Wir schreiben den 6. Februar 2017, die Miami Heat haben zehn Spiele in Folge gewonnen und versuchen, Downtown Minneapolis ihren elften Sieg in ebenso vielen Partien einzufahren. Goran Dragic, Point Guard der Miami Heat und slowenischer Drache, nimmt nach 160 Sekunden seinen ersten Wurf. Ein Dreier. Bang.
Erlebe die NBA Live und auf Abruf auf DAZN. Hol Dir jetzt Deinen Gratismonat
Drei Minuten später: Dragic steht vollkommen frei an der Dreierlinie, der Pass vom ziehenden Waiters kommt an und der Aufbauspieler wirft. Bang. Zweiter Dreier in fünf Minuten. Das Spektakel wiederholt sich in dem Match noch weitere fünf Mal und ist an Leichtigkeit kaum zu übertreffen.
Steph Curry oder Goran Dragic? Dragic beendete das Match mit 33 Punkten, 9 Assist und traf 7/9 Dreier - die Gäste vom South Beach siegten mit 115:113.
Im Anschluss gab der Slowene noch auf dem Parkett ein kurzes Interview. Auf die Frage, warum sein Team elf Spiele infolge gewonnen hat und plötzlich Playoff-Kandidaten wie Houston, Atlanta und sogar Golden State schlägt, antwortete der 30-Jährige: "Wir fangen an, uns gegenseitig zu verstehen. Wir raffen langsam, wie wir als Team zusammenspielen müssen. Jeder bewegt den Ball und ich glaube, wir haben alle dasselbe Ziel: Gewinnen. In dieser Mannschaft ist niemand eigensinnig, jeder bringt sich ein." Sogar ein Dion Waiters.
From Zero to Hero
Kaum zu glauben, dass eine Mannschaft mit einer Bilanz von 11-30 aus dem Nichts eine Serie von 13 Siegen hinlegt. Aber seit der zweiten Januarhälfte scheinen Spoelstras Jungs unaufhaltsam. In besagtem Zeitraum war Miami tatsächlich eines der besten, wenn nicht sogar DAS beste Team der NBA. Die sprunghafte Verbesserung der Mannschaftsleistung ist besonders an den Team-Statistiken erkennbar.
Vor dem ersten Sieg ihrer Serie am 17. Januar erzielten die Heat mickrige 98,3 Punkte pro Spiel, ließen gleichzeitig 102,8 Zähler zu, trafen nur 43,9 Prozent ihrer Würfe und versenkten nur sehr bescheidene 25,6 Prozent ihrer Dreier. Seit dem 17. Januar steht die Welt jedoch Kopf.
Miami kommt plötzlich auf 109,3 Punkte pro Spiel, hält die Gegner bei 98,8 Zählern, hat eine Wurfquote von 49,9 Prozent und eine überragende Dreierquote von 42,1 Prozent. 11,2 Dreier versenken die Heat pro Partie. Und obwohl die Verteidigung diese Saison stets gut war, haben sich alle Werte noch ein wenig verbessert. Die Wurfquote der gegnerischen Teams ging von 45 Prozent runter auf 44,5 und die Dreierquote sank von 35,7 auf 29,9(!) Prozent.
Da kratzen sich viele NBA-Fans am Kopf und stellen sich die Frage: Wie schafft Miami das? Da gäbe es die Leistungsträger Goran Dragic, Hassan Whiteside und seit Neuestem auch Dion Waiters. Besonders das Backcourt-Duo Dragic-Waiters spielte die vergangenen 13 Partien überragend.
Der Drache spuckt Feuer
Dragic aka The Dragon spielt nach Schwächen zu Beginn eine starke Saison und trotzdem haben ihn viele Experten nicht auf dem Zettel. Derzeit zaubert er überragende Zahlen aufs Parkett: In 34 Minuten erzielt er durchschnittlich 22,9 Punkte, 4,4 Rebounds, 6,8 Vorlagen und 1,4 Steals pro Spiel. Dabei trifft er mit einer effizienten Quote von 56,3 Prozent. Seine Dreierquote? Ebenfalls höchst effiziente 56,3 Prozent bei vier Versuchen pro Spiel.
"Er macht das Spiel einfacher für mich", erklärte Backcourt-Buddy Dion Waiters und ergänzte: "Er greift gerne an und setzt die Defense unter Druck. Das macht es mir viel leichter, zu punkten."
Waiters serviert in Höchstform
Aber Waiters eigene Form ist dabei fast noch beeindruckender. Den 4. Pick von 2012 hatten viele schon abgeschrieben, nach einer vielversprechenden Rookie-Saison stagnierte er erst, baute dann sogar ab. Von Cleveland ging es zu OKC und schließlich unterschrieb er für "nur" drei Millionen Dollar in Florida.
Seine schwierige Persönlichkeit soll ihm im Weg stehen, als zu eingebildet, wurffreudig und ineffizient gilt der 25-Jährige - da ist es fast schon ironisch, dass ihn genau diese Eigenschaften derzeit zu seiner Form - und später vielleicht auch zu einem dicken Vertrag verhelfen könnten.
Zu der Siegesserie der Heat leistet Waiters mit 20,6 Punkten, 4,2 Rebounds und 4,8 Assists (49,4 Prozent FG, 49,2 Prozent Dreier) jedenfalls seinen Beitrag. Gamewinner gegen das Superteam der Warriors und gegen die Nets inklusive.
Überraschenderweise spielt er in dieser Spanne sogar solide Verteidigung und besitzt ein gutes Defensive Rating von 105 - im NBA-Ranking Platz 34. Freilich verteidigt er nicht auf dem Niveau von Kawhi Leonard, aber dennoch ist das ein ordentlicher Wert.
D-League-Routiniers und Diamanten im Dreck
Eine weitere Überraschung bei Miami sind die Reservespieler. Bekannte Gesichter auf der Bank sind Tyler Johnson, Wayne Ellington, Udonis Haslem, Josh Richardson und James Johnson, die allesamt eine solide Saison spielen. Besonders letzterer wird seiner Rolle als sechster Mann gerecht.
Der Neuzugang aus Toronto erzielt 11,9 Zähler, 4,9 Rebounds, 3,3 Assists und einen Block pro Spiel bei soliden Trefferquoten (48,2 Prozent FG, 36 Prozent Dreier) - fast ein Drittel der 37,1 Bankpunkte pro Partie kommen von JJ.
Aber von vielen Reservisten hat der Durchschnitts-Fan noch nie etwas gehört. Wer zum Beispiel sind Marcus George-Hunt, Rodney McGruder, Willie Reed oder Okaro White? Die meisten von ihnen sind junge, ungedraftete Spieler, die einige Zeit in der D-League verbracht haben. Doch vor allem sind sie wichtige Rollenspieler bei Miami. Pat Riley hat ein Gespür für Talent, egal wo dieses zu finden ist. Und mit White hat er einen Diamanten im Dreck gefunden.
White, der Glücksbringer
Bestimmt fragen sich gerade 80 Prozent der Leser, wer dieser Okaro White ist und was ihn so besonders macht. Nun ja, Sportfans sind bekanntermaßen abergläubisch und Okaro White ist bisher ein Glücksbringer für die Franchise aus dem Südosten: Seitdem Riley den 24-Jährigen mit seinem ersten Zehntagesvertrag nach Miami geholt hat, ist die Mannschaft ungeschlagen. Zufall? Wahrscheinlich, aber auch er leistet seinen Beitrag.
Denn White hat zwei Stärken: Verteidigen und den langen Wurf im Korb versenken. Neu-amerikanisch (und neu-deutsch): Three-and-D. Genau das, was Miami nach dem Ausfall von Justise gefehlt hat. White blüht in dieser Rolle auf, die schon DeMarre Carroll, Kent Bazemore und Wesley Matthews eine NBA-Karriere und dicke Gehälter einbrachte.
Das weiß auch Allen Carden, der ehemalige High-School Coach von White: "Heutzutage ist die NBA sehr spezialisiert. Okaro kann verteidigen und Dreier versenken. Solche Spieler haben oft eine gute, lange Karriere", erzählte Carden gegenüber baynews9.com.
Seine wohl beste Leistung auf NBA-Level erzielte er mit 10 Punkten, 7 Rebounds, einem Steal, sowie 4 Blocks gegen Brooklyn. Über elf Spiele trifft der der Forward aus Clearwater, Florida seine Distanzwürfe mit einer Genauigkeit von 46,7 Prozent.
Es wäre nicht überraschend, wenn Whites Rolle bei Miami in Zukunft wächst, immerhin wird er diese und nächste Saison unter Vertrag stehen.
Immer Richtung Playoffs
Die Frage, die sich aufdrängt, ist, ob Miami diesen Höhenflug fortsetzen und das Niveau halten kann. Die Antwort: vermutlich nicht. Die heiße Offense der Heat um Waiters wird wahrscheinlich wieder abkühlen und auf den Boden der Tatsachen zurückkehren, auch Dragic wird sein jetziges Hoch eher nicht halten können.
Aber das müssen sie auch nicht. Der X-Faktor diese Saison bleibt bei den Heat die überzeugende Defense und solange sich die Offensive zwischen dem jetzigen und vorherigen Niveau einpendelt, ist Miami zumindest theoretisch auf einem guten Weg.
Die Playoffs sind für die Mannschaft noch lange nicht außer Reichweite, die kommenden Spiele gegen Brooklyn, Houston, Atlanta, Indiana und die Dallas Mavericks werden nicht leicht, stellen aber gute Tests für Spoelstras Jungs dar.
In einer schwachen Eastern Conference ist der achte Platz für Miami wieder in Reichweite. Zwei Siege trennen die Heat aktuell von der Postseason.
Plötzlich Käufer?
Vor wenigen Monaten wäre es noch undenkbar gewesen, dass Miami mit Blick auf die Trade-Deadline eher ein Käufer als ein Verkäufer ist. Chris Bosh im vorzeitigen Ruhestand, Dwyane Wade weg, Luol Deng weg, Joe Johnson weg - und nun könnten die Heat wirklich nach Spielern suchen, die das Team verbessern, um ihre Playoff-Chancen zu erhöhen.
"Sie sind bereit, allen Angeboten zuzuhören", sagte ein nicht genanntes Front-Office-Mitglied gegenüber SportingNews: "Aber die Ausgangslage hat sich verändern. Nun sind sie auf der Suche nach Puzzleteilen, die ihnen weiterhelfen."
Die Gerüchte über einen Trade von Dragic sind längst Geschichte, stattdessen sickert durch, dass Miami an einem Big Man interessiert sei. Einer, der solide Defense spielen kann und einen guten Wurf hat. Kein Wunder, dass der Name Serge Ibaka zuletzt immer öfter im Zusammenhang mit der Franchise vom South Beach geflüstert wurde.
Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass die Heat den kurzfristigen Playoff-Einzug über den langfristigen Erfolg mit ihren vielversprechenden Youngsters stellen. Zumal Miami kaum wertvolle Picks traden kann und daher mindestens ein Talent abgeben müsste. Dafür wird Riley zu clever sein. Die Devise heißt daher: Just enjoy the ride.