Rache wird am besten kalt serviert

Ole Frerks
06. Juni 201712:20
Das Duell zwischen Kyrie Irving und Stephen Curry verläuft bisher ziemlich eindeutiggetty
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Stephen Curry hat nach den Finals 2016 wohl mehr Häme eingesteckt als jeder andere. In den aktuellen Playoffs zeigt der zweimalige MVP jedoch, wozu er wirklich in der Lage ist - wenn er gesund ist. Dass er dabei wohl kein Finals-MVP werden wird, ist kein Problem, solange die Golden State Warriors ihr großes Ziel tatsächlich erreichen.

Wir schreiben den 19. Juni 2016, in Spiel 7 der NBA Finals ist noch rund eine Minute zu spielen. Stephen Curry, der zweifache MVP, hat bis hierhin ein schlechtes Spiel gezeigt - nicht nur nach seinen Standards. Trotzdem liegen die Dubs nur mit 3 Zählern hinten, nachdem Kyrie Irving soeben einen Dreier für die Cavs versenkt hat - über Curry.

Steph soll nun etwas Ähnliches vollbringen und wird gegen Kevin Love isoliert. Der fußlahme, defensivschwache Forward gegen den Handling-Magier, der selbst die besten Verteidiger regelmäßig dumm dastehen lässt? Ein überragendes Mismatch, sollte man meinen. Aber es kommt anders. Steph versucht zu tanzen, aber es fehlt die Explosion. Love bleibt vor ihm. Letztlich wirft Curry, wie so oft an diesem Abend - aber ohne Erfolg. Wenig später feiern die Cavaliers in der Oracle Arena ihren Titel. In SEINER Halle.

Ein Jahr (minus ein paar Tage) später. Der 1. Juni 2017. Curry sieht sich im zweiten Viertel nach einem Switch von Love verteidigt, als er den Ball an der Dreierlinie hat. Diesmal fackelt er nicht lange und zieht ohne große Mühe am Big Man vorbei - auch der Layup sitzt. Love ist freilich nicht der einzige, den Steph an diesem Tag abschüttelt. Im dritten Viertel ist es LeBron James selbst, der vom Chef nach allen Regeln der Kunst hochgenommen wird.

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In Spiel 2 macht er genau damit weiter - wenngleich sein meistgezeigter Move gegen James in dieser Partie ein Doppeldribbling war. Es war aber freilich nicht Currys einziges Highlight. 30 Punkte, 10,5 Assists und 8 Rebounds (und 5 Dreier) gelingen ihm in den Finals bisher im Schnitt. Angesichts der bisherigen Leistungen von Kevin Durant würde er damit kein Finals-MVP werden, so absurd das auch sein mag - aber zumindest die persönliche Wiedergutmachung scheint ihm gewiss.

Curry im Fokus der Häme

Man kann viel dafür argumentieren, dass Draymond Green die Warriors im vergangenen Jahr den zweiten Titel gekostet hat, die Krönung der 73-Siege-Saison. Green selbst bewertet seine Sperre für Spiel 5 als Wendepunkt, nicht nur für die Finals, sondern für sein Leben. Und auch LeBron und Kyrie Irving hatten natürlich jede Menge damit zu tun, dass die Warriors ihren Titel nicht verteidigen konnten.

Die meiste Häme bekam aber Curry ab. Kein Wunder - er ist das Gesicht des "Superteams", der nach der Ansicht vieler von den Medien und der NBA künstlich auf ein Podest gehoben wird, auf dem er eigentlich nichts verloren hat. Dass er in den Finals weit unter seinem Niveau blieb, nachdem er als erster Spieler überhaupt einstimmig MVP wurde, schien das zu bestätigen. Alles Hype, keine Substanz.

Es war kein Geheimnis, dass er nicht gesund war, allerdings gilt in den Playoffs seit jeher das Gesetz: Wer spielt, darf und muss auch kritisiert werden. Bei Curry ist das natürlich nicht anders. Allerdings ist die Bewertung seines Spiels und seiner Person angesichts von Hype und Anti-Hype so emotional aufgeladen, dass man mittlerweile in schöner Regelmäßigkeit mit völlig abenteuerlichen Einschätzungen konfrontiert wird.

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Absurde Anschuldigungen

Curry sei kein Superstar, eigentlich nicht mal ein Star, nur ein überbewerteter Shooter, der wertlos ist, wenn der Dreier nicht fällt - das sagen zumindest viele Menschen bei Social Media. Es gibt eine Vielzahl an verwirrten Seelen, die Kyrie Irving für einen besseren Spieler halten als Stephen Curry, weil sie sich von einer Serie leiten lassen. Auch hält sich hartnäckig das Gerücht, er sei kein Playoff-Performer, obwohl seine Playoff-Zahlen fast durchgängig besser sind als die in der Regular Season.

Curry ließ viel Häme und Kritik über sich ergehen, zumal er sich selbst als seinen "größten Kritiker" bezeichnet. Im Frühjahr wunderte er sich dann aber doch mal, dass seine Saison als "Down Year" deklariert wurde, obwohl er 25,3 Punkte im Schnitt auflegte und die Liga (wie üblich) bei den Dreiern anführte.

Für seine Verhältnisse war das Zitat "Das ist eine falsche Wahrnehmung" schon fast mit einer Medienschelte gleichzusetzen, üblicherweise vermeidet er es, seine Aussagen provokant oder auch nur interessant zu gestalten. Ihm war ohnehin klar, dass er eine Zielscheibe bleiben würde, bis er sich rehabilitiert hat. Wahrscheinlich auch darüber hinaus, 3-1-Witze sind schließlich immer wieder lustig.

Das ist übrigens auch völlig in Ordnung - die wahrgenommene Arroganz der Warriors kann man zwar eher Besitzer Joe Lacob ("Lichtjahre voraus!") und Green zuordnen, aber Curry ist eben das Gesicht des Teams. Wenn man als talentierter und quasi unschlagbar gilt und es dann vergeigt, gibt es Gelächter. Das war bei den 2011er Heat gegen die Mavericks bekanntlich auch nicht anders.

Gesundheit macht den Unterschied

Mittlerweile sieht es aber stark danach aus, als würde Curry zuletzt lachen. Er war in den ersten beiden Spielen dieser Finals ein anderer Spieler als letztes Jahr - nur die Turnover-Anfälligkeit ist auffällig wie eh und je (8 Ballverluste in Spiel 2). Dafür spielt er mit einer neuen Dynamik. 14 Freiwürfe zog er allein in Spiel 2, letztes Jahr knackte er nur bei seiner 38-Punkte-Performance in Spiel 4 10 Versuche vom Charity Stripe.

"Im Endeffekt ist es sehr einfach: Er ist gesund", sagte Backup-Guard Shaun Livingston vor Spiel 2 zu ESPN. "Er ist schnell. Das macht für ihn einen großen Unterschied beim Dribbling und dabei, sich auf dem Court von A nach B zu bewegen. Er ist dabei nicht eingeschränkt. Man kann den Unterschied deutlich sehen. Es geht ihm gut."

Man kann es an seinen Bewegungen in der Tat relativ problemlos erkennen - auch wenn die Gesundheit freilich nicht der einzige Grund ist. Auch der andere Hauptgrund ist ohne langes Suchen auszumachen, schließlich handelt es sich dabei um eine offiziell 2,08 m große Basketballmaschine, die in der Realität eher 2,15 m groß sein dürfte. Durant macht Curry das Leben leichter, genau wie Curry Durant das Leben leichter macht.

Neue Dimension dank Kevin Durant

Spacing war für die Warriors auch letztes Jahr kein Problem, Durant hat die Offense mit seinem Wurf, seinem Drive und auch seinem Playmaking jedoch auf eine neue Dimension gehoben, wodurch wiederum mehr Platz für Curry entsteht. Defensiv ist KD in den Playoffs bisweilen eine längere Version von Green, dem wahrscheinlichen Defensive Player of the Year, womit er eine weitere Absicherung bedeutet und es Curry und den Wings erlaubt, aggressiver auf Steals zu spekulieren. Ganz zu schweigen davon, dass KD auch selbst problemlos den Fastbreak laufen kann.

Auch im Halfcourt hebt das Zusammenspiel von Durant und Curry die Warriors auf einen neuen Level. Das Pick'n'Roll mit beiden MVPs wurde während der Saison überraschend selten gelaufen, gegen die Cavaliers allerdings entpuppt es sich immer mehr als tödliche Waffe. Natürlich ist auch jedes andere Pick'n'Roll für Curry einfacher zu laufen, wenn der Gegner auf der anderen Seite auch noch jemanden wie Durant im Blick haben muss.

Die Folge: Sowohl Curry als auch Durant spielen ihre jeweils effizienteste Postseason der Karriere. Curry belegt beim True Shooting mit 67,4 Prozent den fünften Platz in den Playoffs - KD steht auf Platz 6 (67,3). Die Kombination der beiden ist so gut, dass sich ESPN-Experte Jeff Van Gundy schon während Spiel zwei zu der Aussage hinreißen ließ, die beiden könnten das beste Duo der NBA-Geschichte sein.

Anfängliche Probleme mit Kevin Durant

Darüber lässt sich natürlich streiten. Klar ist aber: Seit Mitte der Regular Season ist ziemlich viel Zeit vergangen. Damals war noch darüber diskutiert worden, ob Curry neben Durant noch "er selbst" sein könnte, schließlich nahm er sich ziemlich offensichtlich zurück, um KD im Team willkommen zu heißen.

Curry spielte beizeiten nicht mit dem Flair, mit der Freude seiner MVP-Saisons. Mindestens zweimal war ihm Frustration auch deutlich anzusehen - als er am Christmas Day gegen die Cavs aus Defensiv-Gründen in der letzten Minute auf der Bank saß und als Durant bei der OT-Niederlage gegen Memphis ein potenziell spielentscheidendes Pick'n'Roll ablehnte, um Iso-Ball zu spielen.

Rückblickend ist wohl gerade letzteres als ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem besseren Verständnis der beiden Superstars zu interpretieren. In jedem Fall haben sie eine Kombination gefunden, die funktioniert. Zum richtigen Zeitpunkt spielen beide ihren besten Basketball.

Kein Finals-MVP? Kein Problem

Die Warriors haben zuletzt gezeigt, dass sie auch dann dominieren können, wenn bei Klay Thompson nichts zusammenläuft oder Green mit Foul-Trouble auf der Bank sitzt. Wo bisher noch immer vom "Lineup of Death" die Rede war, ist es heute etwas einfacher: Curry und KD sind ihr eigenes Lineup of Megadeath. Dass beide eine Off-Night erleben, ist angesichts der "demokratischen" (cc: Kobe Bryant) Warriors-Offense äußerst selten.

Durant steht dabei stärker im Vordergrund - zu Recht. Er ist es, der in den Finals im Duell mit dem besten Spieler der Welt bisher ziemlich eindeutig die Nase vorn hat. Curry trägt gerade defensiv deutlich weniger Last und daher wäre es Stand jetzt auch vollkommen logisch, wenn im Fall eines Warriors-Titels Durant den Finals-MVP abräumen würde.

Man sollte aber nicht davon ausgehen, dass Curry sich daran stören würde - dafür hat er sich schon viel zu oft über die Scoring-Explosionen von etwa Klay gefreut wie ein kleines Kind. Der zweimalige MVP hat kein Problem damit, das Rampenlicht zu teilen oder auch mal phasenweise abzugeben, solange das große Ganze davon profitiert.

Außerdem wäre das alles ja auch kein Grund zum Verzagen. Wenn diese Warriors noch eine Weile zusammenbleiben, sollte Steph Curry noch die eine oder andere Chance erhalten, sich auch noch einen Finals-MVP-Award unter den Nagel zu reißen.

Stephen Curry im Steckbrief