"Es geht nicht darum, hochzusteigen. Es ist die Landung, die bereitet mir mehr Probleme", gab Vince Carter nach seinem Dunk zu Protokoll. Ein Dunk in der Crunchtime wohlgemerkt, der das Spiel bei den Utah Jazz endgültig zugunsten der Grizzlies entschied.
Selbst mit 39 Jahren ist Vinsanity noch in der Lage, den Ball spektakulär durch die Reuse zu stopfen. Auch, wenn er den Fans dieses Spektakel nur noch selten liefert. Doch nicht nur das: Beim Auswärtsspiel am Salzsee gelangen dem früheren Highflyer 20 Punkte. So viele Zähler hatte in diesem Alter noch kein Bankspieler auflegt.
Über die komplette Saison erzielte Carter bislang 9,9 Punkte, 4,4 Rebounds und 1,8 Assists im Schnitt. Zwischendurch scorte er gar in fünf Spielen in Serie zweistellig, wobei er zwei Mal die 20-Punkte-Marke knackte. Bisher gelang es erst vier Spielern, mit 40 Jahren über eine Saison im Schnitt 10 oder mehr Punkte aufzulegen: Kareem Abdul-Jabbar, Karl Malone, Robert Parish und John Stockton. Carter ist dicht dran, in diese eltäre Gemeinschaft vorzustoßen.
Natürlich lässt sich die gesteigerte Produktion auf den ersten Blick mit der gestiegenen Spielzeit begründen (27 Minuten im Schnitt zu 17 in der Vorsaison). Doch während andere Spieler bei längeren Einsatzzeiten in puncto Effizienz nachlassen, konnte Carter sich steigern. 43 Prozent aus dem Feld sind besser als in den letzten fünf Jahren, die True Shooting Percentage von 55,5 ist sogar die drittbeste seiner gesamten Karriere.
Mit Verzögerung
Dabei lief es zunächst in Memphis alles andere als optimal. Der ehemalige Dunk-Champion sollte den Grizzlies das Feld öffnen und das chronische Shooting-Problem der Franchise aus Tennessee lösen, als er sich 2014 überraschend Marc Gasol, Mike Conley und Co. anschloss.
Seine Quoten von zu Beginn 32 Prozent waren nicht das, was sich beide Parteien voneinander gewünscht hatten. E hakte im Grindhouse weiter in der Disziplin Werfen. Carter wirkte nicht austrainiert und der Knöchel machte ständig Probleme. Es schien, als würde der einstige Superstar nur noch ein "Locker Room Guy" sein.
Neue Rolle
Mitnichten: Carter, der älteste aktive Spieler der NBA wird im Januar 40 Jahre alt und liefert seine beste Saison seit langem. Zwar sind auch in diesem Jahr die Trefferquoten aus der Distanz nicht besser, doch Carter leistet mit überlegtem Playmaking und überraschend guter Defense andere wertvolle Dienste.
Mit dem Routinier läuft die Offensive der Grizzlies deutlich flüssiger. Carter kann einem Team noch immer einiges geben, sei es als Ballführer oder Blocksteller im Pick-and-Roll oder als Slasher.
Nicht ohne Grund liegt Carter auf Rang 24 der All Time Scoring List. Sein Arsenal an Waffen ist zwar durch seine schwindende Athletik geschrumpft, doch der ehemalige Tar Heel findet nun andere Wege. "Er spielt immer noch gut, weil er cleverer ist als alle anderen. Früher spielte er gut, weil er einfach athletischer war", fasste es Clippers-Coach Doc Rivers treffend zusammen.
Es kommt nicht von ungefähr, dass die Grizzlies ohne den Veteranen ein Net Rating von -9,8 vorzuweisen haben und lediglich 92,9 Punkte auf 100 Ballbesitze erzielen. Nur ohne Mike Conley ist die Offense der Grizz noch zahnloser. Steht Carter dagegen auf dem Feld, macht Memphis auf 100 Angriffe gerechnet 5 Punkte mehr als der Gegner.
Die biologische Uhr tickt
"Es ist nicht einfach. Lange Zeit ist mir vieles leicht gefallen, nun muss ich härter dafür arbeiten. Dass ich in diesem Alter auf einem solchen Level noch mithalten kann, ist unglaublich", sagt Carter. Dennoch: Die biologische Uhr tickt unaufhörlich, spätestens seit der Operation am rechten Knöchel im Jahr 2014. Eben jene Stelle seines Körpers macht VC immer wieder zu schaffen.
Deswegen greift Carter zu teils ungewöhnlichen Maßnahmen. Bei Auswärtsspielen bestellt der Veteran zumeist ein Taxi, um deutlich früher als der Rest des Teams in die Arena zu fahren und Stabilisationsübungen für seinen Knöchel zu machen. "Jedes kleine Detail zählt und ich bin gewillt, alles zu tun", so der Flügelspieler.
Den Grundstein für seine gute Verfassung har er dabei schon im Sommer gelegt. In Orlando besitzt Carter sein eigenes Fitness-Studio, bei dem es an nichts fehlt. Dort verbrachte er fast die komplette Offseason und schuftete, während andere ihre Freizeit genossen. "Man könnte das Trainings Camp auch bei ihm abhalten", so Coach David Fizdale beeindruckt: "Er hat dort so viele Möglichkeiten."
Nicht immer Vorzeige-Profi
Doch auch während der Saison besticht der im Draft 1998 von den Raptors an fünfter Stelle gezogene Carter mit eiserner Disziplin. "Er ist total professionell und immer der Erste im Kraftraum nach einem Spiel. Wenn ich ihn um etwas bitte, kann ich mich auf ihn verlassen", berichtet Fizdale. Es sind Worte, die man wahrscheinlich nicht über den jüngeren Vince Carter gehört hätte. Damals galt er nicht zu Unrecht als launische Diva.
Man erinnere sich nur an die Schlussphase seiner Zeit in Toronto, als Carter offensichtlich lustlos spielte, einen Trade zu den New Jersey Nets forcierte, um dann plötzlich im Zusammenspiel mit Jason Kidd wieder zu explodieren. Man erinnere sich an die Orlando Magic, die ím Jahr 2010 in Half Man/Half Amazing das fehlende Puzzleteil für einen weiteren Titel-Run sahen, um dann doch bitter enttäuscht zu werden - vor allem als Carter in den Playoffs dürftige Leistungen zeigte.
Neue Professionalität
Doch dann stellte sich ein Umdenken beim ehemaligen Super-Athleten ein. Bereits bei den Dalles Mavericks an der Seite von Dirk Nowitzki war er ein absoluter Teamplayer und ein Vorbild.
"Er war großartig in den drei Jahren bei uns", schwärmte Rick Carlisle: "Als er entschied, uns zu verlassen, war das hart für mich. Er war einer der wenigen, mit denen ich wirklich gute Gespräche führen konnte." Mit einem breiten Grinsen fügte der 57-Jährige an: "Schließlich sind wir fast im selben Alter."
Carter entschied sich für Memphis und war vom ersten Tag an einer der Leader des Teams. Für seine Führung, Hingabe und Leidenschaft für das Spiel wurde er mit dem Teyman-Stokes Teammate of the Year Award ausgezeichnet.
Die Jagd nach der 20
Zach Randolph machte sich nach dem Spiel in Salt Lake City bereits für eine Vertragsverlängerung seines Teamkollegen stark, dessen Arbeitspapier im kommenden Sommer ausläuft: "Gebt ihm einen neuen Zwei- oder Drei-Jahres-Vertrag. Das würde ich zumindest tun."
Carter selbst denkt noch lange nicht ans Aufhören. Bereits vor der Saison stellte er klar, dass nach seinem 19. Jahr in der NBA noch nicht Schluss sein muss: "Ich will die 20 voll machen. Danach sehen wir weiter."
Noch kann VC in der Liga mithalten, auch wenn sein Spiel nur noch vereinzelt in solch luftigen Höhen stattfindet wie beim epischen Dunk Contest 2000 oder beim legendären Dunk des Todes wenige Monate später. Der geht auf die Kappe von Vinsanity.
Inzwischen ist Carter auch mental bei seinem neuen Spiel angekommen: "Ich bin über den Punkt hinaus, an dem ich nach einem Layup dachte: 'Mann, den hätte ich früher gedunkt'", so Carter gegenüber Bleacher Report: "Es ist zwar noch Teil meines Spiels, aber ich wähle ganz genau aus. Ist es das Highlight wert, danach vielleicht nicht mehr spielen zu können?"
Carter kennt die Antwort. Meist lautet sie "nein". Denn auch er weiß, dass das Ende seiner aktiven Karriere nicht mehr allzu weit entfernt ist. Für Memphis und ihn ist zu hoffen, dass dieser Moment nicht schnell kommen wird. Erstmal wird er noch gebraucht.
Steigerung in Sicht
Nach der erneuten Verletzung von Chandler Parsons wird der einstige Shooting Guard, der im modernen Small Ball auch als Stretch Four aufläuft, noch ein paar zusätzliche Minuten abreißen müssen. Zumal er neben Z-Bo der einzige Grizzlies-Reservist ist, der den eigenen Wurf kreieren und entscheidende Plays iniitieren kann.
Mit einer Bilanz von 8-5 war der Start des Teams mehr als passabel. Mittendrin ein fast 40-Jähriger. Carter bleibt ein Phänomen, wenn auch in einer anderen Rolle. Half Man/Half Amazing - nur anders eben. Mehr so Half Grandpa/Half Amazing.