"Welcher Monat ist das? Oktober? Ich werde mich jetzt nicht verrückt machen. Ich habe so etwas schon zu oft erlebt. Da bin ich der falsche Ansprechpartner. Ich bin zu positiv gestimmt", sagte LeBron James nach der peinlichen Vorstellung seines Teams gegen die Knicks in einem fast schon gelangweilten Ton.
Been there, done that? Grundsätzlich hatte er nicht Unrecht: James hat in 14 NBA-Saisons viel erlebt. Allein in seiner jetzigen Cavs-Zeit seit 2014 gab es schon mehrere Situationen, in denen Cleveland konfus, dysfunktional und unglücklich wirkte. 2014/15 etwa hatte Cleveland nach 39 Spielen noch immer eine negative Bilanz und schaffte es trotzdem in die Finals. Der frühere GM David Griffin theorisierte einmal, dass sein Team das Drama regelrecht braucht, um erfolgreich zu sein.
Das mag sogar stimmen. Es sind zudem gerade erst sieben Spiele in der Saison absolviert, die Cavs haben in den letzten Jahren mehrfach bewiesen, dass sie sich nur für die Playoffs interessieren. Das Seeding spielt keine Rolle für sie. Schließlich haben sie LeBron, den Equalizer. Alles faire Punkte. Und doch: So verheerend hat sich ein Team mit James schon seit Ewigkeiten nicht mehr präsentiert.
Ty Lue schimpft: Cavs spielen "inakzeptabel"
Als "inakzeptabel" bezeichnete Coach Tyronn Lue die Leistungen seines Teams in den letzten Tagen. Kein Wunder: Vier der letzten fünf Spiele gingen verloren, im Schnitt verlor Cleveland dabei mit 16,8 Punkten (!) Unterschied. Und das nicht etwa gegen die Creme de la Creme der Liga: Die Spiele gingen gegen Orlando, Brooklyn, New Orleans und New York verloren. Keins dieser Teams erreichte in der vergangenen Saison die Playoffs.
"Wir werden da nur herauskommen, wenn wir die Arbeit investieren - als Spieler und auch als Coaches. Die Art und Weise, wie wir momentan verlieren, ist inakzeptabel. Solange wir nicht mit der richtigen Einstellung spielen, wird sich daran auch nicht viel ändern", erklärte Lue.
Mit dem Wort Einstellung sprach Lue dabei schon das korrekte Thema an. Die Cavs gehen den Saisonstart an, als befinde man sich noch in der Preseason. Die Offense ist zwar lange nicht so eindrucksvoll wie letztes Jahr, dennoch wäre es falsch, die Probleme am Fehlen von Kyrie Irving beziehungsweise dessen Nachfolger Isaiah Thomas festzumachen. Auch diese beiden hätten wenig (positiven) Einfluss auf die Hauptproblematik des letztjährigen Finalisten.
Die Defense stinkt bis zum Himmel
"Unsere Defense ist momentan ziemlich schlecht", sagte James, nachdem die Knicks Cleveland 114 Punkte eingeschenkt hatten. Das war eine ziemlich großzügige Untertreibung: 'Unsere Defense stinkt bis zum Himmel', wäre eher angebracht gewesen. Derzeit verteidigen nur drei Teams schlechter als die Cavaliers (Defensiv-Rating: 109,8).
Anhand des Personals waren Probleme in der Defense zumindest erwartbar gewesen. Auch in der letzten Saison war die Defense nicht toll, im Sommer kam mit Jae Crowder bloß ein guter Verteidiger hinzu - und in Thomas sowie Derrick Rose zwei der ganz wenigen Point Guards, die in der Defense sogar noch schlechter sind als der abgewanderte Irving.
Mit dem Move, Kevin Love zum Starting Center zu machen, wollte Lue die Offense stärken, allerdings wurde die Defense dadurch so erbärmlich, dass er das Experiment schon nach wenigen Spielen wieder beendete. Auch durch die Re-Installation von Tristan Thompson hat sich bisher aber keine Besserung eingestellt.
Cleveland Cavaliers: zu lahm und alt?
Das liegt daran, dass die Probleme nicht unbedingt durch individuelle Matchups hervorgerufen werden, zumindest längst nicht alle. Vielmehr ist Lustlosigkeit und Lässigkeit zu beobachten. Gerade in Transition sind die Cavs ein offenes Scheunentor. "Die Teams sehen auf jeder Position schneller aus als wir", sagte Lue. "Sie rennen schnell, sie forcieren das Tempo. Es wirkt, als könnten wir da nicht mithalten."
Können sie nicht - oder wollen sie nicht? Während es offensiv verständlich ist, dass angesichts vieler Neuzugänge und ständiger Änderungen in der Starting Five noch nicht alles eingespielt ist, wären viele der Probleme in der Defense eigentlich relativ leicht zu fixen, wenn die Cavs den nötigen Einsatz an den Tag legen würden. Nicht alle, aber viele.
"Viele unserer Probleme können durch Einsatz gelöst werden", sagte Kevin Love. "Wir haben das Talent, das ist ja offensichtlich. Auf dem Papier sehen wir großartig aus, aber wir müssen rausgehen und das auch wirklich durchsetzen. Der Wille muss da sein."
Das bezog sich insbesondere auch auf die lahmen Starts: Cleveland hat über die letzten fünf Spiele das erste Viertel mit kombiniert 54 Punkten verloren.
Cavaliers: Nicht so stark wie angekündigt
Es sei mal dahingestellt, wie großartig die Cavs wirklich aussehen - schon in der Offseason warnten viele Experten, dass dieses Team lange nicht so stark ist, wie die großen Namen es andeuteten. Der Kader ist voll mit Oldies, Spezialisten (= Spielern, die nur offensiv oder defensiv wertvoll sind) - und natürlich mit LeBron.
Trotzdem hat Love natürlich Recht, wenn er das Talent anspricht. Die Cavs können und müssen viel besser sein als das, was sie momentan darstellen. Es ist auch damit zu rechnen, dass die Offense schon bald zumindest so produktiv sein wird, dass die Saisonbilanz nicht allzu lange negativ bleiben dürfte. Der Befreiungsschlag wird in dieser Hinsicht früher oder später kommen.
"Alles, was wir brauchen, ist ein Sieg", sagte James nach dem Knicks-Spiel. "Dann werden sich die Dinge besser anfühlen und wir werden uns auch bezüglich unserer Performance besser fühlen. Deswegen brauchen wir momentan nur einen Sieg."
Alles blickt auf LeBron James
Kurzfristig dürfte der King damit richtigliegen. Langfristig hingegen bleiben die Tatsachen, dass Cleveland einerseits keine Kader-Balance hat und andererseits in nahezu lächerlichem Maße abhängig von James ist. LeBron schießt derzeit fast 59 Prozent aus dem Feld, seine Teammates liegen bei knapp 43 Prozent.
Das ist aber nicht alles: Laut der Formel für Points Added von NBAMath.com ist James bei 14 eingesetzten Spielern der EINZIGE, der einen positiven Einfluss in der Defense hat. Kyle Korver und Channing Frye sind zudem die einzigen Spieler außer James, die sich bei den Total Points Added, also der Kombination aus Offense und Defense, leicht positiv auf die Team-Performance auswirken.
LeBron: Mal wieder One-Man-Show
Auch wenn erst sieben Spiele absolviert sind und die Zahlen natürlich noch einer gewissen Streuung unterliegen, ist das nichts anderes als ein Armutszeugnis. Wenn James ein Team tragen will, kann er das auch im Alter von 32 Jahren noch tun. Er hat aber in der Vergangenheit mehrfach klargemacht, dass er keine One-Man-Show mehr sein möchte. Genau das ist er aktuell aber.
Den Cavs bleibt selbstverständlich noch ein bisschen Zeit, um ihre Probleme zu lösen. Sie sollten aber lieber nicht zu lange damit warten. Sonst wird James' Motivation, nach der Saison anderswo ein neues (echtes) Superteam aufzubauen, mit Sicherheit nicht geringer.