Der Finals-Run der Cleveland Cavaliers spülte mit Matthew Dellavedova den bislang unauffälligen Backup-Point Guard des Teams ins Rampenlicht. Das liegt aber nicht nur an den starken Leistungen des Australiers auf dem Court. Von LeBron James geadelt, von den Gegnern verteufelt, erinnert "Delly" frappierend an einen Spieler, der Dirk Nowitzki und den Dallas Mavericks einst zum Titel verhalf.
Als die Dallas Mavericks in den NBA Finals 2011 mit 1-2 gegen die Miami Heat zurücklagen, baute Coach Rick Carlisle sein Team um und beorderte J.J. Barea in die Starting Five. An die Seite von NBA-Größen wie Dirk Nowitzki und Jason Kidd - und gegen Dwyane Wade und LeBron James.
Der körperlich unterlegene, jedoch mit einem Löwenherz kämpfende Puerto Ricaner stellte den Favoriten aus Miami mit seinem schnellen, unberechenbaren Spiel vor große Probleme. Ein Giftzwerg sowohl offensiv, als auch defensiv. Immer aggressiv, immer unbequem, immer die Nase direkt vor dem Ellbogen des Gegenspielers, um das Offensiv-Foul zu ziehen. Barea hatte großen Anteil, dass die Serie noch einmal kippte.
Vier Jahre später geht LeBron in seine fünften NBA-Finals in Folge. Diesmal ist er der Außenseiter gegen ein mit Topspielern vollgepacktes Warriors-Team. Doch es scheint so, als hätte der King in Matthew Dellavedova diesmal seinen eigenen Barea gefunden.
Karrieren laufen parallel
Gut, es gibt natürlich auch Unterschiede zwischen dem 30-jährigen Barea und dem sechs Jahre jüngeren Australier in Diensten der Cavs. "Delly", wie Dellavedova von Fans und Teamkollegen zumeist nur gerufen wird, ist zum Beispiel ganze zehn Zentimeter größer und hat mit 1,93 Metern eine durchaus akzeptable Größe für einen NBA-Point Guard. Damit geht ihm das "David-unter-Goliaths"-Element von Barea ab.
Aber sonst? Guard aus einem Land, in dem Basketball nicht gerade die größte Rolle spielt? Check. High School und vier Jahre College in den USA? Check. Undrafted? Check! Fehlendes Talent durch unbändigen Willen und Einsatz wettgemacht und so in die Rotation gekämpft? Check. Unvorhergesehene Playoff-Momente im Rampenlicht? Check. Kontroversen?
Lieblingsfeind des Gegners
Die vergangenen Wochen haben aus dem bislang so unscheinbaren Aussie eine der am intensivsten diskutierten Figuren der diesjährigen Playoffs gemacht. Einerseits ist dafür sein hervorragendes Spiel auf dem Court verantwortlich: Im Zuge der Verletzung von Kyrie Irving und den verpassten Spielen von J.R. Smith vergrößerte sich Dellavedovas Rolle in einigen Spielen drastisch. Schon viermal knackte er in der Postseason die 34-Minuten-Marke. Und die Leistung stimmte ebenfalls: 19 Punkte in Spiel 6 gegen die Bulls. 17 Zähler in Game 3 gegen Atlanta. Coach David Blatt kann sich auf seinen Backup-Playmaker verlassen.
Andererseits scheint man sich auch darauf verlassen zu können, dass es zwischen Dellavedova und seinen direkten Gegenspielern derzeit regelmäßig kracht. Von Taj Gibson gab es gegen Chicago einen Tritt, Al Horford verpasste ihm eine Serie später sogar einen halben Ellbogen.
So findet sich die nächste Parallele zu Barea. Der konnte das Blut seiner Kontrahenten zu Hochzeiten ebenfalls fast regelmäßig zum Kochen bringen - man erinnere sich da nur an die Ausraster von Metta World Peace und Andrew Bynum in der Serie 2011 gegen die Lakers.
Nicht ganz unschuldig
Doch wo sich bei Barea vor allem die Hilflosigkeit des Gegners in ohnmächtiger Wut entlud, verschwimmen beim Mann aus Victoria die Grenzen. Mehr als einmal wurde ihm bereits vorgeworfen, ein unsauberer Spieler zu sein. "Dirty" auf dem Court - ein schlimmeres Schimpfwort gibt es auf dem Parkett der NBA kaum.
Das hat sich Dellavedova allerdings auch selbst zuzuschreiben. Seine "Beinklammer" gegen Gibson in Spiel 5 der Bulls-Serie war eindeutig unsauber, der Tritt von Gibson kann ebenso gut als Befreiungsaktion gedeutet werden. In diesem Licht wird sich der eine oder andere Hawks-Spieler gefragt haben, ob "Delly" in Spiel 2 Kyle Korvers Verletzung nicht zumindest billigend in Kauf nahm, als er sich auf der Jagd nach dem Ball in dessen Fuß rollte und den Scharfschützen so außer Gefecht setzte. Und so ist zumindest teilweise auch der Ausraster von Horford zu erklären, der den Cavaliers-Guard verdächtig nah an seinem ohnehin lädierten Knie ausgemacht hatte.
"Die Aufnahmen sind eindeutig"
Zeitlupen sprechen in solchen Fällen nie die ganze Wahrheit, und so hängt das eigene Urteil auch immer von der persönlichen Vereinsbrille ab. Klar ist zumindest: LeBrons arglose Einschätzung nach dem Gibson-Vorfall ("Delly stört oder ärgert doch niemanden. Nicht einmal sich selbst.") hat sich mittlerweile längst überlebt.
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Der Beschuldigte selbst verteidigt seine umstrittenen Szenen. "Ich wollte ihn nur vom Korb fernhalten, er hat mich von hinten gestoßen und dann haben wir uns verhakt", erklärt er die Aktion gegen den Big Man der Bulls. Korvers Verletzung? "Ich bin nach dem Ball getaucht. Wenn ich auf dem Bauch liegenbleibe, gibt es einen Jump Ball. Also habe ich den Ball gesichert." Horford habe ihn am Arm heruntergezogen: "Ich meine, die Aufnahmen sind ja eindeutig."
Publikumsliebling in Atlanta wird Dellavedova ganz sicher nicht mehr werden. Auch die Warriors werden auf mögliche unsaubere Szenen in den Finals ganz genau achten. "Vielleicht war es keine Absicht", erklärte etwa Al Horford. "Aber bei seiner Bilanz, da fühlte es sich bei mir so an, als würde er..."
spoxBegeisterte Teamkollegen
Von den eigenen Teamkollegen wird der Mann aus Down Under dagegen voll Inbrunst verteidigt. "Er ist jemand, der sich jeden Abend abrackert, und jetzt wollen ihm die Leute etwas anhängen. Das verdient er nicht und das gefällt mir nicht", betonte James auf derselben Pressekonferenz, auf der sich sein Backup-Point Guard verteidigen musste. "Er spielt so hart wie er kann. Wenn sich alle auf Delly einschießen, dann haben sie das falsche Ziel."
Grund sei vor allem der unermüdliche Einsatz des Mannes mit der Nummer acht. "Es ist ungewöhnlich, dass sich Spieler bei jeder einzelnen Aktion, bei jedem Ballbesitz voll reinhauen und alles riskieren. Das kann am Anfang schockierend sein", sagte Forward James Jones. Und Iman Shumpert fügte hinzu: "Ein solcher Spieler kann dir auf die Nerven gehen, deshalb reagieren die anderen so und wollen sich in der Hitze des Gefechts revanchieren."
Anfangs Ärger mit Irving
Natürlich gehört es zum guten Ton, den eigenen Teamkollegen von allen Vorwürfen reinzuwaschen. Was auch geschehen sein mag. Gleichzeitig haben die Cavs Dellavedova nun schon zwei volle Jahre tagtäglich im Training erlebt. Sie wissen, welche Wirkung seine Art, Basketball zu spielen, haben kann. Denn wer sich wie er in die NBA durchschlagen musste, der scheut vor keinem Konflikt zurück. Selbst wenn es die Teamkollegen sind.
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So erzählte Tristan Thompson bei ESPN von 2013, als sich der Neuzugang im Training tagtäglich mit Franchise Player und Top-Pick Kyrie Irving anlegte. "Sie haben es sich richtig gegeben. Es gab Zeiten, da standen sie kurz vor einer Prügelei." Weil der Underdog ein ums andere Mal nicht zurücksteckte, Irving hart foulte - und diesem nach und nach Respekt abnötigte. "Wir mussten fast voneinander getrennt werden", gibt auch der Backup zu, fügt dann aber den entscheidenden Satz an: "Aber es war nie persönlich. Wir haben einfach beide hart gespielt."
Zurückhaltung verboten
Hart spielen, das gehört bei Delly eben dazu. Ob im Training, in der Regular Season, oder in der Postseason. Nur deshalb hat es der weder mit einem Übermaß an Talent noch an Athletik gesegnete Aufbauspieler überhaupt in die beste Basketball-Liga der Welt geschafft. Zurückhaltung wird es nicht geben. "Er hat Rugby gespielt, er ist der härteste Mann bei uns im Team", adelte ihn LeBron unlängst.
Das bedeutet für Dellavedova, dass er weiter dazulernen muss, um seinen Kampfgeist möglichst nicht auf Kosten gegnerischer Verletzungen auszuleben. Hart spielen, aber gleichzeitig auch klug. Das bedeutet für die Refs, weiter genau hinzuschauen und unsaubere Tendenzen sofort aus dem Spiel zu verbannen, vor allem in den Finals.
Das bedeutet für die Warriors in den Finals aber auch, die gleiche Leidenschaft, die gleiche Unerschrockenheit, den gleichen Fokus wie der vor kurzem noch so unbekannte Bankspieler der Cavaliers an den Tag legen zu müssen. Sonst könnte eine weitere Parallele zu Barea hinzukommen.