"Dont mess with the Spurs, man." Als sich die US-amerikanische Twitterlandschaft am Samstagabend gegen neun Uhr deutscher Zeit überschlug, brachte Grantlands Zach Lowe in seinen 30 Zeichen genau das zum Ausdruck, was jeder Basketball-Fan irgendwo in sich drin in diesem Moment wohl verspürte: Respekt. Respekt für und vor den San Antonio Spurs.
Sie hatte es wieder einmal geschafft, diese Franchise aus der vergleichbar kleinen und unscheinbaren Stadt im Süden von Texas. Nicht die von Glamour und Stars umgebenen Teams aus Los Angeles oder New York. Nicht das junge, aufstrebende Team der Phoenix Suns.
Nein, die vermeintliche Rentnertruppe der Spurs bekam den Zuschlag im Rennen um LaMarcus Aldridge und vermochte es somit erneut, den komplizierten und hart umkämpften Alltag in der NBA irgendwie so einfach aussehen zu lassen wie einen Turnaround-Jumper übers Brett von Tim Duncan.
Eine neue Dimension
Die Spurs hatten die Nase vorne gehabt. Wieder einmal, möchte man sagen. Dabei stellt die Verpflichtung von Aldridge eigentlich keine Kontinuität im Modell der Spurs dar. Sie ist ein Schritt weiter, eine neue Dimension.
San Antonio ist das erfolgreichste NBA-Team der vergangenen 20 Jahre. 18 Mal in Folge zog die Franchise in die Playoffs ein, nur vier Mal war in der ersten Runde Schluss, fünf Mal stand am Ende die Meisterschaft. Und doch waren die Spurs nie ein entscheidender Faktor im Kampf um große Free Agents.
Tony Parker wurde 2001 mit dem 28. Pick von den Spurs ausgewählt, bei Manu Ginobili war es 1999 der 58. Pick, Tiago Splitters Name ertönte an 28. Stelle, Tim Duncan und David Robinson waren Nummer-1-Picks, Danny Green kam aus der D-League und für Kawhi Leonard schickte General Manager R.C. Buford 2011 George Hill nach Indiana.
Der größte Free Agent der Geschichte
Bis zum Samstag hörten die größten Stars, die die Spurs jemals in der Free Agency für sich gewonnen hatten, auf die Namen Bruce Bowen, Brent Barry oder Michael Finley. Gute NBA-Spieler, keine Frage. Allerdings keine Superstars. So wie Aldridge einer ist.
Der Power Forward stößt als viermaliger All-Star zu den Spurs, er ist dreimaliger All-NBA-Teamer, amtierender Bestandteil des All-NBA-Second Teams und in Portland als bester Rebounder, zweitbester Scorer und viertbester Shotblocker der Team-Geschichte bereits eine Legende.
Top-Favorit auf den Titel
Der Weg, der nun vor dem 29-Jährigen liegt, ist ein neues Kapitel in seiner Karriere. Neun Jahre lang spielte Aldridge für die Blazers. Den Großteil dieser Zeit war er der Star des Teams, Erfolg war jedoch rar gesät. Fünfmal zog er in die Playoffs ein, auf seine erste gewonnene Serie musste er bis zum Jahr 2014 warten. Ein ernsthafter Titelanwärter war die Nummer 12 mit seinem Team nie.
Die Situation in San Antonio ist eine gänzlich andere. Über Nacht wurden die Spurs mal wieder zu einem der Top-Favoriten auf den NBA-Titel der kommenden Saison. Das Ziel ist somit vom ersten Tag an klar. In Aldridges neuer Heimatstätte wird ein Aus in den Conference Semifinals ganz sicher keinen Erfolg mehr darstellen.
Keine Schwachstellen in der Offensive
Die Starting Five der Spurs sucht in der Liga ihresgleichen. Leonard, Aldridge und Duncan gehörten in der vergangenen Saison zu den besten Spielern auf ihrer Position, auch Parker und Green verfügen über mehr als nur durchschnittliche Qualität.
Dieses vielfältige Waffenarsenal soll vor allem Aldridge zu Gute kommen. Über die vergangenen Saisons fuhren die Spurs die Anzahl an Screen-Action-Plays für Duncan merklich zurück. In der letzten Spielzeit nahm der 39-Jährige nur noch 18 Jumper nach gestellten Blöcken.
Diese Rolle soll nun vornehmlich Aldridge zukommen. Der Big Man gehört zu den besten Mitteldistanz-Schützen der Liga, mit dem beweglichen, aber kräftigen Leonard als Blocksteller, Green als Schützen aus der Ecke und Duncan als Passer aus dem High-Post verfügt San Antonio über die perfekten Bestandteile, um den 29-Jährigen in seine favorisierten Wurfpositionen auf dem linken Flügel zu bringen.
Direkt die erste Option?
In Portland war Aldridge die klare erste Option im Angriff. Über die vergangenen vier Saisons wies er eine Usage Rate von 28,4 Prozent auf, im letzten Jahr waren es sogar 30,2 Prozent. Während die Spurs voll auf Teambasketball setzten, versuchte Terry Stotts Aldridges Klasse in der Offensive zu nutzen, um dessen Mitspielern mehr Raum zu ermöglichen.
Unter Gregg Popovich dürfte nun ein Kompromiss aus beiden Spielweisen zu erwarten sein. Die Spurs werden ihre Spielweise für den Neuzugang nicht gänzlich umstellen, weiter auf viel Ball Movement setzen und trotz Aldridges Fähigkeiten im Lowpost nur wenige Back-to-the-Basket-Isolations spielen.
Dennoch soll und muss der Forward große Verantwortung in der Offensive übernehmen. An San Antonios ehemaliger erster Option Parker beginnt der Zahn der Zeit zu nagen. Popovich übertrug im letzten Jahr mehr und mehr Last auf die Schultern von Leonard und Green, dennoch benötigte das Team eine weitere hochqualitative Option. Diese ist nun gefunden.
Als besonders wertvoll dürften die Spurs Aldridges "neue" Fähigkeit erachten: Den Dreier. In der vergangenen Saison drückte der Power Forward 105 Mal von Downtown ab. In den acht Spielzeiten zuvor waren es insgesamt 116 Versuche. Dass Popovich Big Men mit einer großen Reichweite besonders schätzt, sah man in der Vergangenheit immer wieder in Spielzügen für Matt Bonner oder Boris Diaw, der erst bei den Spurs zu einer validen Option von außen umfunktioniert wurde.
Die Defensive als Fragezeichen
Das einzige kleinere Fragezeichen, das hinter der Verpflichtung des ehemaligen Blazers steht, ist seine Defensive. Aldridge ist nicht als herausragender Verteidiger bekannt, mit 0,36 Punkten in 100 Possessions lag er im Real-Plus-Minus-Ranking im letzten Jahr nur leicht über dem Durchschnitt auf seiner Position. Zum Vergleich: Tiago Splitter lag mit 2,7 Punkten auf Rang zehn aller Center.
Dennoch sollte dieser Punkt nicht für allzu viele Sorgenfalten auf der Stirn von Pop sorgen. Zum einen glänzten die Spurs in der Vergangenheit immer wieder mit einer hervorragenden Team-Defense und zum anderen hat Aldridge bereits bewiesen, dass er durchaus verteidigen kann - sofern er offensiv entlastet wird. Als die Blazers 2013/2014 relativ verletzungsfrei durch die Saison kamen, erreichte er 3,23 Punkte. Ein Top-Wert!
Der Nachfolger Duncans
Diese defensiven Fähigkeiten werden auch in San Antonio vonnöten sein. In erster Linie dann, wenn Duncan seine Pausen auf der Bank bekommt. Für gewöhnlich wird The Big Fundamental in der Defensive näher am eigenen Korb agieren, Aldridge hat jedoch genug Länge, um an der Seite von Boris Diaw oder Kawhi Leonard im Frontcourt zu spielen.
Wie oft Popovich auf diese Aufstellung zurückgreifen wird und zurückgreifen kann, bleibt jedoch noch abzuwarten. Aldridge will kein Center sein. Ein Meeting mit den Knicks sagte er angeblich im Voraus ab, da diese ihn primär auf der Fünf einsetzen wollten.
Auch in San Antionio dürfte der 29-Jährige um diese Rolle jedoch nicht gänzlich herumkommen, auch wenn sich das Team stark um David West und Carlos Boozer bemüht. Aldridge ist keine reine Addition zu Duncan. LMA passt zu Timmy, ist aber wohl in erster Linie dessen Nachfolger bei den Spurs.
Die Zukunft der Franchise
Mit den Vertragsverlängerungen von Green und Leonard bildete GM Buford zusammen mit der Verpflichtung von Aldridge den Kern für die Zukunft. Der Power Forward wird zwar bereits 30, dürfte aufgrund seines nur wenig auf Athletik basierenden Spiels aber noch einige starke Jahre vor sich haben. Sein Vertrag läuft schließlich nicht rein zufällig über vier Jahre.
Zusammen mit Green und Leonard soll Aldridge die Zukunft der Franchise prägen. Der 29-Jährige ist nicht nur auf dem Feld Duncans Nachfolger, sein Gesamtbild passt zum Team aus Texas. Er scheut Interviews, und wer sein Gesicht in Werbespots sehen will, muss durchaus ein Weilchen suchen.
Es war der junge Damian Lillard, der in Portland einen dicken Deal mit adidas eintütete und die Cover zahlreicher Zeitschriften zierte. Der ruhige, geradezu stoische Aldridge hielt sich meist im Hintergrund - ähnlich wie es Duncan in San Antonio tat und wie es ihm Leonard nun gleichzutun scheint.
Durch die Moves in der aktuellen Free Agency hat sich San Antonio nicht nur kurzfristig wieder zu einem der größten Titelkandidaten aufgeschwungen. Dank seines neuen Kerns scheint auch die Zukunft der Franchise gesichert. Es ist und bleibt eben so, wie es zahlreiche Twitter-User am Samstagabend gegen neun Uhr schrieben: "The Spurs will never die!"