Die Gegenwart ist überschätzt

Ole Frerks
24. Februar 201713:46
Nerlens Noel (l.) soll bei den Mavs der Big Man der Zukunft werden SPOX
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Überraschenderweise gehörten die Dallas Mavericks zu den aktivsten Teams rund um die Trade Deadline. Mit Nerlens Noel kam der vermeintliche Big Man der Zukunft, während zwei Veteranen die Franchise verließen. Doch was steckt hinter den Deals? SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was ist passiert?

Die Mavs haben sich mit Nerlens Noel ihren Big Man der Zukunft gesichert. Im Trade für den Defensivspezialisten gingen Justin Anderson, Andrew Bogut sowie Dallas' Erstrundenpick im kommenden Draft nach Philadelphia.

Der Pick ist allerdings Top-18-geschützt - daher besteht keine reelle Chance, dass die Mavs ihn tatsächlich abgeben müssen. Wahrscheinlicher ist stattdessen, dass aus dem vermeintlichen Erstrundenpick zwei Zweitrundenpicks werden.

Andrew Bogut wird indes nicht bei den Sixers bleiben. Zwar steht die Bestätigung noch aus, allerdings wird der Australier sich mit Philadelphia auf einen Buyout einigen. Bogut würde dadurch Free Agent und könnte sich jedem Contender anschließen.

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Gleiches gilt für Deron Williams, der von den Mavericks kurz nach der Deadline gewaived wurde. Der 32-Jährige hat den Willen geäußert, noch einmal bei einem Contender anzuheuern, und da Dallas keinen Trade-Partner für ihn fand, erfüllten die Mavs ihm seinen Wunsch auf diese Art und Weise.

"Wir haben uns entschieden, mehr auf unsere jungen Spieler zu setzen, und hatten daher als Organisation die Ansicht, dass es das Richtige war, Deron die Möglichkeit zu geben, sich sein nächstes Team auszusuchen", erklärte Coach Rick Carlisle. "Deron spielt noch immer auf einem hohen Level und ich glaube, dass er den Unterschied für einen Contender ausmachen kann."

Was bringt Noel den Mavericks?

Nerlens Noel gibt Dallas eine defensive Präsenz, die ihre besten Jahre noch vor sich hat. Der 22-Jährige wurde in seiner Karriere bisher am häufigsten mit Tyson Chandler verglichen, insofern trifft es sich recht gut, dass er nun ausgerechnet in Dallas gelandet ist. Auch offensiv passt er in Carlisles Schema.

Noel kann zwar nicht werfen, er ist jedoch ein guter Rim-Runner und dank seiner Athletik ein effektiver Finisher im Pick'n'Roll. Aus dem Feld trifft er dank hoher Dunk-Frequenz 61,1 Prozent, dazu kommen immerhin solide 68,3 Prozent von der Freiwurflinie. Bei den Mavs, wo er im Normalfall neben vier Shootern auf dem Feld stehen wird, lässt sich sein fehlender Wurf relativ gut kaschieren.

Seine Verpflichtung dürfte zudem bedeuten, dass Dirk Nowitzki von nun an wieder auf Power Forward starten wird und auch Harrison Barnes eine Position "zurückrückt". Es bleibt abzuwarten, ob Dallas damit die starke Offense von zuletzt aufrechterhalten kann, defensiv ist die Noel-Verpflichtung indes ein klares Plus. Aufgrund seiner Schnelligkeit kann er jederzeit auch den Power Forward verteidigen, sollte dieser zu schnell für Nowitzki sein. Das soll ja vorkommen.

Auf den ersten Blick ist der Deal für Dallas also ein Gewinn, es gibt jedoch auch ein signifikantes Risiko: Noel wird nach dieser Saison Restricted Free Agent und will logischerweise bezahlt werden. Informationen von ESPN zufolge denken einige Teams darüber nach, ihm einen Vertrag nahe des Maximums anzubieten - das wäre zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht gerechtfertigt.

In diesem Fall müsste Dallas ihm entweder zu viel bezahlen oder ihn nach nur wenigen Monaten wieder ziehen lassen. Dann wäre der relativ geringe Preis, den sie nun für ihn zahlen mussten, trotzdem noch zu hoch.

Was bedeutet der Deal für die Sixers?

Schon lange sahen sich die Sixers mit dem Problem konfrontiert, dass sie zu viele Lottery-Picks für die Positionen Vier und Fünf eingesetzt haben - es gab schlichtweg nicht genug Minuten für Noel, Jahlil Okafor, Dario Saric, Ben Simmons und Joel Embiid.

Insofern war es schon vor der Saison klar, dass mindestens einer gehen müsste, auch wenn die Vermutung lange Zeit war, dass es am ehesten Okafor treffen würde. Noel selbst hatte zu Anfang der Saison bereits gewettert, man müsse "eine Lösung für diese Scheiße" finden. Die Rolle als Bankspieler hatte beim No.6-Pick von 2013 für großen Unmut gesorgt.

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Nun ist Noel weg - und die Bewertung des Deals aus Philly-Perspektive hängt fast komplett davon ab, wie man das Potenzial von Justin Anderson einordnet. Hat er das Zeug, eine ähnliche Entwicklung hinzulegen wie Jae Crowder in Boston? Falls ja, wäre er ein ordentlicher Gegenwert für einen Embiid-Backup, den die Sixers im Sommer sowieso nicht bezahlen wollten.

Andernfalls müsste man hoffen, dass man aus den beiden Zweitrundenpicks noch etwas Zählbares bekommt. Aber: Ein "Über-den-Tisch-gezogen"-Deal der Marke Sam Hinkie war dieser Trade aus Sicht der Sixers nicht.

Fraglich ist auch, wie die Sixers in Zukunft mit Okafor verfahren werden. Der No.3-Pick von 2015 hat bisher nicht gezeigt, dass sein Spiel in der heutigen NBA noch funktionieren kann. Noel wäre langfristig ein deutlich besserer Embiid-Backup gewesen - das dürfte aber auch den Sixers bewusst gewesen sein.

Okafors einziger Vorteil gegenüber Noel war letztendlich einfach die Tatsache, dass sein Rookie-Vertrag noch bis 2019 läuft. Bei ihm gab es daher deutlich weniger Druck, noch irgendeinen Gegenwert für ihn zu bekommen, bevor er den Verein verlässt.

Es darf dennoch bezweifelt werden, dass Okafor eine langfristige Zukunft in Philadelphia hat. Deutlich wahrscheinlicher: Bereits vorm nächsten Draft taucht sein Name erneut in der Gerüchteküche auf.

Was passiert mit Williams und Bogut?

Die beiden Veteranen hatten kein Interesse mehr daran, sich darum zu prügeln, dass sie in der ersten Playoff-Runde eine Abreibung von den Warriors kassieren dürfen - Bogut spielte schon die gesamte Saison über lustlos und sprach von Abschiedsgedanken, Williams spielte zwar ordentlich, bat aber wohl intern ebenfalls bereits um einen Szenenwechsel.

Die Mavs kamen den Wünschen beider entgegen - und damit könnten sie das Titelrennen in dieser Saison tatsächlich beeinflussen. Denn D-Will und Bogut wurden umgehend zu den wohl interessantesten verfügbaren Free Agents auf dem Markt. Beide sind durchaus noch in der Lage, einem Contender entscheidend weiterzuhelfen.

Im Fall von Williams ist die Entscheidung dabei offenbar schon gefallen. Nach Informationen von ESPN hat D-Will bereits Interessenten informiert, dass er sich den Cavaliers anschließen will - die ebenfalls interessierten Jazz haben also wohl keine Chance. Williams wäre für Cleveland die ideale Verstärkung und der Playmaker, nach dem sich LeBron James bereits seit Monaten sehnt.

Auch an Bogut haben die Cavs Interesse - um beide Ex-Mavs unter Vertrag zu nehmen, müsste Cleveland allerdings einen Kaderplatz freimachen (vermutlich den von Jordan McRae). Die dünne Bank des Meisters würde damit ein riesiges Upgrade bekommen, angeblich sind die Cavs auch beim Australier in der Pole Position.

Es gibt allerdings etliche Konkurrenten. Die Celtics brauchen unbedingt noch einen Rebounder und Rim-Protector von Boguts Format, auch die Rockets haben zur Deadline Platz freigemacht, um sich noch um jemanden wie Bogut bemühen zu können. San Antonio gilt als interessiert - und sogar die Warriors denken über eine Rückholaktion nach.

Was bedeuten die Deals für Dallas' Playoff-Hoffnungen?

Insbesondere der ersatzlose Verzicht auf D-Will hat gezeigt - für die Mavs hat der letzte Playoff-Platz nicht mehr die höchste Priorität. Vielmehr ging es nun darum, sich wirklich mal zu verjüngen und besser für die Zukunft - nach Dirk Nowitzki - aufzustellen. Die verbleibenden Saisonmonate sind verdammt wichtig für Dallas, allerdings nicht primär der Bilanz wegen.

Viel wichtiger: Man muss evaluieren, was man hat. Yogi Ferrell soll nach dem D-Will-Abgang zum Starting Point Guard werden und beweisen, dass seine 15,3 Punkte und 4,6 Assists in seinen sieben Spielen als Ersatzstarter kein Ausrutscher waren.

Es ist sinnvoll, dies jetzt zu testen - denn der kommende Draft-Jahrgang ist vor allem auf der Eins extrem gut und tief besetzt. Wenn Ferrell als Starter nicht komplett überzeugt, könnte man dieses Problem also schon im Sommer angehen.

Auch bei Noel muss den Rest der Saison über aus erster Hand beobachtet werden, wie er sich in Dallas zurechtfindet und wie er mit dem Kern aus Harrison Barnes und Wesley Matthews harmoniert. Lohnt es sich, ihn im Sommer um jeden Preis zu halten? Lässt sich um ihn, Barnes, Ferrell und Seth Curry und die Free Agents x+y langfristig mal wieder ein Contender in Texas aufbauen?

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Mavs dank der Magie von Carlisle und Nowitzki trotzdem noch die Playoffs erreichen, allzu wahrscheinlich ist es jedoch nicht mehr. Kurzfristig sind sie durch die Deals vom Deadline Day nicht besser geworden. Das ist im Endeffekt aber unerheblich - die Beantwortung der obigen Fragen ist um einiges wichtiger.

Die Mavericks im Überblick