Die Pistons verfolgen einen Plan. Stan van Gundy hat den Sommer akribisch vorbereitet und fast perfekt umgesetzt. Das gewünschte Abziehbild seines alten Teams ist beinahe komplett, doch auf dem Weg zu einem dominanten Inside-Out-Team muss Detroit noch mehrere Hindernisse überwinden.
Am 9. Juli um 00:01 klingelte das Telefon von DeMarre Carroll. Hallo, Stan van Gundy hier. Ob sich Caroll vorstellen könne, für Detroit zu spielen, wollte SVG wissen. Ja, grundsätzlich schon. Doch letztendlich entschied sich weder der Hawks-Swingman noch das zweite Pistons-Ziel der Free Agency, Danny Green, für die Motor City.
Blöd gelaufen. Dabei stand die Suche nach einem Flügelspieler ganz oben auf der Prioritätenliste von van Gundy, Coach und President of Basketball Operations. Denn was wäre seine patentierte Inside-Out-Offense der alten Magic-Tage ohne einen wurfstarken Swingman, der auch mal in die Zone ziehen kann?
Dennoch war die Offseason für Detroit eine ziemlich erfolgreiche. Das langfristige Konzept wurde einen weiteren Schritt voran gebracht - die Transformation der Pistons nach SVGs Vorstellung ist beinahe perfekt.
Mit Geduld zum Ziel
Anstatt sich nach den Absagen sofort auf die nächstkleineren Fische zu stürzen, übte sich Detroit in Geduld - und machte damit alles richtig. Auf der Suche nach Cap Space boten die Phoenix Suns den Pistons einen Deal an, den SVG und Co. nicht ablehnen konnten: Marcus Morris, Reggie Bullock und Danny Granger gegen einen 2020er Zweitrundenpick. Wo müssen wir unterschreiben?!
Mit Morris gewinnt das Team einen bulligen Verteidiger hinzu, der auch von außen trifft (36,3 Prozent 3FG). Eine Qualität, die fast jeder Spieler bei SVG mitbringen muss. Der Abgang von Greg Monroe zu den Bucks schmerzt zudem gar nicht so sehr, wie man vielleicht denken würde.
Zwar verliert Detroit in ihm einen soliden Starter, letzten Endes ist aber wohl jeder in der Organisation froh, den Big Man nach dem Offseason-Drama des letzten Jahres los zu sein. Angeblich hatte Agent David Falk seinen Klienten dazu überredet, bei keinem Team ein Offer Sheet zu unterschreiben, damit die Pistons es nicht matchen und den Power Forward so langfristig an sich binden können.
In van Gundys Konzept stand Monroe im Frontcourt ohnehin nur an zweiter Stelle. Und zwar mit großem Abstand. Die Nummer eins? Andre Drummond. Nach den neusten Umbaumaßnahmen wird sich kommende Saison alles um den 9. Pick des Drafts 2012 drehen.
Old School ist in
Drummond ist die Zukunft der Pistons - und genau deshalb holten die Verantwortlichen vergangenen Sommer SVG in die Motor City. Schon in Miami und Orlando war der 55-Jährige mit seinem geliebten 4-1 System erfolgreich, in Detroit hatte er mit Drummond von Anfang an das wichtigste Puzzleteil im Team: einen athletischen und potenziell dominanten Center.
Schritt für Schritt hat Stan the Man das Pistons-Roster seiner Ideologie angepasst und mit dem Segen von ganz oben - in diesem Fall nicht Gott, sondern Besitzer Tom Gores - ließ er keinen Stein auf dem anderen. Mit Drummond steht nur noch ein Spieler aus der Prä-van-Gundy-Ära im aktuellen Kader. Ein einziger Spieler. Und das Herzstück des Systems.
Low im Post?
Dabei gibt es außerhalb Detroits so manche Zweifler, dass es Drummond wirklich zum All-Star schaffen wird. Vor allem seine überhasteten Aktionen im Low-Post und die bisher noch fehlende Fußarbeit muss der 21-Jährige verbessern, damit van Gundys Konzept überhaupt funktionieren kann.
Zwar kam Goose vergangene Saison auf beeindruckende 13,8 Punkte, 13,5 Rebounds und 1,9 Blocks pro Spiel - in Post-ups erzielte Drummond aber lediglich 0,69 Punkte pro Possession. Unter allen Spielern, die mehr als 200 Mal im Low Post operierten, war das der schlechteste Wert. Warum sollte ihn ein gegnerisches Team also doppeln?
Unweigerlich kommt der Vergleich mit Dwight Howard in dessen jungen Jahren auf, Freiwürfe treffen kann Drummond zudem nämlich auch nicht sonderlich gut (39 Prozent). Aber die Gegenüberstellung der beiden Center lässt auch hoffen. D12 steigerte sich im Post zwar nicht auf Hakeem-Niveau, aber dank seiner Inside-Präsenz gelang es den Orlando Magic 2009, unter van Gundy bis in die Finals vorzustoßen.
Ja nachdem, wie lange Drummond braucht, um sich effektive Post-Moves anzueignen, könnte sich das Projekt in Detroit aber noch eine Weile hinziehen. Denn wenn der Center trotz seiner beeindruckenden Athletik weiterhin nicht in der Lage ist, sich regelmäßig im 1-on-1 durchzusetzen, ist für die Shooter am Perimeter statt Dreier reinzupflastern eher Däumchen drehen angesagt.
Let it rain
Die Shooter. Das sind Jodie Meeks, Ersan Ilyasova und Kentavious Caldwell-Pope. Mit Abstrichen auch Brandon Jennings und Steve Blake. Sie alle verfügen über einen guten Distanzwurf, der Verteidiger binden und unter dem Korb Platz für Drummonds Aktionen schaffen soll.
Hinter Jennings stehen dabei allerdings ein paar Fragezeichen. Im Januar riss sich der Point Guard die Achillessehne, eine Verletzung von der so mancher NBA-Spieler als Schatten seiner selbst zurückgekehrt ist. Die Verpflichtung von Veteran Blake verschafft den Pistons in Jennings Abwesenheit eine solide Alternative auf der Eins und gibt dem Rekonvaleszenten die Zeit, die er braucht.
Sollte Jennings wieder zu alter Stärke zurückfinden, ergäbe sich im Backcourt ein Luxus-Problem. Die beste Lösung wäre wohl ein Trade - dank seines 8,3 Mio. Dollar schweren, auslaufenden Vertrags ist das kein Sudoku der höchsten Kategorie. Kommt Jennings vor Jahresende auf die Beine und liefert bis zur Trade-Deadline ordentlich ab, werden die Interessenten Schlange stehen.
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Überbezahlt? Auf keinen Fall!
Starting Point Guard ist und bleibt Reggie Jackson, der im Sommer seine drei Kreuze unter eine Vertragsverlängerung über gleich fünf Jahre gesetzt hat. Neben dem Morris-Trade die entscheidende Aktion der Offseason in Detroit und der Grund, weswegen das Publikum im Palace of Auburn Hills kommende Saison von einem Playoff-Platz träumen darf.
Auch wenn manch einer - inklusive Wizards-Spielmacher John Wall - Jacksons Salär von 80 Mio. Dollar für übertrieben hält: Nein, der quirlige Point Guard ist definitiv nicht überbezahlt. Walls Aussage "Ich verdiene das gleiche wie Reggie Jackson!" sorgte für breites Amusement und auch im Kreise der Medien für Zustimmung. Aber erinnern wir uns doch mal zurück an den Sommer 2013.
Ein gewisser John Wall hatte eine gute dritte Saison als NBA-Profi gespielt: 18,5 Punkte, 7,6 Assists, 4,0 Rebounds, 44 Prozent FG und 27 Prozent 3FG waren seine Ausbeute. Als Konsequenz forderte er - wie inzwischen ja fast jeder, der den Spalding halten kann - eine Vertragsverlängerung zu maximal möglichen Bezügen.
In Washington schenkte man dem damals noch wurfschwachen und turnover-anfälligen Wall das Vertrauen und baute auf seine Entwicklung. Ihn mit einem Max-Deal auszustatten und damit zum Eckpfeiler der Franchise zu machen, hätte zu diesem Zeitpunkt nicht jedes Team gewagt. Die Wizards schon.
Jackson > Wall?
Die Situation bei Jackson ist nahezu identisch. Mit 17,6 Punkten, 9,2 Assists, 4,7 Rebounds, 44 Prozent FG und 34 Prozent 3FG hat er in seiner Zeit bei den Pistons insgesamt sogar bessere Zahlen aufgelegt als Wall.
Vor dem Hintergrund des steigenden Salary Cap und der dünnen Free Agency Class von 2016, in der Jackson zum Restricted Free Agent geworden wäre, ist der Deal für die Pistons richtig knorke. Nächsten Sommer hätten sie bei einer weiteren Leistungssteigerung ihres Aufbauspielers und dem omnipräsenten Cap Space für Jacksons Dienste einige Millionen drauflegen müssen.
Zusätzlich zur langfristigen Sicherheit bringt Jackson mit seinem starken Pick-and-Roll-Game eine der wichtigsten Qualitäten für das Zusammenspiel mit einem Center wie Drummond mit. Und kaum ein Coach ist so verliebt in das P&R wie van Gundy.
Jacksons Passqualitäten werden Detroit auch im Fastbreak zugutekommen. Wenn er gemeinsam mit Drummond und High Flyer KCP ins Laufen kommt, müsste es mit dem Teufel zugehen, wenn der Abschluss des Spielzugs nicht in den täglichen Top 10 zu finden ist.
Der Anti-Drummond
Mittelmäßig, sub-optimal, so lala. Die Assoziationen mit der Pistons-Bank waren in den letzten Jahren alles andere als euphorisch - jetzt sieht das Ganze ein wenig anders aus. Mit Aron Baynes holte Detroit einen soliden Backup-Center für die geschätzten zwölf drummondlosen Minuten.
Sollte Hack-a-Center-who-can't-hit-freethrows kommende Saison auch in Detroit howardeske Ausmaße annehmen, wäre Baynes die richtige Wahl. Den Beinamen Anti-Drummond bekommt er aber nicht nur, weil er einer der besten Bigs von der Linie ist (84 Prozent FT).
Der zweite Grund: Anzeichen von Athletik sucht man bei Baynes vergeblich. Seine Punkte erzielte der 28-Jährige bisher vor allem dank guter Fußarbeit, seiner Raffinesse und - nicht zu unterschlagen - dank des Ball Movements der Spurs. Nun muss der in Neuseeland geborene Australier beweisen, dass er auch außerhalb der Wohlfühl-Oase San Antonio abliefern kann.
Neben dem Jahresgehalt von 6 Mio. könnten Baynes' defensive Qualitäten zum Problem werden. Mit Drummond als Rim Protector will van Gundy ein bisschen von der Bad-Boys-Defense früherer Tage zurück nach Detroit bringen. Aber was bringt das, wenn die Second Unit selbst Rasheed Wallace mit seinen 40 Jahren nicht am Dunking hindern könnte?
Der alte Mann und der See
Es ist eine Schande. Danny Granger letzte Saison spielen zu sehen, tat im Herzen weh. Man kann es nicht anders sagen. Den einstigen Allstar und Franchise-Player der Pacers nach seinen Verletzungen in Miami so zu erleben - ohne Spielfreude, ohne Selbstbewusstsein, ohne Rolle - es war einfach grausam.
spoxLediglich 76 Spiele hat der Swingman in den letzten vier Jahren absolviert, am Eriesee bekommt der körperlich alte Mann (eigentlich ist er ja erst 32) die letzte Chance, einen Beitrag zu leisten. Man kann allerdings nur beten, dass er ein van-Gundy-Trainingscamp verletzungsfrei übersteht und es ins Team schafft. Wenn ja, könnte er den Part des erfahrenen Veteranen übernehmen, den jungen wilden zur Seite stehen und ab und zu ein paar Dreier einstreuen.
Ersan, der neue Hedo
Regelmäßig erwartet wird das hingegen vom neuen Power Forward Ersan Ilyasova. Abgesehen von seinem Ex-Schützling Ryan Anderson hätte SVG wenige bessere Frontcourt-Partner für Dummond finden können. Im Tausch für Caron Butler war der Türke trotz der schwächeren letzten Saison ein Steal.
Hinter Ilyasova, der verglichen mit van Gundys altem Magic-Team am ehesten den Part von Hedo Turkoglu übernimmt, sind die Pistons mit Anthony Tolliver und Cartier Martin nicht herausragend aufgestellt. Zur Not kann aber auch Morris einige Minuten als Power Forward abreißen.
Jodie Meeks und Reggie Bullock als Backups auf der Zwei runden die gute Bank ab. Fehlt eigentlich nur noch ein junger Spieler mit Entwicklungspotenzial für den Flügel. Auftritt Stanley Johnson.
Stan draftet Stan
Es wird wohl nicht am gleichen Vornamen gelegen haben, dennoch durfte sich Johnson vor dem feuchten Händedruck von Commissioner Adam Silver ein Pistons-Cap aufsetzen - und nicht nur die Fans waren irritiert.
In Justise Winslow war schließlich ein frisch gebackener NCAA-Champion und laut einhelliger Meinung besserer Flügelspieler noch auf dem Board. Doch Stan entschied sich für Stan - und die bisherigen Eindrücke in der Summer League stützen seine Wahl.
Als variabel einsetzbarer Swingman zeigte Johnson in Orlando mit 16,2 Punkten, 6,8 Rebounds und einer Trefferquote von 58 Prozent aus dem Feld eine äußerst starke Vorstellung. Übersicht und gutes Entscheidungsverhalten sprechen ebenfalls dafür, dass Johnson Morris im Laufe der Saison den Platz in der Starting Five abjagen könnte.
Genau darauf hofft van Gundy. Die Entwicklung der jungen Spieler, allen voran natürlich von Drummond, Johnson, Jackson und Caldwell-Pope bildet der Fokus der Saison. Mit einem Auge schielt der geneigte Pistons-Fan aber auch Richtung Playoffs. Und das zu Recht.
Ende der Durststrecke?
Das Rennen um die Plätze 6-10 der Eastern Conference wird wieder genau so eng wie vergangene Saison - und Detroit darf sich durchaus Chancen ausrechnen, das erste Mal seit sieben Jahren Fan-Shirts mit sprachlich hochwertigen Slogans auf die Sitzplätze des Palace legen zu können.
Dennoch müssen sich die Pistons die Frage gefallen lassen, ob ein Center-fokussiertes Spiel in Hochzeiten von Small Ball wirklich eine Chance bietet, in den nächsten Jahren um den Titel mitzuspielen. Van Gundy wird versuchen, es zu beweisen.
Im Gegensatz zu einigen anderen Franchises verfolgt man in Motor City immerhin einen konkreten Plan. SVG hat seine Umbaumaßnahmen akribisch vorbereitet und in der Offseason abgeschlossen. Was zum Vorschein kommt, ist ein Abziehbild seines Magic-Teams der späten 2000er. Fehlt nur noch Disney Land - van Gundy würde den Unterschied zu damals selbst wohl kaum noch merken.
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