Die Houston Rockets haben sich im Sommer 2016 neu ausgerichtet. Ihr Plan, mit Head Coach Mike D'Antoni offensiv durch die Liga zu pflügen, wurde zunächst belächelt - doch damit ist inzwischen Schluss. "Moreyball" funktioniert perfekt, es purzelt Rekord um Rekord. Den Mittelpunkt der erfolgreichen Saison bildet "Naturalist" James Harden.
Nicht viele General Manager haben es geschafft, dass eine komplette Spielweise nach ihnen benannt wird. Daryl Morey, seit 2007 bei den Houston Rockets im Amt, ist einer von ihnen: Wer vom "Moreyball" spricht, der meint einen Basketball mit haufenweise Dreiern, vielen Abschlüssen am Brett und möglichst keinen Würfen aus der Halbdistanz.
Diese Idee fußt auf den Auswertungen zahlreicher Advanced Stats, die Würfe hinsichtlich ihrer Effizienz bewerten - und die Kombination aus Dreiern und Korblegern ist diesbezüglich unschlagbar.
Im Herbst 2015 war der analytische Spielansatz allerdings kurz davor, zu scheitern. Die Rockets waren katastrophal in die Saison gestartet, Head Coach Kevin McHale musste schon nach elf Spielen seine Koffer packen. Sein Nachfolger J.B. Bickerstaff schaffte es zwar, eine positive Bilanz hinzulegen (37-34), doch auch das Last-Minute-Erreichen der Playoffs entfachte keinerlei Optimismus. Die Auftritte waren trostlos, die Teamchemie im Eimer. Kein Wunder, dass auch das Wirken von Morey unter die Lupe genommen wurde - denn war er nicht für Philosophie und Kaderzusammenstellung verantwortlich?
Rekorde, Rekorde, Rekorde
Das war er. Dennoch hielt er sich im Amt und überzeugte die Besitzer davon, dass es nur die richtigen Bausteine brauche, um mit seiner Art von Basketball erfolgreich zu sein. Er bekam das Vertrauen und schritt im Sommer zur Tat: Willkommen bei den Houston Rockets 2017.
Mit 30 Siegen aus 39 Spielen haben sich die Texaner in der Top 4 der NBA etabliert, die Warriors sind nur 2,5 Spiele von ihnen entfernt. Dazu hagelt es Rekorde im Minutentakt: 61 Dreierversuche in einem Spiel, 24 getroffene Dreierversuche in einem Spiel, 27 Spiele in Folge mit mindestens 10 Dreiern - all das hat es noch nicht gegeben.
Darüber hinaus steht das Team von Head Coach Mike D'Antoni bei 25 Auftritten in Folge mit mindestens 100 Punkten - Franchise-Rekord. Und: Im kompletten Dezember zauberten James Harden und Co. über 2.000 Punkte aufs Parkett, was seit den Golden State Warriors 1982 keiner Franchise mehr in einem Monat gelungen war.
Phoenix Suns 2.0
Die Rockets spielen einen Moreyball vom Feinsten. Denn mit dem GM, "7 seconds or less"-Guru D'Antoni und "Points Guard" James Harden hat sich ein Trio gefunden, das wie füreinander gemacht ist. Die Auftritte der Rockets erinnern an die der Phoenix Suns aus dem Jahre 2006, die unter demselben Coach eine der besten Offenses aller Zeiten etablierten. Nun hat D'Antoni seine Philosophie um Moreys Analytics erweitert und The Beard spielt aktuell wie eine noch bessere Version vom Zweifach-MVP Steve Nash.
"Niemand glaubte, dass wir auf diese Weise Spiele gewinnen können. Wir werfen 30 Dreier im Spiel und die Leute sagen: 'Das ist zu viel, ihr müsst auch in den Post gehen.' Aber die Verantwortlichen in Golden State haben schon gezeigt, dass diese Leute falsch denken. Also treiben wir das mit unseren Analytics voran. Ich denke, wenn wir diesen Ansatz damals in Phoenix schon verfolgt hätten, wären wir noch viel, viel erfolgreicher gewesen", erklärte D'Antoni gegenüber theringer.com.
39,8 Mal drücken die Texaner pro Spiel von Downtown ab, 14,9 Mal davon rauscht der Ball durchs Netz. Beides sind mit Abstand Spitzenwerte. Selbiges gilt selbstverständlich auch für die erzielten Punkte pro Spiel (114,6), obwohl das Team bei der Pace "nur" auf Rang vier liegt (98,4).
Besonders erfreulich: Mannschaften wie die Spurs, Clippers oder Warriors wurden auf diese Weise bereits besiegt, wobei das Duell gegen die Dubs gezeigt hat, dass diese eben doch mit den eigenen Waffen zu schlagen sind, wenn man es auf die Spitze treibt.
Wer sind die Splash Brothers?
Im Mittelpunkt steht dabei selbstverständlich Bartträger und MVP-Kandidat James Harden, der - sofern er auf dem Feld ist - nahezu jede Offensiv-Aktion seines Teams koordiniert. 100,1 Touches pro Spiel (mehr als die Rockets Ballbesitze haben!) sind Ligabestwert, wobei er pro Touch durchschnittlich 5,45 Sekunden den Spalding kontrolliert. Auch in dieser Kategorie landet er in der Top 10.
28,2 Punkte, 8,2 Rebounds und ein Spitzenwert von 11,8 Assists sind Fabelzahlen, wobei die 5,8 Ballverluste pro Abend mit der Usage-Rate von 33,8 Prozent gerade noch zu erklären sind. Er profitiert davon, dass um ihn herum genau die Spieler installiert wurden, die seinem Spielstil entsprechen. Die Neuzugänge Eric Gordon und Ryan Anderson schießen Abend für Abend die Lichter aus, da Harden jedes Double-Team mit einem präzisen Kickout-Pass auf die Shooter bestrafen kann.
Mit 145 versenkten Triples steht Gordon auf Platz 1 in der laufenden Saison, Harden auf 4 und Anderson auf 6. Da schauen selbst die Splash Brothers in die Röhre. Das Besondere dabei: Niemand hinterfragt seine Rolle und fordert mehr Würfe, wenn jemand anders gerade heiß läuft.
"Wir haben in diesem Jahr eine Sache gelernt: Wenn man erfolgreich sein will, muss jeder seine Rolle akzeptieren", erklärt Anderson angesprochen auf den Status als zweite Geige: "Mal ist es Gordons Nacht, mal ist es meine, mal ist es die von Trevor Ariza."
Harden, der Naturalist
Dieser lässt derweil Triple-Doubles en masse regnen - und es dabei so einfach aussehen. Seine Offensivaktionen folgen keinem klaren Plan, lediglich die Grundaufstellung wird in etwa festgelegt. Das macht es der Defense besonders schwer, sich darauf einzustellen. "Um ehrlich zu sein: Ich kann euch nicht sagen, was mir während einer Offensiv-Aktion durch den Kopf geht. Ich fange an zu spielen und schaue, welche Möglichkeiten mir mein Verteidiger bietet. Darauf reagiere ich. Mein Spiel ist sehr naturalistisch. Was mir angeboten wird, das nehme ich. Daraus entstehen große Plays", so Harden.
Eines davon ereignete sich am Ende der epischen Schlacht gegen Russell Westbrook und die Oklahoma City Thunder. Beim Stand von 116:116 und noch 3,8 verbleibenden Sekunden wollte Eric Gordon den Ball nach einer Auszeit einwerfen. Doch was er sah, gefiel ihm nicht, weshalb er eine weitere Auszeit forderte. Beim nächsten Versuch wurde dann ein ganz anderes System gelaufen als zuvor.
Harden bekam auf Höhe der Freiwurflinie einen Screen von Nene, der anschließend zum Korb rollte. Der Ball ging natürlich zu Harden, der so viel Aufmerksamkeit auf sich zog, dass auch Nenes Verteidiger Steven Adams den Bart attackierte - ein entscheidender Fehler. Denn Harden wurde seinem Ruf als exzellenter Playmaker gerecht und fand seinen völlig blank stehenden Center am Brett.
Der Brasilianer wurde dann beim Dunk-Versuch gefoult und verwandelte beide Freebies zur Entscheidung. Obwohl Harden letztendlich nicht mal einen Assist für diese Aktion bekam, war es doch sein Gamewinner - was beweist, wie sehr er sich trotz Monsterzahlen in den Dienst seines Teams stellt. Mal ehrlich: Wer glaubt, dass in der gleichen Aktion ein Russell Westbrook ebenfalls den Pass auf Nene gespielt hätte?
Howard endlich weg
Apropos Nene. Laut D'Antoni ist die zweitwichtigste Position in seinem System nicht die des Shooters oder des Stretchvierers, sondern die des Centers. Warum? "Sie sind für zwei Kernaufgaben verantwortlich: Den Ring bei Pick-and-Rolls zu beschützen und den Fastbreak mitzulaufen. Allerdings nur hin und wieder und nicht immer, damit sich die Defense nicht darauf fixieren kann", wird er von theringer.com zitiert. Auch bei dieser Jobbeschreibung gilt, dass der Kader mit Montrezl Harrell, Nene und Clint Capela perfekt besetzt ist. Keiner stellt Ansprüche und fordert den Ball. Wer war noch mal Dwight Howard?
"Moreyball" funktioniert 2016/17 hervorragend und stellt eine Gefahr für die großen Zwei im Westen dar. Wie ernst diese zu nehmen ist, zeigen aber natürlich erst die Playoffs - und in diesen scheiterte D'Antoni einst regelmäßig mit den Suns. Das weiß auch der GM: "Mir sind Leute egal, die an unserer Philosophie zweifeln. Was mir jedoch nicht egal ist: Wir haben noch absolut nichts gewonnen. Wir haben noch keinen Titel. Darum kreisen meine Gedanken - und die von jedem anderen Mitglied in unserer Organisation."