Paul Zipser geht in seine zweite Saison bei den Chicago Bulls. SPOX sprach mit dem deutschen Nationalspieler über eine mögliche Rolle als Dauer-Starter, eine neue Team-Atmosphäre ohne Wade, Butler und Rondo und über seine Ziele für eine Spielzeit, die im Zeichen des Rebuilds steht.
SPOX: Paul, Sie standen während der Preseason und auch in den ersten beiden Spielen der Saison in der Starting Five. Hat Coach Fred Hoiberg diese Rolle für Sie auch für die komplette Regular Season vorgesehen?
Zipser: Wir fangen auf jeden Fall so an, ja. Was dann im Laufe der langen Saison passiert, steht natürlich noch nicht fest - man muss ja immer auf Entwicklungen reagieren und schauen, welche Spieler gut zusammenspielen und welche nicht. Da es in der Preseason mit dieser Starting Five aber gut geklappt hat, gibt es keinen Grund, irgendwas daran zu ändern.
SPOX: Ein mögliches Comeback von Zach LaVine spielt erstmal keine Rolle bei den Lineup-Planungen?
Zipser: Bei uns hat jeder die gleichen Chancen, das gilt auch für Zach. Es ist ja nicht so, dass wir hier noch die großen Stars oder gar Superstars haben, die feste Ansprüche auf einen Platz haben. Wir sind in einer Situation, in der es wirklich nur darum geht, welche Spieler funktionieren. Und diese Spieler formen dann die Starting Five oder die Second Unit. Niemand hat eine Sonderstellung, niemand trifft eigene Absprachen mit den Coaches. Nochmal zu Zach: Wenn er zurückkommt, wird sich natürlich etwas verändern, weil er unser Spiel mit neuen Elementen versieht. Aber ob er das als Starter oder sechster Mann tut, spielt weder für mich noch für ihn oder irgendjemanden sonst eine Rolle.
gettySPOX: Sie haben den Superstar-"Schwund" schon angesprochen: Mit Dwyane Wade, Rajon Rondo und Jimmy Butler sind drei Alphatiere von Bord gegangen. Wie fühlt sich die Team-Hierarchie nun an? Gibt es große Unterschiede?
Zipser: Auf jeden Fall. Es fühlt sich komplett anders an, wenn du nicht solche drei Spieler auf dem Feld hast. Unser Team setzt sich nun komplett neu zusammen und findet neu zueinander. Jeder hier füllt seine Rolle aus und trainiert hart. Und wenn jemand etwas zu sagen hat, dann sagt er es - da spielt der Status eines Spielers keine Rolle mehr. So sollte es meiner Meinung auch sein, weil dies Attribute sind, die ein gutes Team auszeichnen.
SPOX: Hat der Coach durch die angesprochenen Abgänge noch an Autorität hinzugewonnen?
Zipser: Ja. Es ist ja kein Geheimnis, dass die NBA eine Liga ist, in der die Spieler sehr viel zu sagen und viel Macht haben. Wenn man also Superstars in einem Team hat, dann sind diese in viele Entscheidungen involviert und beeinflussen sie auch. Nun haben wir aber, wie gesagt, ein Team ohne Spieler von großem Status - weshalb das Wort der Coaches mehr Gewicht hat als vorher.
SPOX: Findet das Training dadurch in einer angenehmeren Atmosphäre statt?
Zipser: 'Angenehmer' ist vielleicht das falsche Wort, aber es ist auf jeden Fall anders. Für mich persönlich ist es gut, beide Seiten zu kennen. Ich hatte letztes Jahr im Training viel Spaß mit Wade und Co., aber ohne sie ist es auch eine wertvolle Erfahrung.
SPOX: Wie bewerten Sie denn Ihre Rolle im neu formierten Team, trauen Sie sich zu, ein Anführer zu sein?
Zipser: Wenn so etwas geschieht, dann hängt das mit der Qualität zusammen, die ich als Spieler mitbringe. Wenn ich besser werde und auf dem Feld mehr Verantwortung übernehme, dann kommt mehr Verantwortung abseits davon von ganz alleine. Die Spieler, die jetzt ganz oben stehen, haben ja auch nicht von Tag eins an allen gesagt, was sie zu tun haben. Gleiches gilt für die Coaches. Man muss sich diesen Status erarbeiten. Und natürlich ist es auch für mich ein Ziel, ein Spieler zu werden, der viel über Basketball weiß und ein Team anführen kann.
SPOX: Und welche Ziele haben Sie sich für die kommende Saison formuliert?
Zipser: Ich will in erster Linie gesund bleiben und eine solide Saison spielen, was mir ja letztes Jahr schon ganz gut gelungen ist. Ich muss - und will - jede Nacht fokussiert sein, auch, wenn es mal unkomfortabel ist und vielleicht die eine oder andere Körperstelle schmerzt.
SPOX: Sie befinden sich nun in einem Bulls-Team, das sich nach den Moves im Sommer im Neuaufbau befindet. Wurden Sie als Spieler, der letztlich Teil des Rebuilds ist, in die Pläne des Front Offices involviert?
Zipser: Nein, überhaupt nicht. Ich war ja im Sommer einfach nur ein Spieler, mit dem die Bulls auch in diversen Trades etwas hätten anfangen können. Dieser Situation war ich mir auch bewusst. Als Spieler kann man nie genau sagen, was als nächstes passiert und was für Pläne die Franchise mit einem hat. Klar, man denkt sich immer seinen Teil und interpretiert verschiedene Dinge - das kann auch mit der Presse zu tun haben, die ihren Teil dazu beiträgt. Aber letztendlich lässt sich im Front Office niemand in die Karten schauen.
SPOX: Wie geht denn das Team damit um, dass durch den Rebuild - gerade auch im Hinblick auf hohe Picks - Siege nicht als besonders wichtig erscheinen?
Zipser: Wie das langfristig ist, werden wir ja erst im Laufe der Regular Season sehen. Aber die Vorbereitungsspiele haben schon gezeigt, dass wir mit den Gegnern mithalten können beziehungsweise sie auch schlagen können. Das wird für uns als Team auch immer das Ziel bleiben - Spiele zu gewinnen. Der Unterschied zu letzter Saison ist höchstens, dass wir keinen besonders großen Druck von außen haben, da nicht viel erwartet wird.
SPOX: Es spielt hinsichtlich der Motivation also keine Rolle, was für Ziele die Franchise für eine Saison hat?
Zipser: Überhaupt nicht! Ich bin hier - und das gilt auch für das restliche Team - um Spiele zu gewinnen. Und ich glaube auch nicht, dass die Franchise das anders sieht und es lieber hätte, wenn wir verlieren. Wir haben ja auch gute Spieler zu uns geholt. Würden wir verlieren wollen, hätten wir das nicht getan, sondern stattdessen schlechte Spieler verpflichtet.
SPOX: Das klingt logisch. Nächster Themensprung: Durch diverse Trades in dieser Offseason ist das Leistungsgefälle zwischen Ost und West noch einmal größer geworden. Wie nimmt man das als Spieler wahr?
Zipser: Das ist ja kein neues Phänomen, auch wenn es sich in diesem Sommer noch einmal verstärkt hat. Generell finde ich es auch nicht so gut, wenn sich viele Superstars in einem Team zusammentun und ich glaube auch nicht, dass das so positiv für den Sport ist, dass es einige Franchises mit vielen Superstars gibt, dafür aber auch sehr viele andere ohne einen einzigen. Aber es ist nun einmal so, dass der Trend in diese Richtung geht - und wenn einzelne Franchises und deren Besitzer die Möglichkeit haben, viele gute Spieler zu verpflichten, kann man ihnen keinen Vorwurf machen, wenn sie dies auch tun.
SPOX: Im Rahmen der Superstar-Trades werden grundsätzlich viele weitere Spieler, die keinen so großen Namen haben wie Paul George oder Carmelo Anthony, getradet. Wie geht man als Spieler mit diesem Gefühl um, dass es einen jederzeit selbst treffen könnte?
Zipser: Das ist natürlich kein schönes Gefühl. Aber dass das so ist, wusste ich schon, bevor ich in die NBA gekommen bin. Zudem betrifft es ja nicht nur den Basketball, sondern generell alle Ligen im US-Sport. Das mag nicht besonders schön sein, aber so läuft das Business hier drüben.
SPOX: Mit Maxi Kleber und Daniel Theis ist die Anzahl der deutschen Spieler in der NBA erstmals in der Geschichte auf fünf gestiegen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Zipser: Es ist ja offensichtlich, dass in der Spieler-Entwicklung in Deutschland sehr gute Arbeit geleistet wird. Ob in der NBA oder auf europäischem Level: Es gibt immer mehr Topspieler, die auf sich aufmerksam machen. Man hat ja auch bei der EuroBasket gesehen, dass wir mit einem jungen Team trotz vieler Absagen auf sehr hohem Level mithalten können.
SPOX: Können Sie beschreiben, wie die deutschen Spieler in den USA wahrgenommen werden?
Zipser: Das ist schwierig zu beantworten, weil es in der Zeit, in der ich hier war und bin, "nur" uns drei, also Dirk, Dennis und mich, gab. Da gehen die Wahrnehmungen natürlich weit auseinander. Über Dirk muss man nicht reden, er hat Legenden-Status. Und auch Dennis hatte sich inzwischen etabliert und sich einen Status erarbeitet. Ich hingegen bin noch recht neu - es gibt also nicht den deutschen Spieler. Wenn man das aber auf eine europäische oder internationale Ebene hebt, sieht man natürlich, dass solche Spieler sehr begehrt sind - weil die Leute erkannt haben, dass wir Sachen aufs Parkett bringen können, die viele College-Spieler nicht beherrschen.
SPOX: Dazu passt, dass viele der heranwachsenden Superstars Internationals sind...
Zipser: Stimmt. Towns ist kein Amerikaner, Embiid ist keiner, Giannis oder Porzingis sind Europäer. Das ist mir persönlich jetzt aber nicht neu, dass nur die Amerikaner Basketball spielen können - es ist nur schön, dass das inzwischen auch woanders wahrgenommen und all das Talent geschätzt wird.