Das letzte Mal, als die Oklahoma City Thunder den Court der Oracle Arena verließen, hingen ihre Köpfe bis zum Boden. Russell Westbrook, Kevin Durant und Co. hatten soeben eine 3-1 Führung gegen die Golden State Warriors verspielt und sich um den Einzug in die NBA Finals gebracht.
158 Tage später kehrt OKC nach Oakland zurück. Mit Westbrook - aber ohne Durant. Der steht nun bekanntlich auf der anderen Seite der Macht. In der Nacht zum Freitag (ab 3.30 Uhr live auf DAZN) steigt das erste Duell zwischen den beiden Teams nach KDs Wechsel.
Seit dem ersten Spiel zwischen den Miami Heat und den Cleveland Cavaliers nach "The Decision" gab es keinen so großen Hype mehr um eine einzelne Partie. Am häufigsten liest man dabei den Ausdruck "Hass-Duell".
Zurück in die Spielhölle
Es ist so ein bisschen wie in einem Arcade-Automaten in einer Spielhalle der 90er: Ein alter verschrammter Metallkasten mit zwei Knüppeln und vier Knöpfen, auf dem Bildschirm stehen sich zwei pixelige Figuren gegenüber. Die Aufregung, das Adrenalin, das Kribbeln.
"Eigentlich wünscht sich doch jeder, dass wir in der Mitte des Courts einen Faustkampf austragen", nimmt KD gegenüber USA Today kein Blatt vor den Mund. Ja, im Prinzip schon. Am besten im Tag Team mit jeweils Donald Trump oder Hillary Clinton.
Da das aber nur in der NHL erlaubt ist, läuft es zum Glück auf ein Basketballspiel hinaus. Und es wird episch, das versprechen allein schon die Kommentare im Vorfeld. "Ich schüttle keine Hände vor einer Partie. Das habe ich noch nie getan", erteilte Durant einer freundlichen Begrüßung eine Absage. "Nach dem Spiel ist es etwas anderes", fügte KD noch hinzu, doch da wird auch der Spielverlauf noch eine kleine Rolle zu spielen haben.
Das "Superteam" macht Hoffnung
Auf der einen Seite stehen die Warriors, die dem Label "Superteam" bisher noch nicht gerecht werden konnten. Löchrige Defensive, Findungsphase, Center-Probleme, Klay Thompsons Dreierquote (10,7 Prozent!) und fehlende Banktiefe sind die Themen, die Golden State derzeit beschäftigen.
Die dicke Pleite gegen die San Antonio Spurs zum Auftakt hängt trotz zuletzt drei Siegen in Serie noch nach. Die Konkurrenz hat Blut geleckt, da Golden State eine Achillesferse offenbart hat. Goliath ist verwundbar.
Hoffnung in der Bay Area gibt aber der letzte Auftritt gegen die Portland Trail Blazers. Vor allem die Verteidigung der Dubs zeigte sich deutlich verbessert. Nicht unbedingt mit Zaza Pachulia auf dem Court, doch als Steve Kerr im dritten Viertel das Small Ball Lineup aufs Parkett brachte, kam Portland trotz Mini-Steph Damian Lillard offensiv nicht mehr durch.
In Transition ballerte Stephen Curry einen Dreier nach dem anderen rein - und noch lange vor Spielende machten sich die Blazers-Fans auf nach Hause. Erstmals spielten die Warriors auf die Art, die die gesamte Liga erwartet hatte.
Highlight-Show mit Alphatier
Demgegenüber stehen die als einziges West-Team noch ungeschlagenen Thunder, denen manch ein Beobachter nach Durants Wechsel schon die Playoff-Tauglichkeit abgesprochen hatte. Zwar hießen die Gegner zum Start Philadelphia 76ers, Phoenix Suns und Los Angeles Lakers, doch beim Sieg gegen die L.A. Clippers zeigten die Thunder, dass man auch starke, eingespielte Truppen schlagen kann.
Keine Überraschung ist, dass Westbrook bei OKC den Alleinunterhalter gibt. Doch die Qualität seiner Show hat ein fast schon unmenschliches Niveau erreicht: 37,8 Punkte, 10,8 Rebounds und 10 Assists sind Zahlen, die sonst nur Oscar Robertson kennt.
Wenige Teams sind dabei so gefährlich für die Dubs wie die Thunder. Das Frontcourt-Duo Steven Adams und Enes Kanter ist prädestiniert dafür, die fehlende Rim Protection von Golden State auszunutzen. Wenn Russ sie mit seinen Pässen findet, sollten sie die Zone dominieren.
Duell der Gegensätze
Während sich KD als uneigennütziger Spieler in das Pass-first-System der Warriors eingefügt hat, weist Westbrook mit 43,8 die höchste Usage-Rate der Liga auf (der Prozentsatz der Angriffe eines Teams, die ein Spieler abschließt).
Doch nicht nur die beiden Akteure im Fokus könnten gegensätzlicher kaum sein. Auch ihre Art, mit dem bevorstehenden Duell umzugehen, unterscheidet sich komplett. Das hängt auch mit ihren Rollen zusammen.
Täter und Opfer
Da ist KD, der Buhmann, der ohne ein Wort die Koffer gepackt und die langjährige Beziehung per Textnachricht beendet hat. Und da ist Russ, der Verlassene, der der Opferrolle schnell mit einem neuen, langfristigen Vertrag in OKC entgegenwirkte.
Und während Durant den Zeitungen - um Glättung der Wogen bemüht - rechts und links bombastische Überschriften in die Feder diktierte, hüllte sich Russ in Schweigen. Beziehungsweise in nichtssagende Allgemeinplätze.
"Ich spiele jedes Spiel, als wäre es mein letztes", so Westbrook: "Ich spiele jedes Spiel gleich. Das sage ich schon seit Jahren. Es ist egal, gegen wen wir spielen." Diese Aussage nahm ihm zwar niemand ab, doch das war nicht weiter schlimm. Immerhin bot er so keine Angriffsfläche.
Nicht dazugelernt
Dass Westbrooks Herangehensweise nicht die schlechteste war, zeigte sich spätestens, als Durant nach vielen falsch interpretierten Worten zum Gegenschlag ausholte und eine heftige Medienschelte vom Stapel ließ. Im Umgang mit der Presse hat er auch in neun NBA-Jahren nicht wirklich dazugelernt.
Seine Kritik in der San Jose Mercury News an der allgemeinen Berichterstattung war deutlich: "Ich höre nur Lügen. Alles, was ich höre, ist, dass sie versuchen, einen Keil zwischen uns zu treiben. Das haben sie auch schon, als wir noch zusammengespielt haben. Aber jetzt noch mehr als früher."
Und Durant polterte weiter: "Das, was an Gerüchten kursiert, stimmt nicht. Es dient nur der Unterhaltung. Sie wollen vor dem Spiel eine wütende Atmosphäre schaffen, damit mehr Leute den Fernseher einschalten. Das ist schmutzig. Wir wollen uns messen, das ist alles, was zählt. Und wir reden viel zu viel um das Drumherum." Nicht wir, Kevin. Du.
"What are we talking about here?"
Verzweifelt versuchte Durant immer wieder, den Fokus auf das Spiel zu lenken: "Wir reden nicht über das, was auf dem Court passiert. Worüber reden wir hier eigentlich?"
Wir reden über eines der wichtigsten Spiele der Saison, unabhängig vom frühen Zeitpunkt. Jeder Sieg zählt gleich viel? Das ich nicht lache. Diese Partie ist sowohl für die Psyche der Teams als auch für den Ruf enorm wichtig. Denn alle Spieler, alle Coaches, alle Funktionäre und alle echten Basketball-Fans auf der ganzen Welt werden dieses Spiel sehen.
Auf die Intensität der Western Conference Finals kann man sich getrost einstellen, wenn nicht sogar auf mehr. Wäre ja nicht so, als würden sich Draymond Green und Adams inzwischen leiden können.
Schaffen es die Warriors, geschlossen hinter Durant zu stehen und ihre Festung zu verteidigen? Oder fliegt Westbrook wie der Tasmanische Teufel durch die Dubs-Defense und verpasst den Titelträumen von Golden State einen weiteren heftigen Dämpfer?
Die Aufregung, das Adrenalin, das Kribbeln. Und dann der Countdown: 3, 2, 1, fight!