"Heute passiert Trash Talk über Twitter"

Dean Walle
22. Dezember 201622:52
Paul Pierce war 15 Jahre lang einer der Leader der Boston Celticsgetty
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Paul Pierce gewann 2008 die Championship und legte eine Hall-of-Fame-Karriere hin. Nun steht der langjährige Forward der Boston Celtics, die am Christmas Day (ab 18 Uhr im LIVESTREAM FOR FREE) gegen die New York Knicks antreten, kurz vor dem Ende seiner Laufbahn. Im Interview spricht The Truth über lange Nächte im Locker Room, Trash Talk der Marke Old School und seine größten Playoff-Duelle.

SPOX: Mr. Pierce, Wie ist Ihre Entscheidung, nach dieser Saison Ihre Karriere zu beenden, in Ihrem Umfeld aufgenommen worden?

Paul Pierce: Die Entscheidung hat sehr viel Zustimmung gefunden. Viele Leute haben allerdings bereits gesagt, dass sie mich vermissen werden. Ich habe der Liga einige sehr sehr gute Jahre gegeben. Die Menschen haben verstanden, was für ein Spieler ich über die ganzen Jahre hinweg war, wie sehr ich mich für diesen Sport aufgeopfert und wie viel Leidenschaft ich in diesen Sport investiert habe. Ich hab mein ganzes Leben dem Basketball untergeordnet. Und jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich mich auf die nächste Phase in meinem Leben vorbereiten muss.

SPOX: Die nächste Phase - wie wird die aussehen?

Pierce: Ganz sicher bin ich mir noch nicht, aber ich möchte auf jeden Fall dem Basketball etwas zurückgeben. Nicht mehr als Spieler, aber vielleicht als Coach oder im Management oder möglicherweise sogar als TV-Kommentator. Irgendwie, in irgendeiner Form, werde ich dem Sport erhalten bleiben.

SPOX: Wie kurz standen sie im Sommer wirklich davor, die Schuhe an den Nagel zu hängen?

Pierce: Ich stand sehr kurz davor, in der Offseason meine Karriere zu beenden. Die Sommerpausen werden jedes Jahr immer kürzer, besonders dann, wenn der Zeitpunkt kommt, wo man sich für die nächste Saison in Form bringen muss. (lacht) Dieses Mal hat es wieder ein bisschen länger als üblich gedauert aus dem Bett zu krabbeln und sich aufzuraffen, um zum Training zu gehen. Die Saison selbst ist gar nicht mal das Schlimmste. Viel schlimmer ist die Vorbereitung darauf. Diesen Sommer ist es mir viel schwerer gefallen als in den vergangenen Jahren. Diesmal war's auf jeden Fall das allerletzte Mal.

SPOX: Warum sind Sie denn überhaupt noch mal für eine weitere Saison zurückgekommen?

Pierce: Ich wollte einfach noch einmal um den Titel mitspielen. Ich hab mir unser Team für diese Saison angeschaut und gesehen, dass wir eine echte Chance auf die Meisterschaft haben. Außerdem hat es mir überhaupt nicht gefallen, wie das letzte Jahr zu Ende gegangen ist. Wir hatten enorme Verletzungsprobleme. Dieses Jahr, dachte ich mir, könnten wir mit diesem Team noch mal richtig angreifen. Wir haben so viele große großartige Spieler, da könnte es zum Titel reichen.

SPOX: Sie sind einer der übrig geblieben Dinosaurier sozusagen. Wie verrückt war es für Sie persönlich, zu beobachten, wie die Stars, die wie Sie in den Neunzigern gedraftet wurden, nach und nach die Liga verlassen?

Pierce: Das war schon hart. Ich bin Teil einer ganz fantastischen Ära. Gucken Sie sich an, wer seit dem Jahr 2000 die Liga verlassen hat, zum Beispiel Allen Iverson und Tracy McGrady. Oder nur allein dieses Jahr: Kobe Bryant, Tim Duncan, Kevin Garnett. Das sind alles Jungs mit denen ich zusammen in die Liga gekommen bin. Das tut schon ein bisschen weh, diese Spieler gehen zu sehen. Ich bin als Nächster dran.

SPOX: Stichwort Garnett. Sie haben zusammen mit ihm in Boston einen Titel gewonnen und auch darüber hinaus sehr viel mit ihm erlebt. KG war ja bekanntermaßen auch ein legendärer Trash Talker. Können Sie ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern?

Pierce: Ich teile unglaublich viele ganz tolle gemeinsame Erinnerungen mit ihm. Nicht nur die Championship mit ihm machte die Zeit mit ihm zu etwas Besonderem. Auch die Geschichten, die er jeden Tag erzählt hat. Das war schon verrückt. Er hat einfach jeden in seinen Bann gezogen mit seiner Stimme und mit seinen Anekdoten. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich nach dem Spiel oder nach dem Training gemeinsam mit ihm in dem Locker Room gesessen habe und wir einfach Geschichten ausgetauscht haben. Teilweise stundenlang. Auf einmal sah die Kabine aus wie ein verdammtes Lagerfeuer. Alle Leute, die zur Mannschaft gehörten, haben sich nach und nach um uns versammelt und einfach zugehört, was KG zu sagen hatte. Anekdoten, Erfahrungen und Geschichten aus der Liga, die er mit uns teilte. Er ist ohne Frage eine der besten Mitspieler den ich jemals hatte. Es ist wirklich traurig, dass er nicht mehr da ist. Aber irgendwann müssen wir halt alle gehen.

SPOX: Schätzen Sie dieses - ihr letztes - Jahr mehr als die anderen Jahre?

Pierce: Auf jeden Fall. Viel mehr. Deswegen komme ich immer früh zum Training und zum Spiel und genieße diese Erfahrung ein letztes Mal. Ich freue mich auf jede Auswärtsreise, jede Busfahrt, jeden Flug. Selbst die Zeit mit der Presse und den Journalisten. (lacht) Ich weiß halt, es ist das letzte Mal.

SPOX: Wie wichtig ist es, in einer so langen Saison seinen Sinn für Humor zu behalten?

Pierce: Sehr wichtig. Den musst du einfach bewahren, ich ganz besonders. Denn das war's, es ist mein letztes Jahr. Ich kann hier nicht schlecht gelaunt zum Training kommen und enttäuscht oder traurig sein. Ich werde positiv bleiben. Du musst einfach auch Spaß haben. Es ist so eine lange, harte Saison. Die Leute verstehen das nicht. 82 Spiele! Dazu kommen die Playoffs. Man sieht sich praktisch jeden Tag. Beim Training. Zum Spiel. Ich genieße jeden Moment. Besonders die Zeit mit den jungen Spielern in der Mannschaft. Die wollen von einem Veteran wie mir erfahren, wie es ist, gegen die Superstars der vergangenen Zeiten gespielt zu haben, gegen die sie ja nie angetreten sind. Und natürlich teile ich meine Erfahrungen gerne mit ihnen.

SPOX: Können Sie einem Spieler wie DeAndre Jordan auch mit seiner Freiwurfschwäche helfen?

Pierce: Ich kann DeAndre Jordan zeigen, wie man ein echter Leader ist und ein Team führt. Und das jeden Tag. Er ist einer unserer Führungspersönlichkeiten. DJ muss in diese Rolle hineinwachsen. Als ich in die Liga kam, wurde ich bereits in meinem zweiten Jahr zum Captain der Boston Celtics gemacht. Ich habe die Leader-Rolle quasi mein ganzes Leben lang inne gehabt. Er ist unser Center, der Anker unserer Defense. Er hat eine laute Stimme und jeder hört ihm zu. Wenn du ein Leader sein möchtest, musst du das jeden Tag bringen und nicht nur manchmal. Ich kann ihm helfen, dieser Leader zu werden.

SPOX: Sie waren definitiv ein Leader - aber auch ein hervorragender Trash Talker. Gibt es einen Spieler, den sie auf dieser Ebene respektieren?

Pierce: Die wirklich großartigen Trash Talker sind ja gar nicht mehr in der Liga. Es ist alles anders. Die Spieler heutzutage reden nicht mehr so viel Trash wie früher. Ich habe noch gegen die besten Trash Talker aller Zeiten gespielt. Michael Jordan! Gary Payton! Charles Barkley! Das war richtiger Old School Trash Talk. Das gibt es jetzt quasi nicht mehr. Heute passiert Trash Talk über Twitter. Der beste Trash Talker heute ist wohl Draymond Green.

SPOX: Sie haben fast 20 Jahre gegen Dirk Nowitzki gespielt. Wie sehen Sie ihn als Spieler und als Competitor?

Pierce: Dirk ist einer der fünf Spieler, die ich mir am liebsten anschaue. Er hat die Power-Forward-Position in der NBA verändert. Sein Wurf. Seine Finesse. Seine Offensiv-Qualitäten. Seine Spielintelligenz. Ich liebe jeden Teil seines Spiels. So ein harter Arbeiter. Seine Einstellung. Was er geschafft hat, ist unglaublich. Ein großartiger Spieler. Wie er die Dallas Mavericks über so eine lange Zeit getragen hat, ist beeindruckend. Er hat die Franchise quasi im Alleingang zur Meisterschaft geführt und den MVP-Titel gewonnen. Er ist einer meiner fünf Lieblingsspieler aller Zeiten.

SPOX: Wie gut sind die neuen Superstars in der NBA verglichen mit den Big Dogs vergangener Tage?

Pierce: Es gibt heute viel mehr Talent in unserer Liga. Die großen Jungs sind wesentlich vielseitiger als früher und schießen Dreier. Dirk hat großen Anteil an dieser Entwicklung. Die jungen Spieler, die jetzt in die NBA kommen, haben ihn in ihrer Jugend beobachtet und spielen deswegen sogar teilweise mehr außen als innen. Zwei Beispiele sind Anthony Davis und Karl Anthony Towns. Diese Jungs können nicht nur werfen, sondern auch Dribbeln und sind extrem variabel. Aber all das liegt hauptsächlich an der Generation meiner Ära.

SPOX: Wie sehr hat sich ihr Standing in der NBA durch den Titelgewinn mit den Boston Celtics verändert?

Pierce: Ich habe mir den Respekt der anderen Spieler hart erarbeitet und verdient. Nicht nur jetzt sondern auch schon in der Vergangenheit. Wir haben in Boston einen Titel gewonnen und das bleibt für immer. Besonders wenn man als Celtic einen Titel gewinnt, vergisst das niemand. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich meine Fußstapfen in der NBA hinterlassen durfte. Und dankbar dafür, dass ich mich einen Champion nennen darf.

SPOX: Sie haben in Ihrer Karriere viele spektakuläre Playoff-Duelle mit anderen Spielern ausgefochten. Welche davon würden Sie besonders hervorheben?

Pierce: Zwei davon werde ich sicher niemals vergessen. Die Schlachten mit LeBron James als er in Cleveland spielte. Und natürlich meine Duelle mit Kobe Bryant. Wir standen zwei Jahre nacheinander gegen die Lakers in den Finals. Einmal habe ich gewonnen, beim zweiten Mal er. Kobe und LeBron sind meiner Meinung nach zwei der besten zehn Spieler aller Zeiten.

SPOX: Jeder dachte, sie würden ihre Karriere bei den Boston Celtics beenden. Wie kam es dazu, dass sie doch in Los Angeles gelandet sind?

Pierce: Das war nicht leicht. Aber ich bin jetzt zu Hause. Hier bin ich aufgewachsen. Alles hat hier angefangen. In Inglewood, etwa zehn Minuten von unserem Trainings-Center entfernt. Ich habe das große Glück, zu Hause, vor den Augen meiner Freunde und meiner Familie meine Karriere beenden zu dürfen. Leute, die mich vom ersten Tag an gesehen und unterstützt haben. Leute, die gesehen haben, wie sich Paul Pierce von einem Jungen zu einem Mann entwickelt hat. Der ein Champion geworden ist. Das ist eine hervorragende Art, um aufzuhören. Aber trotzdem werde ich meine Karriere als Boston Celtic beenden. Selbst wenn es nur für einen Tag sein sollte.

SPOX: Ist das bereits sicher? Hat General Manager Danny Ainge bereits signalisiert, dass er Ihnen diesen Wunsch erfüllen wird?

Pierce: Ich würde sein Angebot auf jeden Fall nicht ausschlagen. (lacht)

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