Endlich "Lichtjahre voraus"

Ole Frerks
05. Juli 201614:44
Die letzten drei MVP-Gewinner spielen von nun an im selben Team getty
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Macht der Wechsel von Kevin Durant die Golden State Warriors zu einer neuen Version der Miami Heat um LeBron James - und wäre das überhaupt schlecht für die NBA? Wie geht es für die Oklahoma City Thunder weiter? Inwiefern profitieren die Dallas Mavericks? SPOX beantwortet die fünf wichtigsten Fragen zum Wechsel der Durantula.

Was bedeutet der Wechsel für die Warriors?

Noch mehr als in der Vorsaison werden die Dubs von jetzt an eine große Zielscheibe auf dem Rücken haben. Jeder wird gegen sie besonders motiviert sein und demonstrieren wollen, dass dieses "Superteam" eigentlich doch gar nicht so gut ist. In diesem Fall denken wir insbesondere an Russell Westbrook und LeBron James.

Aber ganz ehrlich: Damit werden die Warriors gut leben können. Golden State hat alles richtig gemacht und einen historischen Sprung im Salary Cap perfekt ausgenutzt, indem sie einem der drei besten Spieler der Welt einen der beiden anderen zur Seite gestellt haben.

Dass dieser Deal nur deshalb möglich war, weil Steph Curry aus Verletzungsgründen vor einigen Jahren einen massiven Pay-Cut hingenommen hat, ist den Warriors natürlich egal - sie sind der Liga "Lichtjahre voraus", wie Besitzer Joe Lacob sagen würde.

Kommentar zu Durant: Eine reine Basketball-Entscheidung

Personell haben sie natürlich noch einige Aufgaben vor sich, auch wenn die Verpflichtung von Zaza Pachulia am Montag die größte Lücke auf der Fünf bereits gestopft hat. Auch Shaun Livingston wurde gehalten und angesichts der großen Titelchance dürfte es auch kein Problem sein, für verhältnismäßig wenig Geld weitere Veteranen zu holen, die die Rotation ausfüllen können.

Das ist auch wichtig, denn Golden State kann nach der Durant-Verpflichtung nur noch Minimalverträge anbieten. Stand jetzt ist der Kader sehr dünn, und daher muss auch niemand davon ausgehen, dass die Warriors nach 73 Siegen ohne KD jetzt mit ihm 80 Siege anpeilen werden.

In den Playoffs - ironischerweise vor allem gegen OKC - war den Warriors die Müdigkeit bereits anzumerken, in den Finals war dann gerade Curry platt und Andre Iguodala konnte sich in den letzten paar Spielen kaum noch bewegen. Es wird deutlich mehr Ruhepausen für die Stars geben. Nachdem die Rekord-Bilanz bereits in der Bay Area verweilt, zählt dort von jetzt an nur noch Edelmetall.

Und dazu stehen die Chancen sehr gut. Natürlich wird nicht von Anfang an jeder Automatismus sitzen, das erwartet aber auch niemand. Die Warriors zelebrieren selbstlosen Basketball und das wird für KD zwar eine Umgewöhnung darstellen, aber letzten Endes keine Hürde. Vom Potenzial her können die Warriors das beste Offensiv-Team der Geschichte darstellen und auch defensiv ist die Durantula ein klares Upgrade gegenüber Harrison Barnes.

Was bedeutet der Wechsel für Kevin Durant?

Es ist gut möglich, dass Durant sich nach einigen Spielen mit den Warriors in sich geht und denkt: "Verdammt, ist das einfach hier!" Der MVP von 2014 ist Triple-Teams gewöhnt sowie einen Point Guard, der den Ball den Großteil der Zeit in seinen Händen hält. Zwar ist Curry wie Westbrook ein "Shoot-first Point Guard", aber der Ball läuft in Golden State einfach wesentlich flüssiger als bei den Thunder.

Mit Draymond Green und Iguodala verfügen die Dubs weiterhin über zwei der besten Playmaker auf ihren Positionen und auch Curry ist ja kein gewissenloser Gunner. Das Spacing wird ohnehin absurd gut sein: Die Splash Brothers sind vermutlich die beiden besten Shooter der NBA, aber wo liegt Durant? Mindestens in der Top 10! An Dreierrekorden wird es auch in der kommenden Saison nicht fehlen.

Storify zu Durant: Da war doch was...

Mit seinem 1+1-Deal hat sich Durant zudem abgesichert und hält sein Schicksal auch nächsten Sommer in der Hand - genau wie Curry übrigens, der 2017 ebenfalls Free Agent wird. Unterschreibt er nach der kommenden Saison einen langfristigen Deal in Golden State, wäre dies der fetteste Vertrag der NBA-Historie, da er dann zehn Jahre in der NBA verbracht hat.

Finanziell und sportlich gibt es keinen Zweifel daran, dass Durant die beste Entscheidung für sich getroffen hat. Eine bessere Titelchance hätte er mit keinem anderen Team und es gibt keinen Zweifel daran, dass er nicht der nächste Superstar ohne Ring a la Charles Barkley oder Karl Malone werden möchte.

Natürlich wird das Auswirkungen auf seine Popularität haben, aber das hat für KD keine Priorität (mehr). Und wie man am Beispiel von LeBron bereits sehen konnte, wischt der Erfolg letztendlich über alles hinweg. Holt KD mit den Dubs ein paar Titel und den einen oder anderen Finals-MVP-Award, wird schon bald fast niemand mehr darüber meckern, dass er zu "Stephs Team" gewechselt ist.

Was bedeutet der Wechsel für die Thunder?

Die Tatsache, dass Durant sich für seine Entscheidung vier Tage Zeit gelassen hat, hat für sein altes Team die folgende negative Konsequenz: Fast alle guten Free Agents sind bereits vom Markt. Die Thunder haben jetzt Cap-Space, aber eben auch kaum eine gute Option, um diesen zu investieren. Und deswegen ist die Personalie Westbrook entscheidend.

Russ wird im Sommer 2017 ebenfalls Free Agent und ist nach ESPN-Informationen keineswegs gewillt, jetzt eine Vertragsverlängerung in OKC zu unterschreiben. Sam Presti sollte sich mit seinem "neuen" Franchise Player hinsetzen und seine Intentionen herausfinden - denn er darf nicht riskieren, einen weiteren Superstar ohne Gegenwert zu verlieren.

Durants Wechsel-Erklärung im Wortlaut

So verrückt das auch klingen mag: Wenn sich keine klare Zusage von Westbrook bekommen lässt, sollten die Thunder ihn vermutlich traden. Der Serge-Ibaka-Deal war schon einer, der das Team jünger und für einen potenziellen Rebuild besser geeignet machte. Für Westbrook ließe sich ungleich mehr bekommen und vielleicht wäre das genau der richtige Weg.

Nicht falsch verstehen: Mit dem jetzigen Team hätte OKC immer noch eine gute Chance auf die Playoffs und mit Russ vermutlich den Topscorer der Liga. Mehr wäre aber realistischerweise nicht drin - und in dem Fall lohnt es sich einfach nicht, einen Verlust von Westbrook zu riskieren.

Ein Trade des Point Guards würde derweil auch nur dann viel bringen, wenn er signalisiert, sich einen Verbleib beim aufnehmenden Team langfristig vorstellen zu können. OKC würde dann um Victor Oladipo, Cameron Payne, Steven Adams, Domantas Sabonis und diverse Draft-Picks neu aufbauen. Das ist sicher kein Traumszenario, aber immerhin ist Presti als Draft-Maestro bekannt. Es hätte schlimmer kommen können.

Emotional sieht das natürlich anders aus - KDs Verlust war der Super-GAU für OKC und seine Fan-Base. Die Thunder haben als Franchise noch nie ohne Durant existiert. Die aufkommende Thunder-Dynastie, die viele im Jahr 2012 noch prognostiziert hatten, wurde am Montag offiziell mit einem Knall beendet.

Was bedeutet der Wechsel für die Mavericks?

Resteverwertung Deluxe! Abgesehen von den Warriors selbst hat wohl kein Team so sehr von Durants Entscheidung profitiert wie die Mavericks. Die Dubs hätten Dallas' Angebot für Harrison Barnes gematcht, wenn sie KD nicht bekommen hätten, jetzt mussten (oder konnten) sie den Small Forward ziehen lassen. Obendrauf sicherten sich die Mavs auch noch Andrew Bogut.

Zu guter Letzt entschied sich nach allen Moves auch Dirk Nowitzki offiziell für einen Verbleib in Dallas. Nach dem katastrophalen Start in die Free Agency sieht es mittlerweile deutlich besser aus in Big D. Deron Williams, Wesley Matthews, Barnes, Nowitzki und Bogut bilden eine respektable Starting Five. Mit Seth Curry, Justin Anderson und Co. bietet auch die Bank einige solide Optionen.

Mavs-Fans sollten dennoch nicht den Fehler machen, jetzt in Jubelstürme zu verfallen. Es hätte schlimmer kommen können, klar. Aber es ist eben auch wieder ein klassischer Mavs-Sommer: Mit dem jetzigen Team ist ein Erstrundenaus in den Playoffs aller Wahrscheinlichkeit nach wieder das Maximum. Und dann laufen die Verträge von Bogut und Williams auch schon wieder aus.

Ob der Sommer langfristig eine positive Wirkung haben wird, hängt eigentlich fast allein an Barnes. Der 24-Jährige war bei den Dubs meist die vierte oder sogar fünfte Option auf dem Feld und hat sich mit richtig schwachen Playoffs zuletzt keinen Gefallen getan. Dass er nun dennoch einen Maximal-Vertrag bekommen hat, spricht mehr für die schwache Free-Agent-Klasse und die Verzweiflung der Mavs als für seine Qualität.

Freilich hat Barnes aber auch noch Luft nach oben. Dallas muss darauf hoffen, dass er in einer wesentlich größeren Rolle aufblüht und nicht eingeht. Seine Anlagen sind eigentlich nahezu optimal: Er kann werfen, ist athletisch und ein guter Verteidiger. Irgendwo in ihm schlummert ein potenzieller All-Star. Dallas muss darauf hoffen, dass er dieses Potenzial im System von Rick Carlisle abrufen kann.

Was bedeutet der Wechsel für die NBA?

Unmittelbar nach der Verkündung des Wechsels war das Geschrei groß: Der Salary Cap habe versagt, die NBA müsse Änderungen vornehmen, die Liga sei mit einem solchen Team nicht mehr interessant, und so weiter. Hände hoch, wer sich dabei an eine Situation im Sommer 2010 erinnert fühlt!

Vorweg: Der Salary Cap hat nicht versagt. Die NBA wollte die Gehälter nach dem neuen Fernsehdeal langsam und stetig ansteigen lassen, die Spieler waren explizit dagegen. Deshalb gibt es in diesem Sommer und auch im kommenden Sommer die beiden massiven Sprünge, die es ermöglichen, dass selbst vorherige Luxury-Teams auf einmal einen neuen Maximal-Vertrag im Kader unterbringen können.

Und wie eingangs gesagt: Es wäre dennoch nicht möglich gewesen, wenn Curry in seinen ersten NBA-Jahren nicht dauernd verletzt gewesen wäre. Die Warriors hatten im Fall Durant die nötige Weitsicht, aber auch eine riesengroße Portion Glück. Es ist nicht so, dass sie ein fehlerhaftes System ausgetrickst hätten.

Des Weiteren ist es zwar durchaus möglich, dass einige Fans der Liga zeitweise den Rücken kehren, weil ihr eigenes Team keine Chance auf den Titel hat. Die Wett-Plattform "Oddsshark" veröffentlichte gestern neue Titel-Quoten für alle Teams: Die Dubs-Quote steht bei -115. Man muss also 115 Dollar wetten, um 100 zu verdienen! Die Cavs sind mit +350 (100 Dollar für 350) als Zweiter weit davon entfernt.

Ja, wir haben mal wieder einen haushohen Favoriten. Wir haben aber auch genug Beweise dafür, dass das nichts Schlechtes für die NBA ist. ESPN baute für LeBrons "Heatles" eine eigene Seite namens "Heat Index" und fuhr damit über vier Jahre Rekordquoten ein. Das wird bei den Warriors nun ähnlich sein, auch wenn keiner ihrer Spieler dermaßen polarisiert wie LeBron zur damaligen Zeit.

Gut möglich, dass viele Leute eher deshalb einschalten, weil sie auf Niederlagen der Warriors hoffen, aber einschalten werden sie so oder so. Super-Teams dieser Art sind daher keineswegs schlecht für die NBA. Sie sind ein Goldesel. Parität ist ein schönes Konzept, hatte im Sport aber aus genau diesen Gründen noch nie eine Chance.

Alles zu Kevin Durant