Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass Chris Bosh eines Tages noch einmal professionell Basketball spielen wird. Nachdem die Miami Heat ihren langjährigen Forward offiziell gewaived haben, ist er ein Free Agent und könnte also anderswo anheuern. Wie schon seit rund 18 Monaten besteht jedoch das Problem, dass Bosh keine medizinische Freigabe hat.
Nach seinen Problemen mit Blutgerinnseln hatte der 33-Jährige zwar selbst immer wieder betont, dass er zurückkommen wird. Er trieb sogar einen "unabhängigen" Arzt auf, der ihm perfekte Gesundheit bescheinigte. Die Teamärzte der Heat machten aber nicht mit - das Risiko sei zu groß.
Bosh war zunächst verärgert, immer wieder ging es Hin und Her zwischen der Franchise und dem Spieler, der so gerne wieder spielen wollte. Mit der Zeit akzeptierte er die Realität, dass er nicht mehr für Miami spielen würde, jedoch und einigte sich mit den Heat, der NBA und der Players Association auf einen Deal, der seine Zeit in Miami effektiv beendete.
Die 52 Millionen Dollar, die ihm aus seinem Maximalvertrag von 2014 noch zustanden, wird er trotzdem kassieren, das Gehalt zählt allerdings nicht mehr gegen den Salary Cap der Heat, wodurch die Franchise Spielraum bekommt. Einen Großteil des Gehalts übernimmt die Versicherung. Im Prinzip ist Bosh also im medizinischen Ruhestand - trotz der winzigen Hintertür.
Chris Bosh war noch nicht fertig
Es wäre ihm zu wünschen, dass er seinen Frieden mit der Situation macht und seine Gesundheit nicht aufs Spiel setzt. Es mag merkwürdig wirken, jemanden zu bemitleiden, der längst ausgesorgt hat und in den nächsten beiden Jahren fürs Nichtstun 52 Millionen kassiert.
gettyNur ist Geld eben bekanntlich nicht alles - der Mann hat einen großen Teil seines Lebensinhalts verloren, wahrscheinlich für immer. Es ist völlig verständlich, dass er sich mit aller Macht daran klammert, zumal er seiner Meinung nach "noch nicht fertig" war. Noch im Januar 2016, kurz bevor Bosh sein bis heute letztes Spiel machte, sagte er zu ESPN, er träume davon, einer der besten 50 Spieler aller Zeiten zu werden.
Keine Sorge um das Erbe
Bosh war der Meinung, dass er dafür noch einiges zu erledigen habe, womit er wohl auch Recht hatte. Die Aussichten standen damals aber gut: Die 97 Spiele, die Bosh in den Saisons 14/15 und 15/16 absolvierte, waren seine statistisch besten in der Miami-Zeit. Mehr und mehr wurde Bosh nach dem Abschied von LeBron James wieder zur Top-2-Option - und zu einem immer besseren Shooter.
Dennoch sollte sich Bosh um sein Erbe keine Sorgen machen. Wie man es dreht und wendet, ist Bosh ein garantierter Hall-of-Famer - basketball-reference beziffert seine Chancen auf schmale 99,5 Prozent. Bosh war aber mehr als ein elfmaliger All-Star und zweifacher Champion. Er war - wenn auch zunächst unfreiwillig - ein Revolutionär.
Im Schatten von Dwyane Wade und LeBron James
Als Bosh im Jahr 2010 mit James und Dwyane Wade die "Heatles" formierte, hatte er bereits sieben NBA-Saisons und fünf All-Star-Teilnahmen auf dem Buckel, in seiner letzten Saison bei den Raptors hatte er 24 Punkte und 10,8 Rebounds aufgelegt - beides Career Highs. Teamerfolg hatte er allerdings keinen: Bloß elf Playoff-Spiele hatte Bosh in sieben Jahren absolviert, sein letzter Postseason-Auftritt war bereits zwei Jahre her.
Mit seinem Wechsel nach Miami opferte Bosh die individuellen Stats und auch einen Teil des Ruhms. Es war von Anfang an klar, dass er neben James und Wade die dritte Geige spielen würde und dass er mehr würde opfern müssen als die beiden Mega-Stars. In der ersten Saison fiel sein Punkteschnitt um 5,3 Punkte auf 18,7, im letzten Jahr mit LeBron waren es gar nur noch 16,2 Punkte. Bosh nahm kaum noch Freiwürfe und erhielt pro Spiel mehr als vier Würfe weniger als in Toronto.
Trotz der beiden Titel, trotz der vier Finals-Teilnahmen, trotz der (weiteren) vier All-Star-Nominierungen wurde Bosh neben Wade und vor allem LeBron aus diesem Grund häufig marginalisiert - als Sternchen neben echten Stars, als Trittbrettfahrer. Bosh hat selbst zugegeben, dass dies für ihn nicht immer einfach war.
LeBron und Wade - Jordan und Pippen?
"Man bekommt irgendwann ein Verständnis dafür, wie Leute die Liga und ihre Spieler wahrnehmen", sagte Bosh 2016 zu ESPN. "Wenn man einen Gelegenheitsfan fragt, ob er von den Bulls bei ihren Threepeats Spieler außer Jordan und Pippen kennt, muss der vielleicht auch einen Moment lang überlegen", sagte er in Bezug auf seinen Stand in der "Hackordnung" der Heatles.
"Das hat natürlich auch mit Popularität zu tun. Ich weiß, dass ich nie der populärste Spieler war, und sobald ich das begriffen habe, habe ich das einfach aufgegeben", sagte Bosh. "Ich habe mich dann nur noch auf mein Spiel konzentriert."
Immer weiter nach draußen
Es hat ihm gut getan, das kann man rückblickend sagen und das war auch in den Meisterjahren schon zu sehen. Bosh wurde - gezwungenermaßen - ein Prototyp für die jungen Big Men, die heutzutage als "Einhörner" die Liga verzaubern. Bosh musste im System von Erik Spoelstra Platz für die Penetrationen von James und Wade schaffen, also verlagerte er sein Spiel mehr und mehr nach draußen.
In seiner letzten Saison in Toronto nahm Bosh 0,3 Dreier pro Spiel, in Miami steigerte er sich kontinuierlich bis auf 4,2 Versuche - und der Wurf, auch aus der Mitteldistanz, wurde mehr und mehr zur Waffe. In den Post ging er kaum noch - das taten wenn dann James und Wade. Bosh wurde offensiv zum Pace-and-Space-Big-Man.
Natürlich war Bosh dabei nicht der erste Big Man mit einem guten Händchen von draußen - im Gegenteil. Aber er kombinierte dies damit, dass er auch hinten den Laden zusammenhalten konnte. Der nominelle Power Forward rückte auf Center auf, obwohl er dafür eigentlich zu "schmal" war, und machte das frenetische Defensiv-Konzept der Heat damit erst möglich.
Vorreiter der Einhorn-Welle
Seinetwegen war es möglich, dass LeBron zum "Power Point Guard" wurde und Miami mit vier Flügeln - zum Beispiel Mario Chalmers, Shane Battier, Wade und eben LeBron - plus Bosh spielen konnte, ein Vorreiter des gefürchteten Death Lineups der heutigen Warriors.
Diese Lineups waren schnell, sie waren athletisch, sie waren diszipliniert und konnten fast jeden Gegner verteidigen (die 2014er Spurs hatten Offensiv-Basketball perfektioniert, die 2011er Finals gingen nicht primär wegen der Defense verloren). Zu einem großen Anteil deshalb, weil Bosh gegen die wenigen echten Center dagegenhalten und weil er nach Pick'n'Rolls relativ mühelos switchen konnte. Er war kein herausragender Shotblocker, verteidigte dafür aber unheimlich intelligent im Teamkonzept.
Bosh war genau die Art von Spieler, nach der sich heute alle die Finger lecken. Spacing und Pick'n'Roll-Defense sind heutzutage die vielleicht wichtigsten Qualitäten eines Big Mans - deswegen taucht Draymond Green nie in Trade-Gerüchten auf, während Kevin Love seit seiner Ankunft in Cleveland gefühlt jeden zweiten Tag auf der Kippe steht.
Spieler, die auch nur annähernd das liefern könnten, was Green macht, sind unfassbar selten und deswegen so begehrt. Deswegen hätten einige Knicks-Fans Phil Jackson persönlich in den Hudson River geschmissen, wenn er Kristaps Porzingis wirklich abgegeben hätte.
Chris Bosh war einer der Besten seiner Ära
All dies, die gesamte Entwicklung der NBA in den letzten Jahren, macht das Zuschauen für Bosh sicherlich nicht leichter. Es kann überhaupt keinen Zweifel daran geben, dass er in der heutigen Ära auch jetzt noch ein Faktor sein würde, hätte seine Gesundheit mitgespielt. Er hat sie ja quasi mit eingeleitet.
Gleichzeitig muss man allerdings nicht lamentieren oder dem nachtrauern, was hätte sein können, denn es WAR ja mehr als genug. Die Titel, die Auszeichnungen, seine legendären Photobombs - Chris Bosh hat genug geleistet, um als einer der besten Spieler seiner Zeit und als Pionier in die Geschichte einzugehen. Ob er nun noch einmal auf dem Court stehen wird oder nicht.
Irgendwie passend, dass seine berühmteste Szene aus einem Offensiv-Rebound und einem geistesgegenwärtigen Pass bestand - auf Ray Allen in Spiel 6 der Finals 2013. Dieses Play zeigt wie die gesamte Heat-Ära von Bosh: Man muss nicht immer der größte Name sein oder den größten Wurf treffen, um Teil von etwas Großem zu sein - und ein Großer.