Turnover? "Schröder könnte die Liga anführen"

Simon Haux
02. Oktober 201714:06
Dennis Schröder steht mit den Atlanta Hawks vor einem Umbruchgetty
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Jeremias Engelmann ist der Erfinder von ESPNs Spielerbewertungssystem Real Plus-Minus (RPM) und arbeitete einst für die Phoenix Suns. Im SPOX-Interview erzählt er von seinem Weg aus Karlsruhe in die NBA, Konflikten zwischen GMs und Datenanalysten und dem Nutzen von Statistiken für Teams und Spieler. Außerdem analysiert er Kobe Bryants Defense, überbewertete Stars, den Trade zwischen den Cleveland Cavaliers und Boston Celtics und nennt seine Prognosen für die Saison 2017/18.

SPOX: Die erste Frage muss natürlich sein: Wie kommt man als Student aus Karlsruhe dazu, von einem NBA-Team angeheuert zu werden?

Jeremias Engelmann: Ich habe Informatik studiert und in Karlsruhe selbst aktiv Basketball gespielt. Gegen Ende meines Studiums habe ich dann angefangen, mich für Metriken wie das Player Efficiency Rating (PER) von ESPN zu interessieren und darüber nachzudenken, wie man das vielleicht verbessern könnte. Ich habe dann begonnen, ein eigenes System zur Bewertung von Spielern zu entwickeln, das am Anfang viel zu kompliziert und auch gar nicht so toll war (lacht).

Es gab damals eine Metrik, die ziemlich viel Aufsehen erregt hat, das sogenannte Regularized Adjusted Plus-Minus (RAPM). Deren Entwickler wurde von den Washington Wizards eingestellt und durfte deshalb nichts mehr veröffentlichen. Also habe ich einfach versucht, das mit meinem einen Semester Statistik und meinem furchtbar schlechten Laptop nachzubauen.

Da das zu der Zeit niemand anderes öffentlich ins Netz gestellt hat, hatte ich dann plötzlich eine Website, die relativ beliebt war, und war auch im APBR Metrics Forum [ein Diskussionsforum rund um NBA-Statistiken, Anm. d. Red.] aktiv. Ein Freund hat mich dann den Phoenix Suns empfohlen.

SPOX: Wie entstand denn die Idee zu Ihrer eigenen Metrik, dem Real Plus-Minus?

Engelmann: Schon bevor die Suns bei mir angefragt haben, hatte ich versucht, das RAPM deutschen Basketball- und Fußballteams anzubieten. Ich wurde dann von drei Bundesliga-Teams zu einem Interview eingeladen, unter anderem Borussia Mönchengladbach. Dort hatte man ein ziemlich cooles internes Bewertungssystem: Scouts trugen für alle möglichen Jugendspieler subjektive "Stats" für Dribbelfähigkeit, Schusstechnik usw. ein, vergaben Punkte von 1 bis 10. Da kam mir der Gedanke, dass es doch sinnvoll wäre, solche Informationen nicht völlig ungenutzt zu lassen - wie es beim RAPM der Fall ist - und sie stattdessen mit in den Algorithmus zu füttern.

SPOX: Gerade im Fußball sind reine Plus-Minus-Statistiken ja besonders problematisch...

Engelmann: Ja, denn diese funktionieren am besten in Sportarten, in denen viele Punkte fallen und viel gewechselt wird. Im Fußball hat man eigentlich keines von beidem. Allerdings habe ich es damals trotzdem berechnet und die Ergebnisse waren gar nicht so schlecht. Messi und Ronaldo waren mit riesigem Abstand auf Platz eins und zwei. Für eine wirklich gute Metrik müsste man aber natürlich noch möglichst viele andere Statistiken mit einbeziehen: Passquote, Zweikampfquote, Schüsse usw.

SPOX: Im Basketball wären das dann also die Boxscore-Zahlen.

Engelmann: Genau. Aus den Boxscore-Stats kann man für jeden Spieler einen Startwert berechnen, den man dann mit den Plus-Minus-Daten verbindet. Der Vorteil der Plus-Minus-Zahlen ist dann, dass sie "alles sehen", was auf dem Feld passiert. Vor allem für die Defense hat man ja kaum Statistiken. Wenn ein Spieler zum Beispiel viele Steals und Defensiv-Rebounds holt, aber seine Mannschaft trotzdem immer schlechter verteidigt, wenn er auf dem Platz steht. Das kann man im Boxscore natürlich nur sehr schwer erkennen.

Außerdem stecken in einer Metrik wie RPM keine subjektiven Einschätzungen. Nur weil ich z.B. Draymond Green für einen guten Verteidiger halte, verändere ich nicht willkürlich Variablen, damit er im Ranking besser dasteht. Als John Hollinger in den 90ern sein PER gebaut hat, hat er angeblich - so erzählt man sich zumindest - so lange an den Faktoren geschraubt, bis eben Michael Jordan auf Platz eins war. So kommt man natürlich nicht zu einem möglichst genauen Bewertungssystem.

SPOX: Welchen grundsätzlichen Vorteil haben Statistiken denn gegenüber dem Eye Test? Kann ich nicht noch mehr erkennen, wenn ich einfach die Spiele anschaue?

Engelmann: Zum einen ist es vor allem in der NBA natürlich kaum möglich, tatsächlich jedes Spiel zu sehen. Es gibt ja 1230 Spiele pro Saison. Selbst für Hardcore-Fans ist es wahrscheinlich schwer, sich überhaupt die 82 Spiele des eigenen Teams anzugucken. Würde sich aber jemand jeden Tag hinsetzen, acht Stunden lang Spiele anschauen und sein eigenes, subjektives Bewertungssystem bauen... Ich könnte mir vorstellen, dass das vielleicht besser wäre als RPM.

Zum anderen habe ich das Gefühl, dass die menschliche Wahrnehmung oft verzerrt ist. Wenn Leute zum Beispiel viel NBA2K zocken und dort ein Spieler besonders abgeht, nehmen sie ihn vielleicht auch in der Realität als besser wahr, als er eigentlich ist. Ähnlich ist es bei Spielern, die oft in Highlights vorkommen, die spektakulär dunken, die man dadurch auch öfter sieht. Da liefern Stats oft eine objektivere und auch genauere Einschätzung.

Außerdem nimmt man gerade in der Defensive auch viele Dinge nicht so genau wahr. Da müsste man Spiele wahrscheinlich mit halber Geschwindigkeit anschauen, um bei jedem Spieler zu jeder Zeit zu sehen, was er richtig oder falsch macht.

SPOX: Bei welchen Spielern geht die Wahrnehmung denn besonders weit auseinander, wer wird in der Öffentlichkeit besonders über- oder unterbewertet?

Engelmann: Kobe Bryant war ja zwölfmal in einem der All-Defensive Teams. Dabei hat er oft nur dann sehr viel Energie in die Defense gesteckt, wenn die Lakers im Fernsehen gespielt haben oder er einen besonders bekannten Gegenspieler hatte. Insgesamt haben die Lakers aber in den meisten Jahren deutlich besser ohne ihn auf dem Feld verteidigt. Das kann irgendwie nicht sein. Da gibt es eine große Diskrepanz, weil oft einfach nur auf den Ball geguckt wird. Dabei werden Dinge wie Help Defense oder das Nachsetzen nach einem Ballverlust dann vernachlässigt.

Ein aktuelles Beispiel wäre Avery Bradley. Auch er spielt gute Verteidigung am Ball - das sieht auch ziemlich stressig für den ballführenden Spieler aus, weil Bradley so an seinen Gegner "klebt". Aber er ist eben nicht der Allergrößte. So können Gegner oft einfach über ihn werfen und auch für seine Help Defense ist das natürlich ein Problem. Aber wer achtet schon auf die Help Defense eines Shooting Guards, wenn er mit Freunden ein Spiel anschaut?

SPOX: In der Offensive liegen Eye Test und Stats meist weniger weit auseinander. Es ist einfach leichter zu beobachten, wer dort einen großen Beitrag leistet, und auch Statistiken können dies deutlich genauer messen. Gibt es trotzdem auch in der Offense Beispiele für eine ähnliche Diskrepanz zwischen Stats und der öffentlichen Wahrnehmung?

Engelmann: Da bin ich mir nicht so sicher wie in der Verteidigung. Aber ich denke, dass Volume-Scorer, die einfach viele Punkte pro Spiel machen, von vielen Fans überbewertet werden. Jedenfalls gegenüber Spielern, die zwar pro Minute gute Statistiken auflegen, aber eben weniger spielen. Für mich war Amir Johnson da immer das Paradebeispiel, der pro Minute immer sehr gute Stats hatte. Aber für Viele scheinen immer noch die Zahlen pro Spiel ausschlaggebend zu sein, obwohl das in meiner Welt keine große Rolle spielt.

Auch Cody Zeller oder Otto Porter sind Spieler, die sehr effizient, aber immer noch unterbewertet sind. Porter war letzte Saison z.B. einer der effizientesten Werfer der Liga. Solche Spieler werden vielleicht trotzdem unterbewertet im Vergleich zu Spielern wie Carmelo Anthony, Kyrie Irving oder DeMar DeRozan, die einfach viele Punkte raushauen.

Auch da ist Kobe Bryant wieder ein Beispiel. Seine Punkte sahen noch dazu oft kompliziert aus, weil er sich das Leben selbst schwer gemacht hat. Viel Isolation, Pump Fakes, Würfe gegen drei Verteidiger... Das sieht cool aus, wenn es reingeht. Aber es ist natürlich die Frage, ob das immer nötig war.

SPOX: Ist die Wahrnehmung von Zuschauern also oft "falsch", Stats dagegen immer "richtig"?

Engelmann: Die Wahrheit liegt meistens irgendwo dazwischen. Man muss sich da auch manchmal einzelne Fälle genauer anschauen. Kevin Durant hatte in den ersten zwei Jahren furchtbare Stats. Da war der Eye Test auf jeden Fall sehr sinnvoll (lacht). Das reine Plus-Minus sah ihn als einen der zehn schlechtesten Spieler der Liga. Obwohl er noch sehr jung war, hätte man statistisch wahrscheinlich nicht vorhersagen können, dass er einmal einer der besten Spieler überhaupt werden würde. Aber er war riesengroß, superschnell, konnte Dreier werfen... Das konnte man natürlich schon sehen.

SPOX: Was ist denn die größte Schwachstelle der heute verfügbaren Advanced Stats?

Engelmann: Das ist wohl das Messen von Defense. Man könnte sicherlich noch einiges verbessern, wenn man noch mehr und vor allem bessere Daten sammeln und nutzen würde.

SPOX: Da bieten ja schon die auf stats.nba.com öffentlich zugänglichen Daten noch viel Potenzial, das bisher kaum ausgeschöpft wird...

Engelmann: Auf jeden Fall. Beispielsweise gab es lange Zeit keine Zahlen, wie viele Offensivfouls ein Verteidiger gezogen hat. Das ist aber natürlich nicht ganz unwichtig für die Defense. Auch der Unterschied zwischen Rebounds nach Feld- und nach Freiwürfen ist ein Detail, das sich auf die Verteidigung auswirkt. Defensivrebounds nach Freiwürfen hängen kaum mit guter Defense zusammen. Auch wenn sie Russell Westbrook zu vielen seiner Triple Doubles verholfen haben.

SPOX: Lassen Sie uns noch einmal nach Phoenix zurückgehen. Wie wurden Sie dort als "doppelter Außenseiter" aufgenommen - als Europäer, der noch dazu nicht aus dem Profi-Basketball kommt, also kein "Basketball Guy" ist?

Engelmann: (lacht) Wie ich bei den Suns aufgenommen wurde erklärt auch, warum ich schon nach drei Monaten wieder gekündigt habe. Mein direkter Chef, der inzwischen beim FC Chelsea gelandet ist, war super, die tägliche Arbeit hat wirklich Spaß gemacht. Aber wie bei vielen Teams wurde auch bei den Suns die Analytics-Abteilung von den Besitzern ins Leben gerufen, während das Front Office sich davon eher bedroht fühlte. Schließlich hatte es bis dahin die alleinige Macht über das Scouting und den Kader.

Meine Spielerbewertungssysteme kamen also nicht wirklich gut an. Auch für Tradevorschläge habe ich viel negatives Feedback bekommen. Wir waren da einfach überhaupt nicht auf einer Linie. Ich hatte das Gefühl, dass manche im Management keine andere Sicht auf Basketball hatten als der durchschnittliche Joe Blow von der Straße: Carmelo ist super, Kyrie ist super, und wer ist überhaupt Amir Johnson?

SPOX: Haben Sie heute trotzdem noch Kontakt zu den Suns oder Ihren ehemaligen Kollegen?

Engelmann: Ja. Es gibt einen ehemaligen Video-Koordinator, der inzwischen bei den Golden State Warriors arbeitet: Nick U'Ren. Er hat dort einen relativ guten Schritt gemacht. Statt im Keller in Phoenix sitzt er jetzt bei jedem Warriors-Spiel in der ersten Reihe hinter der Bank (lacht). Er hat angeblich das berüchtigte "Death Lineup" entworfen und dafür natürlich viel Credit bekommen.

Und der frühere Defensiv-Coach Mike Longabardi - er wurde 2015 in Phoenix entlassen, kurz bevor auch Head Coach Jeff Hornacek gefeuert wurde - ging dann zu den Cavaliers und gewann dort gleich im ersten Jahr den Titel. Die beiden treffe ich immer, wenn ich zu den NBA-Finals gehe. Und jedes Jahr unterhalten wir uns wieder über unsere Zeit bei den Suns, die ja teilweise nicht ganz einfach war.

SPOX: Gibt es den u.a. auch öffentlich von Charles Barkley und Daryl Morey ausgetragenen Konflikt zwischen "Basketball Guys" und "Analytics Guys" innerhalb von Franchises denn bis heute, oder ist das inzwischen ein reines Medienthema?

Engelmann: Ich muss zugeben, dass ich Barkley nicht allzu oft zuhöre. Pauschal lässt sich das, denke ich, auch nicht beantworten. Vermutlich wird es in mehr als der Hälfte der NBA-Franchises zumindest noch kleinere Reibereien geben. Bei einem Team wie den Rockets, wo auch das Management aus dem Analytics-Bereich kommt, ist die Reiberei aber wahrscheinlich gering. Ähnlich wird es wohl auch bei den Spurs oder Warriors sein.

Auf der anderen Seite des Spektrums stehen z.B. die Sacramento Kings, wo zwei wichtige Analysten kurz nacheinander keinen Bock mehr hatten und gegangen sind, weil sie sich mit Vlade Divac gerieben haben. Ich persönlich würde mir natürlich mehr Daryl Moreys oder Sam Hinkies wünschen, die von der Analytics-Schiene ins Management kommen.

SPOX: In jedem Fall werden in der Liga immer mehr Analysten eingestellt. Was genau erhoffen sich die Teams davon?

Engelmann: Zunächst glaube ich, dass diese Welle inzwischen vorbei ist und die Analytics-Abteilungen anscheinend "voll" sind. Vor einigen Jahren konnten Teams da vielleicht noch einen größeren Wettbewerbsvorteil ergattern. Vor allem bei Trades erhofft man sich eine genauere Sicht darauf, welche Spieler tatsächlich wichtig sind, um Spiele zu gewinnen. So kann man sich eventuell unterbewertete und günstige Spieler holen, um aus Trades möglichst als Sieger hervorzugehen. Bestenfalls schützt man sich damit auch gegen Deals wie den Rondo-Trade, den die Mavericks 2014 gemacht haben.

Außerdem geht es natürlich um die detaillierte Vorbereitung auf Spiele, um die Frage, was Gegner gerne machen, von wo sie werfen, auf welche Tendenzen und Stärken man aufpassen muss.

SPOX: Gibt es denn Spieler, die dafür bekannt sind, das besonders für sich zu nutzen? Die versuchen, sich durch solche Statistiken einen Vorteil zu verschaffen?

Engelmann: Shane Battier war denke ich sehr Analytics-freundlich. Bei ihm war ja auch meistens vor dem Spiel klar, wen er verteidigen muss: den besten gegnerischen Flügel. Wenn man dann weiß, dass der z.B. den Dreier von einem Meter hinter der Linie oft und gerne nimmt, aber nicht besonders gut trifft, dann kann man ihm vielleicht absichtlich einen kleinen Schritt mehr Platz lassen, um das zu provozieren.

Shane Battier gegen Tony Parkergetty

Vor allem schaut man sich aber als Team an, welche Angriffsspielzüge besonders viele Punkte bringen, um diese dann häufiger zu laufen. Das geht natürlich eher an den Trainerstab. Bei den Suns hatten wir beispielsweise das Pick-and-Roll mit Goran Dragic und Channing Frye, das einfach wunderbar funktioniert hat.

Abgesehen davon ist die simpelste Erkenntnis, die die Spieler mitnehmen können, dass man heutzutage einfach mehr Dreier werfen muss. Da sind die Analytics eindeutig. Wenn man sich anschaut, von wo Kevin Garnett immer geworfen hat... Da müsste er in der heutigen Zeit auf jeden Fall Dreier werfen und hätte das wahrscheinlich auch gekonnt.

SPOX: Da solche Dinge inzwischen alle Teams wissen und es keine Franchise mehr ohne Analytics-Personal gibt: Wie kann man sich da überhaupt noch einen Vorteil erarbeiten?

Engelmann: Vielleicht ganz einfach, indem man auch tatsächlich auf dieses Personal hört. Vielleicht bin ich da auch zu überzeugt von den Analytics. Aber in meiner Erfahrung waren doch sehr oft die Teams erfolgreich oder haben enttäuscht, von denen das statistisch auch so vorherzusehen war. Bestimmt könnten 75 Prozent der Teams das noch stärker befolgen.

SPOX: Dann gehen wir am besten auch noch einmal zurück zu den Zahlen, genauer gesagt zu RPM. Um das etwas besser zu verstehen und Ihnen vielleicht ein paar Hot Takes zu entlocken.

Engelmann: Ok...

SPOX: Ist Nikola Jokic ein besserer Verteidiger als Joel Embiid? Sein Defensive Real Plus-Minus war in der letzten Saison minimal höher.

Engelmann: Das liegt daran, dass Embiid nur sehr wenige Minuten gespielt hat. Dadurch ist die Zahl um einiges ungenauer als bei Spielern, die viel gespielt haben. Bei Spielern mit geringer Minutenzahl wird eine 'Regression zur Mitte' gemacht, da man erwartet, dass sie extreme Stats nicht ganz "halten" können. Hätte Embiid die gleichen Leistungen und Stats über 60 oder 70 Spiele gebracht, würde ihn RPM als einen der besten Verteidiger der Liga sehen.

SPOX: Und Jokic? Er war den Zahlen nach der beste Center und der sechstbeste Spieler der Liga.

Engelmann: Mindestens in den Top 20 würde ich ihn ganz sicher sehen. Mit ihm waren die Nuggets offensiv auf dem Niveau der Warriors und Denver hat nun wirklich nicht die großartigsten Offensivspieler. Er macht das Punkten für seine Mitspieler sehr einfach und ist auch selbst ein unglaublich effizienter Werfer.

In der Defensive... (lacht) Da gebe ich zu, dass er unter Umständen ein bisschen überbewertet ist. Tatsächlich haben die Nuggets aber besser verteidigt, wenn er auf dem Feld war - wenn auch trotzdem noch relativ schrecklich. Er ist ja zumindest ein guter Rebounder und holt viele Steals. RPM hat aber auch den Hang, große Spieler besser zu bewerten.

SPOX: Nächste Frage: Ist Jae Crowder der - mit Abstand - beste Spieler aus dem Trade zwischen den Boston Celtics und den Cleveland Cavaliers?

Engelmann: Das würde ich tatsächlich unterschreiben. Die Meisten legen da vielleicht zu großes Augenmerk auf die Offensive. Aber Thomas war in der Defensive nicht gerade einer der besten Spieler der Liga, natürlich auch durch seine Größe. Auch in den Playoffs haben die Wizards ständig seinen Gegenspieler aufgepostet. Insgesamt haben die Celtics mit Thomas ziemlich desaströs verteidigt. Gerade Thomas und Irving sind denke ich zwei Spieler, die in der Öffentlichkeit etwas überbewertet werden.

Über Kyrie habe ich schon öfter geschrieben und danach auch immer viele negative Twitter-Nachrichten bekommen (lacht). Aber wenn man sich anschaut, wie er ohne LeBron gespielt hat, sieht das nicht wirklich rosig aus. Und mit LeBron waren die Cavs mehr oder weniger gleich gut, egal ob er mit oder ohne Kyrie gespielt hat. Irving ist natürlich geil anzuschauen, aber LeBron macht seinen Mitspielern das Leben eben einfacher.

Dagegen hat Crowder schon seit Jahren unglaublich gute On/Off-Statistiken, dazu noch extrem gute Wurfquoten. Für mich ist er wirklich einer der besten sogenannten Two-Way-Player der Liga.

SPOX: Der nächste Spieler, den ich mir ausgesucht habe, ist DeMar DeRozan...

Engelmann: (lacht)

SPOX: Der wurde immerhin gerade erst in ein All-NBA-Team gewählt. Laut RPM müsste man ihn aber durch einen beliebigen Durchschnittsspieler ersetzen können, ohne dass die Toronto Raptors dadurch schlechter würden. Ein solcher Spieler war statistisch gesehen z.B. der 39-jährige Jason Terry...

Engelmann: Für die kommende Saison würde ich das bei Terry aufgrund seines Alters natürlich verneinen, da zeigt die Kurve vermutlich nach unten. Aber insgesamt ist DeMar DeRozan genau der Typ Volume-Scorer, der meiner Meinung nach überbewertet ist. Er macht fast 28 Punkte pro Spiel. Da würde man doch erwarten, dass die Offense seines Teams viel schlechter ist, wenn er auf der Bank sitzt, oder?

Aber die Raptors waren mit DeRozan auf dem Feld in den letzten Jahren nicht besser. Er nimmt natürlich viele Würfe, viele komplizierte Würfe, was auch irgendwie die Attraktivität ausmacht. Nimmt er damit anderen Spielern effizientere Würfe weg? Und was ist mit dem Ball-Movement? Insgesamt sind die Raptors schon seit Jahren immer ohne ihn besser und erfolgreicher als mit ihm.

SPOX: Einen letzten Spieler habe ich noch im Angebot: Dennis Schröder. Provokant gefragt: Ist er einer der schlechtesten Point Guards der Liga?

Engelmann: Leider gibt es zumindest wenige Argumente, die aktuell dagegen sprechen würden. Ein großes Problem ist da seine hohe Turnover-Rate, vor allem die vielen sogenannten Live-Ball-Turnover, die zu gegnerischen Schnellangriffen führen. Die ziehen ihn statistisch extrem runter. Aber auch ansonsten sehen die Zahlen nicht gut aus.

Wenn man den Eye Test dazu nimmt, müsste er aber vielleicht nicht ganz so weit unten stehen. Vielleicht kann er sich nächste Saison ja wirklich etwas verbessern. Allerdings hat man eben oft das Gefühl, dass er einfach zu viel machen will und dadurch ganz blöde Ballverluste verursacht, die dem Gegner immer wieder Punkte schenken.

SPOX: Ist also vor allem seine Rolle zu groß?

Engelmann: Auf jeden Fall. Ich könnte mir allerdings auch vorstellen, dass er gerade bei den Turnovers einfach kein gutes Händchen hat. Ich weiß auch nicht, ob man sich da noch groß verbessern kann, wenn man schon vier Jahre in der NBA gespielt hat und quasi immer die gleiche Turnover-Quote hatte.

SPOX: Vermutlich wird seine Rolle in einem schlechteren Hawks-Team in der kommenden Saison ja sogar noch größer.

Engelmann: Ja, ich kann mir vorstellen, dass er jetzt noch mehr machen will und machen muss und noch mehr Minuten spielt. Das könnte ein Problem sein, gerade weil man irgendwie den Eindruck hat, dass es bei ihm auch eine Sache der Konzentration ist.

Als kleinen Hot Take könnte ich mir deswegen vorstellen, dass Schröder die Liga in Turnovers anführen wird. Bei James Harden werden es weniger werden, weil er jetzt Chris Paul neben sich hat. Und auch bei Westbrook wird die Zahl durch Paul George wahrscheinlich geringer werden. Also besteht leider durchaus die Chance, dass Schröder da die Krone mit nach Hause nimmt.

SPOX: Wenn wir schon bei Hot Takes sind: Wie wäre es mit einer Prognose, welches Team uns alle in der nächsten Saison überraschen wird? Bei dem vielleicht auch die Wettanbieter in Las Vegas völlig daneben liegen.

Engelmann: Leider muss ich sagen, dass Vegas da inzwischen extrem genau ist, das ist also schwierig. Wenn man in den vergangen Jahren RPM benutzt hätte, um in Vegas auf die Over/Unders, also die Bilanzen der Teams zu wetten, hätte man tatsächlich Millionär werden können.

Da gab es praktisch jede Saison ein oder zwei Teams, bei denen man mit ziemlicher Sicherheit hätte sagen können: "Ok, wir schmeißen da jetzt ein paar Tausend Euro drauf, das ist relativ leicht verdientes Geld." So war es z.B. bei Boston nach dem Rondo-Trade, auch letztes Jahr bei den Rockets oder den Jazz. Dummerweise wurden die Quoten aber inzwischen immer weiter an die RPM-Werte angeglichen.

In diesem Jahr könnte ich mir vorstellen, dass die Milwaukee Bucks extrem gut werden. Khris Middleton war vor zwei Jahren statistisch einer der besten Spieler. Wenn er wieder so spielt wie vor seiner Verletzung und Antetokounmpo noch einen kleinen Schritt macht - große Schritte sind da ja kaum noch möglich, sofern er nicht auf einmal den Dreier trifft -, dann wird Milwaukee möglicherweise ganz weit oben mitmischen.

Andererseits kann ich mir vorstellen, dass die Celtics vielleicht enttäuschen. Nach den Plus-Minus-Werten haben sie mit Thomas, Crowder und Amir Johnson ihre drei besten Spieler der letzten Saison verloren. Johnson wird da natürlich oft nicht so ernst genommen und war zugegebenermaßen in den Playoffs ziemlich schlecht. Aber er ist eben sehr effizient und gehört schon seit Jahren zu den besten Plus-Minus-Spielern.

Vielleicht noch ein Hot Take zu den Celtics: Ich habe auch eine Metrik, die versucht, Coaches zu bewerten. Danach ist Brad Stevens nur ein ziemlich durchschnittlicher Coach.

SPOX: Oh... Können Sie diese Metrik kurz erklären?

Engelmann: Sie stellt den Coach quasi als sechsten Spieler aufs Feld, um seinen Einfluss auf die Offensive und Defensive zu berechnen. Die Ergebnisse decken sich im Großen und Ganzen mit dem, was man erwarten würde. Die Van Gundys sind oben dabei, genauso wie Quin Snyder von den Utah Jazz, Phil Jackson oder Gregg Popovich.

Der ehemalige Lakers-Coach Byron Scott schneidet dagegen z.B. furchtbar ab. Insgesamt sind ungefähr 140 Coaches dabei, und von den schlechtesten 50 hat im Moment tatsächlich keiner einen Job. David Blatt ist beispielsweise auch ganz weit unten im Ranking.

SPOX: Obwohl er bei den Cavaliers ja ziemlich viele Spiele gewonnen hat...

Engelmann: Aber die Punktedifferenz des Teams war nicht besonders toll. Und er hatte ja immer noch LeBron. Die Metrik berechnet natürlich mit ein, welche Spieler man hat. Wenn ich morgen die Golden State Warriors übernehmen und zu 58 Siegen führen würde, hätte ich damit als Coach ein negatives Rating, weil der Warriors-Kader eigentlich gut genug für 65 Siege sein sollte.

SPOX: Die Celtics könnten also enttäuschen. Gibt es da vielleicht noch andere Kandidaten?

Engelmann: Bei den Philadelphia 76ers macht mir natürlich die Gesundheit von Joel Embiid Sorgen. Wenn jemand umknickt und sich Bänder reißt, mache ich mir langfristig keine großen Sorgen. Selbst bei einem Kreuzbandriss habe ich heutzutage keine großen Bedenken mehr, dass die Leute gut zurückkommen.

Aber gerade Stressfakturen, wie sie Embiid im Fuß und auch im Rücken hatte, können ein Zeichen dafür sein, dass der Körper mit dem Sport an sich und der Belastung nicht fertig wird. Gerade bei extrem großen Spielern. Ich würde es ihm natürlich wünschen, dass er vollkommen fit wird und bleibt, aber super zuversichtlich bin ich nicht.

Außerdem wird der positive Einfluss von Markelle Fultz und Ben Simmons vielleicht ein bisschen überbewertet. Rookies brauchen meistens ein paar Jahre, bis sie richtig gut werden. Deswegen sind große Sprünge junger Teams innerhalb eines Jahres kaum möglich, das sah man ja auch bei den Minnesota Timberwolves mit Karl-Anthony Towns und Andrew Wiggins. Ich würde deswegen für die Sixers auf nicht mehr als 36 Siege tippen.

SPOX: Aber immerhin haben sie ja jetzt auch Amir Johnson...

Engelmann: Naja, den bringen sie wahrscheinlich nur für 15 Minuten von der Bank. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass sie in diesen 15 Minuten gut abgehen. Aber der Frontcourt ist ja mit Simmons, Robert Covington und Dario Saric mit jungen Spielern gefüllt, denen man viele Minuten geben will. Insofern wird Johnson wahrscheinlich wie in seiner gesamten Karriere pro Minute einiges reißen, aber durch die geringe Spielzeit keinen riesigen Einfluss auf das Team haben.

SPOX: Das könnte sich natürlich ändern, falls Embiid sich verletzen sollte.

Engelmann: Dann haben die Sixers mit Johnson und Jahlil Okafor einen sehr guten und einen der schlechtesten Plus-Minus-Spieler der Liga zur Auswahl. Das wird auf jeden Fall interessant. Vielleicht lassen sie aber auch Okafor am Anfang starten, er legt gute Stats auf und die Sacramento Kings doch noch einen zukünftigen Firstrounder auf den Tisch.

Jedenfalls muss man sich bei Okafor bewusst sein, dass es Spieler gibt, die dem Team durch ihre Anwesenheit auf dem Feld tatsächlich weh tun. Natürlich spielt man mit einem solchen Spieler nicht vier gegen fünf, aber gegenüber einem Durchschnittsspieler richtet das schon Schaden an.

Das sieht man ja auch in irgendwelchen unteren Fun-Ligen: Wenn Leute z.B. ständig Dreier ballern, aber nur 15 Prozent davon treffen, kann man sich vorstellen, dass sie dem Team wirklich aktiv weh tun. Und ich glaube Okafor gehört da dazu. Wenn sie ihn irgendwie traden könnten, wäre das sicherlich positiv für die Sixers, auch wenn er ein Top-3-Pick war.

SPOX: Wer von den jungen Teams knackt also früher die 55 Siege, die Sixers oder die Timberwolves?

Engelmann: Ich denke bei beiden nicht, dass das in den nächsten vier Jahren passiert. Bei den Wolves ist die Bank weiterhin ein Problem, da fehlt es an manchen Stellen an Qualität. Neuzugang Jamal Crawford ist schon wieder so ein Volume-Scorer, der nie Defense spielt. Wenn man das langfristiger betrachtet, geht es aber auch um das Management und die Verfassung der Franchise im Allgemeinen.

Das muss man wohl bei beiden sagen: eigentlich nicht so geil. Wobei Tom Thibodeau in meinem Coach-Ranking recht weit oben ist. Und ein Bekannter von mir aus Analytics-Kreisen arbeitet inzwischen bei den Timberwolves und ich habe den Eindruck, dass er dort auch einen gewissen Einfluss hat. Jedenfalls war der Jimmy-Butler-Trade ein Home Run. Butler war in der letzten Saison lange auf Platz eins beim RPM und mit Zach LaVine wurde für ihn ein Negativ-Spieler abgegeben.

Dagegen sitzt bei den Sixers jetzt ein Manager, der Andrea Bargnani einen 50-Millionen-Dollar Vertrag gegeben hat (lacht). Deswegen habe ich da nicht die größte Zuversicht, dass sie immer wissen, was sie tun.