Mehr als nur ein Fantasy-All-Star

Ole Frerks
17. August 201710:44
Andrew Wiggins soll einen neuen Vertrag bekommengetty
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Die Minnesota Timberwolves haben offenbar vor, Andrew Wiggins einen Maximalvertrag zu geben - eine kontroverse Entscheidung. Ist der Kanadier das wert? SPOX erörtert die Argumente für und gegen den Deal.

Es sorgte kaum für ein verlängertes Anheben der Augenbraue, als Andrew Wiggins Ende Juli sagte, er sei einen Maximalvertrag wert - und keinen Cent weniger. Im Endeffekt sprach da einfach ein junger, selbstbewusster Basketballspieler. Und es ist ja auch nicht so, als wäre so eine Behauptung bindend oder auch nur außergewöhnlich.

Etwas anders verhielt es sich dann, als Timberwolves-Besitzer Glen Taylor rund zwei Wochen später öffentlich sagte, Wiggins habe den Maximal-Vertrag schon mehr oder weniger sicher. Versehen mit der unglaublich spezifischen Bedingung, dass Wiggins sich dazu verpflichten sollte, "in Zukunft ein besserer Spieler zu sein, als du heute bist." Na, wenn es sonst nichts ist.

Wiggins steht bei den Wolves noch für die kommende Saison unter Vertrag, danach wäre er Restricted Free Agent. Mit einer jetzigen Vertragsverlängerung würde man dies verhindern - und Wiggins könnte für fünf weitere Jahre 148 Millionen Dollar verdienen. Eine Menge Holz - zumal Wiggins bisher noch nicht einmal an einem All-Star Game teilgenommen hat.

Tatsächlich gehört der 22-Jährige nach drei Jahren in der NBA zu den polarisierenderen NBA-Spielern und längst nicht jeder hält es für eine gute Idee, ihn mit Geld zu überhäufen, zumal noch kein Zeitdruck dafür existiert. Andererseits wachsen Talente seiner Bauart nicht auf Bäumen - es lohnt sich also, beide Seiten anzuhören.

Darum verdient Andrew Wiggins keinen Maximalvertrag

Im Jahr 2014 kam Wiggins als No.1-Pick - im Trade für einen gewissen Kevin Love - von den Cavaliers nach Minnesota. Mit seinen physischen Tools, der Athletik, der Länge und der schönen Wurfbewegung war Wiggins damals gewissermaßen der "2K MyPlayer-Modus" im echten Leben, um Nate Wolf von The Sports Quotient zu zitieren. Sein Talentpaket erschien so vielseitig, als könnte man aus ihm nahezu jeden Spielertypen basteln.

Im Prinzip hat sich daran auch jetzt nicht viel geändert - Wiggins' Potenzial erscheint fast grenzenlos. Es ist nur leider so, dass er sich bisher in erster Linie nur in einem Bereich wirklich entwickelt hat. Wiggins scort, letzte Saison waren es 23,6 Punkte bei 45,2 Prozent aus dem Feld - aber er tut sonst nicht wahnsinnig viel.

Frisch vom College kommend, galt "Maple Jordan" als potenzieller Lockdown-Verteidiger. In der Realität aber verliert er häufig die Konzentration, pennt im Teamverbund und reboundet für seine körperlichen Voraussetzungen schlichtweg mies - seine Rebound-Rate (6,3) ist schlechter als die von Point Guards wie Stephen Curry, Kyle Lowry oder D'Angelo Russell.

Nicht die Skills, der Einsatz ist das Problem

Sogar Oldie Manu Ginobili sichert sich einen größeren Anteil der verfügbaren Rebounds als der kanadische Highflyer. Genau wie bei seiner Defense liegt das nicht daran, dass es ihm an Anlagen fehlen würde - es liegt vielmehr an der Einstellung. Wiggins verteidigt und reboundet teilweise unglaublich lethargisch, selbst Tom Thibodeau konnte ihm dies bisher nicht "ausbrüllen". FiveThirtyEight kürte ihn am Ende der Saison gar zum "Least Defensive Player" - kein Award, auf den man stolz sein kann.

Auch in der Offense erzählt der mehr als ordentliche Punkteschnitt nicht die ganze Wahrheit. Wiggins hat seine Dreierquote seit seinem Rookie-Jahr (31 Prozent) nur relativ wenig steigern können (35,6 Prozent) und lebt stattdessen mehr von der DeMar-DeRozan-Diät (Mitteldistanz). Anders als der All-Star der Raptors zieht Wiggins indes weniger Freiwürfe und ist ein deutlich schwächerer Playmaker.

Trotz seiner Fähigkeiten als Driver kreiert Wiggins kaum Würfe für seine Mitspieler (Assist-Rate: 10,6 Prozent). Da er den Distanzwurf zudem relativ oft verweigert, erlaubt er es den Verteidigern, abzusinken - und raubt damit Karl-Anthony Towns das Spacing für mögliche Aktionen im Post. Bisher ist Wiggins ein Volume-Shooter, aber nicht viel mehr - sein Spiel ist an den meisten Tagen wertvoller für Besitzer von Fantasy Teams als für sein eigentliches Team.

Potenzial bis unter die Hallendecke

Natürlich gibt es aber auch andere Tage - die Ausreißer nach oben. Bereits als Rookie lieferte er sich ein Duell mit James Harden, in dem er den Bart herausragend verteidigte und selber 30 Punkte machte. Letzte Saison legte er einmal 47, dreimal 41 und einmal 40 Punkte auf.

Er ist so athletisch und dynamisch, dass er sich in der Crunchtime jedes Spiels einen Wurf erarbeiten kann. Dabei trifft er längst nicht immer die richtige Entscheidung - dass die Wolves letzte Saison 29 von 44 Spielen mit "Clutch-Situationen" verloren, lag auch daran, dass es zumeist Wiggins war, der den Ball in der Hand hielt.

Doch es gibt diese Momente, in denen offensichtlich wird, dass im Kanadier eben doch das Potenzial für einen Superstar schlummert. Genau das ist es ja, worauf die Timberwolves zählen, wenn sie ihm den Maximalvertrag geben - auch wenn durchaus das Risiko besteht, dass er diesen nicht rechtfertigen wird.

Darum verdient Andrew Wiggins einen Maximalvertrag

Ein Team wie Minnesota - in einem kleinen, kalten Markt - wird nie ein Magnet für Free Agents sein. Es wird im Normalfall stattdessen stets Probleme haben, seine besten Spieler zu halten, wie man an den drei besten Spielern der Franchise-Geschichte (Kevin Garnett, Kevin Love und Stephon Marbury) gut sehen kann.

Dass Love in Minnesota am Ende unzufrieden war, hatte übrigens auch damit zu tun, dass die Franchise sich während seiner Restricted Free Agency nicht voll zu ihm bekannt hatte. Es ist verständlich, dass die Wolves dies nicht noch einmal riskieren wollen.

Mit Karl-Anthony Towns, Jimmy Butler, Jeff Teague und eben Wiggins haben sie derzeit wahrscheinlich das talentierteste Team ihrer Franchise-Geschichte beisammen. In jedem Fall dürften sie zum ersten Mal seit KGs MVP-Saison 2004 (!) in den Playoffs landen und sportlich relevant sein.

Kein Risiko für eine Nerlens-Noel-Situation

Wären 148 Millionen Dollar für Wiggins derzeit überbezahlt? Ohne Frage. Es stellt sich allerdings auch nicht die Frage, ob er im nächsten Sommer sonst anderswo einen Maximalvertrag erhalten würde - denn das wird er. Potenzial hat in einem Sport, der seit jeher von Superstars getragen wird, traditionell einen höheren Wert als die bisher erbrachten Leistungen.

Warum also nicht jetzt Wiggins bezahlen, bevor man riskiert, nächsten Sommer das Verhältnis zu belasten, wie es die Mavericks derzeit mit Nerlens Noel tun? Dann könnte man sich stattdessen um Towns kümmern, der 2018 erstmals eine Vertragsverlängerung unterschreiben könnte und für die Wolves-Zukunft noch wichtiger ist als Wiggins.

Auch das Argument, man würde durch einen neuen Deal Wiggins' Tradewert belasten, zieht nicht wirklich. Jedem aufnehmenden Team wäre ohnehin klar, dass er spätestens nächsten Sommer genau dieses Gehalt fordern würde. Allerdings haben die Wolves derzeit ohnehin nicht vor, Wiggins loszuwerden.

Lernen von Jimmy Butler

Anfang August sickerte durch, dass die Cavaliers in einem Trade von Kyrie Irving Wiggins und weitere Assets aus Minnesota haben wollten - darauf wollten sich die Wolves allerdings nicht einlassen. Wiggins soll bis auf Weiteres ein Teil der Wolves-Zukunft sein. Gerade Tom Thibodeau hofft auch darauf, dass die Ankunft von Butler sich letztendlich als Segen für Wiggins herausstellt.

Butler ist zur gleichen Zeit ein Prototyp für Wiggins und ein völlig anderes Kaliber. Wiggins galt schon im Highschool-Alter als Superstar und wurde an Nummer 1 gepickt, in jedem Spiel seiner NBA-Karriere durfte er starten. Butler wurde an Nummer 30 gepickt, wurde von Thibodeau zunächst fast völlig verschmäht und musste sich jede Spielminute erst verdienen, bevor er zum Star wurde.

Wiggins wurde in erster Linie von seinem Talent getragen, Butler in erster Linie von seiner harten Arbeit. Im Idealfall färbt Jimmy Buckets damit auf seinen neuen Mitspieler ab und nimmt ihm gleichzeitig etwas Druck von den Schultern. Eine Flügelzange mit Butler und Wiggins könnte potenziell furchteinflößend sein, auch wenn gerade Wiggins durchaus noch an seinem Dreier arbeiten sollte.

Potenzial und Arbeit

Damit sind die beiden wesentlichen Worte, die über Wiggins' Zukunft entscheiden werden, erneut gefallen: Potenzial und Arbeit. Er hat das Potenzial, ein richtig guter Spieler zu werden, ein Superstar vielleicht. Er ist es aber noch nicht. Wenn er wirklich einer sein will, muss er dafür noch jede Menge Arbeit investieren.

Die Frage ist, ob er dazu bereit ist. Bezahlen ihn die Wolves, setzen sie genau darauf - auf eigene (hohe) Kosten. Man kann argumentieren, dass es unwahrscheinlich ist, dass mehr Geld und finanzielle Sicherheit ihn zusätzlich motivieren werden. Aber das erzählt eben nicht die ganze Wahrheit eines NBA-Teams in einem kleinen Markt.

Man kann eben auch so argumentieren: Die Wolves müssen darauf setzen, dass Wiggins eines Tages mehr ist als (nur) ein Fantasy-All-Star.