Litauen gilt seit jeher als eine große Basketball-Nation. Die großen sowjetischen Teams hatten vor allem Spieler aus dem Balten-Staat in ihrem Kader. Aus der goldenen Generation der Balten ragt noch heute ein Name heraus: Arvydas Sabonis. In den 80ern dominierte er ganz Europa, der Kalte Krieg hielt ihn jenseits des Eisernen Vorhangs gefangen. Dennoch geht der vielseitige Center als Vorreiter einer neuen Gattung in die Geschichte der NBA ein. Heute wird Sabonis 54 Jahre alt.
Dieser Artikel erschien erstmals am 12. September 2015. Alle weiteren Legenden-Artikel findet ihr in unserem Archiv.
"Immer ein bisschen seltsam, du wirktest niemals cool - ein Litauer, den ich zum Freund wollte, doch leider kamst du ein bisschen zu spät - hast gespeist wie ein echter Big Man, nicht wahr? Arvydas Sabonis! Arvydas Sabonis! 15 Punkte pro Spiel, ein Model zur Frau - du hast zuletzt gelacht, hattest ein ziemlich gutes Leben, nicht wahr? Arvydas Sabonis! Komm zurück, wir vermissen dich!"
Nicht allzu viele Basketball-Ikonen können einen Song vorweisen, der den eigenen Namen trägt. Arvidas Sabonis - so heißt der Titel von Margot and the Nucelar So and So's. Es ist eine litauische Hymne, eine Hommage an den unvergessenen Helden des Landes.
Vermutlich beschränkt sich das Lied der Band aus Indianapolis deshalb auf die minimalistische Ausdrucksweise von Emotionen, weil es gar nicht möglich wäre, die unvergleichlichen Fähigkeiten und Erfolge von Sabas in 3 Minuten und 23 Sekunden zu besingen. Und dann hätte man noch kein Wort über seinen seltsamen, traurigen und einzigartigen Weg in die NBA erfahren.
"Ich bin nicht länger eine Lokomotive, nur noch ein kleiner Gepäckwagen." Arvydas Sabonis, 1995. Understatement. Bloß keine zu großen Erwartungen schüren. Dabei war der Center, als er in Portland vorgestellt wurde, in Europa ein Großer. Genauer gesagt: der Größte.
Erst Kaunas, dann die ganze Welt
Sabonis war so talentiert, dass er mit 17 Jahren ins Profiteam von Zalgiris Kaunas in seiner Heimatstadt berufen wurde. Zu diesem Zeitpunkt spielte er erst seit 48 Monaten Basketball. Zwei Jahre später kannte ihn die ganze Welt.
Bei der EuroBasket 1983 führte er die UdSSR zur Bronzemedaille und beeindruckte Spieler, Coaches und Experten. Bill Walton, damals TV-Analyst, kam völlig baff aus Frankreich zurück: "Er war 19 Jahre alt und spielte wie ein 2,21 Meter großer Larry Bird", so Walton: "Er rannte wie der Wind, traf Dreier, dribbelte wie Magic Johnson, griff sich Rebounds wie Wilt Chamberlain und blockte Würfe wie Bill Russell. In einem Spiel hatte er zur Halbzeit vermutlich schon ein Quadruple Double. Uns blieben die Münder offen stehen und wir träumten davon, wie wir diesen Gefangenen des kommunistischen Systems entführen könnten."
Kein Ausweg
Das war das große Problem. Das politische Klima des Kalten Krieges verbaute Sabonis den Weg in die NBA. Die Sowjetunion verbot es all ihren Basketballern, in den USA zu spielen. Punkt, Aus, Ende der Diskussion.
Mit dem Machtwechsel zu Michail Gorbatschow begannen die NBA-Franchises, auf den Hauptgewinn aus Übersee zu hoffen. Beim Draft 1985 trauten sich die Atlanta Hawks und zogen Sabas mit dem 77. Pick in der vierten Runde.
Und wieder gab es ein Problem: Der Center war zu diesem Zeitpunkt noch nicht 21 Jahre alt, sodass der Pick laut NBA-Regularien ungültig war. 1986 griffen dann die Trail Blazers zu. An Position 24 wählten sie Sabonis - der erfuhr diese Neuigkeit allerdings erst einige Zeit später aus einem Basketball-Magazin.
Der Siegeszug beginnt
Der eiserne Vorhang sollte erst 1989 fallen, es blieb Sabonis also nichts anderes übrig, als seinen Siegeszug in Europa fortzusetzen. Mit Kaunas holte er drei UdSSR-Titel in Serie, wurde mit Auszeichnungen überhäuft. Auf die Goldmedaille mit dem sowjetischen Team und die Wahl zum MVP bei der EM 1985 in Deutschland folgte Silber '86 in Spanien und ein Platz im All Tounament Team.
Sein Meisterstück lieferte Sabas bei Olympia 1988 ab. Er dominierte das Turnier an den Brettern und siegte im Halbfinale mit seiner Mannschaft gegen die favorisierten USA, die mit Stars wie David Robinson und Mitch Richmond hochkarätig besetzt waren.
Auf Umwegen
Im Gegensatz zu Drazen Petrovic, Vlade Divac oder Landsmann Sarunas Marciulionis legte Sabonis nach der Grenzöffnung noch einen Zwischenstopp in Spanien ein, bevor er den Sprung über den großen Teich wagte.
Sein Arbeitszeugnis in Auszügen: zwei ACB-Titel, MVP 94/95, Euroleague-Triumph und Final Four MVP '95 sowie die vierte Auszeichnung zu Europas Basketballer des Jahres. Seine letzte Saison auf der iberischen Halbinsel ging nicht nur bei Real Madrid in die Geschichte ein: 22,9 Punkte, 12,5 Rebounds, 2,4 Assists, 2,3 Blocks und 1,6 Steals. In 34 Minuten!!
"Das war's für mich", gab Sabonis nach der Spielzeit bekannt: "Ich muss Europa und der Basketball-Welt nichts mehr beweisen. Das einzige, was noch bleibt, ist die NBA." Endlich, neun Jahre nachdem er gedraftet wurde, war es Zeit für die USA. "Portland hatte angerufen und gefragt, ob ich rüberkommen will", erzählte Sabas Jahre später: "Und ich wusste: Wenn ich jetzt nicht gehe, dann würde ich nie mehr gehen."
Kriegsverletzungen
Und wieder begleitete Sabas ein Problem. Der heftige internationale Spielplan der Sowjetunion, die sich im Kalten Krieg unter anderem über ihre sportlichen Leistungen Ansehen verschaffen wollten, hatte Spuren hinterlassen.
Noch vor dem Draft 1986 erlitt er einen Achillessehnenriss, 1988 musste die Sehne ein zweites Mal operiert werden. Doch Olympia stand an und Sabonis hatte schlichtweg nicht zu fehlen. Entgegen dem Rat der Portland-Ärzte, die ihn während seiner Verletzung betreuten, wurde Sabonis auf Drängen des sowjetischen Verbands fitgespritzt und flog mit nach Südkorea. Es kam, was kommen musste: Nach und nach entwickelte Sabas chronische Knöchel-, Knie- und Wadenprobleme - dann kam auch noch Arthritis im Fuß dazu. Sein Körper war schon vor der Ankunft in Portland ein Wrack.
Als Blazers-Arzt Don Roberts die Krankenakte des 31-Jährigen zu Gesicht bekam, rief er umgehend bei GM Bob Whitsitt an: "Allein Sabonis' Röntgenaufnahmen würden ausreichen, um einen Behindertenparkplatz zu beantragen", so der besorgte Doc: "Sein Fuß sieht so böse aus, es kann sein, dass er nicht laufen kann. Geschweige denn Basketball spielen." Doch Whitsitt antwortete nur: "Oh, er kann spielen." Denn so war Sabas.
"Jeden Tag spielte er mit Schmerzen", sagte der ehemalige Athletic Trainer Jay Jensen: "Nur dass sie von Tag zu Tag variierten. Aber er ist ein Kämpfer, ein unglaublicher Beißer." Und der Mann weiß, wovon er spricht: Direkt vor dem wichtigen Spiel 3 der 2000er Western Conference Semifinals renkte sich Sabonis den Knöchel aus und humpelte in die Kabine. "Plötzlich machte es klonk, er grunzte einmal und dann stand er auf und ging aufs Spielfeld", schildert Jensen die unglaubliche Szene.
Jeden anderen Spieler hätte wohl eine wochenlange Pause erwartet. Nicht Sabas. Als wäre nichts gewesen, führte er seine Blazers mit 22 Punkten und 8 Rebounds zum vorentscheidenden 3:0 gegen die Utah Jazz. Was für ein harter Hund.
Die Revolution
Im Rose Garden war Sabonis vom ersten Tag an Publikumsliebling - bei seiner Einstellung kein Wunder. Doch noch etwas machte das Mysterium von jenseits des Eisernen Vorhangs, von dem außer Livebildern der großen internationalen Events lediglich eine Handvoll Scouting-Tapes in die USA gelangt waren, besonders: Es war seine Art, zu spielen. Sie glich einer Revolution.
Nicht nur, dass er sich im Face-up ebenso wohl fühlte wie mit dem Rücken zum Korb - nein, der 2,21-Meter-Center hatte schon einen hochprozentigen Dreier als Dirk Nowitzki noch mit der Trommel um den Tannenbaum rannte. Und erst seine Pässe! Behind the back, hinter dem Kopf, No look - Sabonis fand immer einen Weg, das Anspiel außergewöhnlich zu gestalten. Er war der erste Point Center der Geschichte.
Der Oldie rockt
Das Risiko der Blazers zahlte sich direkt aus und als 31-jähriger Rookie legte Sabas 14,5 Punkte (38 Prozent Dreierquote) und 8,1 Rebounds auf - nur um sich in den Playoffs auf 23,6 Zähler (56 Prozent Dreierquote) und 10,2 Boards zu steigern. Bei der Wahl zum Rookie of the Year landete er hinter Damon Stoudamire auf Rang zwei, auch beim Voting des besten sechsten Mannes musste er sich mit dem zweiten Platz (hinter Toni Kukoc) begnügen.
In jedem Jahr erreichte Sabonis mit den Blazers die Playoffs, 2000 bot sich ihnen die eine große Chance. In den Conference Finals lag Portland bereits mit 1:3 gegen die von Kobe Bryant und Shaquille O'Neal angeführten Lakers zurück, doch Sabas und Co. kämpften sich bis zu einer 15-Punkte-Führung im vierten Viertel von Spiel 7. Dann brachen sie ein.
Es war die einzige - und zugegeben ziemlich gute - Möglichkeit für Sabonis, seine unvergleichliche Laufbahn mit einem NBA-Ring zu krönen. In den Finals warteten die schwächer eingeschätzten Indiana Pacers, die Shaq und Kobe mit 4:2 nach Hause schickten und sich den Titel sicherten.
Im zweiten Anlauf
Die erste Rückkehr nach Litauen, mit dessen neu gegründetem Nationalteam Sabonis während seiner NBA-Zeit noch zwei olympische Bronzemedaillen und WM-Silber gewonnen hatte, scheiterte 2001 an mehreren Verletzungen - er konnte kein einziges Spiel für Zalgiris Kaunas bestreiten. Nach einer letzten Reservisten-Saison in Portland folgte dann die dem Ruhestand vorgelagerte Ehrenrunde durch die Heimat.
Mit Kaunas holte Sabas einen letzten Liga-Titel und krönte sich mit 39 Jahren(!) erneut zum Euroleague-MVP (16,7 Punkte, 10,7 Rebounds, 2,4 Assists und 1,6 Steals in 28 Minuten). Es war der perfekte Abschluss von Sabonis' langer und erfolgreicher Karriere, der mit der Aufnahme in die Naismith Memorial Basketball Hall of Fame im Jahr 2011 die mehr als verdiente Würdigung erfuhr.
Der wahre G.O.A.T.?
Lobeshymnen auf Arvydas Sabonis werden nicht nur in Litauen gesungen. Und auch nicht nur von Margot and the Nucelar So and So's - sondern zum Beispiel auch von Donnie Nelson, GM der Dallas Mavericks und langjähriger Assistant Coach des litauischen Nationalteams.
"Arvydas war Dirk Nowitzki, nur in 2,21 Meter", so Nelson: "Ich glaube nicht, dass es einen anderen Spieler in der Geschichte gegeben hat, der konnte, wozu Sabonis in der Lage war. Er ist einer der Besten, die jemals ein Basketball-Trikot getragen haben."
Und mit dieser Meinung ist Nelson nicht allein: "Ich habe gegen Sabonis gespielt seit ich 16 Jahre alt war", sagte Detlef Schrempf vor einigen Jahren in einem Interview: "Wenn er früher in die NBA gegangen wäre, wäre er vielleicht der beste Spieler aller Zeiten geworden."