Der kommende MVP - und auch GOAT?

Robert Arndt
24. Oktober 201711:14
Giannis Antetokounmpo wird bereits als heißer MVP-Kandidat gehandeltgetty
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Giannis Antetokounmpo von den Milwaukee Bucks verzauberte die Liga in den ersten Spielen mit einer Gala nach der nächsten. Viele sehen den Griechen bereits als legitimen MVP-Kandidaten. Andere gehen sogar noch einen Schritt weiter und glauben, dass Giannis der beste Spieler aller Zeiten werden kann.

Die letzten 31 Sekunden der Partie gegen Portland verrieten viel über Antetokounmpo - über sein Spiel, seine Lücken, aber auch über seine einzigartigen Fähigkeiten. Erst verwarf er beim Stand von 109:110 beide Freiwürfe, dann klaute er Evan Turner den Spalding, dunkte in Transition und blockte als Sahnehäubchen noch den möglichen Gamewinner von Blazers-Center Jusuf Nurkic. Was für ein Spiel und was für eine überragende Vorstellung vom Griechen, der mit 44 Punkten nebenbei auch noch einen persönlichen Bestwert verbuchte.

Nach vier Spielen hat Giannis nun 147 Zähler erzielt. In 50 Jahren Milwaukee Bucks konnte lediglich Kareem Abdul-Jabbar 1972 annähernd eine ähnliche Punkteproduktion vorweisen (142). 44 Punkte oder mehr machte für die Franchise aus der Biermetropole zuletzt ein gewisser Brandon Jennings (damals als Rookie 55). Der spielt jedoch inzwischen in China. Ein Schicksal, das Antetokounmpo eher nicht blühen wird.

Giannis Antetokounmpo wird bereits als heißer MVP-Kandidat gehandeltgetty

Antetokounmpo, die Naturgewalt

Denn eine Eintagsfliege ist der Greek Freak sicher nicht. In den bishergien Spielen legte Giannis im Schnitt 36,8 Punkte, 10,8 Rebounds und 5,3 Assists bei Wurfquoten von fast 66 Prozent aus dem Feld auf. Das Lob prasselte dementsprechend aus allen Teilen des Landes auf den Griechen ein - vor allem von den Opfern der Nummer 34. "Giannis ist eine Naturgewalt", stöhnte etwa Damian Lillard nach der bitteren Pleite für sein Team. Auch Turner war ratlos. "Ich dachte, ich habe ihn gut verteidigt." Dies war tatsächlich der Fall, doch Antetokounmpo war einfach zu gut und versenkte 17 seiner 23 Würfe aus dem Feld.

Nachdem Giannis in der vergangenen Saison schon den Award des Most Improved Player abgeräumt hatte, scheint er nun zu deutlich mehr berufen zu sein. Auch 2016/17 heimste er bereits einige wenige MVP-Stimmen ein, diesmal dürften es deutlich mehr werden, vor allem wenn Milwaukee die 50 Siege knackt und sich den Heimvorteil sichert. Das Beispiel Russell Westbrook hat gezeigt, dass die prestigeträchtige Trophäe nicht unbedingt an einen Spieler aus einem absoluten Topteam gehen muss.

Der Coach der Boston Celtics, Brad Stevens, wird dem sicher zustimmen. Sein Team war es, das als Erstes die Wucht des erst 22-Jährigen zu spüren bekam. Mit 16 Punkten drehte er die Partie im Schlussviertel beinahe im Alleingang und brachte den Garden mit seinen Drives einige Male ins Staunen. Der unfassbare Alley-Oop-Dunk über Aron Baynes (RIP!) war da nur die Krönung. "Wer Giannis heute spielen gesehen hat, wird sich denken, dass dies ein MVP-Kandidat ist", musste Stevens neidlos anerkennen.

Antetokounmpo: Ab in den Post!

Dabei zeigte Antetokounmpo wieder ein paar neue Facetten in seinem Spiel. Der Forward begab sich in den ersten drei Partien mehr in den Post, agierte mit dem Rücken zum Korb. Zumeist sind seine Gegenspieler kleiner. Somit haben die Gegner die Wahl: Vertrauen wir dem Eins-gegen-Eins und hoffen, dass der Grieche zu einem Jumper gezwungen wird oder schicken wir die Hilfe?

So oder so, keine Alternative ist wirklich überzeugend. Durch seine Athletik und seinen deutlich kräftigeren Körper kann der 15. Pick aus dem Jahr 2013 inzwischen seinen Gegenspieler ein wenig nach hinten schubsen und näher an den Korb rücken. Kommt die Hilfe, findet Antetokounmpo den freien Mann - auch auf der Weak Side. Der offene Dreier ist die Folge.

Coach Jason Kidd als Mentor

Das klingt verdammt verdächtig nach LeBron James - zurecht. Selbst der King staunte einige Male nicht schlecht, was der Grieche so aus dem Händchen zauberte. "Er hat das Skillset, er hat das Talent und er hat einen großartigen Coach", lobte der King. Jason Kidd gilt nicht ohne Grund als einer der besten Point Guards aller Zeiten und ist für Giannis ein echter Glücksfall. Kidd war es, der Antetokounmpo 2014 als seinen Spielmacher benannte und so die Spielintelligenz und Auffassungsgabe des Youngsters schärfte. Durch seine Größe kann der Grieche das komplette Feld überblicken und spielt inzwischen Pässe wie es nur die absolute Point-Guard-Elite tut.

Das Absurde: Antetokounmpo dominiert die erste Woche der NBA ohne einen Jumper. Seine Abschlüsse nimmt er fast fast ausschließlich in Korbnähe. Weiß die Liga etwa nicht, dass die Zone verbarrikadiert werden muss? Die Antwort ist simpel. Man ist sich dessen bewusst, kann es aber schlicht und einfach nicht verhindern. Durch die raumgreifenden Schritte kann Giannis die Verteidiger umkurven oder sie mit seiner enormen Explosivität einfach stehen lassen.

Jae Crowder musste zum Beispiel auch feststellen, dass der einst spindeldürre Teenager nun seine Gegenspieler auch herzhaft wegdrücken kann. So können solche absurden Statlines mit Feldwurfquoten um die 66 Prozent zur Normalität werden. Nun stelle man sich vor, dass der Junge auch noch lernt, wie man den Spalding aus der Mitteldistanz oder von weit draußen konstant ins Körbchen wirft. So wie Turner verteidigte, geht es dann sicher nicht.

Antetokounmpo: Der neue GOAT?

"Ich habe noch nie jemanden wie ihn gesehen", staunte auch Kevin Durant. "Er kann wahrscheinlich der beste Spieler aller Zeiten werden, wenn er es wirklich will. Darüber nachzudenken macht mir Angst, aber er ist derzeit mein Lieblingsspieler." Auch Mitspieler Greg Monroe sprach geradezu ehrfürchtig von seinem Leader. "Er ist wieder besser geworden. Das ist beängstigend. Sein Jumper ist wahrscheinlich die einzige Facette in seinem Spiel, an der er noch arbeiten muss."

Coach Kidd schlug in die gleiche Kerbe, auch wenn er den Wurf nicht als Schwäche bezeichnen würde. "Ich denke, er wirft schon sehr gut. Die Leute suchen die Fehler in seinem Spiel, weil er so viele Dinge großartig macht. Selbst die besten Spieler hatten Lücken in ihrem Spiel. Wenn er der Erste ist, bei dem dies nicht der Fall ist, sind wir alle glücklich."

Das ist aber (noch) Zukunftsmusik. Die Bucks haben aber zumindest ihren Kader und die Rotationen auf den Franchisespieler ausgerichtet. Hatte Milwaukee in der Vergangenheit noch große Spacing-Probleme, stehen nun jede Menge Shooter auf dem Feld, auch weil Antetokounmpo nun in Abwesenheit von Jabari Parker als nomineller Power Forward agiert. Malcolm Brogdon, Khris Middleton, Tony Snell oder auch Thon Maker können alle von draußen abdrücken, auch wenn es die Quote bislang noch kaum widerspiegelte (34 Prozent von Downtown).

Giannis, Giannis, Giannis

In der vergangenen Saison kamen nur 29 Prozent der Bucks-Würfe von draußen. Gegen die Cavs waren es fast die Hälfte (35 von 82). Streicht man die Versuche von Giannis, sind es sogar weit mehr als 50 Prozent. Zwar fielen nicht einmal ein Drittel dieser Würfe (11/34), doch ist es genau die Richtung, in die Milwaukee gehen muss.

Antetokounmpo wird den Löwenanteil der Offense übernehmen, umgeben von Spezialisten und Rollenspielern. Das gilt auch für Parker, dem zweiten Pick der Draft von 2014, wenn er denn im neuen Jahr nach seinem Kreuzbandriss zurückkehren wird. Er wird für die Bucks eine gute zweite Option sein, allerdings im Schatten des Griechen. Antetokounmpo ist Milwaukee, er ist das Aushängeschild dieser über Jahrzehnte so mausgrauen Franchise.

Giannis kommt bei den Massen an. Selbst an der Grenze zu Mexiko oder im tiefsten Alaska sollten die Menschen mitgekommen haben, dass da ein Europäer sein Team in der vergangenen Saison in Punkten, Rebounds, Assists, Steals und Blocks anführte und als einziger Spieler in all diesen Kategorien ligaweit in den Top 20 vertreten war. Bei den spektakulärsten Plays des Tages ist er sowieso schon seit Jahren Stammgast.

"Daddy, ich habe 44 Punkte gemacht"

Dies gemischt mit seiner jugendlichen und bescheidenen Art macht ihn zu einem echten Sympathieträger. Unvergessen, wie er in seiner Rookie-Saison Pancakes für sich entdeckte und offen zugab, dass er gerne Justin Bieber hört und Ellen DeGeneres schaut.

Ein Junge, wie jeder andere, lediglich gesegnet mit unfassbaren athletischen Voraussetzungen. So konnte sicherlich auch jeder mitfühlen, als Antetokounmpo nach dem Spiel gegen Portland den Ball behielt und seinem wenige Wochen zuvor verstorbenen Vater eine Nachricht auf den Spalding kritzelte.

"Das ist für Daddy. Wir haben heute gewonnen und ich habe 44 Punkte erzielt."

Umso erstaunlicher war es, mit welcher Wucht und Energie Antetokounmpo die ersten Spiele absolvierte. In der Preaseason spielte er aufgrund des Schicksalsschlages nur zwei Spiele und ließ verständlicherweise viele Einheiten sausen. Wenige Tage später dominiert er auf dem Feld wie nie zuvor. "Ich will einfach nur hart und für meine Familie spielen. Mein Dad hat es geliebt, uns auf dem Feld zu sehen."

Antetokounmpo: Astronomische Zahlen

Das Ende der Fahnenstange soll dies nicht gewesen sein. Sicherlich wird er sein Player Efficieny Rating von 43,5 nicht halten können. Wenn doch, müssten wir wohl eine neue GOAT-Diskussion starten. Wilt Chamberlain führte dieses Ranking mit einem PER von 31,8 aus der Saison 1962/63 an.

"Das ist erst der Anfang. Ich bin noch nicht fertig. Wir haben noch 79 Spielen plus hoffentlich die Playoffs", sagte Giannis nach dem Sieg über Portland. Mit einem Antetokounmpo in einer solchen Form sollte es locker reichen. Dazu sammelt der Grieche mit jedem weiteren Sieg weitere Gründe ein, um am Ende der Saison bei der Award Show nicht nur den MIP, sondern die wichtigste Trophäe der Veranstaltung abstaubt, den Award für den Most Valuable Player. Challenge accepted, Kobe!