Der pflegeleichte Rodman

Martin Klotz
04. April 201509:38
Draymond Green hat sich den Erfolg bei den Warriors mühsam erarbeitetgetty
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Ein zu groß geratener Zweier, gefangen im Körper eines Stretch Fours. Eine richtige Position hat Draymond Green nicht, aber das ist auch sein Vorteil. Trotzdem gibt es immer wieder Zweifler. Dabei beeinflusst er das Spiel der Warriors ungemein und ist das Mosaikstück zum ganz großen Wurf. Nicht umsonst vergleicht ihn sein Coach vor dem Spiel gegen die Los Angeles Clippers (So., 20.30 Uhr im LIVE-STREAM FOR FREE) mit Dennis Rodman.

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Wenn man schon einen Erstrundenpick aufwenden muss, um den Vertrag von JaVale McGee loszuwerden, dann lässt sich der aktuelle Nutzen von Zweitrundenpicks in der NBA relativ gut einschätzen. Sagen wir, er hält sich in Grenzen.

Womit in früheren Jahren noch hin und wieder Top-Spieler wie Manu Ginobili, Paul Millsap oder Kyle Korver gedraftet wurden, ist in Zeiten hochanalytischen Scoutings kaum noch ein echter Steal möglich.

Wenn man nicht gerade Sam Hinkie heißt, General Manager der Philadelphia 76ers ist und in den nächsten vier Jahren 13 Zweitrundenpicks zum Verbraten hat, ist die Wahrscheinlichkeit eines Glücksgriffs nicht wirklich hoch.

Mit einem guten Händchen gewinnt eine Franchise einen späteren Rollenspieler hinzu, mit Pech handelt man sich Karteileichen wie Chukwudiebere Maduabum, Eric Chenowith oder Magnum Rolle ein.

Oder man macht es wie Golden State und draftet Draymond Jamal Green aus Saginaw, Michigan - das entscheidende Puzzleteil, dass die Warriors gebraucht haben, um aus einem starken Team einen Titelanwärter zu formen.

Aufstieg von ganz unten

22 Jahre lang betrug der Radius, in dem sich Draymond Green bewegte, nur rund 100 km um seinen Heimatort am Westufer des Lake Michigan. In Saginaw besuchte er die High School, später war die Michigan State University der logische und naheliegende Schritt.

SPOXspoxIm ersten Jahr sah es nicht danach aus, als hätte sich Dray damit einen Gefallen getan. Er hatte Probleme, bei den Spartans Fuß zu fassen und fand sich lediglich am Ende der Bank wieder. Doch während die Zahl der Zweifler wuchs, steigerte sich Greens Wille. Er nahm den Kampf mit seiner Situation an und begann, es seinen Kritikern zu beweisen. Einem nach dem anderen.

Angefangen mit einem festen Platz in der Rotation über die Auszeichnung zum Sixth Man of the Year bis hin zu seinem ersten Triple Double und der Wahl zum besten Spieler der Big Ten Conference ließ er jeden Skeptiker verstummen - und Green arbeitete sich immer weiter nach oben. Es war kein kometenhafter Aufstieg, es war ein harter Weg. Langwierig und beschwerlich.

Als Green 2012 zum erst dritten Spieler der Geschichte wurde, der beim NCAA Tournament ein zweites Triple Double auflegte und in einem Atemzug mit Oscar Robertson und Magic Johnson genannt wurde, schien sich die investierte Mühe endlich auszuzahlen. Doch sein Image war ein anderes als das der beiden früheren College-Stars.

Mehr Schwächen als Stärken

Zu klein, zu langsam, zu dick. Zu schwach, um auf den großen Positionen zu verteidigen, aber auch nicht athletisch genug, um es mit gegnerischen Flügeln aufzunehmen. All das konnte man vor drei Jahren in den Draft Reports lesen. Wer wollte schon einen undersized Power Forward von lediglich 2,01 m Größe haben?

Am Draft-Tag musste sich Dray lange in Geduld üben. Reihenweise gingen andere Forwards vom Board. Royce White, Andrew Nicholson, Perry Jones - sogar Arnett Moultrie und Jeff Taylor. Dann endlich, an Position 35, zogen ihn die Warriors mit ihrem dritten Pick des Abends. Und für Dray begann alles von vorn.

Deja-vu in Oakland

Dray war keiner der Rookies, deren Ankunft in der Bay Area noch in der Draftnacht gefeiert wurde. Niemand rannte in den nächsten Fanshop, um sich Greens Namen aufs Jersey drucken zu lassen. Er wusste das - und war dementsprechend zurückhaltend.

Im Gegensatz zu vielen Neulingen in der Liga zog er nicht in ein teures Haus in einer Metropole wie San Francisco, sondern nahm sich ein bescheidenes Apartment im 10.000-Seelen-Städchen Emeryville.

An Konkurrenz im Frontcourt mangelte es im Team nicht und so musste sich Dray wie an der MSU hinten anstellen. Erst durch die Verletzungen von Richard Jefferson und Brandon Rush wurden Minuten auf der Drei frei und er rutschte in die Rotation.

Während sich die Damian Lillards und Anthony Davis' seines Jahrgangs ins Rampenlicht spielten, blieb Green weitgehend unbemerkt. In seinem ersten Jahr scorte er lediglich ein einziges Mal zweistellig.

Ein Schritt nach dem anderen

In der Off-Season kam Dray seine unermüdliche Arbeitsmoral zugute. Er nahm 10 Kilo ab und ging jeden Tag in die Halle, um an seinem Dreier und seiner Defense zu arbeiten. Und das machte sich bezahlt.

Als Sophomore absolvierte Green alle 82 Saisonspiele, durfte sogar in zwölf Partien starten und legte vier Double-Doubles auf. Er machte keinen Sprung wie seine Draft-Kollegen Andre Drummond oder Terrence Ross, aber er machte Fortschritte. Langsam und stetig.

2014 war es wieder eine Verletzung, die Green die nächste Möglichkeit verschaffte, sich zu zeigen - und dieses Mal nutzte Dray seine Chance eindrucksvoll. In Abwesenheit von David Lee, der von Oktober bis Dezember mit Oberschenkelproblemen zu kämpfen hatte, dufte Green unter Steve Kerr endlich von Beginn an als Power Forward ran. Mit durchschnittlich 13,1 Punkten und 8,1 Rebounds verhalf er Golden State zum besten Saisonstart der Franchise-Geschichte.

M-I-P! M-I-P!

Auch in fast allen anderen Kategorien ist Green auf dem Weg zu einem neuen Karriere-Bestwert. Nicht verwunderlich ob der gestiegenen Spielzeit, aber auch auf 36 Minuten gerechnet, verbesserte sich Green in den Kategorien Punkte, Rebounds, Assists und Blocks.

Zwar lässt seine Freiwurfquote mit 65 Prozent noch deutlich Raum für Verbesserung, aber deshalb wird kein Team gegen die Warriors Hack-a-Draymond spielen. Demgegenüber hat Green seine Feldwurfquote von 33 auf 44 Prozent gesteigert, seine Dreierquote brachte er sogar von 21 auf 34 Prozent. Diese Zahlen schreien geradezu nach dem Most Improved Player Award.

Den vorläufigen Höhepunkt der Green-Festspiele bekamen die Chicago Bulls zu spüren, als Dray Anfang Dezember seinen vorheriges Career High mit 31 Punkten (7/13 Dreier) pulverisierte. Knapp einen Monat später folgte das erste Triple Double seiner NBA-Karriere. Beim Sieg gegen die Raptors wurde Green mit 16 Punkten, 11 Rebounds und 13 Assists zum dritten Frontcourt-Spieler nach Tim Duncan und Al Horford, dem in der laufenden Saison zweistellige Werte in diesen drei Kategorien gelangen.

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Die Schlüsselfigur

Die Warriors haben zusätzlich zu ihrer grandiosen Offense um die Splash Brothers Stephen Curry und Klay Thompson die beste Verteidigung der Liga. Laut Coach Kerr ist das zum großen Teil Greens Verdienst: "Ein wichtiger Faktor in unserer Defense ist die Fähigkeit, am Perimeter switchen zu können. Wir haben einige ähnlich große Spieler und Draymond ist dabei für mich die Schlüsselfigur."

Das spiegelt sich auch in der Punktedifferenz wider. Mit Green auf dem Court erzielen die Warriors durchschnittlich sechs Punkte mehr und lassen sieben Zähler weniger zu als ohne ihren Allrounder auf dem Feld.

Die Erklärung liefert der Coach gleich nach: "Als Power Forward ist Draymond oft in Pick&Rolls integriert und da er schnell genug ist, um an Point Guards dran zu bleiben, nehmen wir dem Gegner dadurch oft ihre erste Option weg. Wenn dann die Uhr runtertickt, schaffen wir es vor unseren Männern zu bleiben und einen schweren Wurf zu erzwingen."

"Einiges von Dennis Rodman"

Selbst einen Vergleich mit seinem alten Championship-Team aus Chicago scheut Kerr nicht, um seinen unermüdlichen Arbeiter zu loben: "In Draymond steckt einiges von Dennis Rodman. Er trotz den herkömmlichen Positionszuordnungen, er kann jeden verteidigen, ist stark genug am Ring und er reboundet wie ein Verrückter."

SPOXAber nicht nur das spricht für Green. Sein Einsatz: vorbildlich. Seine Screens: hart. Seine Energie: ansteckend. Seit seinem ersten Spiel im Warriors-Jersey spricht er das Gebet im Pre-Game Huddle - er ist Vocal Leader, Glue Guy und Spaßvogel in einem.

Auch nach der Genesung von Lee vertraute Coach Kerr auf Green und der etatmäßige Power Forward musste sich mit einer Bankrolle anfreunden. Nach 276 Starts in 279 NBA-Spielen und zwei All-Star-Nominierungen verdrängt von einem Zweitrundenpick - nicht gerade das Best-Case-Szenario für einen 15-Millionen-Mann. Doch Lee war nicht sauer. Er nahm sich ein Beispiel an Andre Iguodala und akzeptierte das Reservistendasein zum Wohle des Teams.

Am Scheideweg

Dennoch könnten sich die Wege von den Warriors und Top-Verdiener Lee im Sommer trennen. Der Grund: Draymond Green. Der künftige Restricted Free Agent hat zwar schon mehrfach betont, in seine Heimat Michigan zurückkehren zu wollen und den Plan geäußert, im Sommer ein Offer Sheet der Detroit Pistons zu unterschreiben.

Es versteht sich aber von selbst, dass Golden State mit dem einzig möglichen Schachzug reagierte und verlauten ließ, man werde jedes Angebot für Green matchen. Und obwohl Drays Gehalt (aktuell läppische 915.000 Dollar) zur kommenden Saison mindestens um den Faktor 10 steigen wird, sollte die Priorität für die Warriors klar sein.

Green ist der einzige Rotationsspieler der Warriors, dessen Vertrag dieses Jahr ausläuft und es ist Zeit, den Mann angemessen zu bezahlen. Hier und dort wird sogar über einen Max-Deal gemunkelt - in diesem Fall würde Green im ersten Vertragsjahr rund 15 Mio. Dollar erhalten.

Die Antwort heißt Draymond

Die Aussagen aus Detroit lassen zumindest vermuten, dass die Pistons große Geschütze auffahren werden, um Dray aus Oakland loszueisen. "Es gibt nicht viele Spieler, die so hart spielen, wie er", sagte Detroits Coach und GM Stan van Gundy jüngst: "Was ihn von dem 10. oder 11. Mann in der Rotation unterscheidet, ist sein guter Wurf. Und weil du beides von ihm bekommst, stehst du nicht vor der Entscheidung: 'Brauche ich jetzt defensive Energie oder Offense?' Er ist mit der Zeit immer besser geworden und er kann zu jeder Zeit auf dem Court stehen, nicht nur als Energizer."

Oftmals verstärkt das letzte Vertragsjahr den Leistungsdruck, doch Green ist inzwischen ein fester Bestandteil des funktionierenden Warriors-Systems und längst nicht mehr so zurückhaltend wie noch vor drei Jahren. Und Druck? Fehlanzeige. "Warum sollte ich unter Druck stehen?", so der 25-Jährige: "Ich bin bis hierher gekommen, indem ich das getan habe, was ich am besten kann. Also muss ich einfach nur weitermachen."

Auch die Aussichten auf schwere Matchups in den Playoffs können Dray nicht verunsichern. "Je größer die Bühne, desto bessere Leistungen liefere ich ab", sagte Green: "So war ich schon immer."

Der letzte Beweis

Doch trotz seiner konstant guten Auftritte hat Dray noch immer nicht alle Kritiker überzeugt. TNT-Experte Charles Barkley gesellte sich vor wenigen Tagen zu den Zweiflern und sagte, Golden State sei mit Green im Frontcourt zu klein, um die Meisterschaft zu gewinnen.

Dray gab zunächst verbal Kontra: "Jemand, der nie einen Titel geholt hat, sollte nicht so viel über Championships sprechen", so Green: "Ich denke, er ist sogar kleiner als ich, daher sollte man meinen, er würde mich unterstützen. Aber vielleicht denkt er, ich könnte keinen Ring holen, weil er es nicht geschafft hat. Wir werden ja sehen. Im Gegensatz zu ihm habe ich noch ein paar Jahre vor mir."

Und als wollte Steve Kerr seinem Schützling helfen, die Aussagen mit einer starken Performance auf dem Parkett zu untermauern, ließ er in den Partien unter der Woche viel Small Ball spielen - mit Green als Center.

Golden State drehte in dieser Formation das Spiel gegen Milwaukee und Dray zeigte dabei seine Vielseitigkeit: 23 Punkte, 11 Rebounds, 5 Assists, 3 Steals und 3 Blocks. Und am Ende heißt es: q.e.d. - quod erat draymonstrandum.

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