Eigentlich gibt es bei den Minnesota Timberwolves viele Gründe, um gute Stimmung zu verbreiten. Mit einer 12-8-Bilanz stehen sie auf Rang vier im zumindest theoretisch starken Westen. Ihr Saisonstart ist der beste seit der Spielzeit 2003/04, an deren Ende die Wolves letztmalig die Playoffs erreichten. Auch gab es schon Siege gegen OKC oder die Spurs - gegen Teams also, die als direkte Konkurrenz eingestuft werden. Wie gesagt: Eigentlich gibt es viele Gründe, um mit dem ersten Monat der neuen Spielzeit zufrieden zu sein.
Auf der Pressekonferenz nach dem Heimspiel gegen die Miami Heat am vergangenen Samstag war davon allerdings nichts zu sehen. Mit 98:109 hatten die Wolves verloren und wieder mal die riesengroße Baustelle offenbart, die den Namen "Defense" trägt. "Wir verteidigen die ganze Saison schon überhaupt niemanden", schimpfte Jimmy Butler. "Damit muss Schluss sein. Es wird langsam lächerlich."
Auch Head Coach Tom Thibodeau war außer sich. Was denn das Problem sei, wurde er gefragt - woraufhin er nicht nur theoretische Erklärungen lieferte, sondern auch aktiv zur Tat schritt, um über Fußarbeit in der Defense zu referieren.
Beim direkten Verteidigen eines Ballhandlers sei es elementar, dass die Füße parallel zueinander stünden zwischen Korb und Gegenspieler. Seine Spieler jedoch, so Thibs in präsentierender Aktion, vergessen das viel zu oft und öffnen mit falscher Fußstellung den Weg in die Zone. "Eigentlich dachte ich, wir hätten das im Training Camp oft genug besprochen."
Timberwolves: Defense immer noch katastrophal
In Zahlen liest sich das Problem wie folgt: Nur zwei Teams der Liga verteidigen schlechter als die Wolves (Rating: 110,5), bei der gegnerischen Wurfquote (48,7 Prozent) sind sie sogar Letzter. Dabei gilt Thibodeau als Spezialist am hinteren Ende des Feldes. Als Assistent von Meister-Coach Doc Rivers bei den Celtics hat er die Pick-and-Roll-Defense revolutioniert und später als Head Coach bei den Bulls nahezu perfektioniert.
Das kann auch Paul Pierce bestätigen, der ihn aus besagten Bostoner Zeiten kennt: "Thibodeau ist einer der besten Defense-Coaches der Liga. Seine Verteidigungs-Konzepte sind über jeden Zweifel erhaben - aber er braucht auch die Spieler, die diesen Konzepten folgen können. Und diese Spieler hat er nicht", sagte er in seiner Funktion als ESPN-Experte.
The Truth sprach hier ein hartes Urteil, das besonders an Karl-Anthony Towns gerichtet sein dürfte. Offensiv ist der 22-Jährige schon jetzt absolute Elite, bringt er doch alles mit, was einen modernen Big Man auszeichnet. Er ist spielintelligent, hat eine gute Übersicht, ist lernwillig. Und über seine physischen/athletischen Fähigkeiten braucht man gar nicht reden. Er hat das komplette Paket.
Woran also hapert es in der Defense? Vergangene Saison landete er beim individuellen Net-Rating auf Platz 59 unter den Centern - von insgesamt 60. Towns verschläft Rotationen, bewegt sich falsch, verliert die Übersicht. Seine Helpside hat den Namen nicht verdient, seine 1,4 Blocks pro Spiel täuschen nicht darüber hinweg, dass er ein mieser Ringbeschützer ist.
Karl-Anthony Towns in der Kritik
Viele Experten sind der Meinung, dass er schlicht unkonzentriert ist, wenn es um Defensiv-Arbeit geht, dass es ihm an Motivation fehlt. Für diese These spricht die Tatsache, dass er vereinzelt eine andere Seite aufblitzen lässt und seinen Qualitätsunterschied zwischen Offense und Defense reduziert.
Gegen die Thunder, die er am 27. Oktober mit 33 Punkten und 19 Rebounds dominierte, gab es diese Momente. Er blockte nicht nur 4 Würfe - auch Westbrook wurde amtlich abgeräumt - sondern verteidigte auch das Pick-and-Roll effizient. Er schaffte es, vor dem Ballführer zu bleiben, dessen Würfe zu erschweren oder ihn zum Abbruch des Drives zu zwingen, auch, wenn es sich um Russ persönlich handelte.
Diese Aspekte sind elementar im Defensiv-Konzept von Thibodeau. Wohl keinen Begriff hört man ihn öfter ins Feld brüllen als "ice" - seine bevorzugte Variante der Pick-and-Roll-Verteidigung. Dabei übernimmt der Big kurzzeitig den Ballführer, bleibt aber auf moderatem Abstand, um den Drive zu verhindern. Währenddessen hat der "kleine" Verteidiger Zeit, sich um den Block zu kämpfen und das ursprüngliche Matchup wieder herzustellen. Das Ziel: Einen ineffizienten Mitteldistanzwurf oder eben einen Abbruch der Aktion zu erzwingen.
Mobile Bigs, die Leute wie Russ vor sich halten können, sind dafür Voraussetzung. KAT erfüllt dieses Kriterium theoretisch - warum er trotzdem so selten erfolgreich ist, ist nur schwer zu verstehen. Worum es geht, weiß er schließlich: "Er [Thibodeau] sagt es jeden Tag, in jedem Moment: 'ice, ice, ice'."
Wolves-Coach Thibodeau: "Nicht von Potenzial sprechen"
Die Gegner wissen natürlich auch von der Schwäche Towns beziehungsweise dessen Verweigerung und laufen ein Pick-and-Roll nach dem anderem, in dem sie ihn involvieren. Für Thibs ist das frustrierend, da es immer wieder zum Erfolg führt - mehr als das Konzept vorgeben kann er ja irgendwie auch nicht.
Immerhin: In Backup Gorgui Dieng gibt es jemanden, der die Voraussetzungen für das "ice" ebenfalls perfekt erfüllt und das auch ausnutzt. In 15 Minuten Einsatzzeit präsentiert er all das, was KAT (defensiv) fehlt: Konstanten Einsatz, akkurate Fußarbeit und einen Blick für die Situation. Mit ihm auf dem Feld ist das Defensiv-Rating 2,4 Punkte besser als ohne ihn, mit Towns auf dem Parkett 9,9 (!) Punkte schlechter.
In seinem dritten Jahr und dem zweiten unter Thibodeau kann das - wenn es ernst wird - verhängnisvoll sein. Schließlich wollen die Wolves kein Team mehr sein, bei dem man nur vom Potenzial und der Zukunft spricht. Sie wollen jetzt gewinnen, wollen nicht nur die Playoff-Durststrecke von 13 Jahren beenden, sondern in der Postseason eine Rolle spielen. Denn "wenn man nur aufs Potenzial wartet und darüber spricht, stellt man sich automatisch auf Niederlagen ein. Das wollen wir nicht länger tun", hatte Thibodeau vor der Saison erklärt.
Timberwolves: Die Offensive gehört zu den Besten
Bei all den defensiven Problematiken ist es umso erfreulicher, dass die Offensive läuft wie geschmiert. Beim Rating reicht es für Platz 5, Variabilität ist das Stichwort. Aufgrund des großen Talentpools im Kader gibt es alle Optionen, die es braucht: Den Lowpost, das Pick-and-Roll/Pop mit Towns oder auch die Isolation von Wiggins und Butler, wenn es unkompliziert werden soll.
Die Ankunft von Butler hat sich bislang ohnehin voll ausgezahlt. Waren die Wolves in der Vorsaison noch ein Team, das regelmäßig Vorsprünge herschenkte und Spiele in der Crunchtime verlor, zeigt sich nun ein anderes Bild. Mit dem Ex-Bull und Liebling von Thibs gibt es nun einen Spieler, der spät im Spiel die richtigen Entscheidungen trifft und Verantwortung übernimmt. Das einzige OT-Spiel entschieden die Wolves für sich, darüber hinaus gab es zahlreiche Siege mit weniger als 7 Punkten Differenz.
Profitiert vom schwachen Westen
Die starke Offense hat dazu geführt, dass das Team aus dem hohen Norden trotz des nach wie vor bestehenden Verteidigungs-Dilemmas gut da steht. Das hat aber nicht nur mit eigener Stärke, sondern auch mit fremder Schwäche zu tun: Teams wie die Spurs, Clippers, Nuggets oder Jazz kämpfen mit Verletzungsproblemen, die Thunder haben noch nicht zueinander gefunden. Das hat Minnesota genutzt, um sich einen ersten Vorsprung zu erarbeiten.
Dieser steht aber auf wackligen Beinen - zumindest solange, bis KAT den Schalter in der Defense umlegt. Er könnte sich ein Beispiel an Andrew Wiggins nehmen, dessen Diskrepanz zwischen Offense und Defense im Vergleich zur letzten Saison abgenommen hat. Wenn das passiert ist, können wir Thibs zuliebe tatsächlich damit aufhören, "nur" von Potenzial zu sprechen, wenn es um die Wolves geht.