Ein Shootout für die Ewigkeit

Ole Frerks
29. April 201602:48
Larry Bird (l.) und Dominique Wilkins (r.) spielten 1988 beide wie von Sinnen getty
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Die Atlanta Hawks und Boston Celtics liefern sich derzeit eine der besten Serien der ersten Playoff-Runde. Beide Franchises haben über die Jahrzehnte allerdings schon etliche Schlachten geschlagen. Die denkwürdigste ereignete sich am 22. Mai 1988 mit zwei legendären Protagonisten - SPOX blickt zurück.

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Es gibt so Tage, da passt einfach irgendwie alles zusammen.

Jeder Basketballer kennt das: Die ersten Würfe fallen, dann probiert man es mit einigen schwierigen Würfen, einfach um zu sehen, wie weit man das eigene Glück ausreizen kann. Heat Check. Fällt auch dabei alles rein, ist man ganz offiziell dort angekommen, wo jeder Spieler am liebsten ständig sein würde: in the zone. Auf einmal wirkt der Korb weit wie ein Ozean.

Es kommt selten genug vor, dass ein Spieler in einem siebten Spiel diesen trance-artigen Zustand erreicht. Noch seltener stellen beide Teams zum selben Zeitpunkt einen derartigen Flammenwerfer. Insofern darf es kaum verwundern, dass Spiel 7 der Eastern Conference Semifinals 1988 als vielleicht größtes Privatduell der Geschichte in die NBA-Annalen einging.

"Es war schon irre. Ich hatte schon 60-Punkte-Spiele gesehen, aber nie mit so einer Gegenwehr", erinnerte sich Celtics-Legende und -Kommentator Tom Heinsohn in einer Oral History von 2013 zurück. "Es ging nur um die Willenskraft der beiden. Es ging nicht darum, dass die Coaches irgendwelche Plays aufschrieben. Es hieß: 'Ich spiele gegen dich und werde dir in den Hintern treten.'"

Zwei Teams am Scheideweg

Eine bessere Bühne hätte es für diesen Shootout nicht geben können. Ebenso wenig hätten sich zwei Superstars finden lassen, die vom Spiel her weiter voneinander entfernt waren, was sich auch an ihren jeweiligen Teams ablesen ließ.

Dominique Wilkins und seine Hawks standen für Individualismus, Athletik, Highlights, jugendliche Energie. Larry Birds Celtics waren von Finesse und Spielintelligenz geprägt, von Team-Basketball. Und sie waren in die Jahre gekommen - Mitte der 80er noch das beste Team der Liga, gingen die Kelten zunehmend verletzungsgeplagt dem Ende einer Ära entgegen.

Larry Bird: Ein Großmeister auf dem Court

Dementsprechend hatten sie auch mit den jüngeren Hawks deutlich größere Probleme als in den Jahren zuvor. Nach zwei Siegen zum Auftakt holte Atlanta drei Siege in Serie, einen davon sogar im legendären Boston Garden. Aufgeben war jedoch keine Option, also holten sich Bird und Co. Spiel 6 in Atlanta. Für die Entscheidung ging es wieder nach Hause - und Bird war wieder selbstbewusst wie eh und je.

Garantien von Bird und Wilkins

"Bird hatte vor Spiel 7 garantiert, dass die Celtics gewinnen würden", erinnerte sich Wilkins später. "Tree Rollins hatte mich darauf aufmerksam gemacht. Ich sagte zu ihm: 'Wenn du nicht bereit bist zu kämpfen, dann komm gar nicht erst mit. Denn wer immer sich heute mit mir anlegt wird einen langen Abend erleben.'"

Spiel 7 begann, und Wilkins hielt Wort. 31 Punkte hatte er nach drei Vierteln bereits gesammelt, während Bird sich mit 14 Zählern bis dahin noch eher zurückhielt und Kevin McHale (33 Punkte) die Arbeit machen ließ. Das Spiel blieb trotzdem die ganze Zeit über knapp, vor dem letzten Viertel führte Boston mit 84:82. Und dann leistete sich Kevin Willis einen folgenschweren Fehler.

Wilkins: "Wir rannten das Feld herunter, Kevin, Bird und ich. Kevin streckte seinen Arm aus und sagte: 'Lass' den Penner keinen Punkt mehr machen!' Larry war ja in Hörweite. Ich dachte mir nur, was zum Teufel machst du da? Larrys Augen wurden auf einmal riesengroß. Ich wusste, dass es jetzt losgehen würde. Das hat ihn aufgeweckt. Dann begann der Shootout."

"Wie ein Spiel HORSE"

Und genau so kam es. Beide schaukelten sich binnen weniger Minuten dermaßen hoch, dass es die Zuschauer und Bankspieler im Kollektiv von den Sitzen riss. Alles ging - auf beiden Seiten.

Boxscore: Celtics - Hawks, Spiel 7, 1988

Ein Layup im Stolpern, mit der linken Hand über die ausgestreckten Arme zweier Verteidiger von Bird. Ein Dreier von Wilkins. Ein Leaner von Bird. Ein Jumper von Wilkins über McHales Gorilla-Arme. Ein Bird-Floater mit der Linken. Jumper Wilkins, Jumper Bird. Baby-Hook Wilkins, Jumper Bird. Es ging rauf und runter!

"Es war wie ein Spiel HORSE", erinnerte sich Hawks-Guard Cliff Levingston. "Wieder und wieder überboten sie sich gegenseitig. Im Grunde war es wie Eins-gegen-Eins über das ganze Feld. Alle anderen waren nur dafür da, den Ball abzugeben und aus dem Weg zu gehen."

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Kurz vor Schluss schien Bird dann doch die Nase vorn zu haben - wieder einmal. 1:44 Minuten vor Schluss traf er einen Dreier aus der Ecke, unmittelbar vor der Hawks-Bank, und brachte Boston mit 112:105 in Front. "Er ist uns fast auf den Schoß gefallen", blickte Doc Rivers zurück, mit 16 Punkten und 18 Assists selbst einer der vergessenen Helden dieses Spiels. "Wir haben nur den Kopf geschüttelt."

Man hätte die Hawks verstehen können, wenn sie nun aufgegeben hätten - schließlich war dies das gleiche Team, gegen das Bird drei Jahre zuvor 60 Punkte aufgelegt hatte. Sie wussten, dass er in diesem Modus nahezu unbezwingbar war. Aber sie hatten ja noch 'Nique, der seine Körner immer noch nicht verschossen hatte.

Wilkins verkürzte mit dem nächsten Zirkuswurf über McHale und traf zwei Freiwürfe, Bird konterte per Layup über Willis' Pfoten. Wilkins verfehlte seinen nächsten Wurf zwar, schnappte sich aber direkt den Rebound und korrigierte den Fehler. 114:111, 20 Sekunden noch zu spielen. Dann schalteten sich die Refs auf unglückliche Art ein.

Ein letzter Verzweiflungsversuch

Danny Ainge war nach Wilkins' letztem Korb vorausgerannt und von Bird per Outlet-Pass gefunden worden. Er hatte einen offenen Layup, doch aus dem Nichts kam Rivers und blockte ihn - eigentlich. Stattdessen wurde auf Goaltending entschieden, was selbst Heinsohn - bekanntermaßen der vielleicht parteiischste Kommentator in der Geschichte der Menschheit - als Fehler bezeichnete.

Ein Replay-Center gab es logischerweise noch nicht, also blieb den Hawks nichts anderes übrig, als den nächsten Versuch zu starten. Und tatsächlich: Eine Sekunde vor Schluss ging Wilkins noch einmal beim Stand von 118:115 an die Linie. Der erste Versuch saß, Atlanta war immer noch am Leben. Den zweiten verfehlte er absichtlich - aber die Hawks waren nicht in der Lage, sich eine letzte Wurfchance zu verschaffen.

"Es war sicherlich eins der besten Playoff-Spiele überhaupt in Sachen Dramatik", sagte der damalige Hawks-Coach Mike Fratello später. "Spiel 7, im Boston Garden, das Duell zwischen zwei Hall-of-Famern, und dann noch dieses Ende mit unserem verzweifelten Versuch, irgendwie zum Tip-In zu gelangen."

Das (vorerst) letzte Hurra

Es wurde bekanntlich nichts. Wilkins' 47 Punkte, 16 davon im letzten Viertel, wurden von Birds 34 (20 im finalen Durchgang) überboten. Die Hawks schieden aus und wurden wenig später auseinandergerissen - tatsächlich kam Atlanta erst 2015, ganze 27 Jahre später, wieder mal in die Conference Finals. Aber auch für Boston war es in dieser Inkarnation gewissermaßen das letzte Hurra.

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In den Conference Finals waren Isaiah Thomas' Pistons zu stark, danach zerfiel Birds Körper mehr und mehr in seine Einzelteile, bis Larry Legend '92 endgültig aufhörte. Die einst so verwöhnten Celtics-Fans mussten lange warten, bis es wieder einen solchen Anlass zum Jubeln gab wie an diesem Tag im Mai '88.

"Besser als perfekt"

Umso mehr verkam das Duell, der Shootout, zum Mythos. Gerade in Boston, wie sich der spätere Celtics-Coach Rivers amüsierte: "Mir sagen immer noch ständig Leute, wenn sie mich sehen, dass sie damals im Garden waren. Mittlerweile müssen es um die 60.000 sein! Ich bin mir ziemlich sicher, dass nicht so viele Menschen dort reingepasst haben."

Das übertrug sich aber nicht bloß auf Fans: "Es war eine unglaubliche Darstellung von Seele und Führungsqualitäten von beiden. Es war so ein Moment, für den du als Spieler, als Fan oder Kommentator lebst. Es war besser als perfekt", sagte Bill Walton, der sich die Partie verletzt aus der ersten Reihe ansehen konnte.

Leider traf das nur für ein Team zu, aber so ist das im Sport - und das weiß auch Wilkins. "Ich erinnere mich noch, wie ich nach dem Spiel mit Larry den Court verließ. Er sagte, wir hätten den Sieg beide verdient gehabt, aber einer musste eben nach Hause fahren. Es war eine Serie, die man mit erhobenem Kopf verlassen konnte. Wir haben alles gegeben. Die anderen auch."

Der Spielplan im Überblick