Harrison Barnes wollte eine Marke erschaffen, sah sich zu Beginn seiner NBA-Karriere jedoch mit Problemen konfrontiert. Dank Steve Kerr ist der Forward nun essentieller Bestandteil der Golden State Warriors und soll in den Finals indirekt Kawhi Leonard beerben.
Kawhi Leonard gilt gemeinhin als bester Flügelverteidiger der NBA. Seine unglaublichen langen Arme, die riesigen Hände, seine Athletik. All das macht den Small Forward zum Albtraum eines jeden Gegenspielers. Für diese Saison ist Leonard nun sogar ganz offiziell bester Verteidiger der gesamten Liga, der Defensive Player of the Year.
Werden Vergleiche zum Finals-MVP der vergangenen Spielzeit angestrebt, dürfen sie also gut und gern als Kompliment verstanden werden. Egal, woher sie stammen. "Du kannst der nächste Kawhi Leonard sein", soll Steve Kerr Harrison Barnes regelmäßig eintrichtern. Der nächste Kawhi. Offensichtlich sieht der Coach großes Potential in seinem Forward.
Nun wäre Kerr sicherlich nicht der erste Übungsleiter, der den Versuch unternimmt, das Selbstvertrauen eines seiner Schützlinge durch das Ziehen schmeichelhafter Parallelen aufzupolieren. Entsprechend kritisch darf die Validität derartiger Quervergleiche betrachtet werden. Ganz abgesehen davon, dass es nicht einmal zwingend notwendig ist, ständig den "nächsten ..." zu benennen, steckt hinter Kerrs Aussage allerdings durchaus ein Funke Wahrheit.
Gegen Harden überzeugt
Denn Harrison Bryce Jordan Barnes beherrscht die Kunst des Verteidigens tatsächlich. Nachdem Kollege Klay Thompson während der ersten beiden Partien doch arge Probleme gehabt hatte, die Produktivität von James Harden einzudämmen, ließ Kerr den "Black Falcon" in Spiel 3 der Western-Conference Finals deshalb zeitweise auf Houstons Shooting Guard los. Das Ergebnis: 17 Punkte bei 3 von 16 aus dem Feld. Harden war in Schwierigkeiten, Golden State erhöhte auf 3:0.
Ein kleiner Beleg für Kerrs These war also erbracht. Einer, der das Wirken des derzeit vielleicht beeindruckendsten Scorers der Association effektiv einengen kann, muss schließlich ein mindestens halbwegs fähiger Defender sein. Barnes ist deshalb nicht zwingend der nächste Kawhi, aber verteidigen, das beherrscht auch Golden States Small Forward.
Oder treffender formuliert: Er beherrscht es mittlerweile. Noch vor einigen Jahren gestaltete sich das Verhältnis des Harrison Barnes zur Arbeit am hinteren Ende des Courts nämlich ein wenig diffiziler. An Nummer sieben hatten die Warriors den 2010 noch als vielversprechendsten Prospect gepriesenen Swingman gepickt und sich dabei von dessen offensivem Potential beeindrucken lassen - glaubte jedenfalls Barnes.
Training ohne Ball
Denn als ihn Assistant Coach Darren Erman zu seinem Premierenworkout in Golden States Traininshalle einlud, war der ehemalige North Carolina Tar Heel erst einmal überrascht. "Ich komme also in die Halle", erzählt er dem San Francisco Chronicle, "zu meinem ersten NBA-Workout und ich sehe keinen einzigen Ball. Ich sage: 'Kann ich vielleicht einen Ball haben und ein paar Würfe nehmen?' Er antwortet nur: 'Laut Synergy kamst Du als am schwächsten eingeschätzter Defender in den Draft. Deshalb arbeiten wir jetzt nur an der Defense. Scoren kann jeder, wenn du aber nicht verteidigen kannst, kannst du auch nicht auf dem Court stehen.'"
Ein Einstand nach Maß sieht sicherlich anders aus. Geschockt hat er Barnes - wenn überhaupt - allerdings nur kurz. Denn der Rookie verbrachte am Ende tatsächlich viel Zeit auf dem Court, startete in 81 Spielen. Sogar in den Playoffs, in denen er während Runde zwei gegen die Spurs 17,3 Punkte auflegte, stand Barnes stets in der ersten Fünf.
Natürlich waren derartige Zahlen begünstigt durch Gregg Popovich' Plan, Barnes lediglich Tony Parker entgegenzustellen, um die stärkeren Defender Danny Green und Leonard auf Steph Curry und Klay Thompson loszulassen. Dennoch machte es den Anschein, als nutzte Barnes endlich sein Potential. Als habe er die durchwachsenen Leistungen vom College endlich hinter sich gelassen. Gute Spiele hatten sich dort immer wieder mit schwächeren abgewechselt, unauffällige Vorstellungen dominante abgelöst.
Eine zweite Saison voller Probleme
Alles Vergangenheit? Leider nein. Denn mit Beginn seiner zweiten NBA-Saison fand sich Barnes plötzlich auf der Bank wieder. Die Warriors hatten im Sommer Andre Iguodala verpflichtet, der selbstverständlich erst einmal die Starting-Rolle auf der Drei zugesprochen bekam. Barnes hingegen sollte die zweite Reihe anführen - und scheiterte.
Er wirkte unsicher, spielte nie konstant und mutierte offensiv zum Ballstopper. Das Player Efficiency Rating sank auf überschaubare 9,85. Barnes fühlte sich in seiner Rolle sichtlich unwohl, fand nie einen Rhythmus. "Vergangene Saison bekamen bei uns einige Jungs zehn, 15 Possessions lang nicht einmal den Ball", liefert Andrew Bogut gegenüber den San Jose Mercury News einen Erklärungsansatz. Das sei auch Barnes' Problem gewesen. "Und dann sagt jeder: 'Oh, seine Quoten sind schlecht.' Ach, kein Scheiß?!"
Tatsächlich hatte die offensive Statik des Systems Mark Jackson Barnes jeglicher Stärke beraubt. Immer wieder musste er aus der Isolation heraus für sich kreieren. Mit einer Offense um sich herum, die die gegnerische Defense mangels Bewegung nur selten vor eine echte Herausforderung stellte.
"Damit kommen nur wenige klar"
"Es ist einfach schwer, wenn du den Ball in Isolation bekommst und die Defense vor dir steht", blickt Barnes gegenüber der Bay Area News Group zurück. "Damit kommen nur sehr wenige Spieler in der Liga klar. Das sind die besten wie Durant oder Melo (Carmelo Anthony, Anm. d. Red.). Dann schau dir ihre Quoten an. Das sind die Besten der Besten, also kann man sich leicht vorstellen, wo ich stehe. Ich traf in Isos um die 15, 20 Prozent."
Seine Stärke sei eher das Spiel aus der Bewegung, aus dem Fluss heraus. "Das Spiel in Isolation dagegen nicht." Es spricht durchaus für Barnes, dass er seine Schwächen aus freien Stücken zugibt, dass er einräumt, nicht alles zu können. Dabei hatte seine Marke erneut Schaden genommen. Eine Marke, die schon in North Carolina an Wert verloren hatte, die Barnes jedoch bereits mit seinem Wechsel ans College so gern stärken wollte.
Bewunderung für Jordan, Kobe und Nash
Denn der Swingman ist nicht der klassische Basketballer. Er bewundert Michael Jordan, Kobe Bryant und Steve Nash für deren Businessentscheidungen abseits der Courts, für ihre Fähigkeit, aus den sportgegebenen Möglichkeiten das Maximale herauszuholen. Schließlich sei die NBA "ein Business", erklärte Barnes einst in einem Interview mit The Atlantic.
"Du erwirtschaftest viel Kapital und hast zudem eine Plattform, die dir ermöglicht, damit alles zu tun, was du möchtest." Deshalb sei es in seinen Augen Verschwendung, wenn jemand professionell Basketball spiele, seine Chance aber nicht auch abseits des Courts nutze.
Barnes sprach damals sicherlich nicht wie der klassische 19-Jährige, der am Beginn einer vielversprechenden Sportlerkarriere steht. Vielleicht dachte er zunächst auch ein wenig zu intensiv über etwaige Businesschance, über seine Marke nach. Denn rein sportlich gab es nach dem College und speziell nach der zweiten Saison in Oakland relativ wenig, das hätte beworben werden können.
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Seite 2: Retter Kerr und Herausforderung LeBron
Auftritt: Steve Kerr. Wo Mark Jackson bei seinem Amtstritt das Hauptaugenmerk auf Golden States damals desaströse Defense gelegt hatte, stand auf der Agenda des neuen Trainers das Kreieren einer flüssigeren, effektiveren Offense. Weniger Isolations, dafür mehr Ballmovement, mehr Bewegung abseits des Spalding. Die Vorzüge aller sollten besser zur Geltung gebracht werden.
Sicherlich fußte Kerrs Idee also nicht einzig und allein auf der Hoffnung, Barnes' Stärken besser hervorzuheben, gelungen ist es dennoch. Golden States "neue" Offense passt einfach besser zum Swingman, die Konstellation auf dem Court ebenso. Durch die Rückkehr in die erste Fünf spielt Barnes seit dieser Saison wieder an der Seite von Curry, Thompson, Draymond Green und Andrew Bogut. So ist er bei weitem nicht mehr erste Option, nicht mehr im Fokus der Defense. Dafür kann Barnes seine Stärken in Transition, als Cutter oder Spot-Up-Shooter ausnutzen.
Allein deshalb war Kerrs Schritt, die Rollen des Offball-Spezialisten Barnes und des Ballhandlers Iguodala zu tauschen, so unglaublich wertvoll. Für das gesamte Team, aber auch für Barnes persönlich. Denn individuell hat sich der Swingman in nahezu allen Kategorien deutlich gesteigert, legt sowohl beim True Shooting (57,3 Prozent gegenüber 48,6 Prozent vergangene Saison), als auch der Rebound Rate (10,5 gegenüber 7,7) und beim Player Efficiency Rating (13,41 gegenüber 9,85) Karrierebestwerte auf.
Defensive Effizienz dank Barnes
Barnes scheint seine Rolle gefunden zu haben und übernimmt mittlerweile sogar Verantwortung, wenn es bei den Splash Brothers einmal nicht laufen möchte oder einer der beiden Shooting-Virtuosen frühzeitig Foulprobleme bekommt. So prägte er in Spiel 5 der Western Conference Finals mit 9 Punkten in Serie Golden States entscheidenden Lauf. Mit Barnes auf dem Court erzielen die Warriors auf 100 Possessions hochgerechnet 10,2 Punkte mehr als der Gegner, ohne den Forward beträgt das Net Rating nur noch 4,7 Zähler. Rein statistisch macht kein Dub einen größeren Unterschied aus.
Und schon bewegt man sich langsam, aber sich wieder in Richtung Kawhi Leonard. Schließlich ist Golden States Defense in den Playoffs einzig mit Draymond Green minimal effizienter als mit Barnes (Defensive Rating 96,3 gegenüber 96,4).
Stark genug für Z-Bo
Tatsächlich scheint es, als könne der Forward wirklich alle fünf Positionen verteidigen, wie es ihm Mark Jackson einst nach dem Draft bescheinigte. "Das macht Harrison einzigartig", sagt mittlerweile auch Steve Kerr. "Er ist - natürlich mit Hilfe - stark genug, einen wie Zach Randolph zu verteidigen. Er ist stark genug, einige der besten Power Forwards der Liga zeitweise einzudämmen. Und er ist schnell genug, um auf einen Point Guard zu switchen."
Das nächste Lob. Doch erneut sind Kerrs Worte mehr als nur bloßes Hochlebenlassen eines seiner Spieler. Barnes nahm sich in Runde zwei tatsächlich zeitweise Randolphs an - und machte seine Sache gut. Ganz allgemein hält er Power Forwards in dieser Saison bei einem Player Efficiency Rating von 13,8.
Und genau dieser Fakt dürfte für die Finals nicht uninteressant sein. Dort wird es Barnes nämlich nicht selten mit LeBron James zu tun bekommen. Faktisch zwar ebenfalls Small Forward, gemeinhin allerdings auch gern als Point Forward oder Power Guard bezeichnet. So nutzte der vierfache MVP in den Playoffs bislang nur zu gern seine Kraftvorteile, um beispielsweise DeMarre Carroll oder sogar Jimmy Butler in Richtung Zone zu schieben. Dort angekommen punktete James entweder selbst oder kreierte für seine Mitspieler.
Duel mit LeBron: Kawhi, die Zweite?
Nun ist sicherlich nicht auszuschließen, dass auch Barnes ab dem 4. Juni hin und wieder ein ähnliches Schicksal ereilt. Andererseits hält der Black Falcon die Quoten seiner Gegenspieler weniger als drei Meter vom Korb entfernt 5,4 Prozent unter dem Saisonschnitt, weiß sich in Ringnähe also durchaus zu behaupten.
Das bedeutet zwar nicht, dass Barnes LeBron wird stoppen können. Das kann niemand, wie James während seines Vergleichs mit Steph Curry so selbstbewusst wie treffend formulierte. Allerdings haben die Warriors einen, der sich dem vierfachen MVP entgegenstellen kann.
Nun besitzt Barnes sicherlich nicht die Exklusivrechte auf das Verteidigen von LeBron. Zwar dürfte Andre Iguodala angesichts der Kombination aus seinen Fähigkeiten, Passwege schnell zuzumachen, und Clevelands Liebe zum Drive-and-Kick eher selten ins Eins-gegen-Eins mit James gehen. Dafür besitzen die Warriors mit Draymond Green einen weiteren, ungemein vielseitigen Defender, dessen Wege sich definitiv mit denen des vierfachen MVP kreuzen werden. Auch Klay Thompson ist eine Option.
Primär wird es LeBron zunächst dennoch mit Harrison Barnes zutun bekommen. Mit einem athletischen, kräftigen Flügel. Mit einer Art Verteidiger, die ihm bereits während der vergangenen beiden Finalserien Probleme bereitete. Der Gegenspieler damals: Kawhi Leonard.
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