Es gibt Gespräche im Leben, die den ursprünglich eingeschlagenen Weg nachhaltig ändern können. Im Jahr 2004 hatte Nikola Mirotic gerade seinen 13. Geburtstag gefeiert, als er sich in seiner montenegrinischen Heimat Podgorica mit seinem Großvater über Sport unterhielt. Der Opa betrachtete seinen damals schon 1,95 Meter großen Enkel und zählte eins und eins zusammen: "Du musst unbedingt zum Basketball gehen! Ich kenne da eine neue Akademie."
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Nikola wie die meisten seiner Freunde auf dem Bolzplatz Fußball gespielt und von einer Karriere beim lokalen Top-Club FK Buducnost geträumt. Nach jenem Gespräch mit dem Großvater sieht die Welt dann aber schlagartig anders aus.
"Ich bin auf Wunsch meines Opas zum Basketball-Training gegangen und habe mich dort sofort richtig aufgehoben gefühlt", erinnert sich der heute 24-Jährige an seine erste Einheit an der Joker School of Basketball, die Ex-Profi Jadran Vujacic nach seiner Karriere ins Leben gerufen hat. Aus dem anfänglichen Trainer-Spieler-Verhältnis zu Vujacic wurde bis heute eine buchstäblich familiäre Beziehung:
Im Juni 2012 heiratete Mirotic Jadran Vujacic' Tochter Nina, Sohn Aleksej wurde im vergangenen Mai geboren. Sein Mentor gehört jetzt nicht nur offiziell zur Familie, sondern ist für Mirotic nach wie vor die wichtigste Bezugsperson im Basketball. "Ich tausche mich regelmäßig mit ihm aus. Er ist wie ein Vater für mich", beschreibt Nikola die enge Bindung. Jeden Sommer fährt er zurück nach Podgorica, um mit seinem Schwiegervater an seinem Game zu arbeiten.
Glaube an sich selbst
Obwohl Nikola bis zu dem Gespräch mit seinem Opa noch nie einen Basketball in der Hand gehalten hatte, zahlte sich das Training nach nur zwei Jahren aus. Scouts von Real Madrid werden bei einer Session im spanischen Campos auf Nikola aufmerksam und bieten ihm einen Ausbildungsvertrag an. Er ist zwar sehr heimatverbunden, doch mit der Zeit wächst sein Selbstbewusstsein: "Ich fing an zu glauben, dass ich im Basketball tatsächlich etwas erreichen kann!"
Als seine Eltern dann beschließen, mit ihm nach Madrid zu ziehen, fällt der Abschied aus Podgorica leichter als gedacht. Der Youngster trainiert täglich und geht gleichzeitig zur Schule. "Meine Mitspieler haben mir mit der Sprache geholfen. Aber das Wichtigste war für mich immer, Basketball zu spielen", sagt Nikola rückblickend. Mit eindrucksvollem Ergebnis: Mit 17 Jahren trainiert er nicht mehr im Jugendteam, sondern mit der ersten Mannschaft. "Ich dachte, dass ich nicht lange mitspielen kann", analysiert er heute, "aber ich habe sie alle überrascht und blieb im Team."
Dann geht alles ganz schnell. Mit 19 Jahren unterschreibt Mirotic einen Profivertrag bei Real, bei der U20-WM 2011 läuft er nicht nur für Spanien auf, er wird MVP und führt seine Wahlheimat mit 27,0 Punkten und 10,0 Rebounds pro Partie zum ersten Titel in dieser Altersklasse. Im Anschluss startet Nikola auch bei Real durch. Nach kurzer Ausleihe zum Zweitligisten CD Maristas erkämpft er sich 2010/11 einen Stammplatz und macht auch international auf sich aufmerksam: Zwei Mal in Folge wird er zum Rising Star der Euroleague gewählt, die Krönung erfolgt 2012/13, als er zum jüngsten MVP der spanischen Liga gewählt und mit Real Meister wird (12,2 PPS, 5,4 REB). "Es war großartig, für die Mühen so belohnt zu werden", erinnert sich Nikola.
Sein Aufstieg vom Spätstarter zu einem der besten Nachwuchsbasketballer Europas ist da aber natürlich schon in vollem Gange, jeder Scout kennt Mirotic ...
Natürlich bleibt sein außergewöhnliches Talent auch in den USA nicht unbemerkt. Bei seinem 25-Minuten-Auftritt mit 14 Punkten und sieben Rebounds beim prestigeträchtigen Nike Hoop Summit 2010 sitzt Ivica Dukan auf der Tribüne. Dukan verfolgt Nikolas steile Karriere von Anfang an, denn er ist nicht nur ein alter Weg-gefährte von Mirotic-Mentor Vujacic (beide spielten in den 80ern in Europa), sondern auch International Scout der Bulls. Nach dem Summit stellt sich Dukan erstmals bei Nikola vor und hält fortan engen Kontakt zu ihm.
Draft-Night-Deal
Die Aussicht auf die NBA wird konkreter, bereits 2011 meldet sich Mirotic zum Draft an. Dort wird er in der ersten Runde an 23. Stelle von den Rockets gezogen und postwendend zu den Wolves getradet. Von dort holt Bulls-Manager Gar Forman seinen "Priority"-Pick dann nach Chicago. Für Mirotic ist diese Entwicklung ebenso rasant wie überraschend. Er fühlt sich noch nicht bereit. "Ich wollte in Spanien bleiben und erst versuchen, der beste Spieler in Europa zu werden!"
Nach drei weiteren Jahren in Madrid, in denen er Real zur erwähnten Meisterschaft führt, ist er bereit und wechselt nach Chicago. Dass der 24-Jährige dort mithalten kann, zeigen die Stats: Im Dezember markiert Mirotic 9,9 PPS und 5,7 REB - in nur 19,1 -Minuten Spielzeit! Der Lohn: Nikola wird zum "Rookie of the Month" gekürt und erhält eine Einladung zur Rising-Star-Challenge.
Nikola ist ein typischer, für seine Größe schneller, agiler Euro-Big-Man, der das Spiel verstanden hat, für einen 24-jährigen Rookie extrem viel Erfahrung hat und Jumper dem physischen Spiel am Korb vorzieht - 2,8 seiner durchschnittlich 5,4 Würfe feuert er von Downtown ab. Doch genau damit passt er perfekt zu den Bulls, die Long-Range-Shooting nötiger haben als einen "Bruiser" in der Zone. "Er ist schnell, beweglich, kann mit dem Ball umgehen, werfen und Optionen kreieren", geizt Coach Tom Thibodeau nicht mit Lob.
Auch wenn die Stats (noch) nicht Star schreien, es sieht ganz so aus, als hätte Mirotic' Opa nicht ganz Unrecht gehabt, seinen Enkel zum Basketballspielen zu überreden.
Der Artikel erscheint in der BASKET 04/2015