Die Top 5 des 2015er NBA-Drafts liest sich rückblickend wie das ultimative Klischee der jährlichen Talentlese. Hit or Miss - man kann mit seinen Picks richtig liegen, aber auch völlig falsche Entscheidungen treffen. Zur Erinnerung: Von eins bis fünf wurden damals Karl-Anthony Towns, D'Angelo Russell, Jahlil Okafor, Kristaps Porzingis und Mario Hezonja gezogen.
Towns und Porzingis sind Einhörner und schon jetzt Stars, beide werden innerhalb der nächsten zwei Jahre ihren ersten Maximalvertrag unterschreiben. Russell? Der wurde in Los Angeles geopfert und zockt derzeit in Brooklyn relativ groß auf - an seinem Talent gibt es keinen Zweifel. Und schon gar nicht daran, dass er über viele Jahre eine einigermaßen prominente Rolle in der NBA spielen wird.
Und dann sind da noch Okafor und Hezonja. Bei beiden entschied sich das jeweilige Team unter der Woche, auf die Option für das vierte Vertragsjahr zu verzichten. Bei Top-5-Picks kommt das schon selten vor; auch wenn Hezonja bisher die NBA-Tauglichkeit nie konstant zeigen konnte, ist er eben doch erst 22 Jahre alt und bringt (theoretisch) ein wertvolles Skillpaket für die heutige NBA mit.
Für Top-3-Picks ist es nahezu unerhört. Okafor ist nach den unsterblichen Anthony Bennett und Hasheem Thabeet erst der dritte Top-3-Pick, der frühzeitig "gegangen wird". Die beiden anderen gehören zu den größten Busts der NBA-Geschichte - Okafor dagegen legte als Rookie noch 17,5 Punkte und 7 Rebounds im Schnitt auf. Was hat die Sixers also zu diesem Schritt bewegt?
Jahlil Okafor: Good Stats, bad Team
Beim Blick auf die Zahlen ist natürlich zu erwähnen, dass Okafors Zahlen "Empty Stats" waren - in seinem Rookie-Jahr gewannen die Sixers zehn von 82 Spielen, abgesehen von Robert Covington war noch kein wichtiger Spieler des heutigen Teams im Kader. Okafor durfte fast 15 Würfe pro Spiel nehmen, was die Punkte erklärt.
Effektiv oder gar wertvoll war er deswegen nicht: Mit Big Jah auf dem Court hatte Philly ein negatives Net-Rating von -16,6. Es wurde um fast 11 Punkte besser, wenn er auf der Bank saß. In seiner zweiten Saison war Philly um mehr als 12 Punkte besser, wenn Okafor auf der Bank Platz nahm.
Auch deshalb wurde er im Lauf der Saison immer seltener eingesetzt und nicht nur von Joel Embiid, sondern auch Richaun Holmes, der 2015 genau 34 Plätze nach ihm gedraftet wurde, in der Hackordnung überholt. Trade-Gerüchte häuften sich - wenn Coach Brett Brown etwas Nettes über Okafor zu sagen hatte, beinhaltete das üblicherweise, dass dieser mit den Gerüchten "wie ein Profi" umgehe. Verwendung hatte er für den NCAA-Champion von 2015 allerdings kaum.
Okafor: Besser als Towns, Booker und Co.?
Es war ein rasanter Abstieg für den Big Man, der Duke noch mit so vielen Vorschusslorbeeren verlassen hatte. Noch im Vorfeld des Drafts wurde damals dafür argumentiert, Okafor und nicht Towns solle der No.1-Pick sein - "Jahlil Okafor wird ein besserer NBA-Spieler sein als alle Spieler von Kentucky", sagte etwa Coaching-Legende Jim Calhoun damals. In Kentucky spielten neben Towns damals unter anderem noch Devin Booker, Trey Lyles und Willie Cauley-Stein.
Heute schafft es Okafor, der 2015 etliche Awards (darunter den ACC Player of the Year) abräumte, nicht einmal mehr in die Rotation der Sixers. Verletzungen spielten dabei eine Rolle, auch die Big-Man-Fülle der Sixers. Das Hauptproblem Okafors ist jedoch ein anderes.
Es ist nicht so, dass er keine Skills hätte. Okafor weiß, wo der Korb hängt, er hat eine gute Fußarbeit. Sein Spiel mit dem Rücken zum Korb ist NBA-tauglich. Er ist bisher zwar ein hundsmiserabler Verteidiger und Rebounder, aber noch vor 15 Jahren hätte es wohl keinen Zweifel daran gegeben, dass er seine Rolle gefunden hätte.
Jeder will ein Einhorn
Heute ist das anders. Es gibt kaum noch Platz für Lowpost-Scorer, die sonst nicht viele Skills mitbringen. Die Idealvorstellung der heutigen NBA sieht wie Porzingis oder Towns aus: Mobile Giganten, die dribbeln, Dreier schießen, Bullyball spielen und den Ring beschützen können (wenngleich KAT das bisher nicht tut). Einhörner eben.
Wenn man nicht über eins dieser seltenen Wesen verfügt, sollte es wenigstens ein Spezialist sein, der im Idealfall Rebounds einsackt, den Korb beschützt und sich vorne darauf beschränkt, hart abzurollen und Lobs durch den Ring zu drücken. Clint Capela etwa wird mit diesem Jobprofil nach und nach zum Star.
In jedem Fall muss ein heutiger Big, der sich Spielzeit verdienen will, defensiv seinen Mann stehen können und eine gewisse Mobilität mitbringen. Kein Play ist in der aktuellen NBA wichtiger als das Pick'n'Roll, dementsprechend wichtig sind Bigs, die kompetent switchen oder sich zumindest im richtigen Moment in den Weg stellen können. Oder die dann aushelfen, wenn die Defense auf dem Flügel kollabiert ist.
Okafor: Monroe, Big Al und Kanter als Vorbilder?
Okafor macht bisher nichts davon. Er ist nicht sonderlich athletisch, fußlahm noch dazu - das sind Spieler wie Al Jefferson oder Greg Monroe, die ihren Teams als Lowpost-Scorer von der Bank helfen, aber auch. Im Gegensatz zu ihm verstehen sie aber, wo sie stehen müssen und was ihre Rolle ist, selbst wenn man sie deswegen nicht zu guten Verteidigern erklären würde.
Enes Kanter ist ebenfalls ein mieser Verteidiger, bei ihm stimmt aber der Einsatz. Und er reboundet wie ein Berserker, gerade am offensiven Brett. Okafor hat auch hier bisher nicht einmal durchschnittlich abgeschnitten. Das wird er aber zwingend ändern müssen, wenn er bei seinem nächsten Team mehr Erfolg haben möchte.
Okafor: Gibt es den Buyout?
Dass es in Philly nicht weitergehen wird, ist seit dieser Woche sicher. Theoretisch könnten die Sixers ihm zwar auch nach der Saison noch ein Angebot machen, wahrscheinlicher ist aber, dass er schon in den nächsten Tagen aus seinem Vertrag herausgekauft wird. Vielleicht meldet sich vorher auch ein Team, das nichts zu verlieren hat, und holt sich Okafor für einen Dumping-Preis via Trade. Laut ESPN-Insider Adrian Wojnarowki will Sixers-GM Bryan Colangelo lediglich Assets haben, sprich späte Picks.
Vielleicht kann Okafor nach überstandenen Knieproblemen und bei einem neuen Team tatsächlich noch einen Reset schaffen und sich in der Liga etablieren. Bei Russell scheint dieser Neuanfang gerade zu gelingen - der No.2-Pick von 2015 hat allerdings auch ein passenderes Skillset für die heutige NBA als Okafor. Ein Abnehmer, der Okafor noch eine Chance gibt, muss sich erst noch finden.
Wie aus einer anderen Zeit
"Es gibt nicht viele echte Center in der Liga, die gedoppelt werden müssen, sobald sie den Ball bekommen. Okafor ist so ein Spieler. Die Liga hat sich seit den Tagen von Olajuwon, Robinson und Ewing verändert, aber nur deshalb, weil solche Spieler nicht verfügbar waren. Jeder Coach will einen Spieler wie Okafor. Er mag kein großartiger Verteidiger sein, aber seine offensive Produktion wird für jedes Team von Vorteil sein, das ihn in seinen Reihen hat."
Die Einschätzung, die ein anonymer GM vorm Draft 2015 gegenüber ESPN zu Okafor abgab, liest sich heute wie ein prähistorisches Dokument, obwohl sie kaum zweieinhalb Jahre alt ist. Die Liga hat sich verändert, korrekt. Und vieles davon hatte mit einigen Big Men zu tun, die 2015 in die NBA gespült wurden. Aber nicht mit demjenigen, der fast die gesamte vorige College-Saison über als größtes Talent von allen galt.
Es scheint, als sei Okafor von der Revolution übersehen worden - ein Anachronismus in einer Liga voller Einhörner. Es liegt an ihm, an dieser Wahrnehmung etwas zu ändern.