Daniel Theis hat sich bei den Boston Celtics in Windeseile etabliert und ist fester Bestandteil des derzeit besten Teams der Liga. Der deutsche Rookie sprach mit SPOX über seine ersten NBA-Erfahrungen, Kyrie Irving und die schlimme Verletzung von Gordon Hayward. Außerdem: Das erste Duell gegen Kumpel Dennis Schröder. Am Sonntag spielen Theis und die Celtics gegen die Raptors (21.30 Uhr im LIVESTREAM FOR FREE).
Seite 1: Theis über seinen Saisonstart und den Status Publikumsliebling
SPOX: Daniel, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch! Sie haben mit den Celtics momentan die beste Bilanz der Liga. Wieso funktioniert das alles schon so gut?
Daniel Theis: Dankeschön! Ich glaube, das liegt daran, dass bei uns so viele neue Spieler dabei sind und deswegen alle gewissermaßen mit der gleichen Motivation angefangen haben. Jeder muss sich seinen Platz verdienen und seine Rolle im neuen System so schnell wie möglich finden und dementsprechend hart arbeiten wir. Natürlich hat die Verletzung von Gordon [Hayward, d. Red.] uns andere auch noch ein bisschen stärker zusammengeschweißt. So schade es ist, dass er uns fehlt, hat es anderen eben noch früher die Möglichkeit gegeben, einzuspringen und sich umso mehr zu zeigen. Jayson Tatum etwa kommt als Rookie rein und übernimmt jetzt schon richtig viel Verantwortung. Ich glaube, das hat sich bei uns einfach alles ganz gut auf mehrere Schultern verteilt.
SPOX: Auch Sie haben Ihre Rolle ja beeindruckend schnell gefunden. Wie zufrieden sind Sie bisher mit Ihrem eigenen Spiel?
Theis: Ich kann ganz zufrieden sein mit den ersten Wochen. Wenn ich reinkam, habe ich dem Team immer viel Energie gegeben und Rebounds geholt und stand defensiv gut, was ja meine primäre Rolle hier ist. Das ist mir schon ganz gut gelungen.
gettySPOX: Haben Sie erwartet, dass Sie sich so schnell zurechtfinden würden? Gegen Milwaukee standen Sie ja sogar in der Starting Five.
Theis: Von Erwartungen zu sprechen, ist schwierig. So genau kann ich das gar nicht sagen. Ich habe aber eigentlich vom ersten Training an das Gefühl gehabt, dass ich ganz gut reinpasse. Es ist hier mit den Rollen etwas anders, weil sie nicht immer so klar definiert sind, aber das war mir von Beginn an klar und deswegen ist es mir auch ganz gut gelungen, mich einfach immer bereit zu halten. Direkt nach dem ersten Saisonspiel gegen Cleveland, in dem ich nicht eingesetzt wurde, hat mir Coach Stevens gesagt, dass ich mir keinen Kopf machen soll und in anderen Spielen dafür eine wichtige Rolle spielen werde. Das habe ich direkt auch gemerkt, als ich immer mehr Minuten bekommen habe.
SPOX: Stevens bastelt ja traditionell auch während der Saison viel an seinen Rotationen. Ist es manchmal ein wenig schwierig, sich darauf einzustellen?
Theis: Mittlerweile nicht mehr, weil ich jetzt einfach weiß, worauf er achtet. Er passt seine Rotationen ja an die Matchups an: Gegen Milwaukee stand ich deshalb in der Starting Five, weil sie mit Thon Maker einen Center haben, der von der Statur her eher zu mir passt. Von der Bank kam mit Greg Monroe einer, der vom Körperlichen her eher das Kaliber von Aron Baynes hat. So etwas macht Stevens häufig. Gegen Oklahoma City beispielsweise startete dann mal Marcus Morris auf der Vier, um einen passenden Verteidiger gegen Carmelo Anthony darzustellen. Brad ist da ein sehr moderner Coach - ganz viele NBA-Teams legen ja vor der Saison ihre Starting Five und ihre Rotation fest und bleiben dabei. Er dagegen denkt total flexibel, was mir natürlich zugutekommt. Ich will einfach bereit sein, wenn ich gebraucht werde.
SPOX: Gut, wenn die Vielseitigkeit das hergibt. Sie hatten bisher ja schon einige Dunks und Blocks, die im Internet die Runde gemacht haben - gab es für Sie auch einen speziellen Moment, in dem Sie dachten: "Jetzt bin ich angekommen." Oder passiert so etwas graduell?
Theis: Ein bisschen merkt man das schon im Training vor der Saison. Wenn ich da gegen Al Horford verteidige und das einigermaßen hinbekomme oder auch nicht, sehe ich ja, ob ich dafür bereit bin. In der Preseason hatte ich dann auch schon einige gute Spiele. Natürlich ist die Regular Season noch einmal etwas anderes. Aber ich habe mir von Anfang an gesagt, dass ich einfach Spaß haben will und nicht mit zu viel Druck an die Sache herangehe. Wenn man zu viel nachdenkt, spielt man nicht so, wie man spielen sollte. Ich will es einfach genießen und mein Spiel so einbringen, dass es dem Team hilft. Bisher ist mir das ganz gut gelungen und das merkt man natürlich auch mehr und mehr, ohne dass ich da jetzt spezielle Momente nennen könnte.
SPOX: Gerade über Social Media kriegt man von Deutschland aus mit, dass Sie in Boston schon eine Art Publikumsliebling geworden sind. Wie erleben Sie das selbst?
Theis: Man kriegt es natürlich mit, über das Internet aber vor allem auch in Person. Boston ist eine im positiven Sinne verrückte Sport-Stadt, jedes Spiel ist ausverkauft, sogar in der Preseason. Im T.D. Garden sind die besten Fans der Liga, das sagen sogar Spieler von Auswärtsteams, wenn sie bei uns zu Gast sind. Und man merkt das auch auf der Straße. Nach einem guten Spiel wird man hier regelmäßig draußen angesprochen und gelobt - der Support ist unglaublich. Und was den Publikumsliebling angeht: Mit meiner Spielweise war ich das ja auch in Bamberg schon ein bisschen, weil ich mit meiner Energie und Blocks oder Dunks die Fans mitreißen kann. Es freut mich natürlich total, dass das hier auch schon passiert.
SPOX: Und was halten Sie von dem Spitznamen "Vanilla Theis"?
Theis: (lacht) Ob ich den offiziell anerkenne, muss ich mir noch sehr genau überlegen.
SPOX: Verständlich! Sie haben in dieser Woche gegen Ihren guten Kumpel Dennis Schröder gespielt. War das dann nochmal ein besonderes Highlight für Sie?
Theis: Auf jeden Fall. Wir haben vier Jahre nicht mehr zusammengespielt, dann in diesem Sommer bei der EuroBasket, und nun stehen wir uns so früh in der NBA-Saison gegenüber - das hat schon Spaß gemacht. Wir haben uns am Vorabend noch getroffen und natürlich auch ein bisschen gequatscht. Dennis hat jetzt viel Druck und muss das Team mittragen. Am Tag davor hat das gegen Cleveland geklappt, gegen uns war er auch gut, aber ich war logischerweise froh, dass wir das Spiel trotzdem gewonnen haben.
SPOX: Ein paarmal standen Sie ihm nach einem Switch ja sogar direkt gegenüber ...
Theis: Genau, einmal hat er mich nach dem Pick'n'Roll erwischt, einmal wollte er gegen mich in die Isolation gehen, da habe ich ihn aber gestoppt. Da hat er dann auch gegrinst. Dann hat er noch einen Dreier über mich geworfen, der zum Glück nicht reinging. Das war schon lustig. Aber während dem Spiel reden wir natürlich nicht groß miteinander. Da will einfach jeder gewinnen, also herrscht Stillschweigen, bis das Spiel vorbei ist. (lacht)
SPOX: Kommen wir noch einmal zu den Celtics. Nach den beiden Niederlagen zum Saisonauftakt haben Sie zehn Siege in Folge geholt, wobei vor allem die Defense stark war, derzeit haben Sie sogar das beste Defensiv-Rating der Liga. Wie ist das möglich bei einem Team, das auf so viele junge Spieler setzt? Allein in der Starting Five stehen mit Tatum und Jaylen Brown ein 19-Jähriger und einer, der gerade erst 21 Jahre alt wurde.
Theis: Das stimmt, wir sind jung besetzt. Aber wenn Sie Tatum ansprechen: Er ist zwar erst 19, aber mit seinen langen Armen hat er ideale Voraussetzungen in der Defense - und er ist einfach auch vom Basketball-IQ her richtig weit. Man merkt ihm nicht an, dass er gerade erst vom College kommt. Und mit Spielern wie ihm, Jaylen oder Al Horford steht dann einfach auch richtig viel Armspannweite auf dem Court. Brad Stevens sagt uns allen, dass wir defensiv mit breiten Armen dastehen sollen, und das macht bei jemandem wie Jayson, der eine 2,15-Meter-Wingspan hat, tatsächlich einen großen Unterschied. Und wir sehen die Resultate unserer guten Defense. Wir haben ja offensiv auch einige Waffen, Kyrie Irving kann ein Spiel im Alleingang entscheiden, aber wir können auch Siege holen, wenn er mal nur 11 Zähler macht wie gegen Orlando. Wir haben jetzt schon viermal Teams unter 90 Punkten gehalten, das ist in der ganzen letzten Saison bloß sechsmal gelungen. Das ist schon etwas, worauf wir alle sehr großen Wert legen.
SPOX: Gerade Irving galt ja eigentlich als jemand, der nicht viel von Defense hält.
Theis: Ja, genau. Sein Ruf in der Defense war nicht gut. Es hieß, dass er nicht verteidigen kann oder will. Aber ich erlebe das ganz anders. Kyrie ordnet sich genauso dem Defensiv-Konstrukt unter wie alle anderen im Team und ist kein Schwachpunkt. Er haut sich rein, kämpft sich im Pick'n'Roll über Screens, hat gute Hände und holt viele Steals. Vielleicht will er ein Stück weit beweisen, dass sein Ruf in der Defense nicht unbedingt der Realität entspricht.
SPOX: Für ihn ist die erste Saison außerhalb von Cleveland ja ohnehin eine besondere - haben Sie das Gefühl, dass er unbedingt zeigen will, dass er auch ohne LeBron James erfolgreich sein kann?
Theis: Ich denke schon. Ich glaube, dass er nicht nur defensiv an seinem Ruf arbeiten will, sondern auch als Playmaker und generell als Typ. Er ist auf und neben dem Platz ein Leader. Das hätte man so vielleicht nicht erwartet. Er ist zwar noch jung, aber es ist jetzt sein siebtes Jahr in der NBA und er hat einfach schon wahnsinnig viel erlebt. Das merkt man ihm an, weil er auch dann eine total positive Ausstrahlung hat, wenn es bei uns mal nicht so läuft. In der Auszeit ermahnt er uns dann, ruhig zu bleiben und nicht in Panik zu verfallen, nur weil wir zurückliegen. Wir sollen uns einfach an das System halten. Das macht er ja auch: Wenn sein Wurf nicht fällt, erzwingt er es nicht, sondern setzt dann eben andere in Szene. Aber natürlich kann er das Team auch mal tragen wie gegen Atlanta, als die Defense nicht so toll war.
SPOX: Nach nur fünf Minuten der neuen Saison war an die beste Bilanz der Liga wohl kaum zu denken, als Gordon Hayward sich so schwer verletzte. Können Sie uns ein wenig beschreiben, wie Sie diese schreckliche Szene erlebt haben?
Theis: Du bist erst einmal geschockt. Ich habe so etwas Ähnliches schon mal in Hagen erlebt, als sich D.J. Covington im Spiel gegen uns das Knie umgedreht hat. Das war schon richtig schlimm. Diesmal war es ein Mitspieler, den ich über Wochen schon gut kennengelernt hatte und mit dem ich Tag für Tag zusammengearbeitet habe. Ein Freund. Es war dann wirklich schwer, das Spiel überhaupt fertigzuspielen, es waren ja erst fünf Minuten absolviert. Man war mit dem Kopf ganz woanders.
SPOX: Verständlich. Wie geht es ihm jetzt? Steht er einigermaßen regelmäßig im Kontakt mit dem Team?
Theis: Ich habe ihn in den Tagen nach der Operation einige Male zuhause besucht, weil er das Bett nicht verlassen durfte. Seit ein paar Tagen ist er jetzt wieder in der Lage, bei uns in der Halle auf einem Stuhl sitzend zu werfen. Das tut ihm gut. Er ist dadurch wieder mehr beim Team und wird von Woche zu Woche mehr machen. Wenn er etwas länger sitzen darf, wird er auch bei den Heimspielen wieder als Zuschauer dabei sein, das kann aber noch ein bisschen dauern. Grundsätzlich ist er sehr positiv. Er ist glücklich, dass er zumindest ein bisschen was machen kann. Man merkt ihm an, wie wichtig es ist, dass er wieder etwas mit Basketball zu tun hat.