Die Hawks haben im Sommer einen Star halten können, den anderen mussten sie ziehen lassen. Dieser Verlust schmerzt, doch Mike Budenholzer hat mit mehreren Moves versucht, die Lücke zu schließen. Flexibilität spielt dabei eine große Rolle. Dennis Schröder könnte seinen Status als bester Bankspieler verlieren.
Die beste Bilanz im Osten. Der beste Monat der NBA-Historie. Vier All Stars. Coach des Jahres. Und doch nahm die Hawks kaum jemand ernst. Nur die Wenigsten glaubten zum Start der Playoffs daran, dass Atlanta Mitte Juni wirklich die Straßen für eine Championship-Parade sperren muss. Aber warum? War es die fehlende Erfahrung, der fehlende Biss, der fehlende Leader?
Die Kritiker behielten Recht. In der Regular Season funktionierte das uneigennützige Passspiel wunderbar (60-22), doch in der Postseason bereitete den Hawks der Defense-Level der Gegner Probleme. Gegen Brooklyn und Washington stotterte der Motor beträchtlich, gegen die Cavs war dann in den Conference Finals nix zu holen.
Das starke Kollektiv ließ zwei wichtige Charaktere vermissen: Der echte Bad Boy, gegen den niemand spielen will, sowie der Einzelspieler, der in der Crunchtime die Kohlen aus dem Feuer holt. Dass sich gegen die Cavs sowohl DeMarre Carroll als auch Kyle Korver verletzten, machte es nicht einfacher. Und so blieb die beste Saison der Franchise-Geschichte mit einer Steigerung von 22 Siegen im Vergleich zur Vorsaison zwar eine tolle Erfolgsstory, aber dennoch ungekrönt.
Entweder oder
Es wäre ein wahres Kunststück gewesen, hätten es die Hawks in der Offseason geschafft, sowohl Carroll als auch Paul Millsap zu halten. Das Geld war einfach nicht da. Nun rächten sich die beiden 2013 abgeschlossenen Verträge mit gleicher Laufzeit. Ein Vorwurf kann man Atlanta jedoch nicht machen, die steile Entwicklung von Carroll war schließlich nicht vorherzusehen.
Obwohl es keine direkte Konkurrenz zwischen den beiden Free Agents gab, ließ sich die Situation auf folgendes finanzielles Problem herunterbrechen: Millsap oder Carroll. Entweder oder. Die Hawks entschieden sich für Millsap und statteten ihn mit einem Dreijahresvertrag über 60 Millionen Dollar aus. Carroll nahm die für ihn bestmögliche Kombination aus Perspektive und Zaster wahr: Für vier Saisons und 58 Mio. Dollar heuerte er bei den Toronto Raptors an.
Atlantas Next Top Defender
Da es den Hawks nicht gelang, einen adäquaten Ersatz für ihren abgewanderten Flügelspieler zu finden, klafft nun ein Loch auf der Drei. Ein großes. Denn jedes Team im Osten muss sich - will es in die Finals kommen - folgende Frage stellen: Wer soll in den Playoffs LeBron verteidigen?
Es wird wohl eine Gemeinschaftsaufgabe, wie so vieles bei Atlanta. Mit zwei Moves konnte Coach Mike Budenholzer - neuerdings auch President of Basketball Operations - die negativen Folgen des Carroll-Wechsels eindämmen.
Am Draftabend ertradeten die Hawks Tim Hardaway Jr., der hinter Kyle Korver den Backup auf der Zwei geben wird. Kent Bazemore rückt dadurch auf den Flügel und wird sich dort mit Thabo Sefolosha um die Minuten streiten.
Schröder als Shooting Guard?
Ein weiteres Indiz für einen "Umzug" der beiden auf die Drei: Die Backcourt-Kombination aus Jeff Teague und Dennis Schröder funktionierte vergangene Saison gut, sodass auch der Deutsche gelegentlich auf Shooting Guard ausweichen wird. Dadurch könnte seine Minutenzahl minimal steigen, seine Rolle als Backup-Spielmacher wird sich ansonsten trotz steigender Leistungskurve nicht verändern. Dafür ist Jeff Teague einfach zu stark.
Um den nächsten Schritt zu machen, muss Schröder kommende Saison die Leader-Erfahrung mit dem DBB-Team bei der EuroBasket in besseres Entscheidungsverhalten und das sommerliche Wurftraining mit Korver in eine höhere Trefferquote umzusetzen.
Das neue, alte Tandem
Mit Tiago Splitter angelten sich die Hawks einen Elite-Backup für Al Horford von den Spurs, die Cap Space für LaMarcus Aldridge benötigten. Als Assistent von Gregg Popovich konnte Budenholzer die Entwicklung des Brasilianers in dessen ersten drei NBA-Jahren aus nächster Nähe verfolgen.
Wenn Splitter es schafft, mal wieder eine komplette Saison gesund zu bleiben, wird er sich mit Schröder um die Rolle als wertvollster Bankspieler streiten. Der 30-Jährige vergrößert zudem die Möglichkeiten für Coach Bud. Splitter kann an der Seite von Al Horford im Frontcourt auflaufen, während Millsap als große Drei eine weitere Flügeloption darstellt. Flexibilität ist Trumpf in Atlanta.
Bye, bye, Pero
Neben Elton Brand, der sich in den Ruhestand verabschiedet, hat auch Pero Antic das Team beziehungsweise gleich die Liga verlassen - trotz mehrerer Angebote. Der Mazedonier kehrt in die Euroleague zurück und schließt sich Luigi Datome, Jan Vesely, Epke Udoh, Bogdan Bogdanovic, Bobby "Ali Muhammed" Dixon und Kostas Sloukas bei Fenerbahce an. Offtopic: Wer soll die Truppe in Europa eigentlich schlagen?
Bogdan Bogdanovic im Porträt: Der Herr der Horde
Als dritten Center holte Atlanta diesen Sommer Walter "Big Edy" Tavares über den großen Teich, der helfen soll die drittschlechteste Reboundbilanz aller Teams aufzupolieren. Im Falle einer Splitter-Verletzung müsste der noch ziemlich rohe 23-Jährige von den Kapverden direkt abliefern.
Vor dem Hintergrund der Lineups der Ost-Konkurrenten Cleveland, Chicago und Miami sind beide Moves ebenfalls sinnvoll. Schließlich haben auch die Verantwortlichen in Atlanta gesehen, wie Timofey Mozgov und Tristan Thompson in den Conference Finals die Bretter dominiert haben. Mit Splitter und Tavares kann Atlanta nun etwas gelassener auf die möglichen Playoff-Matchups gegen die Bulls (Noah/Gibson/Gasol ) oder Heat (Bosh/Whiteside) blicken.
Walter Tavares: Ein Hauch von Jordan
Double X
Korver sollte nach seinen zwei Operationen am Knöchel und Ellenbogen bis zum Training Camp wieder fit werden und damit keine Unsicherheit darstellen, mit Jason Richardson und Justin Holiday haben die Hawks dagegen zwei potenzielle X-Faktoren verpflichtet.
J-Rich ist inzwischen 34 Jahre alt und nach seiner 762-tägigen Zwangspause aufgrund von Knieproblemen längst nicht mehr auf dem Niveau vergangener Tage. Immerhin bestritt der zweifache Dunk-Champion Ende letzter Saison 19 Spiele für Philadelphia. Mit Pferd und Sonnenuntergang will er sich anscheinend noch nicht anfreunden, legte er doch beispielsweise gegen die Thunder 29 Punkte, 6 Rebounds und 3 Assists auf.
Justin Holiday ist das genaue Gegenteil. Der ältere Bruder von Jrue Holiday hat mit Golden State zwar schon eine Meisterschaft gewonnen, allerdings war er dabei nur ein kleines Rädchen in der gut geölten Warriors-Maschine. Als klassischer Three-and-D-Spieler kann er dennoch einen Beitrag leisten, schließlich ist Coach Bud ein Freund von Spacing.
Next Man Up
Al Horford zeigte sich von den etablierten Neuzugängen begeistert und sieht auch Potenzial in Tavares und Holiday: "Wir wissen, dass sie arbeiten müssen", so der Vocal Leader: "Aber ich bin sicher, dass sie früher oder später die Chance bekommen, zu zeigen, was sie drauf haben. Darauf bin ich wirklich gespannt. Nach dem Abschied von DeMarre müssen andere Jungs in die Bresche springen und alles tun, was er zuvor für uns gemacht hat."
Das wird die große und nicht gerade einfache Aufgabe für die Hawks sein, schließlich traf Carroll hochprozentig Dreier, war der beste Cutter, der beste Defender und ein vorbildlicher Hustle Guy. Interessanterweise wurde Atlanta auch vor der vergangenen Saison von vielen Beobachtern unterschätzt. Genau wie auch jetzt wieder. Vielleicht belehren Dennis Schröder und Co. sie erneut eines Besseren. Auch, wenn die Offseason kein Fortschritt war.