Gitarrensolo hinterm eisernen Vorhang

Martin Klotz
07. August 201723:56
Hawks-Star Dominique Wilkins wurde beim Auswärtstrip am Flughafen vergessengetty
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Japan, Russland, Deutschland - die Global Games führten Teams aus der NBA in verschiedenste Regionen, in denen sie unterschiedlichste Kuriositäten erlebten. Anlässlich der Bekanntgabe der kommenden Global Games blickt SPOX auf die Top 10 der Spiele außerhalb Nordamerikas. Dabei erblassen individuelle Scoring-Leistungen, Buzzerbeater und packende Overtime-Thriller neben einer unglaublichen Reise der Atlanta Hawks.

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Platz 10

Tel Aviv, 1978: Maccabi Tel Aviv - Washington Bullets 98:97

David Stern hatte es geschafft. Seine Vision der globalen Marke NBA erreichte am 7. September 1978 einen wichtigen Meilenstein. Das erste Mal bestritt ein NBA-Team ein Spiel auf Nicht-amerikanischem Boden.

Die Washington Bullets reisten als amtierender Champ in den Nahen Osten und maßen sich mit dem israelischen Serienmeister Maccabi Tel Aviv, der zudem die erste Auflage des europäischen "Champions Cup" gewonnen hatte.

Die komplette Prominenz war am Start. Wes Unseld, Elvin Hayes und Mitch Kupchak nahmen es mit dem Team des deutsch-israelischen Coaches Ralph Klein auf - und zogen den Kürzeren!

Unter der Führung des MVP der EuroBasket 1979, Miki Berkovich, sowie Motti Aroesti und "Mr. Basketball" Tal Brody, gelang dem Underdog die Überraschung gegen sichtlich geschockte Bullets. Auch David Stern war not amused. Das erste Gastspiel im Ausland hatte er sich anders vorgestellt. Dennoch markiert das Datum einen historischen Meilenstein für die NBA.

Platz 9

Paris, 1991: Los Angeles Lakers - Joventut Badalona 116:114

Ein Jahr bevor das Dream Team bei den Olympischen Spielen 1992 in Spanien weltweit für Furore sorgte, machte sich das katalonische Städtchen Badalona in den USA einen Namen. Nach der Meisterschaft in der ACB dufte Joventut an den McDonald's Open teilnehmen, einem aus vier Teams bestehendem Turnier, das von 1987 bis 1999 ausgetragen wurde und zeitweilig den FIBA Champions Cup ersetzte.

Beinahe wäre den Spaniern in Paris der große Wurf gelungen. Im Finale lieferte das Team um Jordi Villacampa und Rafael Jofresa den Showtime-Lakers einen harten Fight. Magic Johnson und Co. lagen im vierten Viertel bereits mit 13 Punkten in Front, doch ein hitziges Wortgefecht zwischen dem jetzigen Lakers-Coach Byron Scott und Villacampa stachelte die Katalanen noch einmal an.

Am Ende war das Team von Manuel Sainz nicht abgezockt genug. Badalona vergab die Chance zum Ausgleich und war nicht in der Lage, L.A. für einen letzten Wurf an die Linie zu schicken.

"Wenn man mir vor dem Spiel gesagt hätte, dass wir mit 12 Punkten Unterschied verlieren, wäre ich froh gewesen", so Sainz nach dem Spiel. "Aber wenn du die Chance hast, dann tut es weh. Wir hätten Geschichte schreiben können."

Platz 8

Tokio, 1990: Phoenix Suns - Utah Jazz 119:96

Statt in den USA eröffneten die Suns und Jazz die Saison in Tokio - 22 Jahre nach dem ersten Global Game der nächste Schritt. Es war das erste Regular Season Spiel einer US-Profiliga im Ausland. Stolze zwei Millionen Dollar ließ sich Japan die zwei Begegnungen zwischen Phoenix und Utah vor 15.000 Zuschauern im Metropolitan Gymnasium kosten.

Der Trip über den Pazifik brachte gleich vier Superstars nach Asien: das legendäre Duo Karl Malone/John Stockton sowie Tom Chambers und Kevin Johnson, die Elite der Suns.

Chambers, der als einziger Spieler mit mehr als 20.000 Punkten kein Hall of Famer ist, zeigte Malone unter den Körben die Grenzen auf und führte Phoenix mit 38 Punkten und 10 Rebounds zum Sieg. Die obligatorischen Double Doubles von Malone und Stock reichten nicht, da auch Johnson gut aufgelegt war (29 Punkte, 10 Assists).

Am nächsten Tag bekam Utah seine Revanche und siegte mit einem Zähler Vorsprung. Zum Glück - wie der Mailman anschließend feststellte: "Mit zwei Niederlagen im Gepäck wäre es ein sehr, sehr langer Heimflug geworden."

Platz 7

Moskau, 2006: ZSKA Moskau - Los Angeles Clippers 94:75

Corey Maggette war angefressen. "Ich würde gern noch einmal zurückkommen und ein weiteres Mal gegen diese Jungs spielen, wenn wir richtig in Form sind. Dann würden wir ihnen zeigen, was wir draufhaben."

Sicher, mitten in der Saisonvorbereitung war der Auswärtstrip nach Russland für die NBA-Spieler nicht wirklich günstig. Doch die Worte von Maggette blieben leere Worte - ein Rückspiel gab es nie. Und der Triumph gehörte ZSKA.

Die Russen fuhren an diesem Abend den höchsten Sieg einer ausländischen Mannschaft gegen ein NBA-Team ein - und der Spott in den Staaten war den Clippers gewiss. Ex-Cavs-Akteur Trajan Langdon erzielte für Moskau 17 Zähler, doch das Spiel lenkte vor allem Euro-Legende Theodoros Papaloukas. Mit 10 Punkten und 9 Assists lieferte der Grieche schon einmal einen Vorgeschmack auf den Knockout des Team USA im Halbfinale der folgenden Weltmeisterschaft in Japan.

Platz 6

Barcelona, 1990: New York Knicks - Scavolini Pesaro 119:115 (OT)

Ebenfalls im Jahr 1990 waren die New York Knicks als US-Team bei den McDonald's Open im Start und trafen im Halbfinale des Turniers auf Scavolini Pesaro aus Italien.

Ehrfurcht vor der großen Traditions-Franchise aus dem Big Apple? Nicht die Bohne! Pesaro spielte frech und wurde getragen vom großen Walter Magnifico sowie den Ex-NBA-Profis Darwen Cook und Darren Daye (Vater von Austin Daye).

Dank flinker Finger kamen die Italiener zu vielen Steals und einfachen Fastbreak-Punkten. Kurz vor dem Ende lagen die Underdogs sogar mit drei Punkten in Front - die gesamte Star-Truppe aus New York war völlig verunsichert.

Mit 30 Sekunden auf der Uhr fasste sich Gerald Wilkins ein Herz. Gegen die Zonenverteidigung der Italiener setzte er ein Dribbling an, stieg dann am Perimeter hoch - und versenkte den Dreier zur Verlängerung. Dort konnten sich die Knicks knapp durchsetzen.

Die Menge im Palau St. Jordi zu Barcelona feierte alle Spieler, staunte aber vor allem über Big Pat. Patrick Ewing zeigte mit 34 Punkten, 17 Rebounds und 8 Blocks eine fabelhafte Leistung und streute ein paar sehenswerte Dunks ein.

SPOX

Platz 5

London, 2011: New Jersey Nets - Toronto Raptors 137:136 (3OT)

Nachdem die Nets und Raptors ein starkes viertes Viertel genutzt hatten, um das erste Regular Season Game auf europäischem Boden für sich zu entscheiden, war das zweite Spiel eine richtig enge Kiste.

Ein Spin-Layup von DeMar DeRozan bescherte Toronto den späten Ausgleich, neun Sekunden vor dem Ende der ersten Verlängerung war es Sasha Vujecic, der sein Team von Downtown im Spiel hielt und das Londoner Publikum in Ekstase versetze.

Sie sollten noch mehr geboten bekommen, denn auch die zweite Overtime brachte keinen Sieger hervor, da Deron Williams nach einem Offensivrebound per Midrange-Jumper zum erneuten Ausgleich traf.

In der dritten Verlängerung übernahm dann Travis Outlaw für die Nets. Ja, richtig. Der Travis Outlaw. Trout erzielte die letzten acht Punkte für sein Team und behielt auch von der Linie die Nerven. Endlich, nach 63 Minuten, war der Sieg eingetütet - und auf beiden Seiten wurden die Punkte gezählt.

Andrea Bargnani kam auf 35 Punkte und 12 Rebounds, DeRozan erzielte für die Verlierer 30 Zähler. Brook Lopez war Topscorer der Sieger (34 Punkte, 14 Rebounds) und verbuchte zudem 8 Blocks. Deron Williams überzeugte mit 21 Punkten und 18 Assists, während Vujecic 6 seiner 9 Dreier traf und auf 25 Punkte kam.

Platz 4

Rio De Janeiro, 2014: Cleveland Cavaliers - Miami Heat 122:119 (OT)

Es hatte viele Tränen gegeben - und viele Jubelschreie. Nach vier Jahren am South Beach hatte LeBron James im Sommer 2014 seine Rückkehr nach Cleveland angekündigt. Das erste Spiel gegen seine alten Teamkameraden und Best Buddy Dwyane Wade fand ausgerechnet in Brasilien statt.

Am Fuße des Corcovado trug auch Kevin Love als Teil der neuen Big Three das Cavs-Trikot - und er war es auch, der mit 25 und 7 Rebounds auffälligster Akteur bei Cleveland war. Nicht LeBron James. Der Rückkehrer traf nur 3 seiner 8 Feldwürfe und schwache 4 von 7 Freebies.

Dank Love erspielten sich die Cavs einen 20-Punkte-Vorsprung, doch Miami hatte hier noch eine offene Rechnung. Die Reservisten von Coach Erik Spoelstra brachten die Heat mit einem sensationellen Run zurück und zwei Freiwürfe von Rookie Shabazz Napier (schöne Ironie, oder?) sorgten für den späten Ausgleich.

In der Verlängerung hatte Miami den Sieg fast in der Tasche, doch mit 40 Sekunden auf der Uhr nagelte Rookie Joe Harris eiskalt einen Longball durch die Reuse, ließ noch kälter zwei Freiwürfe folgen und bescherte Cleveland so den Prestige-Erfolg über die Miami Heat.

Platz 3

Saitama, 2003: Seattle SuperSonics - Los Angeles Clippers 124:105

41. Das war die bisherige Scoring-Bestmarke bei den Global Games, aufgestellt von einem gewissen Clyde Drexler. 1994 fing The Glide Feuer, als seine Houston Rockets ebenfalls in Japan die Clippers (man könnte sie auch die 76ers der 90er nennen) besiegten.

Dieser Höchstwert sollte keine zehn Jahre Bestand haben, bevor die SuperSonics und ihr Star Ray Allen nach Japan reisten, um sich dort mit L.A. zu duellieren. Doch RayRay fiel die ersten zwei Saisonmonate mit einer Knieverletzung aus - also mussten die Punkte woanders herkommen. Sie kamen. Und zwar von Rashard Lewis. Seattles zweite Option blühte in Saitama auf und legte in Japan das beste Spiel seiner Karriere hin.

50 Punkte bei 18 von 25 Versuchen aus dem Feld, dazu 8 Rebounds und 4 Assists standen am Ende auf dem Konto von Lewis - das reichte, um Los Angeles beinahe im Alleingang aus der Halle zu fegen. Mehr Punkte als an diesem Abend gelangen Sweet Lew nie wieder. Der Rekord für die Global Games steht ebenfalls bis heute.

Platz 2

Berlin, 2014: Alba Berlin - San Antonio Spurs 94:93

Beim ersten Spiel gegen ein NBA-Team war Alba Berlin 2011 noch knapp gescheitert. Die Rückkehr von Dirk Nowitzki nach Deutschland hätte beinahe eine Pleite gegen Berlin beinhaltet, doch ein Dreier von Delonte West und zwei Freiwürfe in der Schlussphase von Dirk himself retteten die Mavs.

Das zweite Gastspiel der NBA in Berlin gegen den amtierenden Meister aus San Antonio konnten die Albatrosse lange offen halten und mit fünf Sekunden auf der Uhr netzte Reggie Redding einen Eckendreier ein, der den Rückstand auf einen Punkt schrumpfen ließ.

Nach einer Popovich-Auszeit klaute Redding den Einwurf von Tim Duncan und leitete den Fastbreak ein. Jamel McLeans Floater mit dem Buzzer entschied sich, nach dem Brettkontakt in den Korb zu fallen und verwandelte die O2 Arena in Berlin in ein Tollhaus. What a game!

Platz 1

UdSSR, 1988: Atlanta Hawks - Soviet National Team (3 Spiele)

Es war ein besonderes Zeichen des Friedens in Zeiten des abklingenden Kalten Krieges. Als erstes NBA-Team landeten die Atlanta Hawks auf sowjetischem Boden und traten Ende Juli 1988 gleich drei Mal gegen die Auswahl der UdSSR an, die auf ihren verletzten Star Arvydas Sabonis verzichten musste.

Im heruntergekommenen Trainingsstützpunkt Sukhumi am Schwarzen Meer erlebten die beiden Teams unvergessliche Momente, als ein Strommast ausfiel und sie eineinhalb Tage ohne Elektrizität auskommen mussten. Da das Wasser in der Region aufgrund eines Parasitenbefalls nicht getrunken werden konnte und das sowjetische Versorgungssystem nahezu zusammengebrochen war, aßen die Spieler vorrangig Gurken und Tomaten, um nicht zu dehydrieren. Abends zündete man Kerzen an und sang gemeinsam Lieder zur Gitarre von Sarunas Marciulionis.

Gleich das erste Spiel im georgischen Tiflis hing am seidenen Faden. Das geschwächte Hawks-Team, für das unter anderem Spud Webb und Doc Rivers erst kurz vor Tip-Off eintrafen, hatte sichtlich Probleme mit der Mannschaft von Coaching-Ikone Alexander Gomelsky. UdSSR-Kapitän Sergei Tarakanov verwandelte Sekunden vor dem Ende ein Vierpunktspiel zur Führung für die Gastgeber, doch mit dem Buzzer schickte John "Cricket" Battle einen Floater durch die Reuse und bescherte Atlanta den Sieg.

Zum zweiten Spiel in Wilna, Litauen stieß Hawks-Star Dominique Wilkins zum Team, der die erste Partie aufgrund einer Verpflichtung in den USA verpasst hatte. Nach einer 26-Stunden-Reise - inklusive eines zwölfstündigen Aufenthalts am Moskauer Flughafen ohne Lebensmittel, einheimische Währung oder Kenntnis der kyrillischen Sprache - war "The Human Highlight Reel" noch immer in der Lage, 29 Punkte zu erzielen und Atlanta nach Verlängerung zum Sieg zu führen.

Zu verdanken ist der Erfolg aber eigentlich Mike Fratello. Nachdem die reguläre Spielzeit Unentschieden endete, musste der Hawks-Coach die sowjetischen Referees überreden, eine Overtime spielen zu lassen. Sein Ausspruch ist auch heute noch legendär: "Nur damit ich das richtig verstehe: Wir fliegen um die halbe Welt, dann von Moskau nach Sukhumi, weiter nach Tiflis und über Moskau nach Wilna - und das alles, um Unentschieden zu spielen!?"

Mit dem Essen in Russland kamen die US-Stars überhaupt nicht klar, daher ließen sie vor dem dritten Spiel kurzerhand Spaghetti und Tomatensoße nach Moskau importieren. "Chef" Fratello und Küchenjunge David Stern kochten in der Hotelküche für die gesamte Gruppe Abendessen. Stilecht. Mit Kochmützen.

In der letzten Partie drehten Marciulionis und Aleksandr Volkov auf. Im Lenin-Sportpalast von Moskau erzielte der Gruppengitarrist 23 Punkte in 26 Minuten, Volkov sammelte 35 Zähler und trug wesentlich zum 132:123-Erfolg der sowjetischen Auswahl bei. Der Power Forward gefiel den Hawks-Verantwortlichen so gut, dass sie ihn ein Jahr später nach Atlanta holten, während Marciulionis anschließend acht Jahre bei den Warriors, Sonics, Kings und Nuggets spielte. Auch Sabonis konnte nach Verhandlungen während des Aufenthalts endlich in die USA wechseln. Es war - nicht nur für die Hawks-Spieler - der Aufbruch in eine neue Welt.

Arvydas Sabonis: Opfer, Mysterium, Revoluzzer

Übrigens: Zweieinhalb Monate nach der Tour brachten die Russen der Auswahl der USA dank eines wieder genesenen Sabonis eine empfindliche Niederlage im olympischen Halbfinale von Seoul bei und krönten sich anschließend mit einem Erfolg über Jugoslawien zum Turniersieger.

Übrigens, Teil 2: Aleksandr Volkov ging nach seiner Karriere in die Politik und wurde Sportminister in der Ukraine. Als Headcoach des Basketball-Teams stellte er - richtig - Pasta-Chefkoch Mike Fratello ein, unter dessen Führung sich die Ukraine 2014 erstmals für eine WM qualifizieren konnte.