Es ist keine zwei Jahre her, da steckte die Karriere von J.R. Smith mitten in einer Sackgasse. Bei einem wieder mal enttäuschenden Knicks-Team legte er in der Saison 2014/15 die schlechtesten Werte seit seiner Sophomore-Saison auf, Schlagzeilen schrieb er nur abseits des Courts - und das nicht gerade positiv.
Man kannte Smith als den Spinner, der alle paar Wochen dadurch auffiel, dass er die Schnürsenkel seiner Gegenspieler öffnete, wenn sie gerade nicht hinsahen. Den Typen, der weiblichen Fans über die Sozialen Medien für alle Welt sichtbar Dinge wie "You trying to get the pipe?" schrieb und jede zweite Nacht im Club verbrachte. Dem in wichtigen Momenten immer mal wieder die Sicherungen durchbrannten.
Smith galt als gewissenloser Gunner, als ein ewiges Talent, das seine Karriere nach und nach vor die Hunde gehen ließ, weil es kein Interesse an Professionalität und harter Arbeit hatte. Einer der letzten Spieler, die von der High School direkt in die NBA wechselten, und gleichzeitig ein Paradebeispiel dafür, warum die Einführung einer Altersgrenze im Jahr 2005 sinnvoll war - so argumentierten zumindest die Fürsprecher dieser Regel.
Dementsprechend galt er eigentlich nur als Beiwerk, als die Cavaliers im Februar für Iman Shumpert tradeten. Sein Vertrag galt sozusagen als das notwendige Übel, das der Contender schlucken musste, zumal darin auch noch eine lukrative Option für die Saison 2015/16 integriert war (6,4 Millionen Dollar). Was haben sich die Zeiten seitdem geändert.
Der Kampf mit dem eigenen Ruf
Eine kurze und unvollständige Timeline: Smith wurde bei den Cavs, mehr noch als Shumpert, zum Leistungsträger. Schon in seiner ersten halben Saison blühte er an der Seite von LeBron James auf und blieb fast immer zurechnungsfähig, wenn man seine Ellbogen-Attacke gegen Jae Crowder in der ersten Playoff-Runde unter den Tisch kehrt. Nur in den Finals kriegte Smith gegen die Warriors nicht mehr viel auf die Reihe.
Dennoch hielt er seinen Marktwert für hoch genug, um seine Option nach der Saison verstreichen zu lassen - ein Fehler. Nach einiger Wartezeit unterschrieb er für weniger Geld (5 Millionen, erneut mit Spieler-Option) erneut bei den Cavs, es wollte einfach kein Team viel in ihn investieren. Sein Ruf war immer noch eine mittelschwere Katastrophe.
LeBron: "Ihr habt die Scheiß-Geschichten gehört"
Über die vergangene Saison änderte sich dies nach und nach. Smith war über die gesamte Spielzeit eine Konstante im Team und konnte sich diesmal auch in den Playoffs so richtig behaupten: In der Postseason steigerte er seine Dreierquote auf 43 Prozent und startete in jedem Spiel auf dem Weg zur ersten Cavs-Championship. Danach mutierte er wieder zum Partylöwen - aber erstmals in seiner Karriere konnte darüber niemand etwas Negatives sagen.
"Ihr habt die ganzen Scheiß-Geschichten gehört", sagte LeBron wenig später bei der Meisterparade in Cleveland. "Die ganzen Dinge: 'J.R. ist kein Team-Player. Man kann nicht mit ihm gewinnen. Er nimmt nur dumme Würfe.' Das ist alles falsch."
Smith saß wenige Zentimeter entfernt vom King und nickte fröhlich - ohne Shirt, wie bei fast jedem öffentlichen Auftreten seit dem Gewinn des Titels. Der mittlerweile 31-Jährige könnte noch betrunken gewesen sein, mit Sicherheit war er jedoch einfach glücklich. Der einstige Chaot ernährt mittlerweile eine Familie und hat in dieser Offseason geheiratet - und in diesem Moment dachte er wohl auch, dass er seine basketballerische Heimat für die Zukunft gefunden hatte.
Und jetzt bezahlt ihr J.R.!
Dann wiederholte sich jedoch ein Szenario aus dem Vorjahr. Smith ließ seine Option verstreichen. Smith sah zu, wie überall in der Liga Shooting Guards mit Monster-Verträgen ausgestattet wurden - Kent Bazemore bekam 70 Millionen, Eric Gordon 53, Jamal Crawford 42 über drei Jahre. Smith selbst ging leer aus.
Die Cavs betonten mehrfach öffentlich, dass sie Smith gerne halten würden und relativ sicher seien, dass dies auch passieren würde. Smith sagte das Gleiche und sprach nicht einmal ernsthaft mit anderen Teams, als sich beispielsweise die Wolves bei ihm meldeten. LeBron kommentierte seinen eigenen 100-Mio.-Vertrag über drei Jahre mit den Worten: "Now pay J.R." Das ist mittlerweile eineinhalb Monate her.
Allzu viel hat sich seitdem nicht getan. Smith gab ein Interview in Complex, in dem er "beidseitigen Respekt" als Grund für den Stillstand der Verhandlungen nannte. Smith will angeblich 15 Millionen pro Jahr, über mehrere Jahre. Die Cavs zahlen nächste Saison allein dem Quartett aus LeBron, Kevin Love, Kyrie Irving und Tristan Thompson rund 85 Millionen. Kein Wunder, dass die Kosten drum herum etwas niedriger gehalten werden sollen.
LeBron bleibt der Fürsprecher
Im Gegensatz zum Vorjahr sitzen die Cavs diesmal aber nicht am längeren Hebel. Smith hat ein neues Ass im Ärmel - oder besser gesagt an seiner Seite. Earl III. wird mittlerweile von Rich Paul vertreten, ebenso wie ein gewisser LeBron. Und der hat über die letzten Jahre Erfahrungen mit Engpässen gesammelt.
Im Sommer 2015 sorgte er dafür, dass Thompson das ganze Training Camp verpasste - danach wurde er mit einen Maximalvertrag über fünf Jahre ausgestattet. Bei Eric Bledsoe, der ebenfalls von Paul vertreten wird, verhielt es sich im Sommer 2014 ganz ähnlich. Nicht aus Zufall hat sich LeBron zuletzt immer wieder lautstark für Smith ausgesprochen. Sollte keine Einigung mit Smith zustande kommen, wäre der Pater Familias in Cleveland alles andere als begeistert.
Das gilt wohl auch für das restliche Team inklusive Tyronn Lue - denn auch sportlich wäre ein Abschied von Smith kaum zu kompensieren. Zum einen, da sonst kein Spieler von Smith' Kaliber mehr auf dem Markt ist, und zum anderen, weil die Midlevel Taxpayer Exception schon fast komplett verbraucht wurde. Cleveland hat keine Kohle für externe Free Agents übrig - schon deshalb ist Smith unverzichtbar.
Cleveland unter Zugzwang
Eigentlich weiß GM David Griffin das. Und deswegen bleibt es eigentlich auch wahrscheinlich, dass sich beide Parteien noch irgendwie einigen - Smith weiß, wie wichtig Cleveland und vor allem LeBron dafür waren, dass er seine Karriere wiederbeleben konnte. Die Franchise hat von ihm profitiert, er selbst ist in Ohio allerdings auch ungemein gewachsen.
Die Frage ist eigentlich nur, wer zuerst einknickt. Gehen die Cavs auf Smith' Forderungen ein oder gewährt er ihnen doch noch einen größeren Rabatt? Oder zieht sich das Ganze so lange hin, bis Smith auf einmal doch entscheidet, bei Teams mit Cap Space zumindest zuzuhören?
Beide gehen in diesen stockenden Gesprächen ein gewisses Risiko ein - im Gegensatz zum letzten Jahr haben die Cavaliers diesmal jedoch mehr zu verlieren.