NBA

Im Schatten tickt die Uhr

Wie lange spielen Kevin Durant (l.) und Russell Westbrook noch zusammen?
© getty

Nach einer Saison aus der Hölle blieben die Oklahoma City Thunder in der Offseason ruhig - mal wieder. Abgesehen von der Weiterverpflichtung Enes Kanters gingen ihre Machenschaften daher nahezu unter. Dabei steht die Franchise vor einem Jahr, das wegweisend für ihre Zukunft sein wird. Der Erfolgsdruck war niemals größer.

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Hand aufs Herz: Wer hatte in den vergangenen Playoffs noch das lästige Gefühl, dass etwas fehlte? Es gab guten und spektakulären Basketball zu sehen, keine Frage. Aber fehlte nicht etwas beziehungsweise jemand? Zum Beispiel der damalige MVP und sein bis zur Besinnungslosigkeit kämpfender Sidekick mit den wirren Klamotten?

Nicht, dass die Warriors den Titel nach ihrer überragenden Saison nicht verdient gehabt hätten. Allerdings konnten sie auf dem Weg dahin zweifelsohne einigen Hochkarätern entgehen. Den Spurs, die in einer epischen Erstrundenserie den Clippers unterlagen. Den Clippers, die gegen Houston alle wesentlichen Aspekte des Basketballs verlernten wie die Opfer der Monstars in "Space Jam". Und eben auch den Thunder.

Die hätten zwar ohnehin nicht in voller Mannsstärke antreten können, hatten aber bis zum Ende um den letzten Playoff-Platz im Westen gekämpft. Dass sie diesen aufgrund eines Tie-Breakers verloren, war nur ein weiterer Nackenschlag - und der passende Abschluss für eine völlig verkorkste Saison, nach der auch noch der langjährige Coach Scott Brooks entlassen und durch Billy Donovan ersetzt wurde.

Westbrook: "Ich sitze zuhause"

Es verhieß schon nichts Gutes, als Kevin Durant sich vor der Saison den Fuß brach und operiert werden musste. Zuvor hatte der MVP von 2014 in sieben Saisons ganze 16 Spiele verpasst, nun drohte ihm erstmals ein längerer Ausfall. Es kam noch schlimmer: KD kam zu früh zurück, verletzte sich erneut und absolvierte insgesamt nur 27 Spiele.

Dass OKC ohne seinen besten Spieler überhaupt an den Playoffs schnupperte, hatte vor allem mit Russell Westbrook zu tun, der über 67 Spiele irrsinnige 28,1 Punkte, 8,6 Assists und 7,3 Rebounds auflegte und es dabei mit der ganzen Welt aufnahm. Er wurde sogar Liga-Topscorer - kein Trost. "Was hilft mir das? Ich sitze zuhause und sehe anderen Leuten zu, wie sie in den Playoffs spielen", klagte er nach dem Ende der Saison.

Auch ein Trip in die erste Runde hätte an dieser Enttäuschung aber nichts geändert. In Oklahoma City herrschen andere Ansprüche, was auch die Entlassung von Brooks verdeutlichte. Seit 2010 haben nur die Spurs mehr Spiele in der Regular Season gewonnen, selbst wenn man die verkorkste letzte Saison ("nur" 45 Siege) mit einberechnet.

Das große Damoklesschwert

Die Thunder sind eigentlich reif für den Titel - nicht nur ihrer eigenen Ansicht nach. In den letzten drei Jahren verletzten sich jedoch stets entweder Serge Ibaka, Durant oder Westbrook zu unmöglichen Zeitpunkten, und langsam schwindet die Zeit. Über der kommenden Saison schwebt ein riesiges Damoklesschwert, auf dem die Worte "Kevin Durant wird Free Agent" eingraviert sind.

KD hat bis dato nicht signalisiert, was er im Sommer vorhat. Unterschreibt er lang- oder kurzfristig, um den Ansprung des Salary Caps zu nutzen? Legt er großen Wert darauf, seine ganze Karriere bei einem Team zu verbringen und neben seinem Kumpel Westbrook zu spielen? Oder hat er genug von einem der kleinsten Märkte der Liga?

Klar sind derzeit eigentlich nur zwei Dinge. Zum einen wird die halbe Liga genug Cap Space haben und KD zu einem der begehrtesten Free Agents aller Zeiten machen. Etliche Teams, wie zum Beispiel seine heimatlichen Wizards, planen seit Jahren für diesen Sommer. Fakt Nummer zwei: OKC hat mehr Druck denn je, sich den Titel zu sichern. Erfolg ist oft das beste Argument für einen Verbleib.

Nur Payne ist neu

Vor diesem Hintergrund mag es sonderbar erscheinen, dass GM Sam Presti in diesem Sommer mal wieder konservativ unterwegs war. Der einzige neue Spieler ist Point Guard Cameron Payne, den die Thunder an Position 12 auswählten. Jeremy Lamb und Perry Jones III hingegen wurden für Cap-Space und einen zukünftigen Zweitrundenpick verscherbelt.

Zudem wurden zwei Spieler mit neuen Verträgen ausgestattet, die erst während der Vorsaison zum Team stießen. Kyle Singler blieb für 5 Jahre und 25 Millionen Dollar - ein Deal, bei dem eigentlich nur die lange Laufzeit überraschte. Das lässt sich über Enes Kanter freilich nicht sagen, dem in den nächsten vier Jahren stolze 70 Millionen Dollar zustehen.

Eine gewaltige Summe für einen "reinen" Offensivspieler, auch wenn seine 26 Spiele für OKC (18,7 Punkte, 11 Rebounds) durchaus gut waren und er noch viel Entwicklungspotenzial besitzt. Allerdings wollte man den Restricted Free Agent eben nicht ohne Gegenwert verlieren - und sich angesichts KDs anstehender Free Agency sicher auch nicht (wieder) als geiziges Team präsentieren.

Das ist nun zweifelsfrei geschafft. Mit 14 Spielern unter Vertrag steht OKC heuer bei fast 96 Millionen Dollar an Gehältern und damit tief im Luxussteuer-Bereich, den Presti vor der letzten Saison noch regelmäßig mied wie Dion Waiters den Pass zum offenen Mitspieler. Ob man in diesen Bereich nicht besser mit James Harden statt mit Kanter vorgestoßen wäre, soll hier nicht diskutiert werden.

Donovan als Verfechter des Ball-Movements

Im Prinzip kommt die Offseason einem klaren Statement gleich: Presti und Co. sind überzeugt, dass ihr jetziges Team gut genug ist, und haben daher gar nicht erst versucht, durch Trades signifikante Änderungen vorzunehmen. Die Bausteine sind da, jetzt liegt es am Schicksal - und natürlich an Donovan, der die eindimensionale Offense der letzten Jahre mit seinem Fokus auf Ball-Movement variabler aufstellen soll.

"Sie waren mit ihren ganzen Verletzungen zuletzt nicht in der Lage, eine echte Identität zu kreieren", sagte der neue Coach kürzlich zu ESPN und versprach, dies ändern zu wollen. Donovan ist zwar ein NBA-Debütant, hat am College allerdings große Erfolge gefeiert und sich bereits jetzt, ähnlich wie Steve Kerr im Vorjahr, einen erfahrenen Coaching Staff zusammengestellt (unter anderem mit Mo Cheeks und Monty Williams).

Dieser Staff muss einige Fragen beantworten. Soll der enorm defensivschwache Kanter starten? Geht man den Small-Ball-Trend mit und stellt KD regelmäßig auf die Vier? Ist Andre Roberson die Lösung auf der Zwei, oder bekommt Waiters den Vorzug? Und muss Durant zumindest zu Beginn der Saison ein Limit bekommen (ebenso wie Westbrook, der drei Knie-Operationen in 13 Monaten hinter sich hat)?

Durant: "Ich kann es nicht erwarten"

Auch wenn die Schlagzeilen im Sommer andere Teams bekamen und OKC etwas in Vergessenheit geriet, haben die Thunder auf dem Papier trotz allem einen der besten und tiefsten Kader der Liga. Sie verfügen über Tiefe und Flexibilität auf allen Positionen und haben zwei absolute Superstars, die ihre Enttäuschung in Wut umfunktionieren werden.

Sowohl Durant als auch Westbrook waren in der Las Vegas Summer League am Start, beide stehen schon seit Monaten in Kontakt mit Donovan. "Ich bin heiß. Ich kann es nicht erwarten, endlich wieder Basketball zu spielen und meine harte Arbeit belohnt zu sehen", so Durant, der zum Start des Training Camps wohl wieder dabei sein wird.

Auch bei Westbrook muss man sich traditionell keine Sorgen machen, dass es an Motivation fehlen könnte - wahrscheinlicher wäre beim Tasmanischen Teufel der NBA eine Kopfverletzung, nachdem er frontal durch eine Mauer gerannt ist.

Das Gerüst wackelt

An sich wäre die Situation der Thunder also durchaus positiv, die Zukunft sogar als rosig zu bezeichnen. Wenn es da nicht diese Möglichkeit gäbe, dass sich der Fixpunkt, das Aushängeschild des Klubs für eine neue Heimat entscheidet. Dass die Thunder dem immensen Druck nicht standhalten und ihren Superstar ohne Gegenwert verlieren könnten.

Zumal einen Sommer später auch Westbrook und Ibaka Free Agents werden. Die Thunder sind immer noch in einer Lage, um die sie die allermeisten Teams der Liga beneiden würden - nur steht das ganze Gerüst derzeit alles andere als solide. Wer hätte das gedacht, als OKC 2012 die Finals erreichte und auf dem Weg zur Dynastie zu sein schien?

Die Uhr tickt lauter denn je.

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