"Russ hat das Ding in der Tasche"

Martin KlotzStefan Petri
04. April 201713:18
Russell Westbrook und James Harden legen diese Saison aberwitzige Zahlen aufgetty
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Wer wird MVP 2017? Ist das Rennen schon entschieden? Haben Russell Westbrook und James Harden noch Konkurrenz? Oder ist sogar schon einer von beiden durch? Zwei Redakteure, zwei Meinungen.

Von Martin Klotz

Es ist vorbei. Das MVP-Rennen ist entschieden. Ich war lange Zeit ein Gegner davon, Russell Westbrook für seine Ego-Show den MVP-Award auszuhändigen. Diese Meinung habe ich hart gegen einige irrational begeisterte Kollegen vertreten, die mittlerweile fast aufgeregter auf das Triple-Double im Schnitt warten als auf den eigenen Nachwuchs. Doch nun gibt es einfach keine Möglichkeit mehr, dem Berserker die Trophäe abzusprechen. Er hat das Ding verdient. Und er hat es in der Tasche.

Nachdem Russ zu Anfang der Saison aufgrund seiner Eigensinnigkeit - zu Recht - viel kritisiert wurde, ist er in einen Über-Modus gewechselt, der jeden seiner Mitspieler mitreißt. Ohne Team-Erfolg kein MVP-Award? OKC hat die Grizzlies kassiert und sich auf Rang sechs geschoben, die Clippers und Jazz schauen schon verängstigt in den Rückspiegel. Platz vier und Playoff-Heimvorteil sind bei 2,5 Siegen Rückstand gar nicht mehr abwegig. Die Thunder schwimmen auf der Erfolgswelle und haben acht der letzten zehn Spiele gewonnen.

Westbrook macht alles allein? Stimmt, aber die Bilanz seines Teams gibt ihm Recht. Bei 38 Triple-Doubles verbuchten die Thunder 31 Siege (81,5 Siegquote!). Das erste Triple-Double der Liga-Geschichte ohne Fehlwurf geht natürlich auch auf Russells Konto.

5,4 Turnover pro Spiel sind eine Hausnummer, okay. Doch nur mal zum Vergleich: James Harden steht derzeit bei 5,8. Und ganz nebenbei liegt Russ mit satten 2,5 Punkten Vorsprung klar auf Kurs Scoring-Champion.

All das sind nur Statistiken, der Wert eines MVP wird aber auch auf dem Parkett gemessen. Da die Defense ohnehin leider keine Rolle spielt (sonst wäre Kawhi Leonard unangefochtener MVP), geht inzwischen nichts mehr über Westbrook. Gerade in der zweiten Saisonhälfte hat RW0 gezeigt, dass er das Team nicht nur im Alleingang versenken, sondern auch im Alleingang tragen kann.

Gegen die Mavs lag OKC 210 Sekunden vor dem Ende mit 78:91 hinten. Doch Westbrook legte einen persönlichen 12:0-Lauf hin und entriss Dallas den Sieg. Und als wäre es ein Abend mit Schirmchen-Cocktails am Pool ließ er in der nächsten Partie gegen Orlando mit 57/13/11 das Triple-Double mit den meisten jemals erzielten Punkten folgen. Inklusive dem wichtigen Dreier zur Overtime, versteht sich.

Und dann wäre da noch dieser kleine, ganz unbedeutende Fakt: Westbrook wird in den nächsten Spielen Oscar Robertsons Bestmarke von 41 Triple-Doubles in einer Saison einstellen - und eine Partie später überflügeln. Daran zweifelt inzwischen niemand mehr.

Am MVP 2016/17 sollte auch niemand mehr zweifeln. Er heißt Russell Westbrook.

Von Stefan Petri

Eins vorweg, Martin: Ich werde hier nicht darauf bestehen, dass Russ NICHT der MVP ist. Dafür habe ich einen viel zu großen Respekt vor der Leistung des personifizierten Donnerschlags. Westbrooks One-Man-Show ist kaum in Worte zu fassen und gerade seine Leistungen in Clutch-Situationen sind einfach nur berauschend. Das Saison-Triple-Double ist im Sack, und wenn er in den verbleibenden 8 Saisonspielen so auftrumpft wie gegen Dallas und Orlando, verschieben sich die Argumente mehr und mehr in seine Richtung.

Ich will hier auch nicht mehr von einem Vierkampf sprechen. Sorry LeBron, aber so wie die Cavaliers in der zweiten Saisonhälfte durch die Gegend taumeln, mit gerade in der Defense eklatanten Schwächen, reicht es in meinen Augen nicht mehr ganz nach vorn. Ja, des Kings Zahlen sind stark, aber das allein reicht nicht.

Wenn alle Welt davon spricht, dass LeBron und die Cavs in den Playoffs ein paar Gänge hochschalten können, dann bedeutet das eben auch, dass sie in der Regular Season ziemlich aufgesteckt haben. Und das ist dann im Gesamtpaket nicht mehr MVP-würdig.

Aber das Ding einfach auf der Zielgeraden abzuhaken - da kann ich nicht mit. Dafür ist die Konkurrenz einfach zu stark. Ich gestehe, dass es sich für mich auch eher um einen Zweikampf zwischen James Harden und Russ handelt, aber Kawhi kann ja auch nichts dafür, dass wir aus seinen sensationellen Leistungen in Offense und Defense keine Schlagzeilen machen und er deswegen medial manchmal ein bisschen untergeht.

Du hast die Stats von Westbrook so schön ausgebreitet, dass ich gar nicht im Einzelnen dazwischen grätschen möchte. Sie sind MVP-würdig. Aber sie sind eben nicht perfekt (Mittelmäßige Effizienz beim Wurf, viele Turnover, die Kollegen bleiben offen außen vor, was das Team nicht unbedingt besser macht ...) - und sie sind eben in dieser Saison auch nicht konkurrenzlos.

Jeder weiß, dass der Bärtige mit 29,3 Punkten, 11,4 Assists, 8 Rebounds und einer Wagenladung Dreier und Freiwürfen (und Triple-Doubles!) auftrumpft und eine fast beispiellose Houston-Offense anführt. Ein Rockets-Team, das die Erwartungen bisher übrigens weiter übertroffen hat als OKC.

Mein Hauptargument ist folgendes: Gerade wenn dich zwei Monsterleistungen von Russ derart mitreißen (in denen er übrigens kaum über 50 Prozent aus dem Feld kam), dann weißt du ja auch, wie viel in den verbleibenden acht Spielen noch passieren kann. Und dass Harden seinerseits ebenfalls Triple-Doubles mit 50 Punkten auflegen und Kawhi Spiele im Alleingang entscheiden kann.

Wenn es also eine Saison gibt, in der man bis zum letzten Spiel mit seiner Wahl warten sollte, dann ist es doch wohl diese. Wir scheinen uns irgendwie immer schneller festzulegen: Im Herbst war Westbrook vorn, dann hatte plötzlich Harden fast überall die Pole Position inne - und jetzt ist Brodie plötzlich durch? Wo noch fast zehn Prozent aller Spiele zu absolvieren sind?

Nicht mit mir. Ich hoffe, dass die beiden noch bis Mitte April voll durchziehen und wir dann die schwerste aller möglichen Wahlen vor uns haben. Zum jetzigen Zeitpunkt kann die Entscheidung meiner Meinung nach noch nicht getroffen werden.

Und wenn wir dann plötzlich mit Co-MVPs dastehen, wie es auch Kobe Bryant für möglich hält: mir auch recht!

Westbrook und Harden im Vergleich