"Manchmal brauchen wir einfach einen Tritt in den Hintern. Es tut mir Leid, weil Fred so ein entspannter Kerl ist und ich habe großen Respekt vor ihm, aber wenn wir nicht das tun, was wir tun sollten, muss man manchmal eine etwas härtere Gangart einschlagen - auch bei mir. Das gehört im Basketball hin und wieder dazu."
Mit diesen Worten stellte sich Jimmy Butler vor wenigen Wochen den Journalisten nach der enttäuschenden 107:91-Niederlage bei den New York Knicks. Energische Worte, die sogleich eine kleine Lawine ins Rollen brachten. Denn nicht wenige interpretierten den Warnschuss von Butler als Kritik an Coach Fred Hoiberg, der seit dieser Saison die Geschicke der Chicago Bulls leitet - der Interpretationsrahmen schien unendlich.
Eine intensive Ära
Erst im Sommer war bei den Bulls eine kleine Ära zu Ende gegangen. Fünf Jahre lang stand Tom Thibodeau für Chicago an der Seitenlinie und trieb sein Team mit verbissener Leidenschaft jährlich in die Playoffs, seine Spieler kontinuierlich an ihre Grenzen. In jedem Spiel, in jeder Sekunde verlangte Thibs vor allem defensiv absolute Hingabe und strich den Begriff 'Schongang' aus dem Bulls-Vokabular.
Das machte es speziell der jüngeren Garde nicht gerade einfach, sich in der Rotation festzuspielen. Kaum ein Draftpick 'überlebte' das harte Auswahlverfahren. Übrig blieb nach Thibodeaus Abgang nur ein Spieler, der unter ihm seine Profi-Karriere gestartet und in einer Saison mehr als 20 Minuten Einsatzzeit pro Spiel gesehen hatte: Jimmy Butler.
Der widerstandsfähige Guard spielte sich durch überragende Verteidigungsarbeit in das Herz des knurrigen Thibodeau. Dazu lernte der wissbegierige Schüler auch offensiv mit jeder Sommerpause ein Stück dazu. Der Lohn: Zum Ende der letzten Spielzeit durfte er sich die Most-Improved-Player-Trophäe auf den Kaminsims stellen und einen 95-Millionen-Dollar-Vertrag über fünf Jahre unterzeichnen.
Frischer Wind in Windy City
Nichtsdestotrotz musste Thibodeau den Hut nehmen. Den Machern in Windy City fehlte die Entwicklung. Fredrick Hoiberg übernahm und sollte eine neue Mentalität ins Team bringen. Eine Mentalität, die vielleicht nicht zu jedem Spieler im Roster passt, der zuvor für Thibodeau in die Schlacht gezogen war. So landen wir wieder in der Umkleidekabine der Bulls nach der Klatsche gegen den Rivalen.
Der harsche Kommentar von Butler wanderte durch die Presse, bis Hoiberg zwei Tage später das Gespräch suchte. Der Guard entschuldigte sich kleinlaut und versuchte schnell die Wogen zu glätten. So habe er seinen Coach nicht angreifen wollen und hätte nicht den Weg über die Öffentlichkeit suchen sollen.
Das Rampenlicht ruft
Im Grunde eine kleine Kontroverse, die im Laufe einer 82-Spiele-Saison schnell wieder in den Hintergrund rücken könnte. Doch in diesem Fall verbirgt sich hinter der Geschichte eine tiefere Bedeutung. Denn für die Karriere von Jimmy Butler beschreibt diese Posse einen richtungsweisenden Schritt.
Ob er will oder nicht - der ehemalige Thibodeau-Schützling genießt eine neue Art von Aufmerksamkeit, die einiges an Verantwortung mit sich bringt. Auf dem Court scheint ihm diese Rolle auf den ersten Blick kaum Probleme zu bereiten, viel mehr trifft Butler freudig in das Rampenlicht: 22,4 Punkte im Schnitt, knapp 2 Steals, 4,4 Assists und 5 Rebounds beschreiben eine starke Saison.
Selbst ist der Butler
Als inzwischen bester 1-on-1-Spieler im Bulls-Kader schließt Butler vor allem aus Isolations-Plays ab und trifft 50 Prozent aller Würfe ohne vorausgegangen Assist (letzte Saison: 37 Prozent). Zusätzlich verlässt er sich weiterhin auf seine starken Off-The-Ball-Instinkte.
Bei den Second-Chance-Points ist Butler der einzige Spieler in den Top 35, der kein Forward oder Center ist, dazu steht er ligaweit in den Top 20 bei Fastbreak-Punkte und in den Top 15 bei Punkten nach einem Turnover des Gegners.
Zieht man noch den legendären 53-Punkte-Auftritt gegen Philly hinzu, scheint Butler der nächste Karriereschritt gelungen zu sein. Doch bei genauerer Betrachtung werkelt er derzeit noch an zahlreichen Baustellen. Vor allem die Findungsphase mit Derrick Rose stellt eine große Hürde dar.
Die Baustellen und Rose
Da wäre zum Beispiel das Thema Dreier. Durch die Wurfschwäche des Backcourt-Kollegen Rose (24 Prozent 3FG) ist es für die Bullen umso wichtiger, dass zumindest Butler den Longball zuverlässig trifft. Noch wackelt der Wurf aber gewaltig (32 Prozent 3FG): "Irgendwie will der Dreier noch nicht so fallen", zeigte sich Butler zuletzt genervt. Darunter leidet das Spacing.
Durch die Downtown-Probleme des Duos können die Verteidiger bedenkenlos absinken und damit auch Pick-and-Roll-Spielzüge leicht neutralisieren. Das macht das Leben von Big Man Pau Gasol nicht gerade einfacher. Die Statistik liest sich fatal: Die Bulls haben unter dem Korb nach den Los Angeles Lakers die schlechteste Trefferquote aller NBA-Teams.
Zudem stehen sich Butler und Rose auf den Füßen. Beide haben prinzipiell auf der linken Seite des Feldes ihr präferierten Angriffsspots, treffen von dort aus deutlich zuverlässiger und ziehen von dort aus lieber in die Zone. Butler ist schließlich Opfer seiner Stärke. Seine Quoten sind grundsätzlich besser als die von Rose, weshalb er keine andere Wahl hat, als auf seine Weakside auszuweichen.