Die Finals sind kaum verdaut, die "All In Cleveland"-Plakate zieren noch immer die ganze Stadt. Obwohl am Ende die meisten mit ihr gerechnet hatten, ist der Frust über die Niederlage am Lake Erie omnipräsent.
Die verfluchte Stadt wartet weiter auf einen Titel in einer der großen Sportarten - mittlerweile sind es 51 Jahre. Die Fans haben nun Zeit, ihre Enttäuschung zu verarbeiten. Sie sind es ja ohnehin gewohnt.
David Griffin, seines Zeichens General Manager der Cavaliers, hat diesen Luxus nicht. Im Gegenteil. Er muss planen, analysieren und Entscheidungen treffen. Am 25. Juni steht bereits der Draft an, wenngleich sein Team mit dem 24. Pick wohl nur Außenseiterchancen auf einen Impact Player hat.
Die harte Arbeit steht Griffin in Sachen Free Agency bevor. Und auch hier muss es schnell gehen. Die derzeitige Kaderstruktur ermöglicht es nämlich, dass am 1. Juli nur noch drei Spieler bei den Cavs unter Vertrag stehen könnten.
Spieler-Optionen für Love und LeBron
Nur Kyrie Irving, Anderson Varejao und Joe Harris verfügen derzeit über garantierte Verträge für die kommende Saison. Abgesehen von diesem Trio und Shawn Marion, der seine Karriere beenden wird, sind alle anderen Personalien ungeklärt.
Dabei gibt es mehrere Gruppen. LeBron James, Kevin Love, J.R. Smith und Mike Miller verfügen allesamt über Player Options. Bei Smith klang bereits durch, dass er seine Option über 6,4 Millionen Dollar verstreichen lassen und einen Deal über mindestens drei Jahre anstreben wird.
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LeBron (21,6 Mio.) dürfte ebenfalls aussteigen und einen weiteren Einjahresvertrag samt Player Option unterschreiben, damit er beim drastischen Anstieg des Salary Caps im Sommer 2016 das höchstmögliche Gehalt beziehen kann. Er wird von den Cavs selbstverständlich alles bekommen, was er verlangt.
Bei Love ist die Lage hingegen völlig unklar. Er hat kürzlich öffentlich betont, bei den Cavs bleiben zu wollen. Seine Harmonie mit dem Team, insbesondere mit James, gilt jedoch schon die ganze Saison über als eher unglücklich. Zumal Cleveland nach seiner Verletzung eine neue (defensive) Identität kreierte und damit bekanntlich sehr erfolgreich unterwegs war.
Schnäppchen Mozgov, Gegenteil Thompson
Die beiden dafür hauptverantwortlichen Big Men könnten ebenfalls Free Agents werden. Bei Timofey Mozgov verfügt das Team über eine Option, die es höchstwahrscheinlich ziehen wird. Für einen fähigen Rim Protector mit Offensiv-Skills wie Mozgov ist der Preis von 4,9 Millionen Dollar schließlich ein Schnäppchen.Bei Tristan Thompson ist die Lage wesentlich komplizierter. LeBrons Protege, der vor der Saison Berichten zufolge ein Angebot über vier Jahre und 52 Millionen Dollar ausschlug, wird Restricted Free Agent und ist durch seine Playoff-Leistungen sicher nicht billiger geworden. ESPN Insider zufolge könnte ihm sogar ein Maximalvertrag winken.
Gemessen an seiner Produktion wäre ein Max-Deal für Thompson ein klarer Fall von "überbezahlt", sollte er sich nicht auf einmal ein besseres Offensivspiel zulegen. Wie Zach Lowe von Grantland stets betont, braucht es "aber immer nur ein Arschloch". Will sagen: Bietet ihm irgendein Team einen solchen Deal an, muss Cleveland mitziehen, wenn Double T bleiben soll.
Und das soll er. LeBron sagte während der Conference Finals, Thompson solle "seine ganze Karriere" bei den Cavs verbringen, und das Wort des Königs hat in Cleveland bekanntlich Gewicht. Die beiden haben mit Rich Paul passenderweise auch den gleichen Agenten. Ein Abgang wäre nicht nur deshalb eine faustdicke Überraschung.
Kostenrekord für Gilbert?
Es wird bereits deutlich: Sollten James, Love und Thompson allesamt bleiben, wäre man mit den garantierten circa 25,2 Millionen für Irving, Varejao und Harris sowie knapp 5 für Mozgov bereits im Bereich der Luxury Tax. Und das mit sieben Spielern.
Thompson ist zudem nicht der einzige Restricted Free Agent, auch Iman Shumpert und Matthew Dellavedova können theoretisch überall unterschreiben. Delly wäre trotz seines Status als Kultfigur in den Playoffs weder teuer noch unersetzlich, bei einem fähigen, jungen Three-and-D-Spieler wie Shumpert ist die Lage wiederum eine andere, zumal die Cavs eben keine Ressourcen für "fremde" Free Agents haben dürften.
Zusammengefasst könnten die Cavs es mit zehn Free Agents zu tun haben, vier davon waren Starter in den Finals. Halten sie ihren Kader im Kern zusammen, könnte die Payroll am Ende bis zu 110 Millionen Dollar betragen - eine Option, die intern laut Brian Windhorst von ESPN bereits diskutiert wird.
Kombiniert mit der Luxussteuer könnte das bedeuten, dass Besitzer Dan Gilbert nächste Saison über 200 Millionen Dollar bezahlen müsste, um seinem Traum vom Ende der Aussage "God Hates Cleveland" nachzugehen. Der Multimilliardär hat sich wohl schon damit abgefunden.
Kaum Handlungsspielraum
Den Cavs sind also gewissermaßen die Hände gebunden, abgesehen vom nicht garantierten Vertrag von Brendan Haywood (10,5 Mio.) verfügen sie auch nicht wirklich über Trade-Chips, um sich auf diese Weise zu verstärken.
Die Situation ist aber nicht nur aufgrund der Personalfragen kompliziert - in der Postseason kam auch eine Stilfrage auf, nachdem die Cavs ohne Love mit einer komplett neuen Identität trotzdem die Finals erreichten. Braucht Cleveland den Power Forward also überhaupt?
"Wir haben von unseren letzten 35 Spielen mit Kevin und Kyrie 32 gewonnen", betonte Griffin zwar gegenüber Grantland. "Wir waren nicht nur gut, wir waren das beste Team der Liga. Wir wollen wieder zu diesem Monstrum, diesem Juggernaut werden." Er stellte allerdings auch klar, dass es um "Rollenverteilung" gehe: "Man kann nicht zu viele Ball-dominante Spieler neben LeBron stellen."
Auch Miller sagte, dass ein Star, also Irving, neben LeBron wohl reichen dürfte: "Er braucht einfach Jungs neben sich, die Würfe treffen und physisch verteidigen können. Die Offense leitet er. Ich denke, das ist die richtige Situation für ihn."
Ist Love noch nötig?
Nun ist "Verteidigen" bekanntlich nicht die Kernkompetenz des Kevin Love. Auf Thompson, Mozgov und auch Varejao trifft das dagegen zu. Könnte es also eine Option sein, Love per Sign-and-Trade für mehr Tiefe im Kader abzugeben und beispielsweise die dünne Backcourt-Situation aufzupeppen? Zumal LeBron ohnehin viele Minuten auf der Vier abreißt?
Die Antwort hängt von der speziellen Situation der Franchise ab. Genauer gesagt von LeBron, der inoffiziell der mächtigste Mann der Franchise ist und mehr Einfluss auf die Entscheidungen ausüben kann als jeder andere Spieler der Liga. Die Cavs hoffen ausdrücklich auf deutlichen und vor allem zeitigen Input ihres Superstars, um entsprechend seiner Wünsche planen zu können.
Sie wollen ihn definitiv kein zweites Mal gehen sehen. Letzte Saison löste er bereits die lukrative Vertragsverlängerung von Buddy Varejao sowie den Trade von Nummer-1-Pick Andrew Wiggins für Love aus. Sein Wille beeinflusst die Zukunft von Love, Thompson, Shumpert und allen anderen. Und wohl auch die von Coach David Blatt.
Blatts schwerer Stand
Die ganze Saison über war das schwierige Verhältnis zwischen Superstar und Coach das am schlechtesten gehütete Geheimnis der Liga. Daran hat sich offenbar trotz des Postseason-Runs wenig geändert, auch wenn James öffentlich meist das Richtige sagte.
Seine Körpersprache sagte häufig etwas Anderes, seine endlose Verwendung des Ausdrucks "Rookie-Coach" für den international durchaus erfahrenen Blatt sprach Bände - zumal der diese Bezeichnung Berichten zufolge verabscheute. Dass er bei Auszeiten nicht immer aufmerksam wirkte, rundete das kuriose Bild ab.
Bei Griffin und Gilbert soll der Coach hingegen ein hohes Standing besitzen. Laut ESPN wird er daher wohl an der Seitenlinie bleiben, wenn James nicht explizit seinen Abgang fordert.
Der Optimismus bleibt
Für die Cavs steht also ein turbulenter Sommer an, in dem etliche Fragen beantwortet werden müssen. Eine Gewissheit gibt es aber, selbst wenn der Deal noch nicht in trockenen Tüchern ist: Sie werden weiterhin den besten Spieler der Welt in ihren Reihen haben.
Denn das ist LeBron immer noch, wie die Postseason einmal mehr zeigte. Deshalb ist Cleveland bei den Wettanbietern der Top-Favorit auf den Titel 2016. Deshalb sangen die Fans noch am Dienstag nach der Niederlage "Don't you fear, the Cavs will be back next year."
Auch wenn man sich beim King nie ganz sicher sein kann, erscheint es derzeit unmöglich, dass er die Cavs erneut verlassen könnte. Nicht, bevor er den Cleveland-Fluch mit einer Meisterschaft besiegt hat. Er sieht es als seine Mission an.