Da ist der Champion, der sämtliche Leistungsträger gehalten hat. Da sind die San Antonio Spurs, die sich mit LaMarcus Aldridge den wohl besten Free Agent der Offseason gesichert haben und mit dem Quartett Pop-Duncan-Parker-Manu wohl auch noch anno 2083 um den Titel mitspielen werden. Da sind die Los Angeles Clippers, die DeAndre Jordan gehalten und ihren Kader mit Paul Pierce um ein paar Cojones bereichert haben. Nicht zu vergessen die Oklahoma City Thunder, die mit einem gesunden Kevin Durant wieder angreifen werden.
Allesamt berechtigte Titelanwärter. Im Westen nichts Neues. Kein Wunder, dass die Houston Rockets da irgendwie untergehen. Woran liegt das? Immerhin setzten sie sich in der "stärksten Division der NBA-Historie" (O-Ton von GM Daryl Morey) durch. Conference Finalist in der vergangenen Saison.
Vielleicht liegt es daran, dass die Semifinals vor allem als epischer Kollaps der Clippers in Erinnerung geblieben sind, von wegen "Houston hat nicht gewonnen, L.A. hat vielmehr verloren." Vielleicht daran, dass die knallharte Dreier-und-Layups-Analytics-Taktik von Morey irgendwie als Entzauberung des Spiels wahrgenommen wird. Vielleicht daran, dass man ja weiß, was man vom Duo Harden & Howard bekommt. Also vor allem eine Menge Freiwürfe - gähn.
Die Konkurrenz sollte besser vorsichtig sein. Houston hat seine Hausaufgaben gemacht und ist, der bärenstarken Konkurrenz zum Trotz, ein ernsthafter Titelkandidat.
"Schlüsselspieler halten und verstärken"
"Unsere Strategie für die Offseason war: Wir wollten unsere Schlüsselspieler zurückbringen und uns darüber hinaus noch verstärken. Auf dem Papier sind wir guten Mutes, dass uns das gelungen ist", erklärte Morey auf Rockets.com das Vorgehen der Franchise. Die hatte im letzten Jahr trotz eines prall gefüllten Lazaretts erstaunliche 56 Siege und den Second Seed im Westen eingefahren.
Wurden die Schlüsselspieler gehalten? Klar, die Verträge von Harden und Howard laufen noch. Auch sie werden in der kommenden Saison das Rockets-Emblem auf der Brust tragen. Mit Patrick Beverley (4 Jahre/25 Mio) und Corey Brewer (3 Jahre/24 Mio) wurden ein Defensiv-Ass und ein Energiebündel von der Bank gehalten, und das angesichts der steigenden Salary Cap zu durchaus vernünftigen Preisen.
Nicht zu unterschätzen: der neue Kontrakt von K.J. McDaniels (3 Jahre/10 Mio), der bei den Philadelphia 76ers bewiesen hatte, dass er von der Bank für Chaos sorgen kann. Zusammen mit Howard, Harden, Terry, Terrence Jones, Trevor Ariza und Donatas Motiejunas besorgt das Trio einen ordentlichen Stamm - da ist der Abgang des enigmatischen Josh Smith in Richtung Hollywood zu verschmerzen, auch wenn man ihn sicherlich gerne gehalten hätte. Schlüsselspieler gehalten - check!
Aber wie der leidenschaftliche Roster-Bastler Morey so schön sagt: "Wir sind immer bereit, zuzuschlagen." Und diese Gelegenheit bot sich in Person von Ty Lawson.
Vertrauen in Ty Lawson
Im letzten Jahr hatte Coach Kevin McHale angesichts der Verletzungen in den Playoffs an der Seite des Bärtigen auf Point Guards wie Jason Terry und Pablo Prigioni setzen müssen. Gewiefte Altmeister - aber zusammen eben auch schon 75 Jahre alt. Trotz Beverleys Rückkehr: Eine Verstärkung auf der Point-Guard-Position war ein erklärtes Ziel.
Für Lawson (15 Punkte, 9,6 Assists pro Spiel), 27 Jahre alt und pfeilschnell, hatten die Denver Nuggets vor der Trade Deadline noch zwei First-Round-Picks verlangt. Als der sich in der Offseason dann aber schon zum zweiten Mal im Jahr 2015 mit Alkohol am Steuer erwischen ließ und eine Entziehungskur begann, war er "beschädigte Ware", wie man so schön sagt. Und der Preis sank.
Ein unheimlich talentierter Spielmacher auf dem Markt, nicht ganz in der Kategorie Steph Curry/Chris Paul, aber eben ein unzweifelhaftes Upgrade zu Terry oder Prigioni? Morey schlug zu und trennte sich dafür von einem First-Rounder (protected) und einem wahren Ersatzteillager (Kostas Papanikolaou, Prigioni, Joey Dorsey, Nick Johnson). Und weil er eben Daryl Morey ist, schnappte er sich noch einen Zweitrundenpick der Nuggets.
"Wenn man das beste aus 30 Teams sein will, dann muss man Risiken eingehen", begründete er seine Entscheidung via ESPN. "Es ist spielerisch ein Risiko, was Verletzungen angeht, und auch ein charakterliches Risiko." Man nehme Lawsons Verfehlungen sehr ernst, habe aber Vertrauen in ihn: "Ty ist jemand, den wir in unserem Team haben wollen." Das gelungene Josh-Smith-Experiment hat Mut gemacht.
Offensiv Top, defensiv Flop?
Lawson ist ein spannendes Puzzleteil im Rockets-Gefüge. Auf den ersten Blick ein vielleicht widersprüchliches, gehört er defensiv schließlich nicht gerade zu den Kettenhunden der Liga. Zusammen mit Harden im Backcourt wäre die erste Verteidigungslinie also ziemlich löchrig. Offensiv werden sie sich erst finden müssen, beide sind mit dem Ball in den Händen stark - also wer spielt den Spot-Up-Shooter?
Gleichzeitig macht er die Pick-and-Roll- und Drive-and-Kick-Maschinerie in Houston um noch eine Komponente reicher. Jahr für Jahr gehört Lawson zu den Spielern, die die meisten Drives in die Zone anstrengen - genau wie Harden. Wenn dann noch Dreierschützen an der Linie und athletische Big Men wie Howard oder Jones unter dem Korb warten, ist der Alptraum für den Gegner perfekt.
Lawson wird Harden entlasten, die Spielmacherrolle der zweiten Garde übernehmen - mit dem Bärtigen auf dem Court war man den Warriors fast ebenbürtig - und den Ball von draußen fliegen lassen. Selbst wenn es als Starter nicht hinhaut: Für die Bank ist er eine enorme Verstärkung.
Vorausgesetzt, er bekommt sein Alkoholproblem in den Griff. Gut möglich, dass nach der Verhandlung zu Beginn der Saison noch eine Sperre auf ihn wartet. Dann wird man ihn ins Team integrieren. Dafür braucht es Morey, McHale und die Führungsspieler. Harden, der in der Offseason Zeit mit seinem Freund verbrachte, macht sich keine Sorgen. "Er ist fokussierter denn je. Er hat die großartige Möglichkeit, sein Talent bei einem richtig guten Team zu zeigen und uns den nötigen Schwung zu geben", sagte er dem Houston Chronicle.
Träumen muss erlaubt sein
Es gibt also Grund für Optimismus im Staate Texas. Markus Thornton ist ein weiterer billiger Shooter, der für die Bank verpflichtet wurde, und im Draft hat man mit Montrezl Harrell und Sam Dekker weitere Shooting- und Fast-Break-Optionen an Land gezogen. Man muss Morey recht geben: Auf dem Papier hat er seine Aufgabe sehr gut gelöst.
Dennoch wird das nur so weit kommen, wie Alpha Dog Harden es führen kann. Der dürfte nach seinem MVP-Snub enorm motiviert sein - nicht zu vergessen, dass ihn die Spieler in der ersten Auflage ihrer Players Awards zum MVP gewählt hatten. Vor Curry. "Ich weiß diese Wahl zu schätzen, sie bedeutet mir viel" erklärte er. Er wird sie bestätigen wollen. Und mit seinem neuen 200-Millionen-Dollar-Schuhdeal von Adidas in der Tasche gibt es auch an dieser Front eine potenzielle Ablenkung weniger.
Topfavorit sind die Rockets angesichts der Konkurrenz nicht. Aber: Sie sind mitgezogen, haben sich noch einmal verstärkt. Harden, ein fitter Howard, ein motivierter Lawson, der seinen Vertrag umstrukturiert und nach der Saison nun ohne Mehrkosten entlassen werden könnte. Dazu eine tiefe Bank, die Verletzungen besser auffangen sollte als im Vorjahr. Eine insgesamt starke Defense (Platz sechs in Defensive Efficiency), dazu die analytisch geprägte, kaum aufzuhaltende Offense. Das lädt zum Träumen ein.
Apropos: In einigen Medien werden die Rockets auch als Anwärter auf die Dienste von Kevin Durant gehandelt, sollte der seinen Vertrag 2016 auslaufen lassen. Es würde Umwälzungen im Kader bedeuten, um den nötigen Cap Space freizuschaufeln, aber das ist ein Preis, den Morey gern zahlen würde. Harden und Durant wieder vereint? Man wird ja wohl noch träumen dürfen.