578 True Shooting, 22,2 PER, 0,199 Win Shares für Teague.
"Big League Teague"
Natürlich ist Teague noch nicht so weit wie Parker, der ihm immerhin vier Meisterschaften und einen Finals-MVP-Award voraushat. Playoff-Erfolge hat er bisher kaum vorzuweisen, ebenso wie sein Team muss er in der Postseason erst noch beweisen, dass er "for real" ist.
Momentan läuft alles perfekt in Atlanta. Das einzige, was bemängelt wird, ist das Fehlen eines Stars, eines Closers, der die Partie an sich reißen kann, wenn das Geld auf dem Tisch liegt. Es ist der springende Punkt, den die anderen Contender den Hawks angeblich voraushaben.
Dabei wird Teague - mal wieder - vergessen. In den sogenannten "Clutch Situations" ist sein True Shooting (61,2) beispielsweise besser als das von renommierten Closern wie Damian Lillard (51,5), Curry (59,3) oder Monta Ellis (57,8).
Laut dem "Player Impact Estimate", das alle positiven wie negativen Aktionen eines Spielers mit einberechnet, sind Curry und James Harden die einzigen Guards, die in der Crunchtime bisher wertvoller für ihr Team waren. Unter Hawks-Fans grassiert daher mittlerweile der Spitzname "Big League Teague" für den 26-Jährigen.
Wenn das Spiel langsamer wird, werden die Hawks noch mehr auf ihren Einser angewiesen sein als ohnehin schon. Bestätigt er seine bisherigen Crunchtime-Leistungen auch am Ende der Saison, sind die Aussichten für Atlanta auch im Mai noch rosig. Vielleicht klappt es dann ja auch mit mehr Wertschätzung.