Ein Blick. Ein kurzer Moment des Innehaltens. Dann schießt das orangefarbene Leder ansatzlos aus der ausgestreckten linken Hand, berührt das Parkett mit beeindruckendem Drall und findet sich in den Händen von Teamkamerad Sam Thompson wieder, der das Spielgerät durch den Ring stopft. D'Angelo Russell hat soeben mit seinen Ohio State Buckeyes gegen die North-Western Wildcats den "NCAA-Assist des Jahres" gezeigt - und ganz nebenbei noch ein neues Career-High an Punkten aufgestellt (33), das Ganze garniert von sieben Rebounds und sechs Vorlagen.
Passen kann der in Louisville, Kentucky geborene Guard nicht gut, sondern unfassbar gut! "Seine Pässe sind so schnell und kraftvoll - wie Pistolenschüsse kommen sie auf einen zu", meint sein ehemaliger College-Coach Thad Matta. D'Angelo Russell ist einer der hellsten Sterne am aktuellen Rookie-Himmel, wird mit Lob überhäuft. Doch der Linkshänder stand nicht immer im Mittelpunkt.
Arbeit und Selbstvertrauen
An der High School spielt Russell stets nur die zweite Geige hinter anderen Top-Youngstern. Sowohl in seiner Heimatstadt an der Central High als auch in seiner Zeit bei der Montverde Academy (Florida), zu der er als Sophomore wechselt. Doch von Resignation keine Spur: "Er fragte mich: 'Coach, was soll ich tun?'. Er saß zu diesem Zeitpunkt auf der Bank, spielte nicht viel. Aber er ging einfach immer wieder in die Halle, trainierte und trainierte", erzählt Ellis Myles, sein Trainer in Louisville.
Und die Arbeit zahlt sich aus: In nur einer College-Saison für Ohio State explodieren seine Stats (19,3 PPS, 5,7 REB, 5,0 AST), er wird bester Freshman-Scorer der Saison und den NBA-Scouts läuft förmlich das Wasser im Mund zusammen. Selbstzweifel sind beim 19-Jährigen auch kurz vor dem Draft nicht zu erahnen: "Ich bin der beste Spieler im diesjährigen Draft!"
Mehr als ein Passgeber
D'Angelos größte Waffe ist zweifelsfrei das erwähnte Passspiel: "Es ist sein unfassbares Selbstvertrauen, fast unmögliche Pässe in enge Nahtstellen zu spielen, was mich am meisten beeindruckt", zeigt sich Fran Fraschilla von ESPN.com begeistert. Da Russell für den Spielmacher-Spot ungewöhnlich groß ist, kann er über viele Gegenspieler hinwegblicken und den Court mit seinen Argusaugen scannen. Eine Armspannweite von 2,08 Metern ist dabei nicht wirklich hinderlich.
Seine Fähigkeiten überraschen hin und wieder selbst seine Teamkollegen, wie der 88 Kilo-Mann verrät: "Wenn du frei bist, passe ich dir den Ball, so einfach ist das. Die meiste Zeit wissen die Leute gar nicht, dass sie freistehen." Und damit nicht genug: Neben seiner Übersicht und seinen Passqualitäten ist der Combo-Guard ein ausgezeichneter Schütze. "Er kann den Ball so verdammt gut werfen", ist Lakers-Trainer -Byron Scott begeistert von seinem neuen Schützling. 44,9 Prozent aus dem Feld und 41,1 Prozent von "Downtown", die er letzte Saison im College auflegte, beweisen das.
In seinem neuen Team wird der Mann aus Louisville auf jeden Fall Akzente setzen. Selbst das Vertrauen von Superstar Kobe -Bryant ist ihm sicher: "D'Angelo ist ein unglaublicher -Spielmacher", lobt der 37-Jährige den Rookie. Russells gute Leistungen in der Summer League (11,8 PPS, 5,2 REB, 3,2 AS) haben bereits gezeigt, was er auf NBA-Niveau zu leisten vermag. Dass er den Point-Guard-Spot, der in den vergangenen Jahren bei L.A. relativ problembehaftet war, zuverlässig übernehmen wird, bezweifelt niemand.
Zumal er sich an der Seite von Kobe in Ruhe entwickeln kann, denn der NBA-Debütant muss die Scoring-Last nicht allein tragen. Auch an seiner fehlenden Athletik beziehungsweise Explosivität in der Offense sowie an seiner Beständigkeit in der Defense - Russells Hauptschwächen - wird er ehrgeizig arbeiten (müssen). Momentan ist D'Angelo noch kein elitärer Athlet, aber er hat diesen elitären Verstand und die richtige Einstellung, um ein Star-Player zu werden.
Der Artikel erscheint in der BASKET 12/2015