Ein Mix aus Shaq, Magic und dem Terminator

Ole Frerks
31. Mai 201714:10
LeBron James: Zu stark, zu abgezockt für die Eastern Conferencegetty
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Mit 32 Jahren spielt LeBron James derzeit Playoffs, als wäre er von einem anderen Planeten, und macht dabei den Anschein, als würde er tatsächlich noch besser werden. Doch kann man wirklich davon sprechen, dass James derzeit auf seinem Zenit ist? Beyond the Boxscore hat sich auf Spurensuche begeben.

"Ich habe es gerade eben in unserem Coaches-Meeting gesagt: 'Es ist kaum zu glauben, aber er ist besser als zu der Zeit, als ich in die Liga kam. Sogar um einiges besser.' Je älter du wirst, desto mehr Erfahrungen sammelst du, desto mehr hast du gesehen", staunte Brad Stevens nach Spiel 1 der Eastern Conference Finals. "Ich hätte nicht gedacht, dass er noch besser werden könnte, aber genau das hat er geschafft. Er ist großartig."

Stevens' Loblied auf LeBron James war verständlich - soeben hatte dieser sein Team mit 38 Punkten, 9 Rebounds und 7 Assists komplett auseinandergenommen. Gleichwohl hätte man die Worte von Stevens, der seit 2013 NBA-Coach ist, auch für etwas übertrieben halten können.

Als Stevens in die Liga kam, hatte James schließlich soeben zwei Titel sowie zwei MVP-Titel in Folge abgeräumt. Als James 2016 seinen dritten Titel holte, schien es doch zudem, als wären seine Leistungen aus den letzten drei Spielen der Finals eigentlich nicht mehr zu toppen - oder überhaupt zu wiederholen.

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Doch war das vielleicht verfrüht? Es könnte sein - nicht nur Stevens, auch James' früherer Teamkollege Mike Miller behauptete kürzlich, er sähe derzeit den besten LeBron, der je gespielt hat. Trotz mittlerweile 32 Jahren und 1.273 NBA-Spielen auf dem Buckel wirkt es, als würde James immer noch besser werden. Klingt komisch - ist aber so? Blicken wir auf ein paar Zahlen und Fakten.

Angestachelt von Klay-Zitaten

Nach Spiel 4 der Finals 2016 sagte Warriors-Guard Klay Thompson, dass LeBrons "Gefühle vielleicht verletzt wurden" und dass die NBA "eine Liga für Männer" sei, nachdem sich dieser über die heute berüchtigte Attacke von Draymond Green beschwert hatte. James wurde nach dem Spiel auf der Pressekonferenz mit der Aussage konfrontiert und lachte.

Im Anschluss gewann Cleveland 13 Playoff-Spiele in Folge, vor dem Beginn der Finals steht die Bilanz bei 15-1 - und James hat dabei folgende Zahlen aufgelegt: 33,25 Punkte, 8,7 Rebounds, 7,5 Assists, 2,3 Steals, 1,7 Blocks, 55,2 Prozent aus dem Feld, 42,1 Prozent von der Dreierlinie.

So verrückt dieser Output aussieht - rein vom Volumen her war James schon besser. Als er 2009 bei den Cavs eine One-Man-Show abgab, die selbst Russell Westbrook Stolz gemacht hätte, legte LeBron in 14 Spielen 35,3 Punkte, 9,1 Rebounds und 7,3 Assists auf. 2015 kam er mit 30,1 Punkten, 11,3 Rebounds und 8,5 Assists ebenfalls auf absurde Zahlen.

Auf den Spuren von Kareem

Der gravierende Unterschied zum "heutigen" LeBron ist jedoch: Er hatte noch nie diese Kombination aus Effizienz und Volumen. In den aktuellen Playoffs legt James eine effective Field Goal Percentage (eFG) von 62,5 Prozent auf, die vor allem deshalb so hoch ist, weil er in den Playoffs noch nie so sicher von Downtown getroffen hat.

Nur 2014 kam er diesem Wert schon einmal nahe (61,6 Prozent eFG). Zur Einordnung: Vergangenes Jahr waren es 56,4 Prozent, was nach 2014 sein bisher bester Wert der Karriere war. Man kann also festhalten, dass James derzeit effektiver scort als jemals zuvor - wenngleich natürlich noch eine Serie zu spielen ist.

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Man kann zudem feststellen, dass er wohl noch nie so konstant war. In Spiel 2 der ersten Runde gegen Indiana kam James "nur" auf 25 Punkte. Danach kam er achtmal in Serie auf mindestens 30 Punkte - das schaffte zuletzt Kareem Abdul-Jabbar im Jahr 1988 innerhalb einer Postseason. Sein einziges schlechtes Spiel (11 Punkte in Spiel 3 gegen Boston) konterte er umgehend mit 69 Zählern in den nächsten beiden Spielen.

Die Shotchart von LeBron James in den laufenden Playoffsnba.com

Die unendliche Zwickmühle

Mehr denn je ist er dabei in der Lage, in jedem Spiel auf die Defensiv-Strategie des Gegners zu reagieren und sie auszubeuten. Die Cavaliers umgeben ihn fast immer mit mindestens drei Shootern (plus Pick'n'Roll-Waffe Tristan Thompson), sodass man James eigentlich nicht doppeln kann - seine Scoring-Brillanz wird von seinen Passfähigkeiten teilweise sogar noch übertroffen. Stevens sinnierte während den Eastern Conference Finals mehrfach über diese Zwickmühle.

Im Eins-gegen-Eins ist James freilich immer noch zu schnell und kräftig für jeden Gegner, wenngleich ihm die besten Verteidiger (wie Kawhi Leonard und Andre Iguodala) zumindest ein paar Probleme bereiten können. Mit seinem ersten Schritt kommt er dennoch meist relativ einfach zum Korb, wo er auch dann noch sicher abschließen kann, wenn ihn ein 110-Kilo-Mann wie Serge Ibaka im Flug umarmt (wirklich!).

Am Korb schließt LeBron derzeit mit 72,8-prozentiger Sicherheit ab - das ist ein höherer Wert, als ihn die fleischgewordene Dampframme Shaquille O'Neal jemals über eine Saison auflegte. Natürlich hingen bei Shaq damals auch drei Spieler an seinen Armen, während LeBron aus genannten Gründen häufiger "nur" einen oder zwei Gegenspieler hat, dennoch ist die Zahl relativ absurd.

Wenn der Wurf sitzt...

Zumal auch die alte Strategie gegen LeBron nicht mehr so einwandfrei funktioniert. Man solle absinken und ihn werfen lassen, hieß es immer - und angesichts seiner Treffsicherheit am Korb und seiner Übersicht ist das auch heute noch die gängige Strategie vieler Coaches. Nur ist James eben immer häufiger in der Lage, sie zu bestrafen.

Beinahe sechsmal pro Spiel wirft James derzeit von Downtown, 42,1 Prozent davon bringt er im Korb unter - das sind beides Karrierebestwerte. Stephen Curry schafft (bei mehr Versuchen) eine um genau 1 Prozent höhere Quote. Wenn LeBron um die 40 Prozent halten kann, wird dadurch alles andere um ein vielfaches einfacher.

Die Defense darf sich ihr Gift dann aussuchen - und auch Foulen bringt nur noch bedingt etwas. James ist zwar kein Kyle Korver, er hat seine Freiwurfquote in der Postseason aber immerhin wieder auf 71,2 Prozent gehoben. Gegen die Raptors, die ihn 13,5mal an die Linie schickten, traf er sogar 83,3 Prozent. Die vermeintliche Schwäche ist also auch nur bedingt real.

Historische Offense der Cavs

James ist nicht mehr so athletisch, wie er es mit 25 Jahren war, wenngleich er immer noch athletischer ist als 99 Prozent der anderen NBA-Spieler. Ob er die übermenschliche Kondition wie in Miami, als er nicht nur die Offense schmiss, sondern auch ganze Spiele über den besten Spieler des Gegners verteidigte, noch hat, wird sich erst in den Finals zeigen - bisher brauchten die Cavs ihn nur gelegentlich am Ende enger Spiele als Defensiv-Stopper, ansonsten agierte er defensiv eher als eine Art Free Safety und gönnte sich wie das gesamte Team von Zeit zu Zeit mal eine Pause.

Das konnten sie sich bisher aber auch erlauben - die Offense der Cavs in diesen Playoffs war schlichtweg so überragend. Das Offensiv-Rating von 120,7 war sogar noch einmal um 5 Prozent höher als das der Warriors. Mehr noch: Laut John Schumann von nba.com ist dies der höchste Team-Wert seit 1977. Ihre eFG (59,8 Prozent) ist ebenfalls die höchste Zahl der Playoff-Geschichte.

Während ihre Defense bisher ein Fragezeichen ist und nun erstmals wirklich geprüft wird, ist die Offense der Cavs auf einem historischen Niveau - und dabei beginnt und endet logischerweise wieder einmal alles mit James. Steht er auf dem Court, haben die Cavs ein Offensiv-Rating von 122,3 und ein Net-Rating (also hochgerechnetes Plus/Minus) von 20,1.

In den gut sieben Minuten, die er auf der Bank sitz, "verlieren" die Cavaliers dagegen mit -6,2 Punkten. Er ist der einzige Cavs-Spieler, bei dem der Wert negativ wird, wenn er auf der Bank sitzt. Ohne "Superstar" Kyrie Irving etwa gewinnen die Cavs immer noch mit 12,9 Punkten pro 100 Ballbesitze.

Meister des Spiels

Das soll aber gar keine Anklage gegenüber Irving, Kevin Love oder wem auch immer sein. Vielmehr verdeutlichen diese Zahlen, wie sehr das Cavs-Spiel und auch der Kader auf die singulären Fähigkeiten von LeBron zugeschnitten sind. Es reicht, vier Rollenspieler mit gutem bis sehr gutem Wurf mit ihm auf den Court zu schicken, wenn man eine Offense auf historischem Niveau haben will. Deswegen sind die Lineups mit ihm und vier Bankspielern ähnlich tödlich wie die mit den Co-Stars Love und Irving.

James hat das Spiel gemeistert und ist mit seiner Mischung aus Drive, Shooting und Magic-artigem Passspiel der perfekte Spieler für die heutige Pace'n'Space-Ära (wobei er auch in JEDER anderen Ära klar kommen würde, falls das noch jemand anzweifelt). Zumal er die analytischen Fähigkeiten besitzt, um in jedem Spiel und jeder einzelnen Situation die Defense des Gegners zu lesen und entsprechend darauf zu reagieren.

Er ist gegnerischen Spielern und Coaches gedanklich um einen oder zwei Schritte voraus und kontrolliert das Spiel auf eine Art, wie sie wenn überhaupt nur von einer Handvoll Spielern erreicht wurde. Und deswegen kann man auch dafür argumentieren, dass er heute besser ist als beispielsweise 2009, als er in den Playoffs ein Player Efficiency Rating von 37,4 auflegte (heute: 30,4) - die mentale Stärke lässt sich eben ungleich schwerer quantifizieren.

Mal wieder Underdog

A propos quantifizieren. Die Warriors sind gemessen an nahezu allen Zahlen und Statistiken der große Favorit vor diesen Finals. Auch bei den Buchmachern in Las Vegas. LeBron selbst sagte vor einigen Tagen, dass die Dubs "wahrscheinlich eine der größten Herausforderungen" seiner Karriere darstellen. Das 'wahrscheinlich' kann man getrost streichen.

Dass man den Cavaliers überhaupt etwas zutraut, liegt an nichts anderem als dem LeBron-Faktor - er hat schließlich schon letztes Jahr das scheinbar Unmögliche möglich gemacht. Er ist der Terminator, der Hulk, der Stolperstein vor dem Start einer möglichen Warriors-Dynastie. Der beste Spieler der Welt.

Diesen Titel hat er seit längerem sicher, sodass man ihn mittlerweile häufig nur noch mit dem Besitzer der Charlotte Hornets vergleicht. Sollte er tatsächlich auch diese Inkarnation der Warriors besiegen, werden die GOAT-Rufe vermutlich nicht leiser. Mit Sicherheit dürfte man dann jedoch festhalten, dass LeBron James auf einem neuen Zenit angekommen ist.

Die Statistiken in diesem Artikel stammen von nba.com/stats, ESPN und basketball-reference.com.

LeBron James im Steckbrief