Es ist kurz nach 19 Uhr Ortszeit in San Antonio, als Patrick Beverleys Dreier im Korb der Spurs einschlägt. Game 5 der zweiten Playoffrunde ist noch keine Minute alt und die Rockets präsentieren direkt ihre gefährlichste Waffe. Wenig später kommt James Harden unbedrängt zum Abschluss, da Danny Green sich von einem Pumpfake verladen lässt - zweiter Korb, zweiter Dreier. Als Trevor Ariza auch die nächsten Houston-Punkte von Downtown erzielt, ist es allen klar: Dieses Spiel wird von weit draußen entschieden. Wieder einmal.
Die Rockets ahnen zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht, dass der Dreier am Ende ihnen selbst zum Verhängnis werden wird. Denn nach dem starken Beginn fällt bei Houston nichts mehr außer der Quote - 33,3 Prozent stehen am Ende im Boxscore. Trotz des mäßigen Erfolgs greifen Harden und Co. immer wieder auf den Longball zurück - sie können und kennen es in dieser Saison einfach nicht anders. 49 Dreierversuche bedeuten, dass am Ende 55,8 Prozent ihrer Angriffe jenseits des Perimeters abgeschlossen wurden.
In der OT sind es gar 100 Prozent: Kein Layup, kein Freiwurf, kein Midrange Jumper - die Rockets lassen den Spalding sechs Mal in Richtung Korb fliegen und jedes Mal kommt er von Downtown. Während Beverley und Anderson je einmal treffen, versagen ausgerechnet dem Bart die Nerven. Nach zwei Fehlwürfen wird der dritte von Manu Ginobili geblockt, das Spiel geht trotz eines Eric-Gordon-Treffers von ganz weit draußen verloren, weil er Sekundenbruchteile zu spät geworfen hatte.
Das engste Spiel der Serie offenbart gnadenlos die größten Schwächen des Rockets-Systems: Es ist zu eindimensional. Der Dreier scheint alternativlos und Hardens Leistung entscheidet über Sieg oder Niederlage. Wenn der Dreier nicht fällt und der MVP-Kandidat nicht ständig die richtigen Entscheidungen trifft, gibt es Probleme.
Harden im Westbrook-Modus
In Spiel 5 machte Harden dabei in Hälfte eins vieles richtig - davon zeugten seine 33 Punkte, 11 Rebounds und 10 Assists. Die 9 Ballverluste zeigten allerdings auch, dass er - gerade im weiteren Verlauf - längst nicht alles richtig machte. Zumal er in der Overtime genau in den Modus schaltete, für den der tatsächliche MVP-Favorit Russell Westbrook in der ersten Runde teilweise so harsch kritisiert wurde.
Ähnlich wie Westbrook in Spiel 2 gegen Houston wirkte Harden gegen San Antonio am Ende zwar müde, dennoch wollte er anscheinend lieber selbst danebenwerfen, als anderen einen Wurf aufzulegen. Während er selbst in der OT eine Usage Rate von 66,7 Prozent aufwies, standen Ariza und Clint Capela im gleichen Abschnitt bei 0,0 - sie bekamen schlichtweg keinen einzigen Ball mehr serviert.
Doch nicht nur beim Playmaking tat sich Harden schwer, auch bei den eigenen Abschlüssen traf er häufig die falsche Entscheidung. Möglich, dass es die Müdigkeit war - allerdings vernachlässigte er seine vielleicht größte Stärke, den Zug zum Korb, komplett, und schoss stattdessen nur von draußen. Zwei der neun Ballverluste erfolgten zudem in der Overtime und schadeten seinem Team umso mehr. Es war wahrlich kein Glanzauftritt vom "Points Guard".
Ohne Unterstützung geht es nicht
Es wäre jedoch viel zu einfach, die Schuld allein bei Harden zu suchen. Zwar hat auch er schon zuvor in der Crunchtime mit seinem Scoring übernommen, normalerweise entspricht jedoch eine stärkere Balance zwischen Scoring und Playmaking eher seinem Naturell. Dass er gerade in der Schlussphase nun komplett in den Westbrook-Modus schaltete - und damit scheiterte -, war zwar sein Fehler. Es war aufgrund der frustrierenden Inkonstanz seiner Mitspieler allerdings auch ein Stück weit verständlich.
Die gesamte Saison über hieß es, der große Unterschied zwischen den Rockets und den Thunder sei die Tiefe des Supporting Casts - das Hauptargument pro Westbrook als MVP. Die Scharfschützenriege, die Daryl Morey um Harden herum aufgebaut hat, brach nicht nur alle Dreierrekorde, sie zeichnete auch maßgeblich verantwortlich für die 55 Siege und den dritten Platz im Westen. Mit dieser Unterstützung war Harden der geniale Maestro einer explosiven Offense und eben kein Ein-Mann-Abrissunternehmen. Doch in den Playoffs ist Konstanz für das Shooting der Rockets bisher ein Fremdwort.
Tolle Wurf-Leistungen wie in den Spielen 1 und 4 gegen die Spurs wechseln sich mit horrendem Geballer ab, wobei Harden (28,3 Prozent 3FG in den Playoffs!) davon keineswegs ausgenommen ist. Mit Ausnahme von Gordon und Patrick Beverley, die ihre Quoten leicht gesteigert haben, treffen alle wichtigen Schützen der Rockets derzeit weit unter ihrem Regular-Season-Niveau.
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Unkonzentriert auf beiden Seiten
Doch nicht nur in dieser Hinsicht ließ das Rockets-Kollektiv den Superstar in Spiel 5 im Stich. Während Harden entgegen seines Rufs gerade im Post gegen Big Men richtig stark verteidigte und ordentlich Boards sammelte, pennte der Rest der Mannschaft beim Rebounden. Fünf Offensivrebounds überließ man den Spurs alleine im vierten Viertel - dazu noch zwei in der Verlängerung, die diese für wichtige Second-Chance-Punkte nutzten.
Harden selbst brachte das Problem im anschließenden Post-Game-Interview auf den Punkt: "Um unseren Basketball-Stil spielen zu können, brauchen wir defensive Stops und Rebounds." Nur so funktioniere die schnelle Transition-Offense, die den Rockets so liegt. In der Halfcourt-Offense dagegen wird es gegen ein herausragend diszipliniertes Defensiv-Team wie die Spurs logischerweise schwieriger.
TV-Experte Kenny Smith bemängelte bei Inside the NBA vor allem, dass die Rollenspieler Harden "erst zehn Sekunden vor Ablauf der Shotclock den Ball gegeben haben und erwarteten, dass er etwas macht." Dadurch sei Harden regelmäßig unter Zeitdruck geraten. Dass Gordon bei der letzten Possession der Overtime beinahe den Ball verlor, weil er auf seinen eigenen Fuß dribbelte, dürfte das Vertrauen Hardens in seine Mitspieler auch nicht unbedingt gesteigert haben.
D'Antoni: Wahrscheinlich waren wir müde
Doch wieso straucheln die über die Regular Season weitestgehend konstanten Shooter ausgerechnet in den Playoffs? Coach Mike D'Antoni äußerte nach dem Spiel eine Vermutung: "Wahrscheinlich waren wir müde. Würfe, Layups und Freiwürfe - alles war zu kurz oder seitlich vorbei, da musst du mehr kämpfen."
Damit hatte D'Antoni Recht - allerdings trug er auch eine Mitschuld an den Ermüdungserscheinungen seiner Spieler: In der selbst für Playoff-Verhältnisse äußerst kleinen Rotation bekamen die Starter einfach kaum Verschnaufpausen. Nur sieben Rockets schickte D'Antoni auf das Parkett - im vorherigen Spiel 4 setzte er alleine im ersten Viertel mehr Spieler ein (9).
Dies ist sicher auch der Verletzung Nenes und dem Extrem-Smallball-Line-Up geschuldet. Trotzdem saßen mit Sam Dekker und Montrezl Harrell zwei Akteure auf der Bank, die in der Regular Season noch fester Bestandteil der Rotation waren. Beide spielten durchschnittlich 18 Minuten pro Spiel - diese Entlastung fehlte gegen Spielende deutlich, als Houston die Puste ausging.
Wie Ex-Rocket Smith ganz richtig sagte: "Du musst als Coach mehr als sieben Spielern vertrauen können." Die winzigen Rotationen waren freilich auch schon zu D'Antonis Hochzeiten mit den Suns ein regelmäßiges Playoff-Problem, insbesondere bei den verlorenen Serien gegen die Spurs.
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Nicht alles verloren
Die Rotation ist mit Sicherheit eine der Stellschrauben, an der Houston drehen muss, um die Eliminierung in Spiel 6 vor heimischem Publikum zu verhindern. Auf den Heimvorteil, soviel hat die Serie bereits gezeigt, sollte man sich nicht zu sehr verlassen. Beide Teams haben schließlich schon Zuhause verloren.
Es liegt jetzt also an D'Antoni und der Scharfschützentruppe, dem Bart vier Spieler an die Seite zu stellen, denen er vertraut. Bezeichnend: Bei den beiden Rockets-Siegen der Serie verzeichneten die Bankspieler im Schnitt 46 Punkte, bei den Niederlagen nur 25,6. Harden muss die Unterstützung spüren, damit er seinem Naturell entsprechend die Balance findet - und seinen inneren Westbrook beherrscht.