Bundestrainer Chris Fleming wechselte im Sommer nach einem Jahr als Assistant Coach bei den Denver Nuggets zu den Brooklyn Nets. Im Interview spricht der 46-Jährige über seine Erfahrungen als "Rookie", das Konzept in Brooklyn, die Lehren von Olympia und die neuen Warriors.
SPOX: Sie haben nun ein Jahr bei den Denver Nuggets als Assistant Coach hinter sich. Was sind die größten Unterschiede zur Arbeit in Europa?
Chris Fleming: Am meisten beeindruckt haben mich die athletischen Fähigkeiten der Spieler. Das findest du nirgendwo in Europa, auch nicht bei den Top-Teams. Dadurch wird es ein ganz anderes Spiel. Du brauchst zwei, drei Pässe weniger, um einen guten Wurf herauszuspielen.
SPOX: Und für Sie persönlich?
Fleming: Für mich war es eine große Umstellung, zum ersten Mal als Co-Trainer zu arbeiten. Vorher hatte immer ich das Sagen und konnte die Entscheidungen treffen. (lacht) Aber ich habe sehr viel dabei gelernt und ich mache es gern. Das zweite ist der Rhythmus. Die Termine in Europa sind fest: Unter der Woche Euroleague, am Wochenende BBL. Danach kann man gut planen und sich gut darauf einstellen. Bei dem Spielplan in der NBA weiß man nicht immer, welcher Tag gerade ist. Wir haben teilweise vier Spiele in fünf Tagen mit längeren Auswärtsreisen - das war definitiv gewöhnungsbedürftig, weil du einfach nie in einen Rhythmus kommst.
SPOX: Gab es einen Zeitpunkt in der Saison, an dem Sie erschöpft waren und gerne Urlaub genommen hätten?
Fleming: Nein, das war schon ok, wenn man sich etwas angepasst hatte. Für mich war eher schwierig, dass meine Familie erst zum Ende des Jahres in die USA nachkommen konnte und ich bis dahin ohne sie dort leben musste. Die Zeit war in dieser Hinsicht belastend, aber nicht wegen der Arbeit.
SPOX: In welchem Bereich des Coachings haben Sie sich in Ihrem erster Saison am meisten weiterentwickelt?
Fleming: Das Spiel-Management ist in der NBA wirklich ein ganz eigenes Feld, gerade zum Ende einer Partie. Da gibt es so viele Möglichkeiten, zum Beispiel durch die vielen Auszeiten oder auch durch die Tatsache, dass die Spieler Auszeiten nehmen können. Da habe ich einiges mitgenommen.
SPOX: Haben Sie bei sich selbst Veränderungen in der Arbeitsweise bemerkt?
Fleming: Man muss natürlich schneller arbeiten, alles ist schneller. Du hast weniger Zeit im Training, deine Erklärungen müssen schneller sein und die Drills müssen schneller ineinander übergehen. Der große Unterschied ist: Wenn aus deiner Sicht etwas geändert werden sollte, dann kannst du deinem Head Coach einen Vorschlag machen. Du bestimmst es aber nicht. Man kämpft dafür, aber man muss auch akzeptieren, wenn er nicht umgesetzt wird.
SPOX: War das für Sie manchmal ein Problem?
Fleming: Es war für meine Co-Trainer früher in Deutschland sicher genauso problematisch. (lacht) Das liegt in der menschlichen Natur. Aber wenn du im Coaching Staff die gleichen Vorstellungen hast und an einem Strang ziehst - und das war in Denver so und das ist auch in Brooklyn so - dann ist es viel leichter, mit solch einer Situation umzugehen. Es ist ohnehin immer ein gemeinsamer Prozess, bis man in wichtigen Fragen zu einer Entscheidung kommt.
SPOX: Im Interview vor einem Dreivierteljahr haben Sie mir erzählt, dass Sie einige Monate gar keine Möbel in Denver hatten. Dann hatten Sie endlich welche, haben sich ein wenig eingelebt und nun sind sie schon wieder weitergezogen...
Fleming: ... und in Brooklyn ist kaum eine Wohnung groß genug für meine Möbel! (lacht)
SPOX: Das hat Sie aber nicht am Umzug gehindert. Wie kam es zum Wechsel?
Fleming: Ich stand schon vorher mit Kenny Atkinson in Kontakt, der jetzt neuer Head Coach in Brooklyn ist. Er hat mir einen Job angeboten, bei dem ich eine Stufe höher stehe als in Denver. Dort war ich dritter Assistant Coach, bei den Nets bin ich jetzt der zweite - und das bei dem spannenden Projekt in Brooklyn. Das hat den Ausschlag gegeben. Wir waren mit der ganzen Familie da, es ist schließlich ein großer Schritt. Quakenbrück, Bamberg und auch Denver sind schon eher Kleinstädte. New York ist schon eine andere Hausnummer. Aber ich freue mich unglaublich darauf, dort zu arbeiten.
SPOX: Wie war die Reaktion aus Denver, als Sie nach nur einer Saison gleich wieder gehen wollten?
Fleming: Brooklyn hat offiziell angefragt, ob sie mit mir sprechen dürfen, das ist der ganz normale Vorgang. Ich hatte ja schließlich noch zwei Jahre Vertrag. Das Management und Head Coach Mike Malone haben ihre Zustimmung gegeben und da Kenny ein langjähriger Freund von mir ist, haben sie mir keine Steine in den Weg gelegt. Viele von den Kollegen in Denver sind in der Zeit auch für mich zu guten Freunden geworden. Und sie wussten, dass die Chance für mich vielleicht nicht so schnell wieder kommt.
SPOX: Brooklyn ist seit dem Trade um Paul Pierce und Kevin Garnett 2013 in einer auf Jahre schwierigen Situation. Was stimmt Sie hoffnungsvoll, mit den Nets dennoch etwas erreichen zu können?
Fleming: Das Management, insbesondere General Manager Sean Marks, hat einen guten Plan, um die Franchise wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Ich war sehr angetan von Kennys Ideen der Spielerentwicklung. Das ist ein wichtiger Teil innerhalb eines Teams, den ich schon in Bamberg viel gefördert habe. Spieler, die zu uns wechseln, wollen gewinnen. Da müssen wir wieder hinkommen. Und natürlich übt auch New York City eine große Anziehungskraft aus. Dort wollen viele Spieler leben.
SPOX: Der Sommer 2016 verlief aber eher enttäuschend für Brooklyn. Kein namhafter Free Agent wollte zu den Nets, auch die zwei Offer Sheets von Allen Crabbe und Tyler Johnson waren nicht erfolgreich.
Fleming: Aber sie haben beide unterschrieben, und das trotz besserer Angebote von anderen Teams. Sie wollten zu uns kommen. Angebote an Restricted Free Agents sind immer mit viel Risiko verbunden, das weiß jeder. Aber es ist ein gutes Zeichen.
SPOX: Wo wir gerade beim Risiko sind: In Denver haben Sie viel individuell mit Randy Foye gearbeitet, dann wurde er zur Trade-Deadline vom Management zu den Oklahoma City Thunder verschifft. War also die ganze Arbeit für die Katz?
Fleming: Nein, überhaupt nicht. Ich habe mich für ihn gefreut, als er zu OKC gegangen ist. Wir waren kein Playoff-Team - er hingegen war nicht weit davon entfernt, eine Meisterschaft zu gewinnen. Die Thunder waren so nah dran und womöglich die beste Mannschaft der Liga. Wenn man jetzt wieder die Business-Perspektive einnimmt, dann haben wir im Gegenzug D.J. Augustin bekommen, der uns viel geholfen hat. Es hatte also für alle positive Effekte. Und nun ist Randy lustigerweise wieder bei mir in Brooklyn.
performSPOX: War die Arbeit mit den Spielern in den USA aufgrund des höheren Niveaus einfacher? Konnten die Jungs Ihre Anweisungen schneller umsetzen?
Fleming: Nicht unbedingt. Spielintelligenz ist nicht zwangsläufig das, was Europa und die USA unterscheidet. Es hat mehr mit Athletik und Körpergröße zu tun. Das macht enorm viel aus, wie man auch gerade wieder bei Olympia sehen konnte. Team USA spielt keinen prickelnden Basketball. Die defensive Konstanz war nicht auf dem Niveau der letzten Turniere. Aber allein, was sie am offensiven Brett durch ihre Fähigkeiten erreichen - da können die anderen Teams einfach nicht mithalten.
SPOX: Wer hat Sie in Rio noch beeindruckt?
Fleming: Australien hat sehr gut, sehr kompakt gespielt und hat eine aufstrebende Mannschaft. Und ich habe mich für Nikola Jokic gefreut, den ich aus Denver gut kenne. Er behauptet sich auf einem ganz hohen Niveau und er ist auch charakterlich ein starker Typ. Spanien muss man auch noch erwähnen. Sie sind immer besser ins Turnier gekommen und ich schaue ihnen wirklich gern zu, genau wie den Argentiniern. Es ist sehr schade, dass die große Generation um Manu Ginobili nun aufhört. Das war meine absolute Lieblingsmannschaft in den letzten 15 Jahren. Der Zusammenhalt und auch die Freude, die sie miteinander hatten, waren einzigartig. Sie können ein Vorbild für Deutschland sein.
SPOX: In den letzten Monaten lag der Fokus für Sie auf dem DBB und der EM-Qualifikation. Hatten Sie vor dem Training Camp überhaupt Zeit, sich mit den Nets auseinanderzusetzen?
Fleming: Ich musste natürlich erst einmal alles ein wenig strukturieren. Ich habe ja schon im Mai meinen Schreibtisch in Denver ausgeräumt und bin nach New York gezogen, bin aber dennoch viel gependelt. Ich war teilweise in Brooklyn, teilweise auch im Ausland, um Spieler zu beobachten. Dann kamen die Vorbereitung und die EM-Quali mit Deutschland. Jetzt freue ich mich, endlich mal über einen längeren Zeitraum in Brooklyn zu sein und wirklich mit dem Team arbeiten zu können.
Countdown: Die Top 10 Spieler der NBA
SPOX: Auch nach dem Saisonstart ist das große Thema in der NBA noch immer Kevin Durants Wechsel zu den Golden State Warriors. Was ändert sich dadurch?
Fleming: Gegen KD zu spielen, ist kein Spaß. Egal, wo er ist. (lacht)