55 Spiele, 50 Siege, 5 Niederlagen. Die Saison der Golden State Warriors ist auch nach knapp vier Monaten immer noch ein atemberaubender Ritt. Phänomenal. Unglaublich. Der 72-Siege-Rekord der Chicago Bulls von 1995/1996 wackelt beträchtlich, doch 27 Partien stehen noch aus. Gelingt den Warriors die beste Saison der NBA-Geschichte? Am Sonntag sind die Dubs beim Verfolger aus Oklahoma City zu Gast (ab 2.30 Uhr im LIVESTREAM FOR FREE).
Zur All-Star Break veröffentlichte fivethirtyeight.com eine komplexe Simulation der weiteren Warriors-Saison, basierend auf einem Index der Stärke aller Teams. Das Ergebnis: Mit einer Wahrscheinlichkeit von 54 Prozent erreicht Golden State am Ende 73 Siege oder mehr.
Nach der jüngsten Dubs-Pleite gegen die Portland Trail Blazers ist dieser Wert zwar ein kleines bisschen gesunken, doch individuelle Spielerbewertungen, besondere Aspekte wie Heimvorteil und Hot Streaks halten die Wahrscheinlichkeit in der unmittelbaren Umgebung der 50-Prozent-Marke. Und: Die Bulls hatten vor 20 Jahren zum selben Zeitpunkt schon sechs Niederlagen auf dem Konto.
Es wird definitiv ein knappes Rennen. Und am Ende bleiben Zahlen und Wahrscheinlichkeiten eben nur Zahlen und Wahrscheinlichkeiten. Dennoch gibt es einige Faktoren, die Golden State bei ihrer Jagd nach dem legendären Rekord beeinflussen.
Der Spielplan:
Der aktuelle Auswärtstrip der Warriors ist schon eine harte Angelegenheit. Vier Spiele in fremden Hallen sind absolviert, drei folgen noch. Darunter sind mit den Miami Heat und den Oklahoma City Thunder zwei Teams, die über 0.500 stehen - also mehr Partien gewonnen als verloren haben.
In der Geschichte der NBA hat noch keine Mannschaft einen Road Trip mit sieben oder mehr Spielen ohne Niederlage abgeschlossen. Auch den dominanten Warriors wird das nicht mehr gelingen, mussten sie sich vor wenigen Tagen bereits den Blazers geschlagen geben.
Die Reisestrapazen sind auch direkt nach der All-Star Break nicht zu unterschätzen, mussten bzw. müssen die Dubs doch mehrmals quer durch die Staaten. "Es ist, als hätte ein Blinder mit dem Finger auf eine Karte gezeigt und das sind nun die Städte, in die wir reisen müssen", sagte ein wenig erfreuter Andrew Bogut.
Phoenix, Portland, Los Angeles, Atlanta, Miami, Orlando, Oklahoma City - geographisch gesehen nimmt nur der Abstecher nach Florida ein wenig Rücksicht auf den Biorhythmus der Spieler. "Und wenn wir nach einem 15-Stunden-Flug nicht mit der richtigen Einstellung aufs Feld gehen, dann bekommen wir den Hintern versohlt", so Bogut. Absolut. Denn jeder Gegner ist überheiß, wenn der Champion auf seiner Rekord-Jagd in die Stadt kommt. Nach dem Road Trip warten noch 13 weitere Spiele gegen Teams mit einer positiven Bilanz auf Golden State. Immerhin: Neun dieser Partien finden in Oakland statt.
Mit 20 Back-to-Backs hat Golden State einen der härtesten Spielpläne überhaupt, vier stehen noch aus. Als nächstes steht das Auswärts-Doppel gegen die Heat und Magic am 24. und 25. Februar an. Orlando ist auch am 7. März direkt nach dem Lakers-Spiel am 6. März der Gegner am zweiten Abend eines Back-to-Backs. Anschließend wartet mit dem Texas-Paket in Dallas (18. März) und San Antonio (19. März) noch ein harter Prüfstein auf den Champ. Den Abschluss bilden das Auswärtsspiel bei den Memphis Grizzlies am 9. April, gefolgt vom letzten Regular-Season-Duell mit den Spurs am 10. April (im LIVESTREAM FOR FREE bei SPOX).
Die Verletzungen:
Eine langfristige Verletzung von Steph Curry oder Draymond Green würde sowohl das Projekt Rekord als auch das Projekt Championship arg gefährden - da sind sich alle Beobachter einig. Hoffen wir, dass das nicht passiert. Dennoch bleiben auch die Warriors nicht von Verletzungen verschont.
Curry musste zum Glück erst zwei Spiele aussetzen, doch Harrison Barnes fehlte 16 Spiele mit Knöchelproblemen. Durch die gute Leistung von Ersatz-Starter Brandon Rush, der wie Barnes die offenen Würfe einnetzte und ansonsten wenig Fehler machte, konnte Golden State den Ausfall gut kompensieren.
Schwerer wiegt da schon der unfreiwillige Verzicht auf Festus Ezeli, der nach einer Arthroskopie im linken Knie vermutlich noch vier Wochen im Anzug an der Seitenlinie Platz nehmen muss. Der Backup von Andrew Bogut spielt aufgrund dessen Anfälligkeit oft genauso viele Minuten wie der Australier. Im Spiel gegen die Clippers vor wenigen Tagen musste Mo Speights zeitweise im Small Ball auf der Fünf aushelfen - das kann defensiv keine Dauerlösung sein.
Unter anderem deshalb haben die Warriors auch zugegriffen, nachdem Anderson Varejao nach dem Trade von Cleveland zu Portland aus seinem Vertrag herausgekauft wurde. Der Brasilianer ist gesundheitstechnisch auch kein Vorzeige-Objekt, wird aber helfen, die Lücke auf der Fünf zu schließen. Zudem könnte er noch wertvoll werden, sollte es einem Team in den Playoffs wirklich gelingen, das Lineup of Death mit einer großen Aufstellung zu dominieren.
Die generelle Müdigkeit der Spieler, die sich nach knapp vier Saisonmonaten einstellt, ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Da zwickt nicht nur der Rücken hier und die Wade dort, sondern der Körper muss der langen Belastung hin und wieder Tribut zollen. Die Ruhepause der All-Star Break wird nach dem schweren Auswärtstrip bereits wieder vom kräftezehrenden Alltag aufgefressen sein.
Schon vor Wochen begannen die Diskussionen, ob Coach Steve Kerr seine Spieler wohl zum Ende der Regular Season schonen wird, um ihre Fitness für die Playoffs nicht zu gefährden. Vor allem, wenn die Warriors dann noch im Rennen um die beste Saison aller Zeiten sind. Von Gregg Popovich bis zur Weißglut anderer Coaches perfektioniert, ist das "DNP-Rest" in den letzten Jahren zu einer äußerst populären Maßnahme geworden.
"Wahrscheinlich werden wir am Ende der Saison einige Spieler schonen", sagte Klay Thompson: "Aber unser Team ist so tief besetzt, dass wir jede Nacht die Chance haben, zu gewinnen. Wir spielen nicht nur für 73 Siege in der Saison. Wir spielen, um den Titel zu holen. Aber wenn sich die Möglichkeit bietet, werden wir schon versuchen, diesen besonderen Rekord mitzunehmen."
Die Niederlagen:
Die erste Pleite in Milwaukee war zum Großteil dem Spielplan geschuldet. Am Abend zuvor musste sich Golden State in doppelter Overtime gegen starke Celtics behaupten - und das waren die Auswärtsspiele Nummer sechs und sieben in Serie. Dazu fehlte Barnes verletzt, Thompson schlug sich mit Knöchelproblemen herum.
Gegen Dallas musste Curry pausieren, daher stand neben Rush auch Shaun Livingston in der Starting Five. Der Bank fehlte dadurch viel Scoring, auch Flitzer Leandro Barbosa war verletzt. Zudem trafen die Mavs einfach gut aus dem Feld (51 Prozent) - das passiert bei einem Shooting Team wie Dallas schon mal. Und da das alles zusammenkam, stand am Ende eine deftige Niederlage mit 23 Punkten Differenz.
In Denver trat Golden State ohne Draymond Green an und dennoch war es eigentlich ein ganz normales Dubs-Spiel gegen einen über seinem Niveau spielenden Gegner. Bis auf das Ende. Die Warriors kamen mit einem ihrer typischen Runs wieder ins Spiel und hatte in letzter Minute die Möglichzeit zur Führung, doch Steph Curry dribbelte den Ball auf seinen Fuß und vergab so die Siegchance. Es passiert eben auch den Besten. Ironischerweise schlugen die Nuggets vor 20 Jahren auch die Bulls im Rekordjahr und fügten dem Team die damals vierte Saisonniederlage zu.
Auch die Ursachen für die Pleite in Detroit sind schnell gefunden: Die Pistons hielten enorm physisch dagegen und hatten es in der Defense gegen vier Warriors recht leicht. Barnes kam von seiner Verletzung zurück und strahlte keine Gefahr aus - ohne Spacing wurde es für Curry, Thompson und Green deutlich enger. Zudem erlaubte Golden State Drummond und Co. satte 17 Offensiv-Rebounds.
Damian Lillards Monster-Performance mit 51 Punkten in 31 Minuten hatten die Warriors bei der Run-and-Gun-Pleite in Portland nichts entgegenzusetzen. Vermutlich hatten die verheerenden 20 Ballverluste auch damit zu tun, dass der Fokus in der ersten Partie nach der All-Star Break schon auf dem Top-Spiel gegen die Clippers lag. Das gewann Golden State nach dem Blazers-Desaster übrigens knapp.
Lässt sich aus den fünf Niederlagen der Warriors eine Schwäche ableiten? Machen wir es kurz: nein. Es ist nicht möglich, 82 Spiele zu gewinnen. Punkt. Es waren jeweils unterschiedliche Situationen und schaut man auf die gesamte bisherige Saison hatten andere Teams weder Erfolg im Run-and-Gun-Duell noch mit einer besonders körperlichen Spielweise.
Die Psyche:
Immer nur das eine Thema. Täglich werden die Warriors wieder nach dem Rekord gefragt. Von MVP Curry bis hin zu James Michael McAdoo. Die Saisonbilanz nimmt in der Öffentlichkeit einen so großen Raum ein, dass es nicht leicht ist, auf das Ziel Championship fokussiert zu bleiben. Das genau das muss Priorität haben.
"In der heutigen Zeit ist es schwer, so etwas wie unsere Rekord-Jagd nicht an sich heranzulassen", so Green: "Es ist überall auf Social Media. Aber es ist, wie es ist - das ist nun mal das Leben, das wir derzeit führen. Wir versuchen, so gut wie möglich damit umzugehen."
Selbst Michael Jordan, wie Warriors-Coach Kerr Teil des legendären Bulls-Teams, meldete sich zu Wort und raunte Thompson beim All-Star Weekend zu: "Macht so weiter und brecht den Rekord."
"Falls wir das schaffen würden, wäre es eine der bedeutendsten Saisons der Sport-Geschichte und es wäre ein Privileg, ein Teil davon zu sein", sagte Thompson: "Auch, weil die 72 Siege immer ein Rekord waren, von dem man dachte, dass er nie fallen würde."
Das Feuer:
Jeden Abend fügen die Warriors ihrer schon jetzt atemberaubenden Spielzeit ein weiteres Puzzleteil hinzu. Nicht umsonst sind sämtliche Partien in der Oracle Arena lange vorher ausverkauft. Denn jeder Fan möchte Teil dieses unvergesslichen Abenteuers sein. Inzwischen sieht man auch immer mehr Anhänger in anderen Arenen Blau und Gelb tragen.
Einmal erleben, wie Thompson in einem Viertel neun Dreier reinballert. Einmal erleben, wie Curry 20 Punkte in Serie erzielt. Einmal erleben, wie die Warriors im letzten Viertel zurückkommen und einen ihrer gefürchteten Runs starten. Darauf wartet die Menge. Abend für Abend. Auf diesen besonderen Moment, der das Feuer entfacht. Ein Feuer, das außer Golden State nur sehr wenige Teams sportartübergreifend je erwecken konnten.
So groß der Warriors-Wunsch nach 73 Siegen auch ist: Die Jagd von Curry und Co. ist kein Marathon, bei dem hinter der Ziellinie der neue Rekord wartet. Es ist vielmehr eine Jagd nach dem Augenblick. Diesem speziellen Moment, in dem es nichts anderes gibt als den spektakulären Basketball der Warriors. Wenn es dem Team gelingt, all diese Momente am Ende zu einem perfekten Ganzen zusammenzufügen, dann wird dort ein Monument für die Ewigkeit stehen. Mit einer weiteren Championship. Und mit mehr als 72 Siegen.