Walt Disney hätte seine Freude gehabt am Saisonstart der Clippers: Tabellenführer vor den Golden State Warriors, eine Bilanz von 14-2, das mit Abstand beste Net-Rating der Liga (+13,8). Ein Auftakt wie gemalt. Doch dann das: Drei Pleiten in Serie, ein Dämpfer jagte den nächsten.
Erst eine Niederlage gegen ein bockstarkes Pistons-Kollektiv, ein unterirdischer 70-Punkte-Auftritt gegen die Indiana Pacers ohne Paul George und schließlich der negative Höhepunkt: eine Pleite bei den Brooklyn Nets, dem drittschlechtesten Team der Liga.
Trotz starker Leistungen von Chris Paul und DeAndre Jordan reichte es gegen die Kai-aus-der-Kiste-Performance von Nobody Sean Kilpatrick nicht zum Sieg. Blake Griffin fehlte an allen Ecken und Enden.
Doch warum setzte Griffin eigentlich aus? Gegen Indiana hatte der Power Forward einen Schlag auf die Wade bekommen - doch das war nicht der Grund für seine Abwesenheit. Diese Entscheidung war schon Monate vorher gefallen.
Neuer Ansatz
Nachdem Mitte August der Spielplan veröffentlicht worden war, setzte sich Doc Rivers mit seinen Mitarbeitern zusammen und entschied dreieinhalb Monate vor dem Spiel, Griffin gegen die Nets zu schonen.
Hintergrund ist der neue Ansatz in Gesundheitsfragen, den die Clippers seit dieser Saison verfolgen. L.A. hat im Sommer ordentlich Geld in die Hand genommen und ein mehrköpfiges Analytics-Team eingestellt. Ihre Aufgabe: Die biometrischen Werte der Spieler überwachen und die Fitness im Blick behalten. Zu jeder Zeit. Während der Spiele. Nachts. An freien Tagen.
Der Schlüssel zum Sieg?
Neu ist die Idee im Profisport nicht, auch andere NBA-Franchises werten bereits Tonnen von Daten aus und ziehen sie bei ihren Entscheidungen zu Rate. Doch gerade die in den letzten Jahren von Verletzungen gebeutelten Clippers lechzen nach einer Saison ohne langfristige Ausfälle ihrer besten Spieler.
Die Biometrics könnten der Schlüssel zu einem Championship-Run des Teams sein. Deshalb macht Rivers in dieser Hinsicht keine Kompromisse und verlässt sich ganz auf seine neueste Abteilung.
Tiefen-Analyse
Mit Mikrosensoren auf der Haut werden der Herzschlag der Spieler gemessen und die Körpertemperatur kontrolliert. Täglich werden Blutproben analysiert, jede einzelne Bewegung wird aufgezeichnet.
Seit der Einführung der Motion Capture Kameras in allen NBA-Arenen können sogar einzelne Bewegungsmuster untersucht und mit Datenbanken abgeglichen werden, um den Erschöpfungsgrad zu erkennen und Verletzungen vorzubeugen. So kommt es schon mal vor, dass Rivers im Spiel von seinen neuen Leuten mitgeteilt bekommt, welcher Spieler gerade ein Päuschen auf der Bank gebrauchen könnte.
Konditionszustand und Erschöpfungs-Limit werden beobachtet, Ruhezeiten vorgegeben und die Ernährungskonzepte angepasst. Aus den gesammelten Gesundheitsdaten werden Algorithmen berechnet, um Verletzungsverläufe besser vorhersagen zu können und die Belastung optimal zu dosieren. Alles für die bestmögliche Leistung.
"Wie ein Hinterhalt"
Rivers sagte, er habe anhand der Daten nicht selbst entschieden, dass Griffin aussetzen soll. "Ich bin nicht klug genug, um die Biometrics zu verstehen", sagte der Coach und General Manager: "Aber die Leute, die wir angestellt haben, sind es. Und sie haben mir unseren Plan bestätigt, dass es ein guter Tag wäre, um Blake eine Pause zu gönnen."
Griffin selbst war überhaupt nicht erfreut über die Neuigkeit die ihm in größerer Runde überbracht wurden: "Am Sonntagnachmittag wurde ich in Docs Büro zitiert, da saßen bereits all unsere Coaches und warteten auf mich. Ich fühlte mich, als wäre ich in einen Hinterhalt geraten. Und ich wusste sofort, was passieren würde."
Kampflos wollte sich Griffin aber nicht geschlagen geben: "Sie haben all ihre wissenschaftlichen Argumente präsentiert, Mark [Simpson, Director of Player Performance] hatte ein wahres Pamphlet für die anstehende Diskussion vorbereitet. Ich habe ihnen meine Meinung gesagt, [...] aber nach einiger Zeit habe ich eingelenkt und akzeptiert, auszusetzen."
Von der Bank sah Griffin ein kämpfendes, aber am Ende doch unterlegenes Clippers-Team, das der Aufholjagd von Nobody Sean Kilpatrick nichts entgegenzusetzen hatte. "Es war frustrierend", so der 27-Jährige: "Ich war schon vor dem Spiel frustriert, danach war es nur noch schlimmer. Aber wenn unsere Coaches es für das Beste halten, dann müssen wir Spieler mitziehen."
DNP-Biometrics
Wie radikal Doc der Philosophie treu ist, hat auch schon J.J. Redick zu spüren bekommen. In der Preseason bekam auch der Shooter ein "DNP-Biometrics" verpasst. Für das darauffolgende Spiel setzte er alles daran, um wieder dabei zu sein. Dabei hätte ihm der Schlaf fast einen Strich durch die Rechnung gemacht.
"Ich werde mit Doc kämpfen, wenn ich heute schon wieder nicht spielen darf", sagte Redick damals der L.A. Times: "Mein Sohn wurde in der Nacht wach und ich war nun mal dran, mich um ihn zu kümmern. Es hat eine Stunde gedauert, ihn wieder ins Bett zu kriegen und ich dachte nur: 'Ich will unbedingt spielen.' Ich hatte zwei Tage nur rumgesessen, sie haben mich nicht einmal Körbe werfen lassen." Aber Redick hatte Glück. Er durfte trotz seines Schlafmangels auflaufen.
Der gläserne Spieler?
Der gläserne Spieler, der durch die umfassenden Analysen entsteht, wird nicht überall positiv gesehen. Auch Redick hat bezüglich der Biometrics so seine Bedenken: "Ich denke, das Sammeln der Daten ist ok. Aber was man damit macht, ist eine andere Sache und die kann ich nicht kontrollieren. Daher bin ich immer ein wenig vorsichtig, wenn irgendetwas erhoben wird. In dieser Liga geht es genau so viel um Wahrnehmung wie um Realität. Man muss sich immer im Klaren darüber sein, wer sich etwas warum ansieht und wie er darauf schaut."
Doch beim 32-Jährigen überwiegt die Neugier: "Wenn es etwas Positives gibt, das man aus diesen Daten ziehen kann, egal ob um Verletzungen vorzubeugen oder zur Leistungssteigerung, dann bin ich dafür."
So geht es den meisten Clippers-Akteuren - wenn sie denn nicht gerade wie Griffin pausieren müssen. Doch auch ohne Biometrics-Analyse, die den Ursprungsplan der Coaches bestätigte, war das Spiel gegen die Nets prädestiniert dafür, einem Starter eine Pause zu gönnen.
Standortbestimmung gegen die Cavs
Ganz im Gegenteil zum anstehenden Duell mit den Cleveland Cavaliers. Auch ohne die Niederlagenserie wäre die Partie ein absolutes Top-Spiel, aufgrund der aktuellen Situation geht es für L.A. aber noch um deutlich mehr.
Die Clippers müssen nicht nur beweisen, dass sie dem Ost-Spitzenreiter Paroli bieten können. Sie müssen auch zeigen, dass sie sich aus einem Loch herauskämpfen können, wenn sie ihren Contender-Status behalten wollen. In der Halle des Champions keine leichte Aufgabe.
"Das sind die Momente, in denen sich zeigt, aus welchem Holz ein Team wirklich geschnitzt ist", sagte Griffin: "Wenn man eine schlechte Phase hat und es eben nicht läuft. Wir müssen positiv denken und uns in Erinnerung rufen, wie wir zuletzt Erfolg hatten und dabei bleiben."
Erfolg. Der Term, der diese Saison mehr denn je über Los Angeles schwebt. Denn nach den Enttäuschungen der letzten Jahre hat sich das Team unter der Führung von Blake und CP3 gemeinsam einem höheren Ziel verschrieben: endlich den Titel zu gewinnen.
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Das entscheidende Puzzleteil?
Dabei spielt nicht nur die mentale Entwicklung eine Rolle, die den Stars einen neuen und besseren Fokus ermöglicht. Doch das alles hilft reichlich wenig, sollte in den Playoffs erneut einer der Stars - wie 2015 - oder gleich beide - wie 2016 - ausfallen.
Vielleicht ist die neue Fitness-Überwachung und vor allem die Akribie, in der sich die Clippers von den anderen Teams unterscheiden, ein Puzzleteil auf dem Weg dorthin.
Das Spiel gegen Cleveland wird Rivers sicher mit voller Mannstärke bestreiten. Wäre Walt Disney noch am Leben, er würde die Cavs wohl zum Sieger der Partie zeichnen. Natürlich nur, um dann am Saisonende das Märchen eines gesunden Clippers-Teams mit einem Happy End zu beschließen: der Championship.