"Bei Schröder drehen die Leute durch"

Ole FrerksThorben Rybarczik
17. Oktober 201712:08
Russell Westbrook, Kevin Durant, LeBron JamesSPOX
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Das Warten hat ein Ende - die Regular Season steht in den Startlöchern. Es gibt also einiges zu besprechen: Werden die Warriors ihren eigenen Sieges-Rekord brechen? Sind die Cavaliers besser als letzte Saison? Wie gut ist eigentlich OKC - und muss Dennis Schröder an seinem Ruf arbeiten? Zwei SPOX-Redakteure diskutieren mit Davide Chinellato von der Gazzetta dello Sport und DAZN-Kommentator Alex Schlüter.

Die Warriors werden ihren eigenen Sieges-Rekord brechen

Davide Chinellato: Daran sind sie gar nicht interessiert. Sie haben ihre Lektion von 2016 gelernt, als sie 73 Spiele gewonnen haben, dann aber in den Finals in einem unglaublichen Spiel 7 unterlagen. Trotzdem glaube ich, dass wir in der kommenden Saison die beste Version der Warriors überhaupt sehen werden - nur eben ohne den Rekord von 73 oder mehr Siegen. Sie wissen, dass die Bilanz nicht wichtig ist und nur der Titel zählt. Eher werden sie versuchen, perfekte Playoffs mit einer 16-0-Bilanz hinzulegen.

Thorben Rybarczik: Ich sehe das anders. Ich denke, dass sie sehr wohl den Sieges-Rekord erneut brechen wollen, weil es eben dieses eine Manko bei ihnen gibt: Sie haben mit 73-9 die beste Bilanz aller Zeiten, im selben Jahr aber nicht den Titel geholt. Das gilt es zu korrigieren. Und diese Ambition haben sie: Ich denke da zum Beispiel an ein Interview von Draymond Green aus der vergangenen Woche, in dem er erzählt hat, wie sauer er darüber war, in den Playoffs 2016 ein einziges Spiel verloren zu haben. Das zeigt mir, wie ehrgeizig er ist, und das überträgt er auf das ganze Team. Deshalb sage ich: Die Dubs wollen den Rekord brechen und ihn dann auch endlich mit dem Titel kombinieren. Und ich traue ihnen das durchaus zu.

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Ole Frerks: Ich halte die Warriors auch für so stark, dass sie - sofern sie nicht von Verletzungen ausgebremst werden - praktisch von ganz alleine Richtung 70 Siege steuern werden, ohne es forcieren zu müssen. Die meisten Teams brauchen ein perfektes Spiel, um die Dubs an einem für sie "schwachen" Tag schlagen zu können. Und wenn sie dann zwei Wochen vor dem Ende der Saison merken, dass die 73 Siege erneut möglich sind, werden sie auch versuchen, das zu schaffen. Auch wenn es für sie natürlich nicht das ganz große Ziel für diese Saison sein wird.

Davide Chinellato: Klar, in der Lage dazu sind sie ohne Frage. Und wie du schon sagst, Ole: Sie können eine Saison mit rund 70 Siegen spielen, ohne es wirklich zu "merken", weil sie eben noch ein Stück besser sind als letztes Jahr. Vor allem sind sie noch einmal tiefer geworden. Deshalb tippe ich auch, dass sie mindestens 65 Siege holen werden, was schon großartig ist. Denn dreimal in Folge hat das noch nie ein Team geschafft.

Alex Schlüter: Ich bin bei dir, Davide, die Warriors sind noch ein Stückchen besser geworden. Ich glaube aber nicht, dass sie wieder um die 70 Siege holen. Der einfache Grund: Die Warriors spielen in der Regular Season eben am häufigsten gegen Teams aus der Western Conference und da gibt es mit OKC, Houston und vielleicht ja sogar den Timberwolves Teams, die so viel besser geworden sind, dass sie einen schwächeren Tag der Warriors durchaus bestrafen können. Das war in den letzten beiden Jahren nicht oft der Fall. Versteht mich nicht falsch, Golden State wird viel gewinnen, sehr viel sogar, aber erneut den Rekord knacken? Da glaube ich nicht dran.

Ole Frerks: Um noch einmal das Interview von Green aufzugreifen: Er hat auch gesagt, dass alle anderen Teams sowieso schon wissen, dass sie keine Chance gegen die Warriors haben. Wenn wir also von der Regular Season abweichen und schon in die Playoffs schauen: Glaubst du, Davide, dass jemand die Dubs in einer Serie schlagen kann?

Davide Chinellato: Nein. Dann müsste schon etwas sehr Merkwürdiges und Unvorhersehbares passieren. Vielleicht geben sie mal ein oder zwei Spiele ab - aber eine ganze Serie? Auf keinen Fall. Sie sind zu gut. Niemand stoppt Curry, Durant, Klay und Green über sieben Spiele. Sie sind ein historisches Team.

Die Cavaliers sind besser als letzte Saison

Davide Chinellato: Die Cavs sind definitiv besser geworden. Betrachten wir es mal so: Sie haben Kyrie Irving verloren und dafür Isaiah Thomas, Jae Crowder, Dwyane Wade und Derrick Rose bekommen. Oder anders gesagt: Sie haben einen All-Star Point Guard, einen Ex-MVP, einen zukünftigen Hall of Famer und einen der am meisten unterschätzten Verteidiger der Liga ins Boot geholt. Das macht sie besser, auch wenn Irving zuvor ihr zweitbester Spieler war und keiner von den Neuen seine offensive Qualität erreicht. Es wird auf jeden Fall interessant zu sehen sein, wie sie sich aufstellen, vor allem mit Love auf der Fünf. Was sehr wertvoll ist: Crowder kann in der Defense LeBron entlasten und sich in einem möglichen Matchup mit den Warriors beispielsweise um Durant kümmern. Dann kann sich James - der immer noch der beste Spieler des Planeten ist - anderer Dinge annehmen.

Thorben Rybarczik: Trotzdem glaube ich, dass die Defense ein Problem bleibt, Crowder hin oder her. Wenn Love also auf der Fünf startet und auf der Eins Thomas oder Rose rumläuft, dann braucht doch jeder Gegner nur ein 1-5-Pick-and-Roll laufen, um die Defense auszuhebeln. Mit LeBron und Crowder mag es eine elitäre Helpside geben, aber das macht Teams wie Golden State oder Houston gar nichts aus. Da regnet es Dreier.

Alex Schlüter: Trotzdem können wir doch grundsätzlich mal festhalten, dass die Cavs einige der größten Baustellen zugeschüttet haben. Mit Rose kommt jetzt, wenn Thomas fit ist, ein Ballhandler von der Bank, der in der Lage ist, seinen eigenen Wurf zu kreieren. Mit Crowder, Smith und Co. an Derricks Seite, ist die Bank stark aufgewertet. Das waren beides Dinge, die LeBron persönlich in der Vorsaison kritisiert hat - man hat ihn also erhört. Das sind außerdem beides Dinge, die gerade in der langen Regular Season gefragt sind. Ich glaube darum, dass Cleveland im Vergleich zur vergangenen Saison auch mehr Siege holen wird.

Ole Frerks: Besser geworden sind sie für mich nicht wirklich, zumindest nicht, wenn man es auf ein potenzielles weiteres Duell mit den Warriors bezieht. Für mich wird viel davon abhängen, in welcher Verfassung Thomas zurückkommt. Kann er der gleiche Spieler sein, der er in der letzten Saison war? Selbst wenn: Er wäre genau wie Wade und Rose trotzdem ein Spieler, der nicht verteidigen kann oder will. Ich sehe bei den Cavs fast nur Spezialisten, wenn man LeBron ausklammert. Crowder und er sind nahezu die einzigen echten Two-Way-Player. Zwei typische Beispiele: Shumpert kann nur verteidigen (nicht so gut, wie gern behauptet wird!), Thomas ist nur im Angriff wertvoll. Da stimmt die Balance nicht und ich bezweifle, dass dieses Problem im Sommer behoben wurde. Mag sein, dass sie im Osten sowieso keine Defense spielen müssen, aber dem Titel sind sie nicht näher gekommen. Und noch etwas: Es gibt viele Spieler im Kader wie nun Rose, Wade oder Thomas, die ihre eigenen Ziele verfolgen und sich wahlweise an jemandem rächen oder für einen neuen Vertrag empfehlen wollen. Ich weiß nicht, ob das gut gehen kann.

Alex Schlüter: Ray Allen, Udonis Haslem, Shane Battier - LeBron hat bei den Heat mit einem ganzen Haufen Spezialisten seine Titel geholt. Ich sehe da kein Problem. Klar ist es ein toller Luxus, wenn man viele Schweizer Taschenmesser im Kader hat, aber so lange man mit James eine Schweizer Taschenmachete besitzt, ist das alles zu verkraften.

Davide Chinellato: Das Problem mit den "schwierigen" Charakteren sehe ich auch nicht wirklich, Ole. Denn alle wissen: Die Cavs sind das Team von LeBron. Er ist der Boss, ihm muss man folgen. Und für ihn gibt es nur den Titel als Ziel, nichts anderes. Für die Cavs-Organisation gilt übrigens das gleiche, denn eine weitere Championship ist meiner Meinung nach die einzige Chance, dass LeBron über 2018 hinaus im Team bleibt. Doch was ich sagen wollte: Egal ob es ein Rose, Thomas oder Wade ist, deren Verträge allesamt auslaufen - sie alle werden sich LeBron und dem großen Ziel unterordnen und ihren besten Basketball zeigen. Dafür sorgt LeBrons Aura, was die Cavs von jedem anderen Team unterscheidet.

Thorben Rybarczik: Glaubst du also, dass die Cavs im Osten das Team to beat bleiben? Oder haben die neuformierten Celtics eine Chance, das Finals-Abo von LeBron zu durchbrechen?

Davide Chinellato: Eine Chance haben sie. Allerdings haben die Celtics für Spieler wie Irving oder Gordon Hayward einen hohen Preis gezahlt: Sie haben Tiefe und sehr gute Verteidiger verloren. Auf der anderen Seite haben sie in Brad Stevens den wohl besten jungen Coach der Liga, der es schaffen wird, all die neuen Teile zusammenzufügen. Aber in einer Best-of-7-Serie sehe ich die Cavs vorne. LeBron spielt eben (noch) in Cleveland.

Die Oklahoma City Thunder sind zum Scheitern verurteilt

Davide Chinellato: Um das zu beantworten, sollten wir definieren, was für sie ein "Scheitern" wäre. Können sie den Warriors gefährlich werden? Eher nicht. Doch können sie das zweitbeste Team im Westen sein? Auf jeden Fall! Russell Westbrook hat letztes Jahr die beste individuelle Saison aller Zeiten gespielt, wird aber verstanden haben, dass er das Scheinwerferlicht - und den Ball - teilen muss. Und da kommen natürlich Paul George und Carmelo Anthony ins Spiel. Besonders gespannt bin ich auf Melo: Wird er einsehen, dass er nur noch die dritte Option ist hinter Russ und PG? Wenn er das macht, also viel und effizient abseits des Balles agiert, sollte das OKC-Experiment funktionieren. Wenn es aber Konflikte zwischen den Dreien gibt, dann nicht. Fakt ist: Diese eine Saison wird schon entscheidend für die Zukunft sein, denn man muss George davon überzeugen, dass er in Oklahoma erfolgreich sein kann. Gelingt dies nicht, ist er nächsten Sommer wieder weg.

Ole Frerks: Ich sehe auf jeden Fall das Potential im Team. Allerdings sind sie über die Big Three hinaus sehr dünn besetzt. Da gibt es zwar noch Spieler wie Steven Adams, Patrick Patterson oder Andre Roberson - aber dann? Auf wen soll die Second Unit ihr Spiel ausrichten? Wer soll Verantwortung übernehmen? Da fällt mir höchstens noch Ray Felton ein, dessen Hauptqualität es ist, dass er weder Cameron Payne noch Semaj Christon ist und tatsächlich ein kompetenter Backup sein kann. Aber das reicht nicht - und auch bei Westbrook habe ich Zweifel. Ich weiß, ich weiß, ich kritisiere ihn regelmäßig, aber: Fakt ist doch, dass er das letzte Jahr ziemlich genossen hat, die Triple-Doubles, die Aufmerksamkeit, den MVP-Award. Das ist auch okay. Aber warum gehen wir davon aus, dass er sein Spiel jetzt umstellt, nur weil er zwei neue Stars im Team hat? Das hat er nicht einmal mit Durant gemacht, der um einiges besser war als George und vor allem Melo. Ich bin mir nicht sicher, dass er für eine balancierte Offense sorgen kann, in der jeder seine Touches bekommt und zufrieden ist.

Thorben Rybarczik: Ich bin vor allem aufgrund einer Tatsache optimistisch, dass die Stars erfolgreich koexistieren können: Alle drei wollen es. GM Sam Presti hätte zunächst mal den George-Trade gar nicht eingefädelt, ohne Westbrooks Meinung einzuholen. Schließlich hatte dieser zu dem Zeitraum seinen Vertrag noch nicht verlängert - er durfte also nicht verärgert werden. Und beim Melo-Trade waren Russ und PG ja aktiv an der Rekrutierung Melos beteiligt, der wiederum für OKC seine No-Trade-Klausel hat fallen lassen. Das zeigt mir: Alle drei wissen, worauf sie sich einlassen und sind jeweils für kleinere Rollen bereit. Zweifel habe ich allerdings an Coach Billy Donovan. Er mag ein starker Defensiv-Coach sein, doch auf den Beweis, dass er auch eine funktionierende Offense etablieren kann, warte ich noch. Vor allem in den berüchtigten Conference Finals gegen die Warriors 2016 hat OKC verloren, weil sie in Game 6 und 7 nur noch Iso-Ball gespielt haben.

Ole Frerks: Das mag sein, aber ich glaube nicht, dass Donovan überhaupt die Macht hat, Westbrook zu erzählen, was für eine Offense er laufen soll. Gleiches galt damals für Durant. Für mich ist es zu einfach, die "Schuld" des ganzen Iso-Balls auf den Coach zu schieben. Seine Spieler hatten beziehungsweise haben einfach mehr Einfluss als er. Das ist in Cleveland auch nicht anders, LeBron ist nur in Sachen Spielintelligenz eben deutlich über den allermeisten anderen Spielern anzusiedeln. Aber lasst uns doch noch kurz über Oklahomas Status im Westen sprechen: An die Dubs werden sie nicht herankommen, aber wie sieht es mit den Rockets oder Spurs aus, Davide?

Davide Chinellato: Besonders zum Saisonstart werden die Rockets, die trotz der Addition von Chris Paul eingespielt sind, besser sein. Das Mike-D'Antoni-System passt einfach perfekt zum Kader, zudem haben sie den deutlich besseren Supporting Cast als OKC. Besser als die Spurs können die Thunder aber sein. Denn San Antonio hat weniger Talent im Kader als gewöhnlich, zudem fehlt Tony Parker mindestens bis in den Dezember hinein. Für sie wird es schwer. Allerdings wäre ich nicht der erste, den ein Spurs-Team von Coach Pop zu Unrecht abschreibt ...

Alex Schlüter: Okay, ich glaube ich habe bei OKC eine gänzlich andere Meinung als ihr. Ich finde nicht nur, dass die drei Stars große Probleme miteinander haben werden, ich bin sogar ein Stück weit enttäuscht, dass sie sich selber für diese Konstellation entschieden haben. George bei den Cavs oder den Celtics? Dann könnten wir hier wirklich über einen ernsthaften Contender für die Warriors reden. Die Thunder hingegen sehe ich als das unpassendste Teams aller Zeiten an. Drei ballsüchtige Stars, die nicht annähernd den Ruf haben, Mannschaftsspieler zu sein und die vor allem allesamt nicht den Ruf haben, echte Gewinnertypen zu sein. Westbrook: Ein Spieler, der davon lebt, das Spiel schnell zu machen. Auf der anderen Seite Anthony: Von allen NBA-Spielern der letzten Jahre hat wohl keiner das Spiel so langsam gemacht wie er. Selbst Popovich könnte OKC keine Handschrift geben, bei Donovan ist wohl nur hässliches Gekrakel zu erwarten. Klar, auch OKC wird mit der individuellen Klasse ordentlich Spiele gewinnen, aber mit Blick in Richtung Playoffs sehe ich nicht den Hauch einer Chance darauf, dass die Thunder erfolgreichen Basketball gegen die Top-Teams aus Oakland, San Antonio und Houston spielen können.

Dennis Schröder muss seinen Ruf reparieren

Thorben Rybarczik: In Deutschland ist es ja grundsätzlich so, dass Leute wie Schröder, die gerne mal etwas extravagant daherkommen oder ein paar Sprüche raushauen, die als arrogant interpretiert werden können, sehr kritisch bewertet werden. Und sobald es neuen Stoff gibt - wie bei Schröder zuletzt der Vorfall in einer Shisha-Bar - drehen die Leute durch und legen ihm in der Folge alles negativ aus. Jetzt interessiert uns natürlich deine italienische Perspektive, Davide: Wie werden solche Spieler bei euch bewertet? Wie wird Dennis Schröder wahrgenommen?

Davide Chinellato: Im Großen und Ganzen fokussiert man sich bei uns auf Dinge, die auf dem Court passieren. Ausnahmen gibt es dann, wenn es um "unsere" Spieler wie Danilo Gallinari oder Marco Belinelli geht. Auch wenn LeBron James mal irgendwas in einem Klub anstellen sollte, greift man das sicher auf. Aber Schröder? Darauf wird nicht eingegangen. Da schauen wir eher auf das Sportliche. Die These, dass er seinen Ruf reparieren muss, stimmt außerhalb von Deutschland meines Erachtens nicht.

Thorben Rybarczik: Und wie ist das bei euch mit Danilo Gallinari, den du ja schon angesprochen hast - er hat sich bei der Vorbereitung auf die EM einen Finger gebrochen, weil er im Spiel jemanden geschlagen hat. Wie wird darüber gesprochen?

Davide Chinellato: Bis zu diesem Vorfall hatte Gallo einen hervorragenden Ruf als Muster-Profi. Als das dann mit dem Schlag passiert ist, war das natürlich ein großes Thema und tagelang in allen Medien. Die meisten Leute waren schon sauer auf ihn, weil er dem italienischen Team die Möglichkeit genommen hat, ein tolles Turnier zu spielen. Aber: Es hilft ihm sicherlich, dass er sich - wie gesagt - bis dahin nie etwas hat zuschulden kommen lassen. Von daher verzeiht ein Großteil der Fans ihm wohl, während nur ein kleiner Teil so etwas sagt wie "du Idiot, wie konntest du das machen." Was ich allerdings auch glaube: Hätte es nur den Schlag gegeben, ohne dass er sich selbst dabei verletzt hätte, wären alle ruhig geblieben. Die Leute nehmen ihm wohl nicht den Schlag übel, sondern den gebrochenen Finger.

Ole Frerks: Bezüglich Schröder sind die Meinungen in Deutschland immer sehr gespalten. Es gibt eine Gruppe, die sagt: "Er ist ein guter Spieler, darauf kommt es an. Also soll er sein Leben doch so leben, wie er es will." Dann gibt es aber auch einen großen Teil, der das anders sieht, der an allem etwas auszusetzen hat - das bezieht sich sowohl auf Fans als auch Medien.

Davide Chinellato: Das klingt mir nach einem deutschen Phänomen. Da spielt bei Schröder sicherlich auch die Präsenz von Dirk Nowitzki eine Rolle, der nicht nur ein großartiger Spieler, sondern auch so ein großartiger und bodenständiger Typ ist. Nun erwarten die Leute wohl, dass auch Schröder in diese Rolle schlüpft und ein Vorbild ist. Dass er daran vielleicht gar nicht interessiert ist, sondern einfach nur sein Leben auf seine Art leben will, akzeptieren manche Leute nicht.

Alex Schlüter: Man muss natürlich ehrlich sagen, dass das Timing für die Aktion von Dennis wirklich mies war. Die Verantwortlichen der Hawks haben vor diesem Sommer mit ihm gesprochen, ihm klar gemacht, dass er nun endgültig das Gesicht der Franchise werden soll, weshalb er nun auch außerhalb des Platzes eine andere Rolle spielen soll. Zwei, drei Monate später so eine Nummer zu bringen, ist dann natürlich schwierig. Auf der anderen Seite denke ich aber, dass es nun auch einen ganz einfachen Weg gibt, seinen Ruf wieder zu verbessern: Er muss sich auf seinen Job fokussieren und guten Basketball spielen. Das ist das, was er am besten kann und ich glaube, dass wir das von ihm in Atlanta auch erleben werden. Wir Deutschen sind vielleicht bei solchen Themen sehr sensibel, wir können aber auch verzeihen, da bin ich mir sicher.

Ole Frerks: Um die Thematik noch einmal aus Deutschland herauszutragen: In einem Podcast von Zach Lowe und Kevin Arnovitz ging vor kurzem auch um schwierige Locker-Room-Charaktere bei den Hawks. Und da wurde nicht nur Dwight Howard - der jetzt weg ist - sondern eben auch Schröder thematisiert. Das zeigt mir, dass auch dort zumindest über seinen Ruf diskutiert wird. Nun geht es für ihn darum, das mit einer starken Saison wegzuwischen. Das sollte individuell auch auf jeden Fall möglich sein, wenngleich die Hawks wahrscheinlich kaum Spiele gewinnen werden.

MVP 2018 wird...

Davide Chinellato: Ich glaube an LeBron James - vor allem deshalb, weil die Regular Season dieses Jahr für die Cavs eine größere Rolle spielt als in den Jahren zuvor. Damit hat auch der Abgang Irvings zu tun. LeBron will zeigen, dass es auch ohne ihn geht und dass er zweifelsfrei immer noch der beste Spieler der Welt ist, der seine Mitspieler besser macht. Dieser Aspekt kommt mir ohnehin oft zu kurz. Darüber hinaus glaube ich, das Giannis Antetokounmpo zumindest in der Diskussion um dem MVP-Titel auftauchen wird. Er ist für Milwaukee ein Stück weit das, was Westbrook letztes Jahr für OKC war. Er wird fantastische Zahlen auflegen und die Bucks ohne Probleme in die Playoffs führen. Gegen LeBron kommt er aber trotzdem nicht an ...

Ole Frerks: LeBron und Giannis waren auch meine Picks. Antetokounmpo wird gerade beim Playmaking noch besser werden - und wenn eines Tages auch sein Distanzwurf verlässlich fällt, ist es für den Rest der Liga ohnehin vorbei. Ich glaube, dass Giannis in Zukunft der beste Spieler der Liga sein kann. Zum Vergleich mit Westbrook: Hier glaube ich nicht, dass die Bucks ohne Giannis so schlecht wären wie OKC letztes Jahr ohne Russ. Das hat viel mit Khris Middleton zu tun, dessen Spiel mir sehr zusagt und den ich für sehr unterschätzt halte. Für Giannis, der ja immer noch erst 22 Jahre alt ist, wird es aber gegen LeBron noch nicht reichen dieses Jahr. Das hängt auch mit den Abstimmungsberechtigten zusammen, die in den letzten Jahren vielleicht gedacht haben: Okay, LeBron hat schon genug gewonnen. Inzwischen ist dessen letzter MVP-Titel aber lange genug her. Und irgendwie ist es eben auch lächerlich, wenn der MVP in der ersten Playoff-Runde die Segel streicht oder ganz eindeutig ein schlechterer Spieler ist als LeBron.

Thorben Rybarczik: Ich glaube nicht an LeBron - weil der Osten zu schwach ist, um ihn herauszufordern. Ich glaube auch nicht, dass die Regular Season für die Cavs eine größere Rolle spielt als zuletzt - höchstens beim Season Opener. Es ist ihnen egal, ob sie als Top Seed oder als Zweitplatzierter in die Playoffs kommen, daran wird sich nichts ändern. Stattdessen geht meine Stimme an Kawhi Leonard. Die Spurs sind das einzige Team im erweiterten Contender-Kreis, das nur einen Superstar hat - und das ist er. Außerdem ist er auf beiden Seiten des Felds elitär und wird gerade am Anfang der Saison, wenn Parker fehlt, offensiv noch mehr Verantwortung übernehmen und große Fortschritte beim Playmaking machen.

Alex Schlüter: Eine MVP-Prognose fällt wirklich besonders schwer, weil die beiden Top-Kandidaten der Vorsaison wohl nicht mehr in Frage kommen. Westbrook und Harden haben jetzt Co-Stars, die dazu beitragen, dass sie jetzt schlicht weniger valuable sind. Das Phänomen haben wir bei den Warriors schon seit einiger Zeit - bleiben für mich Kawhi und LeBron. Die beiden werden es unter sich ausmachen. Meine Tendenz geht in Richtung James, weil er nach der Posse um ihn und Irving diesen Schub Extramotivation hat - wer über den Sommer fleißig seine Instagram-Posts vom Krafttraining verfolgt hat, der weiß, wovon ich spreche...

Davide Chinellato: Eines noch: Sollten die Warriors entgegen meiner Prognose doch den Sieges-Rekord brechen, wird der MVP aus ihren Reihen kommen. Selbst dann, wenn sich Curry und Durant gegenseitig Stimmen "klauen". Also: Holen die Dubs 73 Siege oder mehr, heißt der MVP KD!