"Habe zwölf Jahre in einer Blase gelebt"

Daniel Herzog
06. September 201711:26
Martell Webster sprach mit SPOX über Musik, Basketball und Familiegetty
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Martell Webster spielte zehn Jahre in der NBA - und ist mittlerweile als Rapper unterwegs. SPOX traf das Multitalent zum Interview über die Bedeutung von Musik, das Leben als Basketballer und über ein mögliches Comeback. Außerdem sprach er sehr offen über seine tote Mutter, seinen Vater, der viel zu spät auftauchte und über die dunklen Seiten des Profi-Lebens.

SPOX: Mr. Webster, Rapper oder Basketballer - wie würden Sie sich im Moment beschreiben?

Martell Webster: Ich bin weder das eine noch das andere. Ich bin einfach ein Mensch, der versucht, sein Leben zu meistern. Ich bin ein gottgläubiger Mensch, ein Ehemann, ein Vater - ich bin sehr vieles.

SPOX: Auf jeden Fall waren Sie schon immer ein Mensch, der sich ein Leben außerhalb des Basketballs aufbauen wollte. Sie haben mit Immobilien gehandelt und interessieren sich für Fotografie. Jetzt sind Sie Rapper - wann hat das mit der Musik angefangen?

Webster: Musik war schon immer ein Teil von mir. So richtig hat es angefangen, als ich im Alter von vier Jahren zu meiner Großmutter ziehen musste. Ihr Sohn hat Bass gespielt und gab Live-Sessions, bei denen ich immer zugeschaut habe.

SPOX: Und Sie haben dann angefangen, dazu zu rappen?

Webster: Nein, das hat alles mit Rodney, einem meiner besten Freunde, angefangen. Ich habe ihn ungefähr sechs Monate nach dem Umzug zu meiner Großmutter kennengelernt. Er wohnte in derselben Straße und hatte einen dieser weißen Fisher-Price-Kassettenrekorder. Ein riesiges Teil. (lacht) Wir haben immer die Kassetten überklebt, damit wir sie öfter benutzen konnten. Er hat Beats gemacht und ich habe einfach angefangen, dazu zu rappen. Da war ich ungefähr fünf. Ich war wohl dazu bestimmt, ein Rapper zu werden - oder auch nicht. (lacht) Aber ich habe sehr früh damit angefangen.

Martell Webster sprach mit SPOX über Basketball, Musik und das Lebengetty

SPOX: Ich glaube, ich hatte den gleichen Kassenrekorder - Ihre ersten Texte haben Sie aber erst viel später geschrieben, oder?

Webster: Genau, das war in Minnesota, nach meiner zweiten großen Verletzung. Ich hatte sehr viel Zeit und habe mir ein kleines Tonstudio in meinem Büro eingerichtet. In dieser Phase habe ich meine große Leidenschaft für die Musik entwickelt. Ich hatte eben auch nicht wirklich etwas anderes zu tun.

SPOX: Diese Leidenschaft ist heute zum Beruf geworden. Sie haben vergangenes Jahr ihr Debütalbum "Emerald District" veröffentlicht. Wann haben Sie gemerkt, dass Sie das Zeug zum professionellen Rapper haben?

Webster: Dafür ist eigentlich mein guter Freund Charles Hopper, der auch an meinem ARTT Mixtape mitgewirkt hat, verantwortlich. Er hat sich meine Musik angehört und gesagt, ich solle es versuchen. Er hat mich inspiriert, Musik nicht nur für mich, sondern auch für die Öffentlichkeit zu machen.

SPOX: Nun sind Sie natürlich nicht der erste NBA-Spieler, der sich in die Welt der Musik gewagt hat. Ich erinnere an dieser Stelle mal an Shaquille O'Neal, Kobe Bryant oder Gary Payton. Wenn man sich Ihre Texte anhört, scheinen Sie das Ganze aber etwas ernster zu nehmen - was wollen sie mit Ihrer Musik transportieren?

Webster: Das Leben. Ich habe nicht die Antworten auf alle Fragen, das hat wahrscheinlich niemand. Die Musik ist eine Art Therapie für mich, um mit meinen Problemen und meinen Schwächen klarzukommen. Als Athlet halten dich alle für einen Gott, aber das bin ich nicht und ich will auch nicht so gesehen werden. Ich habe in meinem Leben sehr viele Fehler gemacht. Diese Geschichten will ich in meinen Texten verarbeiten. Dafür bekomme ich viele positive Rückmeldungen, aber eben auch negative. So ist das Leben. Aber ich brauche diesen Kanal, damit ich immer weitermachen kann.

SPOX: Damian Lillard ist ein weiterer Spieler, der mit guter Musik von sich reden macht. Haben Sie jemals zusammen etwas aufgenommen?

Webster: Wir haben etwas aufgenommen, aber nie veröffentlicht. Er hat mich vor circa vier Jahren besucht und wir sind in meine "Man Cave" gegangen - ein Tonstudio, das ich mir im Keller eingerichtet habe. Ich habe vier Töchter und das ist mein Rückzugsort - nur Männer sind erlaubt. (lacht) Dame ist sehr talentiert und sein neues Album ist großartig.

SPOX: Wenn Sie das Gefühl vergleichen, vor vielen Zuschauern Musik zu machen und Basketball zu spielen - worin sehen Sie die größten Unterschiede?

Webster: Auf dem Court geht es viel rauer zu als auf der Bühne. Du wirst angeschrien und beschimpft. Ich habe das alles erlebt. Im einen Moment bist du der König und im nächsten der einsamste Mensch der Welt. Wenn ich aber auf die Bühne gehe und Musik mache, ist es eher so, als könnte ich die Zuschauer mit meiner Energie kontrollieren. In der Regel kommen die Leute ja zu deinen Konzerten, weil sie deine Musik mögen und tanzen wollen. Aber um ehrlich zu sein, macht mir das Auftreten gar keinen großen Spaß. Ich habe das mein ganzes Leben lang gemacht. Für mich ist es eher der Prozess, im Tonstudio zu stehen und aus nichts langsam etwas entstehen zu lassen. Das ist das, was mir Spaß macht und auch der Grund, warum ich Musik mache.

SPOX: Verstehe ich es richtig, dass für Sie Basketball weniger anstrengend ist als Musik zu machen?

Webster: Ich spiele Basketball, seitdem ich elf bin und über die Jahre ist es eben mehr und mehr zur Routine geworden. Aber Musik ist eine Ausdrucksform, ein Spiegelbild der Seele. Seine Gefühle auf der Bühne zum Ausdruck zu bringen, das ist eine Herausforderung - aber ich liebe es. Beim Basketball erzählt man auch eine Geschichte, braucht dafür aber keine Worte, nur seine Bewegungen. Das ist schon cool.

SPOX: Kommen wir kurz zu Ihrer Kindheit zurück. Sie sind in Seattle bei Ihrer Großmutter aufgewachsen, weil Ihre Mutter unter mysteriösen Umständen verschwunden ist, als sie vier Jahre alt waren und Ihr Vater die Familie vor Ihrer Geburt verlassen hat - inwieweit ist die Musik auch ein Kanal für die Bewältigung Ihrer schwierigen Vergangenheit?

Webster: Meine Musik ist wie eine Zeitkapsel, die es mir erlaubt, in diese Zeit zurückzureisen und die Gefühle und Emotionen noch einmal zu erleben. Die Musik hilft mir, damit fertig zu werden, ohne Eltern aufgewachsen zu sein, speziell ohne meinen Vater. Sie ist wie eine Therapie, die mir hilft weiterzumachen. Als ich meinen Vater zum ersten Mal kennengelernt habe, zwei Wochen, nachdem ich gedraftet wurde ...

SPOX: ...diese Geschichte ist also wahr - er stand dann einfach vor Ihrer Tür?

Webster: Nachdem ich gedraftet wurde, hat meine Großmutter eine Familienfeier bei sich zu Hause veranstaltet. Ich erinnere mich noch, dass ich mich vorher etwas ausruhen wollte, als meine Schwester mich aufweckte und meinte, mein Vater stünde vor der Tür. Ich war völlig durch den Wind und überfordert mit der Situation, wollte ihn aber trotzdem sofort sehen. Ich habe zu meiner Schwester gesagt, dass ich sie und meinen Vater in ein paar Minuten bei meiner Großmutter treffe, habe geduscht, mich angezogen und bin zum Haus gefahren. Und da stand er. Es war ohne Zweifel mein Vater, ich war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Außerdem habe ich dann auch meinen älteren Bruder kennengelernt. Ich wusste bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal, dass ich noch einen Bruder habe. Mich hat vor allem frustriert, dass mein Vater all die Jahre wusste, wo ich war, und mich jederzeit hätte besuchen können.

SPOX: Was war Ihre erste Reaktion, als Sie ihn sahen?

Webster: Ich dachte eigentlich, dass ich wütend sein würde, aber ich war einfach nur enttäuscht. Es gab so viele Situationen in meinem Leben, in denen ich einen Vater gebraucht hätte. Ich musste mir alles selbst beibringen. Als ich ihn dann zum ersten Mal sah, war ich einfach nur enttäuscht und sagte zu ihm: 'Du hättest für mich da sein sollen.' Später habe ich dann aber gemerkt, dass es vielleicht gut so war - vielleicht wäre alles noch viel schlimmer geworden. Er war eben einfach nicht bereit, Vater zu sein. Deshalb bin ich ihm auch dankbar. Er hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Ich hätte vielleicht niemals meine Frau kennengelernt, hätte heute nicht meine vier wunderbaren Mädchen. Vergebung ist natürlich nicht einfach, aber am Ende lohnt es sich.

SPOX: Ihr Vater hat Sie also bewusst im Stich gelassen, bei Ihrer Mutter war es anders. Ich möchte dabei nicht in die Tiefe gehen, aber man sagt, Ihre Mutter sei dem "Green River Killer" zum Opfer gefallen, ihr Körper wurde allerdings nie gefunden - haben Sie manchmal die Hoffnung, dass Sie noch am Leben ist?

Webster: Ich weiß, dass meine Mutter tot ist, denn sie hat uns geliebt und hätte uns niemals im Stich gelassen. Sie hatte keine Drogenprobleme oder irgendeinen anderen Grund, uns alleine zu lassen. Mittlerweile kann ich ganz gut damit umgehen, aber dennoch habe ich einige psychische Probleme davongetragen. Bei mir wurde zum Beispiel ein Aggressionsproblem diagnostiziert und ich bin mir sicher, dass das etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hat. Ich habe meine Mutter geliebt. Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, warum ich so eine enge Beziehung zu meiner Frau und zu meinen Kindern habe. Meine Mädels bedeuten mir alles.

SPOX: Lassen Sie uns über Ihren Draft-Tag sprechen - Sie waren erst 18 Jahre alt und wurden an sechster Stelle von den Portland Trail Blazers gepickt -erinnern Sie sich noch an diesen Tag?

Webster: Am meisten erinnere ich mich an ein Gespräch, das ich etwa einen Monat vorm Draft mit meiner Großmutter geführt habe. Es ging um Entscheidungsfindung. Zu dieser Zeit schossen mir nämlich viele Gedanken durch den Kopf: werde ich in der ersten Runde gepickt, bin ich ein Lottery-Pick, und so weiter. Sie sagte zu mir, dass sie unabhängig von meiner Entscheidung immer hinter mir stehen würde. Das Beste an meiner Situation sei die Chance, etwas zu tun, auf das ich mein ganzes Leben lang gewartet habe. Ich könne jederzeit zurück in die Schule gehen, aber diese Möglichkeit ergibt sich nur einmal im Leben. Es sei das, was ich immer wollte. Natürlich habe man dann auch viel Verantwortung aber irgendwann sei man in der Position, dass man sich nicht nur um sich selbst, sondern auch um seine Familie kümmern kann.

SPOX: Das war 2005, der letzte Draft, bei dem High-School-Spieler direkt gezogen werden durften - war es gut für Sie, diesen schnellen Weg in die NBA zu gehen, oder wäre ein Jahr am College rückblickend doch besser gewesen?

Webster: Erfahrung ist der beste Lehrer und egal, welchen Weg ich gegangen wäre, ich hätte meine Erfahrungen gemacht. Aber es ist schon ein Sege, den direkten Weg in die NBA eröffnet zu bekommen. Es ist eine Ehre und natürlich auch eine seltene Gelegenheit. Wo Regeln gemacht werden, können Regeln auch wieder gebrochen und geändert werden, deshalb bin ich mir sehr sicher, dass es irgendwann wieder möglich sein wird, direkt nach der High School in der NBA zu spielen. Aber es ist für mich schon ein tolles Gefühl, zu wissen, dass ich einer der letzten war, denen diese Ehre zuteil geworden ist. Wenn ich jetzt allerdings noch mal vor dieser Entscheidung stünde, würde ich vielleicht tatsächlich aufs College gehen.

SPOX: Weshalb?

Webster: Einfach aufgrund der sozialen Komponente, die ich so nie erfahren habe. Andererseits hätte ich dann vielleicht nie eine solche Entwicklung genommen, hätte meine Frau nicht kennengelernt und hätte vielleicht keine Kinder. Manchmal denke ich schon darüber nach, was sonst gewesen wäre. Aber ich war damals bereit für die NBA. Das war ich im Prinzip schon mit elf Jahren, als ich gesehen habe, wie Michael Jordan 1996 in den Finals die Seattle Super Sonics auseinandergenommen hat. Das war der Moment, in dem ich beschlossen habe, Profi zu werden. Obwohl ich damals absolut kein guter Basketballer war, da können Sie meine Freunde fragen. (lacht) Ich konnte nicht mal laufen und gleichzeitig den Ball dribbeln...

SPOX: Das kann man sich schwer vorstellen.

Webster: Ich schwöre es! Aber genau das ist das Erstaunliche für mich. Wenn man den unbedingten Willen hat, etwas zu schaffen, dann können diese Träume Wirklichkeit werden. Ich habe mir immer gesagt, dass ich es schaffe, koste es, was es wolle. Ich war ein Junge, der keine besonderen Fähigkeiten hatte, aber ich war entschlossen und wollte unbedingt besser werden. Außerdem hat mir meine Herkunft geholfen, dahin zu kommen, wo ich jetzt bin. Ich habe das nicht alleine geschafft, es waren die Menschen, die mich großgezogen haben. Meine Familie hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin.

SPOX: Ein anderes Familienmitglied spielt auch in der NBA: Jason Terry...

Webster: (fängt an zu lachen)

SPOX: Er ist doch Ihr Cousin, oder?

Webster: Wir sind nicht wirklich verwandt. Aber bei uns Spielern aus Seattle ist es so, dass wir uns alle als Familie bezeichnen. "Cousin" beschreibt das wohl am besten.

SPOX: Also hat Wikipedia mal wieder gelogen...

Webster: Ich könnte dort jetzt sofort eintragen, dass wir beide Brüder sind. (lacht) Aber Jason und ich sind nicht verwandt. Wie gesagt, alle aus Seattle gehören zur Familie. Brandon Roy, Spencer Hawes, Nate Robinson, Terrence Williams, Marcus Williams, Jamal Crawford, es gibt so viele. Isaiah Thomas und ich haben im selben AAU-Team gespielt. Wir sind alle Brüder oder Cousins, egal wie man es nennt.

SPOX: Ok, verstanden! Ihr "Cousin" Terry hat 2011 mit Dirk Nowitzki den NBA-Titel gewonnen - hat er jemals mit Ihnen über Dirk gesprochen?

Webster: Ich habe ihn nie direkt gefragt, weil ich Dirk schon persönlich getroffen und mit ihm geredet hatte. Und ich kann Ihnen eines sagen: Im Basketball-Zirkus ist er einer der bescheidensten und liebenswertesten Menschen, die ich je getroffen habe. Ich würde wahnsinnig gerne mit ihm zusammenspielen. Er hatte einen keineswegs einfachen Start in der NBA und jetzt ist er ein zukünftiger Hall of Famer - man kann vor ihm nur den Hut ziehen. Er hat einen Ring gewonnen, entgegen aller Erwartungen gegen eines der besten Teams der NBA-Geschichte. Und trotzdem ist er niemand, der das Scheinwerferlicht sucht. Er will einfach spielen. Für mich hat er einen Larry-Bird-Faktor. Er bringt seine Leistung jetzt schon über so viele Jahre. Dirk ist eine lebende Legende - ein Deutscher. (lacht) Außerdem mag er schwarze Frauen. Dieser Mann hat Stil, auf und neben dem Court.

SPOX: Sie haben gerade gesagt, dass Sie gerne mit Dirk zusammenspielen würden - wie geht es Ihnen im Moment? Wären Sie bereit für ein Comeback?

Webster: Im Großen und Ganzen bin ich gesund. Aber nachdem ich Kobe Bryants "Muse"-Dokumentation gesehen habe, wurde mir klar, dass es zu diesem Zeitpunkt meines Lebens einfach extrem viel Zeit in Anspruch nimmt, den Körper in Stand zu halten, nach allem, was er schon durchmachen musste. Deswegen würde ich nicht für jedes beliebige Team zurückkommen - es muss sich für mich wirklich lohnen, die ganzen Opfer aufzubringen. Das bezieht sich ja nicht nur auf das Spiel an sich.

SPOX: Was meinen Sie noch?

Webster: Ich möchte meine Töchter aufwachsen sehen. Nicht ständig für sie da sein zu können ist sehr hart. Wenn ich also zurückkomme, werde ich nicht für irgendein Team spielen, das sich in der Entwicklung befindet. Wäre das die einzige Option, würde ich meine Basketballschuhe sofort an den Nagel hängen. Das ist es nicht wert. Ich hatte nie einen Vater oder eine Mutter und deshalb weigere ich mich, meine Töchter ohne mich aufwachsen zu lassen. Meine Frau und meine Töchter leben in Portland und haben dort ihr komplettes soziales Umfeld. Deshalb ist es keine Option, sie einfach so umzusiedeln. Es kommt jetzt schon zu oft vor, dass ich sie über Face Time erziehen muss. Ich danke Gott dafür - Ruhe in Frieden, Steve Jobs! Aber das ist natürlich keine dauerhafte Lösung.

SPOX: Was wären also Ihre Optionen? Angeblich trainieren sie ja trotzdem fünf Stunden pro Tag für ein Comeback?

Webster: Während der Summer League hatte ich ein privates Workout, bei dem sechs oder sieben Teams anwesend waren. Natürlich gibt es Dinge, die ich verbessern kann. Kondition etwa, aber das ist ein Prozess und ich habe ja noch etwas Zeit. Darüber mache ich mir auch keine Sorgen. Ich mache das alles auch nicht des Geldes wegen. Für mich geht es vielmehr darum, die richtige Organisation zu finden, für die meine Kompetenzen am besten geeignet sind. Es muss ein Contender sein. Wie gesagt, es muss mit meinen Prioritäten und meiner Familie vereinbar sein.

SPOX: Für welches Team würden Sie sich denn entscheiden, wenn Sie einfach so wählen könnten?

Webster: Jim Marsh, mein AAU-Coach (Amateur Athletic Union) war der beste Coach, den ich je hatte. Wenn ich ihn mit einem Trainer aus der NBA vergleichen müsste, wäre das Gregg Popovich. Deshalb würde ich sehr gerne für San Antonio spielen.

SPOX: Aber nur, weil Sie ihn nicht interviewen müssten. Das ist unmöglich.

Webster: Ich weiß, ich weiß, aber ich verstehe ihn auch. Gerade in den US-Medien werden dauernd Fragen gestellt, bei denen der Interviewer ohnehin weiß, was die Antwort sein wird. Da sagt Pop dann einfach Ja oder Nein - ich liebe das! Das ist ja gewissermaßen sein Markenzeichen, das macht ihn aus. Aber zu den Spielern ist er ganz anders.

SPOX: Auch zu den Gegnern der Spurs?

Webster: Ja. Jedes Mal, wenn ich gegen die Spurs gespielt habe, hat er sich Zeit genommen, um mit mir zu sprechen. Das hat mich beeindruckt. Er ist ein Coach, der den Unterschied zwischen Coach sein und Mensch sein versteht. Er will dich nicht ständig coachen, er spricht auch über alltägliche Dinge und macht Witze. Vielleicht wollte er mich damit auch nur ablenken, aber am Ende hat er immer etwas Gehaltvolles gesagt. Das werde ich niemals vergessen, selbst wenn ich nie für ihn spielen sollte. Er verlangt immer 100 Prozent von sich und seinen Spielern und schafft es, das ganze Team zusammenzuhalten. Das verdient Respekt.

SPOX: Popovich hat mit seinen Spurs natürlich eine Menge gewonnen in der Vergangenheit, derzeit ist Golden State das Nonplusultra. Glauben Sie, dass dort eine Dynastie entsteht?

Webster: Das ist schon passiert - aber wer weiß, wie lange sie besteht. Dynastien sind nichts für die Ewigkeit. Manchmal halten sie sogar nur ein Jahr. Nehmen Sie LeBron James: Als er zu den Heat gewechselt ist, wurde schon darüber spekuliert, wie viele Championships sie holen werden, aber ein Typ namens Dirk Nowitzki hat sie gleich im ersten Jahr eines Besseren belehrt. Man kann es einfach nie wissen. Wenn der Wille da ist und man 15 Spieler hat, die gut zusammenpassen, kann man jede Dynastie zerschlagen. Wer weiß, vielleicht war dies schon der letzte Titel für Durant. Es ist extrem schwer, wieder in die Finals zu kommen, und natürlich gibt es auch Verletzungen. Ich persönlich fände es gut, wenn jedes Jahr ein anderes Team den Titel holt, aber das ist natürlich unrealistisch. Momentan sind die Warriors eine Dynastie, aber sobald es so ein Team gibt, stachelt das die anderen ja nur umso mehr an und stärkt ihren Hunger.

SPOX: Sie wirken ebenfalls hungrig- zu wieviel Prozent sehen wir Sie nächste Saison wieder in der NBA?

Webster: Ich kann das nicht kontrollieren, ich kann mich nur bestmöglich vorbereiten. Da ich sehr gut werfen kann, ist die Wahrscheinlichkeit immer relativ hoch, dass mich Teams wollen, aber letzten Endes kann ich nur mich selbst kontrollieren. Und ich kann Ihnen eines versprechen: Ich werde mir für den Rest der Offseason meinen Arsch aufreißen. Ich will gerne wieder in die NBA. Aber wenn es nicht klappt, dann ist das auch okay. Ich werde nicht frustriert sein. Ich habe zwölf Jahre in der NBA gespielt, mein Körper hat sich drei Mal gegen alle Schmerzen durchgesetzt. Wenn es nicht klappt, bleibe ich eben Zuhause. (lacht) Ich habe jetzt zwei Jahre lang regeneriert und in dieser Zeit gemerkt, worauf es wirklich ankommt. Für den größten Teil meines Lebens war das Basketball, aber es gibt einfach so viel mehr. Ich habe in dieser Zeit zum Beispiel kaum Basketball geschaut.

SPOX: Sie haben sich nicht mal die Finals angesehen?

Webster: Von den diesjährigen Finals habe ich mir ein Spiel angeschaut, aber nicht komplett. Für mich zählen meine Frau, meine Kinder und meine engsten Freunde. Für die letzten zwölf Jahre habe ich quasi in einer Blase gelebt. Es gab nur meine Frau, meine Kinder und Basketball, das war alles. Und natürlich war Basketball der größte Teil, weil dieser Sport so viel Fokus und Verzicht verlangt. Deshalb waren diese zwei Jahre ohne den Sport einerseits eine Befreiung für mich, aber auf der anderen Seite auch deprimierend, weil der gewohnte Tagesablauf weg war. Manchmal habe ich mich gefragt: 'Was zur Hölle mache ich hier eigentlich?' Und dann habe ich mich sozusagen in die Musik geflüchtet, weil ich den Sport nicht mehr hatte.

SPOX: Das führt uns zu meiner letzten Frage: Dem Rolling Stone haben Sie einmal gesagt, dass Ihre Basketball-Karriere nur einen Augenblick darstellt und Sie danach hoffentlich noch gute 60 Jahre vor sich haben werden. Und dass Sie nicht nur für diese kurze Zeit in Erinnerung bleiben möchten. Wofür würden Sie denn gerne in Erinnerung bleiben?

Webster: Eigentlich nur für meine Frau und meine Kinder. Ich habe keine Angst vor dem Tod, aber ich will nicht sterben, weil ich eigentlich gerne für immer mit meiner Frau zusammen leben würde. Meine Frau ist mein Ein und Alles. Sie verdient jeden nur erdenklichen Respekt. Es heißt immer, Männer müssten in einer Beziehung viel opfern. Aber Frauen ändern ihre Namen, kriegen Kinder, ziehen mit dir an einen fremden Ort, um dich zu unterstützen. Meine Frau, meine Kinder und meine besten Freunde, diesen Personen möchte ich in Erinnerung bleiben. Und vielleicht bin ich einigen Menschen ja auch ein Vorbild gewesen. Ich musste die NBA zwei Mal verlassen und nun schau dir an, wo ich bin. Alles ist möglich, man muss nur daran glauben. Im Leben warten viele schwierige Entscheidungen und es verlangt einem eine Menge ab. Deshalb rate ich: Umgib dich mit Menschen, die dich verstehen und die dich besser machen. Wenn man das beherzigt, liegt einem die Welt zu Füßen und es gibt keine Grenzen. Dein Schicksal hängt von den Entscheidungen ab, die du triffst. Das Leben ist unglaublich.